Constantinus Africanus

Constantinus Africanus bei der Harnschau

Constantinus Africanus, lateinisch auch Constantinus Africanus Cassinensis, deutsch Constantin (von Africa), Konstantin (der Afrikaner) oder Konstantin von Afrika[1] (* zwischen 1010 und 1020 in Karthago oder Kairouan[2][3] im heutigen Tunesien; † 22. Dezember[4] um 1087 im Kloster Montecassino) war ein nordafrikanischer („africanischer“ bzw. ifriqiyanischer) medizinischer Forscher, Fachautor und Übersetzer sowie Laienbruder des Benediktinerordens. Sein arabischer Name ist unbekannt. Auf die wissenschaftliche Medizin hatte er durch sein Wirken als Theoretiker an der Schule von Salerno[5] und als Übersetzer in Montecassino Einfluss. Er führte um 1050 in Europa die arabisierte Medizin der Griechen ein.

Die wenigen überlieferten biographischen Angaben über Constantinus Africanus stammen vor allem von Petrus Diaconus (ca. 1107–1140), dem Bibliothekar und Archivar des Klosters Monte Cassino.

Tunesien und Studienzeit

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Constantinus wurde im heutigen Tunesien, seit der Römerzeit Africa[1] genannt (daher benutzte er den Namenszusatz Africanus oder Afer), geboren. Seine Eltern gehörten dem arabisierten Bevölkerungsteil der Berber an.[6]

Er unternahm Studienreisen, die ihn durch den Orient führten.[7] Diese Lebensphase dauerte stattliche 39 Jahre. Er ging nach Bagdad, der Hauptstadt des damaligen Abbasidenreichs, studierte Medizin[3] und machte sich gründlich mit der Sprache, Medizin und anderen Wissenschaften der Chaldäer, Perser und Araber vertraut.[6] Auch Kairo wird als Studienort erwähnt.[8] Constantinus Africanus stand aber auch mit der Medizinschule von Kairouan in Verbindung.[9][10]

Sein Einkommen bestritt er der Überlieferung nach während seiner Reisen durch Geschäfte vor allem mit Arzneidrogen. Während seiner Zeit in Bagdad soll Constantin mit seinen Handelspartnern bis in deren Heimatländer nach Indien, Äthiopien und Ägypten gekommen sein. Er erwarb auf diese Weise detaillierte Kenntnisse in arabischer Medizin und den in der Literatur bekannten und praktisch angewandten Heilverfahren und Heilmitteln.[6]

Nach der Rückkehr in seine Heimat Nordafrika hatte Constantin Africanus großen Erfolg als Arzt und Lehrer mit hohem Wissensstand. Einige eifersüchtige Kollegen bezichtigten ihn der Zauberei. Als der Druck zu groß wurde und Constantin nach einem Hinweis um sein Leben fürchten musste, verließ er Karthago heimlich auf einem Schiff und reiste über Sizilien nach Süditalien. Dort tauchte er als Bettler verkleidet unter und erreichte zwischen 1057 und 1077 die Stadt und Umgebung von Salerno, die zu jener Zeit von Robert Herzog Guiscardin (ca. 1015–1085) beherrscht wurde und wo ihn dessen Bruder erkannte.[6]

Die Schule von Salerno in einer Darstellung in einer Ausgabe des Kanon des Avicenna
Constantinus bei der Vorlesung

In Süditalien kam er um 1077[11]S. 526 als Lehrer an die medizinische Schule von Salerno und zog durch sein Wirken große Aufmerksamkeit auf sich. Ob er als Christ geboren wurde oder zum Christentum konvertierte, ist ungeklärt, aber er wurde vermutlich allenfalls Laienbruder und kaum ein Mönch (monachus).[12] Er bemängelte die Qualität der verfügbaren medizinischen Fachliteratur und trug auf einer weiteren dreijährigen Studienreise, die speziell für die literarischen Werke der salernitanischen Schule konzipiert war, medizinische Schriften der griechisch-arabischen Welt zusammen. Als Übersetzer trug er zur Herausbildung einer medizinischen Fachsprache bei, die sich durch Erweiterung der Terminologie, die Möglichkeit zur Abstraktion und ihre Etablierung in der Praxis und in den Unterricht der Artes auszeichnete.[13][14]

