Barbara Honigmann ist Tochter jüdischer Eltern, welche die Zeit des Nationalsozialismus als Emigranten im britischenExil überlebt hatten und 1947 nach Berlin zurückkehrten, um den Aufbau eines neuen Deutschlands zu unterstützen. Honigmanns Vater Georg Honigmann entschied sich aufgrund seiner kommunistischen Überzeugung zur Remigration in die sowjetische Besatzungszone. Im englischen Exil hatte er Barbara Honigmanns Mutter, die aus Wien stammende Alice Kohlmann (bekannt unter dem Namen Litzi Friedmann), geheiratet, die zuvor mit dem Doppelagenten Kim Philby verheiratet gewesen war.[1] In dritter Ehe war ihr Vater von 1956 bis 1965 mit der DDR-Schauspielerin und -Sängerin Gisela May verheiratet, mit der Barbara Honigmann lebenslang verbunden blieb.[2]
Nach der Geburt des ersten Kindes setzte sie sich verstärkt mit ihrer jüdischen Identität auseinander, trat in die jüdische Gemeinde Ost-Berlins ein und heiratete 1981 nach jüdischem Ritus. 1984 reiste sie aus der DDR aus. Im ersten Buch, Roman von einem Kinde, ist die Rede von einem „dreifachen Todessprung ohne Netz: vom Osten in den Westen, von Deutschland nach Frankreich, und aus der Assimilation mitten in das Thora-Judentum hinein“.
Irina Wittmer, Jurymitglied des 2012 an Barbara Honigmann verliehenen Elisabeth-Langgässer-Literaturpreises, betonte: „Honigmann bringt den Menschen das Judentum auf eine warmherzige Weise näher und holt es aus dem Verborgenen heraus. Sie zeigt, dass die Macht des Bösen nicht alles zerstören konnte.“ Zudem sah sie eine Parallele zur Lebens- und Familiengeschichte von Elisabeth Langgässer, die ebenfalls von den „Irrationalitäten und dem Wahn des 20. Jahrhunderts geprägt“ wurde.[8] Jurymitglied Thomas Koch lobte den wiederkehrenden Bezug auf die Biografie und bezeichnete Honigmanns Sprache als „schnörkellose, entschlackte, aber dennoch sehr poetische Prosa“.[9]
Anlässlich des am 18. Mai 2022 überreichten Jean-Paul-Preises für ihr Lebenswerk nannte der bayerische Kunstminister Markus Blume sie eine „Erinnernde, die in ihren Werken mit feinsinnigem Humor und wenn nötig, offen und direkt, Erlebnisse aus ihrer eigenen deutsch-jüdischen Biografie literarisch verarbeitet. Sie vermittelt so mit viel Einfühlungsvermögen und historischer Sensibilität ein differenziertes Bild jüdischer Identität in Deutschland und Europa. Ihre Bücher sind gleichermaßen Literatur und Geschichtsschreibung und bilden in ihrer Gesamtheit betrachtet eine eigene Chronik des 20. Jahrhunderts.“[10]
Barbara Honigmann hat dem Deutschen Literaturarchiv einen großen Teil ihres literarischen Werks und privater Briefwechsel als sogenannten Vorlass übergeben.[11]
Das singende springende Löweneckerchen. Berlin 1979, Urauff. Bühnen der Stadt Zwickau, 23. November 1980, Regie: Klaus Thewes. Wiederabdruck: Marion Victor (Hrsg.): Spielplatz, 3. Verlag der Autoren, Frankfurt 1990, ISBN 3-88661-107-8, S. 125–160 (auch als Schallplatte).
Der Schneider von Ulm. Henschel, Berlin 1981, Erstsendung am 1. April 1982, SR; Uraufführung Theater am Turm. Regie: Wolf Vogel. Frankfurt am Main, 22. März 1984.
