Charlotte war das zweite von sechzehn Kindern des Wetzlarer Kastnereiverwalters (1740) und Deutsch-Ordens-Amtmanns (1755) Heinrich Adam Buff (1711–1795) und der Magdalena Ernestina Feyler (1731–1771). Ihr Neffe, Sohn ihres Bruders Wilhelm Karl Ludwig Buff, war der Chemiker Heinrich Buff.[1]
Charlotte wurde 1768 verlobt, heiratete aber erst am 4. April 1773 den kurhannoverschen Legationssekretär Johann Christian Kestner. Die Familie Kestner gehörte im 18. und 19. Jahrhundert zu den sogenannten Hübschen Familien, die an der Spitze des Bürgertums im Kurfürstentum Hannover standen.[2] Seit dem frühen Tod der Mutter 1771 führte Charlotte den väterlichen Haushalt und versorgte ihre zehn jüngeren Geschwister.
Goethe lernte „Lotte“ auf einem Tanzfest kennen: Am 9. Juni 1772 veranstaltete Goethes Wetzlarer Großtante Lange einen Ball im Jägerhaus (heute Goethehaus) in Volpertshausen, einem Dorf bei Wetzlar, vermutlich wegen des Geburtstages von Karoline Buff, der älteren Schwester von Charlotte, und der bevorstehenden Verlobung Karolines mit dem Sohn von Frau Lange, Dr. jur. Christian Dietz. Zu diesem Ball sollte Goethe Charlotte Buff abholen. Er umwarb zu der Zeit eigentlich die 17-jährige Johannette Lange. Doch sobald Goethe Charlotte kennengelernt hatte, war Johannette vergessen. Lotte bezauberte ihn sowohl durch ihre äußerliche Erscheinung als auch durch ihre offene Art. Wie im Werther beschrieben, tanzte er den ganzen Abend mit ihr, und es imponierte ihm sehr, wie Lotte die Festgesellschaft während des Gewitters mit einem Spiel ablenkte.
Nicht, wie im Werther geschildert, am Tag des Balls, sondern erst am Tag darauf fand die „reizende Szene“ im Hause Buff in Wetzlar statt, die Goethe so begeisterte. Bei seiner Rückkehr auf den Deutschordenshof war Lotte gerade dabei, ihren Geschwistern das Brot zu schneiden. Diesen Anblick verewigte der Wetzlarer Maler Ferdinand Raab in einem Gemälde, angefertigt um 1865,[3][4] nach einem Kupferstich von Wilhelm von Kaulbach, das im Lottehaus in Wetzlar zu sehen ist. Goethe schildert das Erlebnis im Werther mit den Worten:
„Welch eine Wonne das für meine Seele ist, sie in dem Kreise der lieben, muntern Kinder, ihrer acht Geschwister, zu sehen!“
– Johann Wolfgang von Goethe: Werthers Leiden
Auch mit den Geschwistern Lottes verstand Goethe sich bald sehr gut. Selbst zu Kestner, dem Verlobten Charlottes, hatte er nach dessen Rückkehr ein sehr gutes Verhältnis, er behauptet im Werther sogar, dass er Albert nach Lotte das Liebste auf der Welt gewesen sei. Dennoch musste Goethe die Aussichtslosigkeit einer Beziehung zu Lotte einsehen. Unfähig, Zuneigung und Eifersucht zu zügeln, verließ Goethe nach einem brieflichen Abschied von beiden die Stadt und verarbeitete die Trennung literarisch im 1774 erschienenen Briefroman Die Leiden des jungen Werthers.
Charlotte heiratete Kestner 1773 und lebte mit ihm in Hannover in der Aegidienneustadt. Sie wurde Mutter von acht Söhnen und vier Töchtern und leitete das große Hauswesen in der Aegidienstraße,[5] später in der Großen Wallstraße (heute Georgswall). Zu ihren Verehrern in Hannover zählte Basilius von Ramdohr. Auch nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1800 blieb sie Bezugspunkt der weit verstreuten Familie und nahm aktiv an deren Fortkommen und Wohlergehen Anteil.
Mit Goethe hatte sie weiter brieflichen Kontakt und veranlasste, dass er ihren Söhnen (u. a. August Kestner) behilflich war. Im September 1816 reiste sie für einige Wochen nach Weimar, wo ihre jüngste Schwester verheiratet war, und begegnete auch Goethe. Das Wiedersehen blieb jedoch einmalig und förmlich. Thomas Mann hat es in seinem 1939 erschienenen Roman Lotte in Weimar literarisch gestaltet.
Charlotte Kestners Grab befindet sich auf dem Gartenfriedhof in Hannover. Das klassizistische Grabdenkmal stammt vom Ehemann ihrer Enkelin, dem hannoverschen Architekten Georg Ludwig Friedrich Laves.
Direkte Nachfahren von Charlotte Kestner leben heute in Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Nach den neuesten Forschungen gibt es bis heute über 1200 Nachfahren von Charlotte und ihren Geschwistern.
Der koreanische Konzern Lotte ist nach Charlotte Buff benannt. Der Gründer Shin Kyuk-Ho war so begeistert von Goethes Roman, dass er seinem Unternehmen den Namen Lotte gab.[8]
Rüdiger R. E. Fock: Die Kestner. Eine deutsch-französisch-schweizerische Familie macht Geschichte(n). Schnell Buch und Druck, Warendorf 2009, ISBN 978-3-87716-706-9.
Heinrich Gloël: Goethes Wetzlarer Zeit. Bilder aus der Reichskammergerichts- und Wertherstadt. Berlin 1911 (Nachdruck: Magistrat der Stadt, Wetzlar 1999).
Thomas Mann: Lotte in Weimar. Roman. Bermann-Fischer, Stockholm 1939 (zahlreiche spätere Ausgaben, u. a. Taschenbuchausgabe: Fischer, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-29432-0).
Ruth Rahmeyer: Werthers Lotte: ein Brief – ein Leben – eine Familie. Die Biographie der Charlotte Kestner. Fackelträger, Hannover 1994, ISBN 3-7716-1575-5.
Ruth Rahmeyer: Charlotte Buff-Kestner. In: Sophie & Co. Bedeutende Frauen Hannovers. Biographische Portraits. Hrsg. von Hiltrud Schroeder, Hannover 1991. ISBN 3-7716-1521-6. S. 57–78.
Oskar Ulrich: Charlotte Kestner. Ein Lebensbild. Velhagen & Klasing, Bielefeld/Leipzig 1921.
Siegfried Rösch: Ahnenliste für Charlotten Kestner, geb. Buff. Zu ihrem 200. Geburtstag am 11. Januar 1953. Selbstverlag, Wetzlar 1954.
Astrid Seele: Frauen um Goethe. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-50636-X.
Ulrike Weiß u. a. (Redaktion): Goethes Lotte. Ein Frauenleben um 1800. Essays zur Ausstellung [in Wetzlar, Weimar und Hannover 2003]. (= Schriften des Historischen Museums Hannover; Bd. 21). Historisches Museum, Hannover 2003, ISBN 3-422-06443-5