Strukturformel | ||||||||||||||||
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Allgemeines | ||||||||||||||||
Name | Diaminodinitroethylen | |||||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C2H4N4O4 | |||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||||||
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Eigenschaften | ||||||||||||||||
Molare Masse | 148,08 g·mol−1 | |||||||||||||||
Aggregatzustand |
fest | |||||||||||||||
Dichte | ||||||||||||||||
Schmelzpunkt |
ab 180 °C Zersetzung[1] | |||||||||||||||
Löslichkeit |
nahezu unlöslich in Wasser, wenig löslich in Acetonitril und Cyclohexanon, löslich in DMSO, Dimethylformamid und N-Methylpyrrolidon[2] | |||||||||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||||||||
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Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). |
Für Diaminodinitroethylen können drei isomere Strukturen formuliert werden. Von den möglichen Isomeren 1,1-Diamino-2,2-dinitroethylen (1), trans-1,2-Diamino-1,2-dinitroethylen (2) und cis-1,2-Diamino-1,2-dinitroethylen (3) ist bisher nur Ersteres synthetisch zugänglich.[1]
1,1-Diamino-2,2-dinitroethylen (FOX-7 oder DADE) ist eine energiereiche chemische Verbindung, die als Basis für unempfindliche und zugleich hochbrisante Sprengstoffe geeignet ist. Für die beiden 1,2-Diamino-1,2-dinitroethylen-Isomere gibt es bisher nur theoretische, quantenchemische Berechnungen.[4] Eine reale Herstellung und Charakterisierung der beiden Verbindungen steht noch aus.
Die Synthese von 1,1-Diamino-2,2-dinitroethylen-Derivaten wurde 1992 beschrieben. Ausgehend vom 1,1-Diiodo-2,2-dinitroethylen können durch den Umsatz mit Alkylaminen die entsprechenden 1,1-Dialkylamino-2,2-dinitroethylen-Verbindungen erhalten werden. Die Umsetzung mit Ammoniak ergibt als Reaktionsprodukt das Ammoniumsalz von Cyanodinitromethan und somit nicht die Basisverbindung 1,1-Diamino-2,2-dinitroethylen.[5] 1,1-Diamino-2,2-dinitroethylen (FOX-7) wurde erstmals 1998 am FOI (Swedish Defence Research Agency) synthetisiert.[6] Mit einer Ausbeute < 10 % ist dieser Syntheseweg trotz des billigen Ausgangsstoffes 2-Methylimidazol kommerziell nicht sinnvoll.
Die Herstellung von Diaminodinitroethylen wird nur in kleinen Ansatzgrößen durchgeführt, woraus ein relativ hoher Preis für die Verbindung resultiert. Eine optimierte Synthese mit einer Ausbeute >90 % geht vom 2,6-Dihydroxy-4-methylpyrimidin aus, welches durch Nitrierung in Nitriersäure zu einem Tetranitrozwischenprodukt umgesetzt wird. Das Zwischenprodukt wird danach hydrolytisch zur Zielverbindung, Dinitromethan und Kohlenstoffdioxid gespalten.[7] Die Ausgangsverbindung 2,6-Dihydroxy-4-methylpyrimidin ist durch die Cyclisierung von Acetamidinhydrochlorid mit Malonsäurediethylester in Gegenwart von Natrium und Ethanol zugänglich.[8]
Eine Umsatzkontrolle ist hier über eine flüssigchromatographische Auftrennung über spezielle Graphitsäulen möglich.[9]
1,1-Diamino-2,2-dinitroethylen bildet gelbe Kristalle.[10] Die Verbindung zeigt ein polymorphes Verhalten.[11] Bei Raumtemperatur liegt die α-Form vor, die sich beim Aufheizen bei 114 °C mit einer Umwandlungsenthalpie von 18 J·g−1 bzw. 2,66 kJ·mol−1 in die β-Form umwandelt. Dieser Phasenübergang ist reversibel. Eine weitere Umwandlung zur γ-Form wird bei 173 °C beobachtet. Die γ-Form ist metastabil und wandelt sich beim Abkühlen nur langsam und unvollständig in die Tieftemperaturform α um.[12] Für die Verbindung kann kein Schmelzpunkt gefunden werden, da DSC-Messungen schon ab 180 °C eine stark exotherme Zersetzungsreaktion anzeigen.[1] Einkristalluntersuchungen an aus NMP/Wasser kristallisierter α-Form ergaben eine monokline Kristallstruktur.[13] Die Anwesenheit von elektronendrückenden und elektronenziehenden Gruppen im Molekül führt zu veränderten Bindungslängen. Die Bindungslänge der Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung liegt mit 145,6 pm zwischen den typischen Bindungslängen für eine Einfachbindung mit 154 pm bzw. Doppelbindung mit 134 pm.[14] Die Verbindung besitzt somit keinen reine Doppelbindungsstruktur. Es können zwei Resonanzstrukturen formuliert werden, wobei die polare Iminstruktur eher vorliegt.[15] Dies bestätigt sich auch an den beobachteten chemischen Eigenschaften wie z. B. bei elektrophilen Additionen.
