Christine Nöstlinger, geb. Draxler,[2] bezeichnete sich als „wildes und wütendes Kind“, relativierte das aber in ihren Erinnerungen: „Ich war schon viel ‚frecher‘ als andere in meinem Alter und protestierte heftig, wenn mir etwas nicht gefiel, und das hatte einen einfachen Grund: Wir [meine ältere Schwester Elisabeth und ich, Anm.] waren die einzigen Kinder weit und breit, die daheim keine Watschen und keine Strafen bekamen. Da kann man leicht wütend und wild werden.“[3]
Der Vater Walter Göth († 1975) war Uhrmacher,[4] die Mutter Michaela Erzieherin im Kindergarten. Beide hatten als Sozialisten unter dem Nationalsozialismus zu leiden. Ihre Mutter ließ sich unter Schwierigkeiten krankheitsbedingt frühpensionieren, um die ihr anvertrauten Kinder nicht mit nationalsozialistischem Lied- und Gedankengut indoktrinieren zu müssen.[5] Das Verhältnis von Nöstlinger zu ihrer Mutter war schwierig,[6] hingegen war der Vater ihr „Ein und Alles“.[7] Über ihn sagte sie: „Die Liebe meines Vaters ist in allem, was ich tue, gegenwärtig.“[8]
Sie legte die Matura ab und wollte zunächst Malerin werden, studierte dann aber Gebrauchsgrafik an der Akademie für angewandte Kunst. Nach der ersten Ehe, die 1959, kurz nach der Geburt ihrer Tochter,[9] geschieden wurde, heiratete sie 1959 den Journalisten Ernst Nöstlinger (1932–2009) und bekam eine zweite Tochter (* 1961).[10][11]
Ab 1970 veröffentlichte sie eine Vielzahl von Büchern für Kinder- und Jugendliche, aber auch Dialektgedichte und Kochbücher. Zusätzlich arbeitete sie mehrere Jahre lang für die Tageszeitungen Kurier und Täglich Alles sowie für die Wochenzeitung Die ganze Woche und veröffentlichte Kolumnen und Glossen,[12] die ebenfalls in Buchform erschienen, schrieb Drehbücher für den ORF und moderierte eigene Sendungen im ORF-Hörfunk.[13]
Im Mai 2015 hielt sie bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen im historischen Sitzungssaal des österreichischen Parlaments eine Rede über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.[14]
Im Juni 2018 erklärte Christine Nöstlinger, keine Kinderbücher mehr zu schreiben, wegen ihres eigenen fortgeschrittenen Alters und weil sie „heutige Kinder“, die lange Zeit am Smartphone sitzen und Fantasy lesen, nicht mehr verstehe.[15] Bis kurz vor ihrem Tod arbeitet sie an Gedichten in Wiener Mundart,[16] die 2019 veröffentlicht wurden.[17]
Christine Nöstlinger wurde am 13. Juli 2018 auf dem Hernalser Friedhof (Gruppe 13, Nummer 6) in Wien bestattet. Ihrem Wunsch entsprechend wurde ihr Tod erst danach publiziert.[20]
„Wenn einer etwas so dringend zu erledigen hat wie ich damals, wenn einer so zornig und wütend ist, dann kann der nicht richtig sterben, weil er keine Ruhe hat.“ Mit diesem Zitat von Rosa Riedl, Schutzgespenst, aus dem Werk von Christine Nöstlinger beendete die Autorin Julya Rabinowich ihren unter dem Titel Herrliche Grantlerin erschienenen Nachruf.[21]
Im März 2019 wurde in der Bezirksvertretungssitzung in Wien-Hernals die Umbenennung des Lidlparks in Nöstlinger-Park beschlossen.[22] Im September 2019 wurde im Wiener Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft die Benennung eines Straßenzuges in Wien-Floridsdorf im Bereich der Donaufelder Straße 77, vor dem Campus Donaufeld, in Christine-Nöstlinger-Gasse beschlossen.[23]
Christine Nöstlinger zählt mit über 140 Büchern zu[26] den bekanntesten und einflussreichsten Kinderbuchautoren des deutschen Sprachraums. Ihr Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit international renommierten Preisen ausgezeichnet (Hans-Christian-Andersen-Medaille, Astrid-Lindgren-Memorial-Award).
