Alois Musil

Alois Musil (1891)

Alois Musil (* 30. Juni 1868 in Rychtařov, Österreich-Ungarn; † 12. April 1944 in Otryby, Protektorat Böhmen und Mähren) war ein österreichisch-tschechischer Orientalist, Theologe, Kulturanthropologe und Geograph. Während des Ersten Weltkrieges wurde er zeitweilig zum Gegenspieler von T. E. Lawrence (Lawrence von Arabien).

Herkunft und Familie

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Alois Musil wuchs als ältester Sohn einer armen mährischen Bauernfamilie auf dem Land auf. Er war ein Cousin zweiten Grades des Schriftstellers Robert Musil. Ihre Großväter Johannes und Matthias waren Brüder.

Akademische Laufbahn

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Dank eines Stipendiums des Erzbischofs von Olmütz konnte Musil ab 1887 an der dortigen Universität katholische Theologie studieren und seine Studien später im Nahen Osten fortsetzen. Nachdem er sich zunächst mit den religiösen Verhältnissen im Böhmen und Mähren des 17. und 18. Jahrhunderts beschäftigt hatte, konzentrierte er sich später auf grundlegende Fragen des Monotheismus in Judentum, Christentum und Islam. 1891 wurde er zum Priester geweiht und 1895 cum applauso[1] zum Doktorgrad der Theologie promoviert. Im selben Jahr 1895 begann er das Studium der orientalischen Sprachen an der École biblique der französischen Dominikaner in Jerusalem. Von 1897 bis 1898 studierte er an der Jesuiten-Universität Beirut, 1899 in London, Cambridge und Berlin. Von 1902 bis 1909 war er Professor für alttestamentliche Bibelstudien an der Universität Olmütz und von 1909 bis 1920 Professor für biblische Hilfswissenschaften und Arabisch an der Universität Wien. Von 1920 bis 1938 war er Professor für Orientalistik an der Universität Prag, wo er das orientalische Institut begründete.

Forschungsreisen

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Musil unternahm nach 1895 eine Reihe ausgedehnter Forschungsreisen durch Arabien und das Heilige Land. Sein Kartenwerk Arabia Petraea von 1907 bildete eine erste, auf einer genauen Vermessung beruhende, wissenschaftliche Beschreibung des Gebietes östlich des Jordans. Es enthielt eine Bestandsaufnahme der nabatäischen Altertümer, unter anderem der Ruinen von Petra. Wichtig war auch die Entdeckung der Umayyaden- oder Wüstenschlösser östlich von Amman. Von großer Bedeutung war insbesondere das Schloss Qusair ʿAmra, weil die dortigen, damals noch gut erhaltenen Malereien zeigten, dass die frühe islamische Kunst keineswegs bilderlos gewesen war, sondern auch Menschen- und Tierdarstellungen kannte. Die hohe Genauigkeit der Karten in seinen Werken verdankte Musil dem Feldwebel Rudolf Thomasberger, einem Kartographen, der ihn auf vielen seiner Reisen begleitete. 1906 schrieb er auf Bitten des britischen Außenministers Edward Grey ein Gutachten zur Frage des Grenzverlaufs zwischen dem seit 1882 britisch besetzten Ägypten und dem Osmanischen Reich.[2]

Die Forschungsreisen und die Publikationen Musils erschlossen einen bis dahin kaum bekannten Landstrich Ostjordaniens und Arabiens sowie die Lebensverhältnisse und Bräuche der dort lebenden arabischen Stämme. Bei ihnen genoss Musil großes Vertrauen. Als Scheich Musa Eben Nemsa ar-Ruejli wurde er in den Stamm der Rwala-Beduinen aufgenommen. Von 1898 bis 1935 war Musil, der Schriften in tschechischer, deutscher und arabischer Sprache veröffentlichte, als Professor an verschiedenen Hochschulen in Olmütz, Wien und Prag tätig.

Beziehungen zum Haus Habsburg

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Ab 1909 war Musil Professor für Biblische Hilfswissenschaften und arabische Sprachen an der Theologischen Fakultät der Universität Wien. In dieser Zeit entwickelte er eine enge Beziehung zum Haus Habsburg. 1912 unternahm er mit Prinz Sixtus von Bourbon-Parma, dem Bruder der Thronfolgergemahlin und späteren Kaisergattin Zita, eine gemeinsame Orientreise. Musil galt als „graue Eminenz“ am Hof und wurde zeitweilig mit Rasputin verglichen. Möglicherweise stand Musil auch im Hintergrund der Sixtus-Affäre von 1917, geheimen Sonderfriedensverhandlungen mit Frankreich.