1078 ließ Constantinus sich unter Abt Desiderius, dem späteren Papst Viktor III., endgültig im Kloster Montecassino, dem er vermutlich schon zuvor beigetreten war, nieder und übersetzte als getaufter Laienbruder seine gesammelten Werke, unter anderem auch ihm in arabischen Versionen vorliegende Schriften von Hippokrates und Galenos, als Kompendien in die lateinische Sprache. Er begründete dadurch den hervorragenden Ruf der Schule von Salerno.[7]

Zweiter Schwerpunkt seines umfangreichen Übersetzungswerkes waren Quellen arabischer und persischer, jüdischer und islamischer Autoren. Hier übertrug der auch Monachus Cassinensis genannte Constantinus die großen Meister der in arabischer Sprache überlieferten Medizin in lateinische Bücher: Razes Ali Ibn Massaouia Baghdad, Ibn Imran (9. Jahrhundert), Ibn Suleiman und Ibn al-Dschazzar (10. Jahrhundert). Diese Übersetzungen wurden vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert als Lehrbücher verwendet und befinden sich heute in Bibliotheken in Italien, Deutschland, Frankreich, Belgien und England.[15]

Plagiatsvorwurf

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Einige Zeitgenossen bemängelten, Konstantin habe nicht nur die eigenen, sondern auch die aus dem Arabischen übersetzten und in seinem Sinne bearbeiteten Werke mit seinem Namen unterzeichnet und damit den Eindruck erweckt, der einzige Autor zu sein. Das gelte insbesondere für den Zad Al Mussāfir (lateinisch Viaticus peregrinantis, deutsch „Proviant für den Reisenden“) von Ibn al-Dschazzar. Konstantin griff das Thema allerdings bereits in seiner Einführung zu Zad Al Mussāfir auf und spöttelte: „Wenn die Menschen beabsichtigen, in diesem Buch nachzuforschen, was von mir kommt, lasse ich sie in ihrer Dummheit schlafen. Ich dachte, es ist meine Aufgabe, es zu unterzeichnen, denn Menschen beneiden andere Menschen für ihre Arbeit …“[15]

Auch später tauchte in der Wissenschaftsgeschichte hin und wieder der Vorwurf des Plagiats der oft freizügigen Übersetzungen auf. Er ist jedoch nicht aufrechtzuerhalten. Konstantin wollte nach seinen Angaben der Schule von Salerno keine eigenständigen Kompendien zur Verfügung stellen, sondern lediglich für den Schulgebrauch dienliche Kompilationen und zweckentsprechende Kompositionen. Er bezeichnete sich dementsprechend auch als „coadunator“, „compilator“ oder „abbreviator“. Als solcher spielte er für die mit dem hohen Mittelalter einsetzende Aufnahme und Übernahme der Wertevorstellungen (Rezeption) der griechisch-arabischen Medizin eine vorbereitende Rolle. Für die Medizinschule von Salerno war sein Wirken so bedeutend, dass man die mit ihm beginnende Epoche als „Hochsalerno“ bezeichnet. Petrus Diaconus, Archivar im Kloster Monte Cassino, ehrte ihn mit der Bezeichnung orientis et occidentis magister („Meister des Orients und des Okzidents“).[16]