Ihr literarisches Schaffen begann mit dem 1970 veröffentlichten Kinderbuch Die feuerrote Friederike, das ursprünglich von ihr selbst, in einer 1997 erschienenen Ausgabe dann von ihrer älteren Tochter, Barbara Waldschütz, illustriert wurde. Dieses Buch war ursprünglich ein Bilderbuch, die Geschichte kam erst später dazu.[27] Auch ihre zweite Tochter, Christiane Nöstlinger, illustriert nebenberuflich Kinderbücher.
Christine Nöstlinger befasst sich in ihren Büchern vor allem mit kindlichen Bedürfnissen und greift Autoritäts- und Emanzipationsfragen auf. In ihren Werken tauchen zahlreiche negative und positive Außenseiterfiguren auf, an denen sie beispielsweise die Problematik der Einsamkeit (Das Austauschkind), der Identitätssuche (Gretchen Sackmeier) oder der pubertären Sinnkrise (Ilse Janda, 14) aufzeigt. Ganz im Zeichen der in den 1970er Jahren aufkommenden „realistischen Kinder- und Jugendliteratur“ stellte sie in ihren Familiengeschichten unter anderem immer wieder Eheprobleme der Eltern dar – für die damalige Zeit ein umstrittenes Novum in der Kinder- und Jugendliteratur.
Politische und gesellschaftskritische Aspekte kennzeichnen Christine Nöstlingers literarisches Werk in besonderer Weise. Prägend war in dieser Hinsicht ihre eigene Kindheit während des Zweiten Weltkriegs (aufgearbeitet unter anderem in Maikäfer flieg! und Zwei Wochen im Mai). In Wir pfeifen auf den Gurkenkönig und Rosa Riedl Schutzgespenst zeichnet sie ein groteskes Bild des (familiären) Alltagsfaschismus. Eines ihrer dringlichsten Themen ist der Widerstand gegen Anmaßung, Unterdrückung und Ungerechtigkeit in jeglicher Form. Den revolutionär-didaktischen Impetus ihrer Geschichten hat sie in den letzten Jahren zugunsten eines tröstlicheren Tons aufgegeben. Eine erzieherische Wirkung erwartet sie sich von Literatur nicht (mehr).
Neben ihren standarddeutschen Werken veröffentlichte sie auch einige Werke in Mundart, etwa den 1974 erschienenen Gedichtband Iba de gaunz oaman kinda (als Iba de gaunz oamen Leit 1994 und 2009 neu aufgelegt; dieser Band enthält außerdem die Gedichtzyklen Iba de gaunz oamen Fraun sowie Iba de gaunz oamen Mauna). Dabei verwendete Nöstlinger den Wiener Dialekt als literarisches Ausdrucksmedium. Sie las auch Dialektgedichte anderer Autoren, u. a. die von Christine Busta.[28] Generell sind ihre Texte – Romane, Essays, Zeitungskolumnen und Lyrik – sowohl von der Wiener Alltagssprache als auch von Worterfindungen und lustvoll komponierter Kunstsprache gefärbt (Dschi Dsche-i Dschunior, Wir pfeifen auf den Gurkenkönig). Dies brachte ihr anfangs Unverständnis und Kritik ein, wird inzwischen aber als ihr spezifischer Sprachduktus anerkannt und geschätzt. Auch in dieser Hinsicht wirkte ihr Schaffen sowohl polarisierend als auch prägend auf die Entwicklung der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur.
In den 1990er und den 2000er Jahren veröffentlichte Nöstlinger überdies drei Kochbücher: Mit zwei linken Kochlöffeln, Ein Hund kam in die Küche und Das Küchen-ABC.