Rolle im Ersten Weltkrieg

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Alois Musil (1909)

Während des Ersten Weltkrieges unternahm Musil im Auftrag des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. in den Jahren 1914/15 und 1917 Reisen ins Osmanische Reich. Er sollte zwischen der Hohen Pforte in Konstantinopel, die mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verbündet war, und den arabischen Fürsten vermitteln, die mit den Engländern sympathisierten. Es gelang ihm zumindest, die nordarabischen Stämme vom direkten Aufstand abzuhalten. Dadurch kamen die Bemühungen seines Gegenspielers auf britischer Seite, Thomas Edward Lawrence („Lawrence von Arabien“), erst zum Erfolg, als sie für den Kriegsausgang nicht mehr entscheidend waren.

Karriere nach dem Krieg

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Ursprünglich beabsichtigte Musil, nach dem Ersten Weltkrieg in Wien zu bleiben. Aufgrund seiner klaren Zuordnung zur tschechischen Kultur wurde ihm eine Fortführung des Dienstverhältnisses an der Universität durch die Republik Österreich nicht in Aussicht gestellt. Als dies korrigiert wurde, war Musil bereits in die Tschechoslowakei übersiedelt. Seine enge Verbindung zu den Habsburgern stand seiner weiteren wissenschaftlichen Karriere dort eher im Wege. Dennoch war Musil von 1920 bis 1935 Professor für orientalische Hilfswissenschaften und Arabisch an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in Prag. Zwischen 1923 und 1928 reiste er mehrfach in die USA, um die Veröffentlichung seiner Werke in englischer Sprache voranzutreiben. Bis 1928 erschienen sechs Bände mit Musils Forschungsergebnissen in der Reihe Oriental Explorations and Studies der American Geographical Society. Musil blieb zeitlebens ein Beobachter der Verhältnisse im Vorderen Orient, reiste aber nicht mehr dorthin. Er publizierte immer wieder darüber und hielt dazu auch Vorlesungen am Prager Technologischen Institut. Als Priester und Theologe beteiligte er sich zudem immer wieder an bibelwissenschaftlichen Diskussionen. Während seiner Prager Jahre lebte Musil im Kloster der Barmherzigen Brüder. Nach seiner Emeritierung zog er sich 1938 auf ein Landgut im Dorf Otryby in Mittelböhmen zurück.

Anders als sein Gegenpart Lawrence wurde Musil nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nicht zur gefeierten Legende. Während des Kriegs war sein diplomatisches Wirken aufseiten des Osmanischen Reichs zwar nicht weniger erfolgreich, aber nach außen hin weniger spektakulär gewesen als der von Lawrence forcierte Arabische Aufstand. Zudem gehörten die Osmanen wie auch Musils Heimat Österreich-Ungarn am Ende zu den Verlierern. Vor allem aber eigneten sich Musils wissenschaftliche Forschungsberichte, anders als Lawrence' auch literarisch anspruchsvolle Schilderungen in „Die sieben Säulen der Weisheit“, nicht als Grundlage für eine Heldenlegende.

