Die Atomökonomie () einer Reaktion ist definiert als die gesamte Molmasse des gewünschten Produkts geteilt durch die Summe der gesamten Molmassen aller Reaktanten, ausgedrückt in Prozent.[1] Sie kann dementsprechend folgendermaßen berechnet werden:
Für die Ermittlung der Atomökonomie mehrstufiger Synthesen ist eine praktikable Methode beschrieben worden.[2] Für eine generische mehrstufige Synthese zur Herstellung vom Produkt R ( sind stöchiometrische Zahlen):
lässt sich die Atomökonomie wie folgt berechnen:
Der Massenerhaltungssatz besagt, dass die Gesamtmasse der Reaktanten mit der Gesamtmasse der Produkte identisch ist. Im obigen Beispiel entspricht also die Summe der Molmassen von A, B, C und D der Summe der Molmassen von R, X, Y und Z (stöchiometrische Zahlen beachten). Da nur R das gewünschte Produkt ist, sind die Atome von X, Y und Z in Nebenprodukten verschwendet worden und dementsprechend Abfall. Die wirtschaftlichen und ökologischen Kosten der Entsorgung dieser Abfälle führen dazu, dass eine Reaktion (oder eine Synthese) mit geringer Atomökonomie „weniger grün“ ist. Eine Atomökonomie von 100 % bedeutet, dass alle Atome der Reaktanten im gewünschten Produkt zu finden sind (ganz plakativ: „kein Atom wird verschwendet“).
Die Atomökonomie zählt zu den Kennzahlen der grünen Chemie und wird zur Beurteilung der Nachhaltigkeit eines chemischen Prozesses verwendet. In der chemischen Industrie spielt die Atomökonomie eine immer wichtigere Rolle. Moderne Synthesen werden so konzipiert, dass sie mit hoher Atomökonomie ablaufen, was zugleich meist das wirtschaftlichste Verfahren ist. Hohe Atomökonomie bedeutet, dass möglichst viele Atome der Reaktanten sich auch in dem gewünschten Produkt wiederfinden. Dadurch wird die Entsorgung unerwünschter, oft in stöchiometrischen Mengen entstehender Nebenprodukte minimiert oder gar gänzlich überflüssig.
Große Chemieunternehmen, z. B. die BASF AG (Stichwort: Verbundstandort), praktizieren seit Jahrzehnten erfolgreich in großem Stil angewandte Atomökonomie. Dabei wird nicht nur die maximale Effizienz eines Produktionsprozesses betrachtet, sondern die Effizienz eines komplexen Standortes als Einheit. Vermeintliche Abfallstoffe des Herstellungsprozesses A können wertvolle Ausgangsstoffe für den Produktionsprozess B darstellen.
Dieses Konzept wird auch unter energetischen Gesichtspunkten verfolgt. Die bei Kontiprozessen freiwerdende (exotherme) Reaktionsenergie kann in anderen Werksbereichen als Heizenergie genutzt werden.[3]
Systematische Ansätze zu einer „nachhaltigen“ Chemie und der Einbeziehung weiterer Faktoren, die über die Atomökonomie hinausgehen, sind in der Literatur beschrieben.[4] Dabei geht es um die Verwendung nachwachsender Rohstoffe, die Einbeziehung von Ökobilanzen, Sozialbilanzen, Produktlebenscyclen etc.
Die Addition von Brom an ein Alken unter Bildung eines Dibromalkans ist eine atomeffiziente Reaktion; hingegen ist die katalytische Bromierung von Benzol weniger atomeffizient, da neben Brombenzol ein Äquivalent Bromwasserstoff entsteht, vom Verbleib des Katalysators ganz abgesehen.
Die Ugi-Reaktion ist eine atomeffiziente Mehrkomponentenreaktion, bei der lediglich ein Äquivalent Wasser abgespalten wird.
Bei der industriellen Phenolsynthese nach dem Cumolhydroperoxid-Verfahren fällt Aceton als Kuppelprodukt in stöchiometrischer Menge an. Die Atomeffizienz ist mäßig, wenn nur das Phenol betrachtet wird und gut, wenn das anfallende Aceton als marktfähiges Nebenprodukt betrachtet wird. Im nächsten Abschnitt wird die Atomökonomie für diese Synthese berechnet.