Schriften, lateinische Bearbeitungen und Übersetzungen

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  • ʿAli ibn al-ʿAbbas al-Madschūsi, bekannt auch als Haly (filius) Abbas:
    • Liber Pantegni, auch Pantechne genannt: Erstübersetzung[17] der in Theorie und Praxis unterteilten Enzyklopädie des griechisch-arabischen Heilwissens.[18]
    • Al Kamil, dessen erste drei Teile auf See verloren gingen.[15]
  • Hunain ibn Ishāq (Johannitius), 9. Jahrhundert:
    • De oculis (auch Liber de oculis Constantini Africani): Augenkrankheiten[19][20]
    • Isagoge ad Tegni Galeni (von Hunain ibn Ishāq und seinem Neffen Hubaysch ibn al-Hasan[8])[21][22]
  • Hippokrates[23]
  • Theophilos (Protospatharios): Peri urōn[24]
  • Galenos:
    • Megatechne: Buch über die therapeutische Methodik des Galenos
  • Isaak ben Salomon Israeli, Ibn Suleiman oder Isaac Israeli ben Solomon:[8]
    • Liber febribus, Liber de dietis universalibus et particularibus: Das Buch der Ernährungsregeln[15]
    • Liber de urinis: Das Buch über den Urin[15]
    • Das Buch über den Puls[15]
    • Omnia opera Ysaac in hoc volumine contenta: cum quibusdam aliis opusculis. Bartholomaeus Trot, Lyon 1515 (online) (latein. Übersetzung der Werke Isaaks durch Konstantin den Afrikaner).
  • Ibn al-Dschazzār:
    • De Gradibus oder Liber graduum (= „Adminiculum“)[29][30]
    • Zad Al Mussāfir (Viaticus peregrinantis): Handbuch für reisende Ärzte[15]
    • Liber de stomacho: Magenkrankheiten
    • De elephantiasi
    • De coitu: über das Geschlechtsleben
    • De oblivione
  • Opera: Constantini Africani post Hippocratem et Galenum, quorum - Graece linguae doctus - sedulus fuit lector, medicorum nulli prorsus, multis doctissimis testibus, posthabendi opera [...]. Basel (Henricus Petri) 1536.
  • Summi in omni philosophia viri Constantini Africani medici operum reliqua [...]. Basel (Henricus Petrus) 1539.

Zu den Manuskripten der Medizin, die er in Tunis fand und nach Cassino brachte, gehören auch die Werke:[15]