2019 (Beschluss vom März 2019) (Um-)Benennung des Nöstlinger-Parks in Wien
2019 (Beschluss vom September 2019) Benennung der Christine-Nöstlinger-Gasse in Wien
In Mistelbach wurde der Christine Nöstlinger-Weg nach ihr benannt.
Der in Wien 2019 im Bau befindliche Bildungscampus in Wien-Leopoldstadt am Nordbahnhofgelände soll Christine Nöstlinger Bildungscampus benannt und 2020 fertiggestellt werden.[29]
Sabine Fuchs: Christine Nöstlinger. Eine Werkmonographie. Dachs, Wien 2001, ISBN 3-85191-243-8 (Dissertation TU Berlin 2000, 239 Seiten, 21 cm).
Sabine Fuchs, Ernst Seibert (Hrsg.): … weil die Kinder nicht ernst genommen werden. Zum Werk von Christine Nöstlinger (= Kinder- und Jugendliteraturforschung in Österreich. Band 4). Sammelband des internationalen Symposions, Praesens, Wien 2003, ISBN 3-7069-0187-0.
Christine Nöstlinger: Geplant habe ich gar nichts. Aufsätze, Reden, Interviews. Zum 60. Geburtstag. Dachs Verlag, Wien 1998, ISBN 3-85191-087-7.
Ursula Pirker: Christine Nöstlinger. Die Buchstabenfabrikantin. Molden, Wien 2007, ISBN 978-3-85485-197-4.
Christine Nöstlinger: Glück ist was für Augenblicke. Erinnerungen. Nach aufgezeichneten Gesprächen mit Doris Priesching. Mit einer Bibliographie von Sabine Fuchs, Residenz, St. Pölten / Salzburg / Wien 2013, ISBN 978-3-7017-3303-3.
↑Christine Nöstlinger: Glück ist was für Augenblicke. Erinnerungen. Residenz Verlag, St. Pölten / Salzburg / Wien 2013, ISBN 978-3-7017-3303-3, S.42 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 20. Juli 2018]).
↑Christine Nöstlinger: Glück ist was für Augenblicke. Erinnerungen. Residenz Verlag, St. Pölten / Salzburg / Wien 2013, ISBN 978-3-7017-3303-3, S.47f. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 20. Juli 2018]).
↑Christine Nöstlinger: Glück ist was für Augenblicke. Erinnerungen. Residenz Verlag, St. Pölten / Salzburg / Wien 2013, ISBN 978-3-7017-3303-3, S.30 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 20. Juli 2018]).
↑Christine Nöstlinger: Glück ist was für Augenblicke. Erinnerungen. Residenz Verlag, St. Pölten / Salzburg / Wien 2013, ISBN 978-3-7017-3303-3, S.27 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 20. Juli 2018]).
↑Glück ist was für Augenblicke: Erinnerungen. Residenz, St. Pölten 2013, ISBN 3-7017-3303-1, S.127.
↑Stefan Altschaffel: Zur Darstellung der Erziehungsproblematik unter besonderer Berücksichtigung des Generationenkonflikts in ausgesuchten Texten Christine Nöstlingers. GRIN Verlag, 2008, ISBN 978-3-640-13017-7, Kapitel 3: Autobiografische Aspekte bei Christine Nöstlinger, S.59ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 25. Mai 2009]).
↑Christine Nöstlinger: Glück ist was für Augenblicke. Erinnerungen. Residenz Verlag, St. Pölten / Salzburg / Wien 2013, ISBN 978-3-7017-3303-3, S.237 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 20. Juli 2018]).
↑Interview in Kölner Stadt-Anzeiger. Magazin vom 15. Oktober 2011, S. 24.
↑Christine Busta: Erfreuliche Bilanz. Dialektgedichte. Buch mit CD (Bustas Dialektgedichte gelesen von der Autorin und von Christine Nöstlinger). Hrsg.: Christine Tavernier-Gutleben in Zusammenarbeit mit Ursula Schneider u. Annette Steinsiek. Otto Müller Verlag, Salzburg 2013.