  • Kuseir 'Amra und andere Schlösser östlich von Moab, Wien 1902
  • Sieben samaritanische Inschriften aus Damaskus, Wien 1904
  • Od stvoření do potopy (Von der Schöpfung zur Sintflut), Prag 1905
  • Auf den Spuren der Geschichte des Alten Testaments, 2 Bde., Olmütz 1906/07
  • Kuseir 'Amra, 2 Bde., Wien 1907
  • Arabia Petraea, 3 Bde. in 4 Tln., Wien 1907/08
  • Ethnologischer Reisebericht, Wien 1908
  • Im nördlichen Hegaz, Wien 1911
  • Zur Zeitgeschichte Arabiens, Leipzig 1918
  • Arabia Deserta: a Topographical Itinerary, New York 1927
  • The Manners and Customs of the Rwala Bedouins, New York 1928
  • In the Arabian Desert, arranged for publication by Katherine McGiffort, New York 1930
  • Zahlreiche Aufsätze in der Bauernzeitung Venkov (seit 1923), darunter „E. T. Lawrence – Legende und Wahrheit“, 1935.
  • Krest’anské Církve dnešního orienta (Die christlichen Kirchen des heutigen Orient), Olmütz 1939
  • 1910 bis 1944 mehr als 1500 Aufsätze, Beiträge zu Sammelwerken u. Zeitungsartikel, von denen die wichtigsten gesammelt sind in: Dnešní Orient, 11 Bde., Prag 1934–1941.
  • Johannes Bauer: Alois Musil – Nomade zwischen Nationen, Religionen, Kulturen und Wissenschaften. In: Charlotte Trümpler (Hrsg.): Das Große Spiel. Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860–1940). Begleitbuch zur Ausstellung im Ruhr Museum Essen, DuMont Buchverlag, Köln 2008, ISBN 978-3-8321-9063-7, S. 125–135.
  • Karl Johannes Bauer: Alois Musil: Theologe, Forscher, Gelehrter und Stammesscheich. Eine Darstellung seines Lebens im Dienste der österreichischen Forschung und der Verbindung der Monarchie mit dem türkisch-arabischen Orient. Dissertation an Universität Wien 1984.
  • Karl Johannes Bauer: Alois Musil. Wahrheitssucher in der Wüste. Wien 1989, ISBN 3-205-05128-9.
  • Benedikt J. Collinet, Ludger Hiepel, Martina Veselá, Michael Weigl (Hrsg.): Alois Musil. Interdisziplinäre Perspektiven auf eine vielschichtige Persönlichkeit (= Investigatio Orientis. Band 7). Zaphon, Münster 2021, ISBN 978-3-96327-106-9.
  • Karl Corino: Begegnung dreier Berggipfel: Alfred, Alois und Robert Musil. Kitab, Klagenfurt/Wien 2014, ISBN 978-3-902878-44-1.
  • E. Bernleithner: Musil Alois. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 7, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1978, ISBN 3-7001-0187-2, S. 1 f. (Direktlinks auf S. 1, S. 2).
  • Erich Feigl: Musil von Arabien. Vorkämpfer der islamischen Welt. Amalthea-Verlag, Wien/München 1985, ISBN 3-548-27560-5.
  • Ernest Gellner: Lawrence of Moravia. Alois Musil, Monotheism and the Hapsburg Empire. In: The Times Literary Supplement, Nr. 4768 vom 19. September 1994, S. 12ff.
  • Franz Loidl: Neuerliches Erinnern an den Arabienforscher Prälat Alois Musil. Wiener Katholische Akademie, Arbeitskreis für Kirchliche Zeit- und Wiener Diözesangeschichte: 3. Reihe, Band 59, Wien 1985.
  • Christoph Kiworr: Alois Musil, Hofkaplan und Stammesscheich: Der Priester als Politiker im Orient. In: Damals. Das Magazin für Geschichte und Kultur (8/2005), S. 74–79.
  • Siegfried Kreuzer: Alois Musil’s Beitrag zur Bibelwissenschaft. In: Siegfried Kreuzer: Geschichte, Sprache und Text. Studien zum Alten Testament und seiner Umwelt, BZAW 479, Berlin 2015, S. 237–256.
  • Gabriele Mauthe: „Helfen Sie mir!“ Alois Musils Briefe an Josef Karabacek. In: Gabriele Mauthe, Christian Gastgeber (Hrsg.): Die Direktion der Hofbibliothek zur Jahrhundertwende. Josef Ritter von Karabacek Direktor der k.k. Hofbibliothek in Wien (1899–1917). Katalog zur Ausstellung im Papyrusmuseum. Wien 1999, ISBN 3-01-000022-7, S. 69 ff.
  • Josef ScharbertAlois Musil. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 6, Bautz, Herzberg 1993, ISBN 3-88309-044-1, Sp. 383–393.
  • Georg Sauer: Alois Musil’s Reisen nach Arabien im ersten Weltkrieg. Ein Beitrag zu seinem Lebensbild aus Anlass seines 100. Geburtstags am 30.6.1968. In: Archiv Orientalni 37 (1969), S. 243–263.
  • Stanislaus Segert: Alois Musil – Bible Scholar. In: Archív Orientální 63,4 (1995), ISSN 0044-8699, S. 393–400.
  • Rudolf Veselý: Musil, Alois. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-00199-0, S. 636 f. (Digitalisat).
  • Udo Worschech: Alois Musil in the Ard el-Kerak. Beiträge zur Erforschung der Antiken Moabitis. Peter Lang, Frankfurt am Main 2007.
  • Udo Worschech: Alois Musil als Vermittler zwischen den arabischen Stämmen im Ersten Weltkrieg. In: Archiv Orientalni 75 (2007), S. 1–16.
  • Udo Worschech: Alois Musil. Ein Orientalist und Priester in geheimer Mission in Arabien 1914–1915. Verlag Hartmut Spenner, Kamen 2009, ISBN 978-3-89991-086-5.
  • Dietmar W. Winkler: Der Priester, Orientalist und Arabienforscher Alois Musil (1868–1944) und der Christliche Orient. In: Sidney H. Griffith / Sven Grebenstein (Hrsg.): Christsein in der islamischen Welt. Festschrift für Martin Tamcke zum 60. Geburtstag. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2015, 495–612, ISBN 978-3-447-10441-8.
  • Musil von Arabien. Dokumentation, Österreich 1983, 60 min. Regie: Erich Feigl.
  • Musil von Arabien – Im großen Spiel Spiel zwischen Archäologie und Politik. Dokumentation, Deutschland 2008, 26 min. Autoren: Enzio Edschmid und Wolfgang Würker. Produktion: PAOLO-Film und Enzio Edschmid Filmproduktion.
Commons: Alois Musil – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Erich Feigl: Musil von Arabien. Amalthea, Wien & München 1985, ISBN 3-85002-199-8, S. 15.
  2. Robert-Tarek Fischer: Österreich im Nahen Osten. Die Großmachtpolitik der Habsburgermonarchie im Arabischen Orient 1633–1918. Böhlau, Köln und Wien 2006, ISBN 3-205-77459-0, S. 238.