  • Die Kairouaner Bücher
  • Die El Baghdadi Bücher
Commons: Constantine the African – Sammlung von Bildern
  1. a b zu Konstantins Zeiten hieß Tunesien Ifriqiya, abgeleitet von Africa, dem Namen der früheren römischen Musterprovinz. Die Bezeichnung wurde später für den gesamten Kontinent übernommen (Siehe Weblink Muslimheritage.com)
  2. Manuscript in der Schoenberg Collection – Schoenberg Center for Electronic Text & Image (Version vom 10. März 2003) (englisch)
  3. a b siehe Weblink Salerno and Constantine the African von FSTC Limited
  4. Raphaela Veit: Das Buch der Fieber des Isaac Israeli und seine Bedeutung im lateinischen Westen. Ein Beitrag zur Rezeption arabischer Wissenschaft im Abendland. Franz Steiner, Wiesbaden 2003 (= Sudhoffs Archiv, 51), ISBN 3-515-08324-3, S. 51
  5. Philibert Schmitz: Geschichte des Benediktinerordens. Ins Deutsche übertragen und hrsg. von Ludwig Räber. 2 Bände. Zürich 1948, S. 191.
  6. a b c d siehe Weblink Arno Forsius: Constantinus Africanus
  7. a b siehe Weblink James Joseph Walsh: Constantine Africanus
  8. a b c d aus Latin translations of the 12th century in der englischsprachigen Wikipedia
  9. Gundolf Keil: „Isâk künig Salomons sun machte in Arabia ein buoch, daz Got nie bezzerz geschuof“ – Die Repräsentanz der Schule von Kairouan im Würzburg und Breslau des 13. Jahrhunderts. In: Mamoun Fansa, Karen Aydin, Menso Folkerts, Gundolf Keil, Helmuth Schneider u. a. (Hrsg.): Ex oriente lux? Wege zur neuzeitlichen Wissenschaft. Begleitband zur Sonderausstellung im Augusteum, Oldenburg 2009–2010. Philipp von Zabern, Oldenburg 2009 (= Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch. Band 70), S. 212–225 und 495–526 sowie (Detlev Quintern) 429–460.
  10. Gundolf Keil (2012/13), S. 17–18.
  11. siehe Literatur Annette Hettinger: Zur Lebensgeschichte und zum Todesdatum des Constantinus Africanus
  12. Heinrich Schipperges: Constantinus Africanus Cassinensis [sein arab. Name blieb unbekannt], in: Wolfgang U. Eckart und Christoph Gradmann: Ärztelexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, 1. Aufl. C.H. Beck München 1995, S. 98+99; 2. Aufl. Springer Berlin et al. 2001 unter dem Titel: Ärztelexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, S. 81+82; 3. Aufl. Springer Berlin et al. 2006, S. 84; Print Version ISBN 978-3-540-29584-6, Online-Version ISBN 978-3-540-29585-3.
  13. Gerhard Baader: Die Entwicklung der medizinischen Fachsprache im hohen und späten Mittelalter. In: Gundolf Keil, Peter Assion (Hrsg.): Fachprosaforschung. Acht Vorträge zur mittelalterlichen Artesliteratur. Berlin 1974, S. 88–123, hier: S. 94–110.
  14. Christina Becela-Deller: Ruta graveolens L. Eine Heilpflanze in kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. (Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation Würzburg 1994) Königshausen & Neumann, Würzburg 1998 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 65). ISBN 3-8260-1667-X, S. 118–121.
  15. a b c d e f g h i j aus Constantine the African in der englischsprachigen Wikipedia
  16. siehe Weblink Heinrich Schipperges: Constantinus Africanus
  17. Gundolf Keil: Pantegni, Pantechne. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1096.
  18. Charles Burnett, Danielle Jacquart (Hrsg.): Constantine the Africa and ʿAlī ibn al-ʿAbbās al-Mağūsī: The Pantegni and Related Texts. Leiden 1994 (= Studies in Ancient Medicine. Band 10).
  19. Gundolf Keil: „blutken – bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 8.
  20. Dominique Haefeli-Till: Der „Liber de oculis“ des Constantinus Africanus. Übersetzung und Kommentar. (Medizinische Dissertation) Zürich 1977 (= Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen, Neue Folge, Band 121).
  21. Heinrich Schipperges: Die Assimilation der arabischen Medizin durch das lateinische Mittelalter. Wiesbaden 1964 (= Sudhoffs Archiv, Beiheft 3), S. 33
  22. Gregor Maurach: Johannicius: Isagoge ad Techne Galieni. In: Sudhoffs Archiv. Band 62, 1978, S. 148–174.
  23. Vgl. etwa Karl Gottlob Kühn: Magni Hippocratis opera omnia. 3 Bände. Leipzig 1827 (= Medicorum Graecorum operae quae extant. Band 21–23). Lateinische Textausgabe.
  24. Friedrich v. Zglinicki: Die Uroskopie in der bildenden Kunst. Eine kunst- und medizinhistorische Untersuchung über die Harnschau. Ernst Giebeler, Darmstadt 1982, ISBN 3-921956-24-2, S. 6 und 8.
  25. Karl Garbers: Ishāq b. ʿImrāns Melancholie-Traktat. Hamburg 1977.
  26. Karl Garbers: Isḥāq ibn ʿImrān, Maqāla fi l-Mālīhūliyā (Abhandlung über die Melancholie) und Constantini Africani Libri duo de melancholia. Vergleichende kritische arabisch-lateinische Parallelausgabe, deutsche Übersetzung des Textes […]. Hamburg 1977 (deutsch, lateinisch).
  27. Friedrun R. Hau: Ishāq ibn ʿImrān. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 683.
  28. Werner Friedrich Kümmel: Der Homo litteratus und die Kunst, gesund zu leben. Zur Entwicklung eines Zweiges der Diätetik im Humanismus. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim an der Bergstraße 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), S. 67–85, hier: S. 84.
  29. Moritz Steinschneider: Constantins Lib. de gradibus und ibn al-Gezzars Adminiculum. In: Deutsches Archiv für Geschichte der Medizin und medicinische Geographie 2, 1879, S. 1–22
  30. De gradibus quos vocant simplicium liber. In: Constantini Africani post Hippocratem et Galenum, quorum - Graece linguae doctus - sedulus fuit lector, medicorum nulli prorsus, multis doctissimis testibus, posthabendi opera [...]. Basel (Henricus Petrus) 1536, S. 342–387.