Boris Mikhailovs Eltern waren Ingenieure in gehobener Stellung. 1962 schloss Mikhailov an der Technischen Universität Charkow ein Studium zum Elektroingenieur ab. Er arbeitete zunächst bei den städtischen Verkehrsbetrieben in Charkow und von 1963 bis 1968 im Raketenbau. Nebenbei erstellte er erste autodidaktische Filme und Fotos.[1]
In seinen ersten Serien wie zum Beispiel Susi und die anderen (1960–1970) und Die Stadt/Schwarzes Archiv (1968–1979) fotografierte Mikhailov Alltagsszenen in der Sowjetunion sowie Freunde, Partnerinnen und sich selbst; letzteres häufig „erotisiert und clownesk zugleich“, so das Kunstmagazin art.[2]
Nachdem der KGB Mikhailovs Aktfotos von seiner Frau gefunden hatte, verlor er wegen des Vorwurfs der Pornografie seine Anstellung, fand eine neue Stelle als Ingenieur und begann, sich in seiner Freizeit intensiver mit Fotografie zu beschäftigen.[1] Er zählt zu der ersten Generation der Charkiwer Schule der Fotografie.
Bevor seine Fotografien großformatig ausgestellt wurden, stellte Mikhailov sie in Büchern zusammen.[2]
Er hatte bis 1990 keine Ausstellungen in der Sowjetunion.[3]
Noch 1994 wurde, nachdem er in einer Galerie Nacktbilder von sich selbst gezeigt hatte, die Ausstellung am nächsten Tag geschlossen.[4]
Im Jahr 1994 kam er mit dem Stipendium Light Work, Artist-in-Residence program der Syracuse University in den amerikanischen Bundesstaat New York und 1996 mit einem Stipendium des Landeskulturzentrums Salzau erstmals nach Deutschland.[5]
Von 1996 bis 1997 kam er mit einem Stipendium des DAAD nach Berlin[6][4] und erhielt 1997 ein weiteres Stipendium der bayrischen Landeshauptstadt München.[5]
Seine Serie Yesterday’s Sandwich zeigt Doppelbelichtungen. Sein eigener Blick gibt laut der Zeitung Die Zeit den Bildern „etwas Poetisches, mitunter Verrücktes“.[4]
Die Serie Salzsee (1986) zeigt Menschen in der Nähe von Slowjansk, die in einem See – umgeben von Fabriken – baden.[7][8]
In der Serie Ich bin nicht ich (1992) fotografierte Mikhailov sich selbst nackt mit einem übergroßen Dildo oder einem Klistier in verschiedenen Posen.[2]
Teilweise kolorierte er seine Bilder oder übermalte sie mit Buntstiften, schrieb unter und auf die Bilder oder collagierte sie.[2]
International bekannt wurde Mikhailov nach dem Zerfall der Sowjetunion durch seine Ende der 1990er Jahre aufgenommenen Bilder von Obdachlosen, darunter Alte, Kranke und Kinder, manche Menschen – gegen Bezahlung – nackt abgelichtet. Ihm wurde vorgeworfen, für seine 400 Bilder umfassende Serie Case History (1997–99, übersetzt „Krankengeschichte“ oder vereinzelt „Fallstudien“) habe er Arme ausgenutzt.[4][2]
Mikhailov gilt heute als einer der angesehensten Künstler aus der ehemaligen Sowjetunion.[2] Museen sollen für seine frühen Originalserien 100.000 Euro gezahlt haben.[4]
Unvollendete Dissertation oder Selbstgespräche / Unfinished Dissertation or discussions with oneself, 1984–1985
SOWOK, 1985–1988
Salzseen / Salt Lake, 1986
Flussidyll / River Pastorale, 1986
Stadt ohne Hauptstraße / City without Central Street, 1986–87
Am Boden / By the Gound, 1991
Ich bin nicht ich / I am not I, 1992
Dämmerung / At Dusk, 1993
Wenn ich ein Deutscher wäre / If I Were a German…, 1994
Fotomanie auf der Krim / Photomania in Crimea, 1995
Krankengeschichte (auch Fallgeschichte) / Case History, 1997–1999
Schau auf mich, ich schau aufs Wasser oder Perversion der Ruhe / Look at me I look at water … or Perversion of repose, 1999
TV-Manie / TV-Mania, 2000–02
Tea Coffee Cappuccino, 2000–2010
Maquette Braunschweig, 2008–09
Strukturen des Wahnsinns, oder warum Hirten in den Bergen oft verrückt werden / Structures of madness, or why shepherds living in the mountains often go crazy, 2011–2012
Als meine Mutter jung war / When my mother was young, 2011–2013
Veröffentlichungen von und über Boris Mikhailov (Auswahl)
Wolfgang Storch (Hrsg.): Äußere Ruhe. In: IG Druck-Sache: Informationen der Industriegewerkschaft Druck und Papier für die Kolleginnen und Kollegen der GWP. N.F., 4. Düsseldorf, 2000. ISBN 3-933807-21-2
Gunilla Knape (Hrsg.): The Hasselblad Award 2000. Zürich, 2000. ISBN 3-908247-42-X
Urs Stahel (Hrsg.): Eine Retrospektive. Ausstellungskatalog, Zürich, 2003, ISBN 978-3-908247-72-2
Boris Mikhailov: Look at me I look at water. . . or Perversion of Repose. Göttingen, 2004, ISBN 978-3-88243-968-7
Margarita Tupitsyn et al.: Ilya Kabakov, Boris Mikhailov and the Moscow Archive of New Art. Serralves, 2004, ISBN 978-972-739-133-2
2007: Schau auf mich, ich schau aufs Wasser, oder Perversion der Ruhe, Sprengel Museum Hannover; Barbara Gross Galerie, München; Rat Hole Gallery, Tokyo
2005: Centre de la Photographie, Geneve, Frankreich; Look at me, I look at water; Foam Photography Museum, Amsterdam
2004: Kunsthalle Villa Kobe, Halle (Saale); Institute of Contemporary Art, Boston MA, USA
1990: Boris Mikhailov: Arles - Paris 1989, Signalhallen, Armémuseum, Stockholm
1990: The Missing Picture, Alternative Zeitgenössische Fotografie aus der Sowjetunion, List Visual Arts Center, MIT, Massachusetts Institute of Technology in Cambridge Union Bank Collection, Helsinki
„Der Kampf gegen den gleichförmigen gesellschaftlichen Geschmack, die Aufhebung der Tabus und die Suche nach der Wahrheit erfordern neue Aussageformen.“
– aus: Brigitte Kölle (Hrsg.): Boris Michaijlov. Stuttgart, 1995