Don Juan. Regie: Wolf Vogel. Uraufführung Theater am Turm, Frankfurt am Main, 22. März 1984.
Eine „ganz kleine Literatur“ des Anvertrauens. In: Sinn und Form. 2000, Heft 6, S. 830–844 (Poetikvorlesung an der Universität Tübingen am 12. Mai 2000; wieder in: B. H. 2006; über Glückel von Hameln, Anne Frank, Rahel Varnhagen).
Das Gesicht wiederfinden. Über Schreiben, Schriftsteller und Judentum (= Edition Akzente). Essays. Hanser, München 2006, ISBN 3-446-20681-7.[22][23]
Blick übers Tal. Zu Fotos von Arnold Zwahlen. Essay. Edition Spycher im Verlag von Urs Engeler, Basel/Weil am Rhein 2007, ISBN 978-3-938767-38-2.
Das Schiefe, das Ungraziöse, das Unmögliche, das Unstimmige. Rede zur Verleihung des Kleist-Preises. In: Sinn und Form. Heft 1, Berlin 2001, S. 31–40.[24]
Marcel Reich-Ranicki: B. H.s Skizzen und Etüden. In: Marcel Reich-Ranicki: Über Ruhestörer. Juden in der deutschen Literatur. 2. Auflage. dtv, München 1993, ISBN 3-421-06491-1, S. 191–196.
Karen Remmler: En-gendering Bodies of Memory. Tracing the Genealogy of Identity in the Work of Dischereit, B. H. and Dische. In: Reemerging Jewish Culture in Germany. Life and Literatur since 1989. Hrsg. v. S. L. Gilman & K. R. University Press, New York 1994, ISBN 0-8147-3062-0, ISBN 0-8147-3065-5, S. 184–209.
Guy Stern: B. H. In: Literarische Kultur im Exil. Collected Essays on the German-speaking Emigration After 1933 (1989–1997). University Press, Dresden 1998, ISBN 3-931828-05-0, S. 245–251.
Anat Feinberg: Abinding in a Haunted Land. The Issue of "Heimat" in Contemporary German Jewish Writings. In: New German Critique. 70. Ausgabe. University of Wisconsin, Milwaukee 1997, ISSN0094-033X, S. 161–181.
Helene Schruff: Wechselwirkungen. Deutsch-jüdische Identität in erzählender Prosa der ‚Zweiten Generation‘ (= HASKALA. Wissenschaftliche Abhandlungen. Band 20). Olms, Hildesheim 2000, ISBN 3-487-11031-8.
↑Sibylle Birrer: Weltgeschichte nebenher. Ein Buch der Erinnerungen von Barbara Honigmann. Rezension des biografischen Romans über die Mutter: Ein Kapitel aus meinem Leben. In: Neue Zürcher Zeitung. 25. September 2004 (lyrikwelt.de (Memento vom 10. Februar 2007 im Internet Archive) [abgerufen am 26. Februar 2020]).
↑Französisch: Le roman d’un enfant. Übers. Françoise Doussin, Nicole Costantino, Charles Fichter. Strasbourg 1999 (zuerst als Hörspiel, Erstsendung SR 2. Dezember 1984).
↑Franz.: Un amour fait de rien. Übers. Christian Richard. Paris 2001.
↑Franz.: Le dimanche le rabbin joue au foot. Übers. Raphaëlle Dedourge, Paris 2001.
↑Franz.: Les îles du passé. Übers. Colette Strauss-Hiva. Nîmes 1999.
↑Franz.: Très affectueusement. Übers. Christian Richard. Paris 2001.
↑Franz.: L’agent recruteur. Übers. Colette Strauss-Hiva. Paris 2008.
↑ Laudatio zur Preisverleihung am 18. Mai 2022 in Schloss Nymphenburg, München: Wolfgang Matz, "Schreiben heißt ja wiederfinden". Über Barbara Honigmann. In: Sinn und Form 2/2023, S. 263–269