Im Molekül existieren zwei starke intramolekulare Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den NH- und NO-Funktionen. Daraus resultiert eine planare Grundstrukturdes Moleküls. Im Kristallgitter bildet sich auf Grund intermolekulerer Wasserstoffbrücken eine wellenförmige Schichtstruktur aus.[14] Die Kristallstruktur der β-Form ist orthorhombisch.[14] Die γ-Form zeigt ein monoklines Kristallgitter mit der Raumgruppe P21/n.[16]
Die Verbindung ist in Wasser praktisch unlöslich. In andern Lösungsmitteln wie Aceton, Ethylacetat oder Acetonitril ist die Löslichkeit mit <0,5 g/100 ml gering.[1] Bessere Löslichkeiten werden in Dimethylformamid mit 21 g/100 ml, in N-Methyl-2-pyrrolidon mit 32 g/100 ml und in Dimethylsulfoxid mit 45 g/100 ml beobachtet.[1]
Die molare Bildungsenthalpie beträgt ΔfH0 = −130 kJ/mol.[1] Die NMR-Spektren der Verbindung stellen sich recht einfach dar. Das 1H-NMR-Spektrum zeigt nur bei 8,77 ppm einen breiten Peak resultierend aus den NH-Protonen.[6] Im 13C-NMR-Spektrum findet man zwei Peaks bei 128,5 ppm für das nitrogruppensubstituierte Kohlenstoffatom sowie bei 158,8 ppm für das die Aminogruppen tragende Kohlenstoffatom.[6]
1,1-Diamino-2,2-dinitroethylen zeigt beim Erhitzen keinen Schmelzpunkt. Bei thermoanalytischen Messungen wird ab 180 °C eine zweistufige Zersetzung mit einer Zersetzungswärme von −1427 J/g beobachtet.[1][11] Der Zersetzungsmechanismus wurde hinsichtlich auftretender Zwischenverbindungen theoretisch betrachtet und führt zu den finalen Produkten Kohlenmonoxid, Stickstoff und Wasser.[17]
Wichtige Explosionskennzahlen wie die Explosionswärme, die Detonationsgeschwindigkeit oder der Detonationsdruck wurden über verschiedene Rechenmethoden abgeschätzt bzw. mittels verschiedener Messmethoden experimentell bestimmt.[1][2][18] Die berechneten Werte liegen für die Explosionswärme zwischen 4442 J·g−1 und 4884 J·g−1, für die Detonationsgeschwindigkeit zwischen 8453 m·s−1 und 8869 m·s−1[1][2][18] und für den Detonationsdruck zwischen 29,3 GPa und 34,0 GPa.[1][18] Die experimentell bestimmten Werte betragen für die Detonationsenergie 4860 J·g−1, die Detonationsgeschwindigkeit zwischen 8325 m·s−1 und 8405 m·s−1 und dem Detonationsdruck 28,4 GPa.[18] Der Grenzdurchmesser im Stahlhülsentest wurde mit 6 mm bestimmt.[19][20] Die Verbindung ist mit einer Schlagenergie von 11 – 40 Nm schlagempfindlich.[2][18] Die Schlagempfindlichkeit hängt von der Korngrößenverteilung des geprüften Materials ab.[18] Bis zu einer Reibkraft von 353 N konnte keine Reibempfindlichkeit festgestellt werden.[1][18] Die Verbindung lässt sich durch Laserbestrahlung entzünden. Dieser Effekt kann durch den Zusatz von bis zu 5 % Aktivkohle verstärkt werden.[21]