Eine wenig atomeffiziente Reaktion ist die Grignard-Reaktion, bei der erhebliche Salzabfälle entstehen.
Die Gabriel-Synthese ist ein Beispiel für eine Synthese mit ausgeprägt schlechter Atomökonomie; selbst bei hohen Ausbeuten entstehen wesentlich größere Mengen an Abfall als vom gewünschten Produkt (primäres Amin).
Bei einer Racematspaltung kann bestenfalls eine Atomökonomie von 50 % erreicht werden, es sei denn, das ungewünschte Enantiomerracemisiert fortwährend oder es kann extern racemisiert und recycliert werden.
Die Cannizzaro-Reaktion liefert bestenfalls mit 50 % Atomökonomie das gewünschte Reduktionsprodukt – einen Alkohol – der restliche Aldehyd wird zur Carbonsäure oxidiert.
Berechnung der Atomökonomie am Beispiel der industriellen Herstellung von Phenol
Um die Atomökonomie dieser Reaktion zu berechnen, müssen zunächst die Molmassen der Reaktanten (Benzol, Propen, Sauerstoff) und der Produkte (Aceton, Phenol) ermittelt werden. Diese sind in der nachstehenden Tabelle dargestellt:
Molmasse []
78,11
42,08
31,98
58,08
94,11
Nun müssen die passenden Werte in die oben beschriebene Formel (aus dem Abschnitt „Bedeutung und Anwendung“) eingesetzt werden (es wird für diese Berechnung eine Ausbeute von 100 % angenommen):
Folglich besitzt die industrielle Phenolsynthese nach dem Cumolhydroperoxid-Verfahren eine Atomökonomie von rund 62 %. Daraus ist zu schließen, dass ca. 62 % der Atome der Reaktanten sich in dem gewünschten Produkt Phenol wiederfinden.
Die Atomökonomie () ist eine Kenngröße für die Beurteilung der Nachhaltigkeit eines chemischen Prozesses. Wie alle Werte, die komplexe Prozesse in bestimmten Punkten beschreiben wollen besitzt der Wert der Atomökonomie auch gewisse Grenzen:
Die Atomökonomie erfasst den im Prozess entstehenden Abfall nicht.
Es werden nur die Reaktanten berücksichtigt, Lösungsmittel und Hilfsstoffe (Filterhilfen etc.) werden nicht erfasst.
Der ökologische Impact des fertigen Produkts wird nicht beurteilt (also z. B. die Toxizität, die biologische Abbaubarkeit etc.).
Manfred Schubert (Herausgeber): Abproduktarme und abproduktfreie Technologie, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1. Auflage, 1987, ISBN 3-342-00093-7.
↑Roger A. Sheldon: Fundamentals of green chemistry: efficiency in reaction design. In: Chemical Society Reviews. Band41, Nr.4, 30. Januar 2012, ISSN1460-4744, S.1437–1451, doi:10.1039/C1CS15219J.
↑Marco Eissen, Radoslaw Mazur, Heinz-Georg Quebbemann und Karl-Heinz Pennemann: Atom Economy and Yield of Synthesis Sequences, Helvetica Chimica Acta87 (2004) 524–535. doi:10.1002/hlca.200490050.
↑Dies verbietet sich strikt bei Batch-Prozessen aus Sicherheits- und Qualitätsgründen.
↑(a) Marco Eissen, Jürgen O. Metzger: Environmental Performance Metrics for Daily Use in Synthetic Chemistry, Chemistry a European Journal 8 (2002), 3580–3585; (b) Marco Eissen, Jürgen O. Metzger, Eberhard Schmidt, Uwe Schneidewind: 10 Jahre nach „Rio“ – Konzepte zum Beitrag der Chemie zu einer nachhaltigen Entwicklung, Angewandte Chemie114 (2002) 402–425.
↑ abSilvia Garbarino, Davide Ravelli, Stefano Protti und Andrea Basso: Photoinduzierte Mehrkomponentenreaktionen, Angewandte Chemie 128 (2016) S. 15702–15711.