Die Verbindung besitzt acide Eigenschaften. In Gegenwart von Basen kann eine Deprotonierung erfolgen. Der pKa-Wert liegt bei etwa 10,6.[1] Bei einer Umsetzung mit Kalilauge bei niedrigen Temperaturen lässt sich das Kaliumsalz als weißer, kristalliner Feststoff isolieren. Das Erhitzen auf 70 °C mit Kalilauge führt zu einer basischen Hydrolyse, wobei das Kaliumsalz des Dinitromethans und Harnstoff gebildet werden.[1]
Auf Grund der hohen Polaritätsunterschiede im Molekül ergeben sich interessante Aspekte für chemische Umsetzungen. Die Verbindung kann in Gegenwart von Acetanhydrid oder Trifluoressigsäureanhydrid mittels Salpetersäure weiter nitriert werden.[22] Die resultierende Tetranitroverbindung ist thermisch instabil. Eine Zersetzung ist schon ab Raumtemperatur relevant. Bei −20 °C kann die Verbindung etwa eine Woche gelagert werden.[22] Eine Zersetzung in ammoniakalischer Acetonitril-Lösung ergibt das Ammoniumsalz des Trinitromethans und Nitroguanidin.[22]
Die Halogenierung mit N-Bromsuccinimid oder N-Chlorsuccinimid erfolgt analog wie die Nitrierung am die geminalen Nitrogruppen tragenden C-Atom und an einer Aminogruppe.[22] Die Oxidation mit 30%igen Wasserstoffperoxid in Schwefelsäure oder mit Trifluoressigsäure führt unter Freisetzung von Salpetriger Säure und Distickstofftrioxid zur Diaminoessigsäure.[15]
1,1-Diamino-2,2-dinitroethylen kann als Ausgangsstoff für die Herstellung von Tetrazolen genutzt werden. So gelingt durch die Umsetzung mit Trimethylsilylazid in DMSO mit der Bildung des 5-Amidinotetrazols die Tetrazolringbildung. Durch basische Hydrolyse kann das Kaliumsalz des Tetrazol-5-carbonsäureamids erhalten werden. Dessen Umsetzung mit Methyliodid ergibt die beiden Isomere 1-Methyltetrazol-5-carbonsäureamid und 2-Methyltetrazol-5-carbonsäureamid.[15]
Auf Grund seiner aciden Eigenschaften kann FOX-7 mit basischen und nucleophilen Stoffen umgesetzt werden, um weitere hochenergetische Substanzen herzustellen. So gibt die Umsetzung mit Guanidiniumchlorid in Gegenwart von Kalilauge das Guadidiniumsalz G(FOX-7).[23] Der höhere Stickstoffgehalt im Molekül bewirkt bei thermischen Zersetzungen eine höhere Gasentwicklung, was eine Anwendung in Treibsätzen ermöglicht.[23] Die Kompatibilität mit anderen Explosivstoffen wurde mittels thermischer Analyse überprüft, wobei sich mit CL-20, Octogen (HMX), Trinitrotoluol (TNT) und Nitrotriazolon eine gute, mit TATB und Hexanitrostilben eine begrenzte, und mit DNTF und RDX eine schlechte Kompatibilität zeigte.[24]