Elmer Rice (* 28. September1892 als Elmer Reizenstein in New York City; † 8. Mai1967 in Southampton) war ein US-amerikanischer Dramatiker. Er führte etliche Neuerungen auf dem Theater ein und genoss in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine ähnliche Popularität wie beispielsweise Eugene O’Neill.[1]
Ursprünglich Rechtsanwalt, fand Rice schon mit seinem ersten melodramatischen Stück On Trial (Unter Anklage) von 1914 Beachtung. Das Werk, das auf einer dem neuen Medium des Films nachvollzogenen Rückblendetechnik aufbaute,[2] wurde auf Anhieb allein in New York 350 mal aufgeführt.[1] und erlebte außerdem bislang drei Verfilmungen.
Der Durchbruch zur dramatischen Avantgarde gelang Rice 1923 mit The Adding Machine (Die Rechenmaschine).[3] Dieses Drama kreist um einen entlassenen kleinen Angestellten, der zum Mörder seines Chefs wird, dafür die Todesstrafe erhält und im Jenseits ein böses Erwachen findet. Laut Kindlers Neuem Literaturlexikon[4] gehört das Werk „zu den besten und bekanntesten sozialkritischen Dramen der USA“. Das Stück des „versierten Dramatikers“, der über eine genaue Beobachtungsgabe für das Absurde im Gehabe eines Kleinbürgers, Talent für satirische Formulierung und „lebhafte, oft skurrile Phantasie“ verfüge, hat expressionistische und surreale Züge. Sein „Held“ wird im Himmel einem Training für seine nächste Reinkarnation unterzogen – als zukünftiger Bediener einer Superrechenmaschine, weil einer wie er seinem Schicksal als Sklave nie entkommt.
Für die naturalistische Milieuskizze Street Scene (Straßenszene, 1929) erhielt Price den renommierten Pulitzer-Preis – obwohl er „gegen das konventionelle Unterhaltungstheater des Broadways rebellierte“ und die Bühne stattdessen als „Experimentierstätte und ein Forum für die Auseinandersetzung mit Alltagsproblemen und sozialen Mißständen“ begriff.[4] Das Stück führt die überwiegend zerstrittenen Bewohner einer im New Yorker Slumbezirk gelegenen Mietskaserne binnen nur eines Tages vor. 1931 erschien die gleichnamige Verfilmung durch King Vidor. Es bildete auch für Kurt Weill die Vorlage zu dessen Musical gleichen Titels, an dessen Entstehung Rice ebenfalls mitwirkte.[5] Neben weiteren Dramen verfasste Rice einige Essays und Romane sowie eine Autobiographie.
Rice stammte aus einer deutschen Einwandererfamilie. Großvater Reizenstein, 1848 auf Seiten der deutschen Revolutionäre aktiv gewesen, hatte es in den Staaten zu Wohlstand gebracht, doch Rices Eltern waren verarmt. Der Großvater übte beträchtlichen (rebellischen) Einfluss auf seinen Enkel aus.[1] Schwer zu tragen hatte die Familie an Rices Vater, der Epileptiker war. Die Armut nötigte den jungen Rice, mit 14 Jahren die High School zu verlassen. Nach diversen Jobs, darunter in Fabriken, entschied er sich eher lustlos für ein Studium an einer New Yorker juristischen Fachschule, das er 1912 abschloss. Er verschlang „linke“ Literatur, darunter jene von George Bernard Shaw. Der im Rechtswesen herrschende Zynismus vergällte Reizensteins Enkel die Laufbahn bald; er verlegte sich aufs Schreiben.[1]
Rices Erfolge als Dramatiker gingen mit privaten Turbulenzen einher. Im Ganzen dreimal verheiratet, hatte er zusätzlich zahlreiche Liebesaffairen. 1915 heiratete er Hazel Levy, mit der er zwei, 1942 die Schauspielerin Betty Field, mit der er drei Kinder hatte. Diese Ehe wurde 1956 geschieden. In der Nachkriegszeit lebte Rice zum Teil in Stamford (Connecticut), wo er ein baumbestandenes Grundstück besaß. Der Tod (durch Lungenentzündung) ereilte ihn im Alter von 74 während einer Europareise in Begleitung seiner dritten Ehefrau Barbara auf der britischen Insel.
1932 hatte Rice bereits mit Sohn Robert eine Europareise unternommen, die sie sowohl in die Sowjetunion wie nach Deutschland führte. Hier erlebte der Dramatiker die Redner Goebbels und Hitler. In die Heimat zurückgekehrt, brachte ihm unter anderem ein Artikel Ungemach ein, in dem er Mussolini verurteilte. Nach einigen durchgefallenen neuen Stücken und angesichts zunehmender Versuche, kritische Stimmen wie ihn mundtot zu machen, was mit der offenbar unaufhaltsamen Kommerzialisierung des US-Theaters einherging, wendete sich Rice Mitte der 1930er Jahre ähnlich abrupt vom Bühnenschaffen ab, wie er dereinst seine juristische Laufbahn an den Nagel hing.[1]
R. L. Collins: The Playwright and the Press: Elmer Rice an His Critics, in: Theatre Annual 7, 1949
Robert Goode Hogan: The Independence of Elmer Rice, Twayne Publishers Inc., New York 1965
Jean Gould: Elmer Rice, in: ders.: Modern American Playwrights, New York 1966, Seite 8–25
William R. Elwood: An Interview with Elmer Rice on Expressionism, in: Educational Theatre Journal 20, Nr. 1. März 1968
Frank Durham: Elmer Rice, Southern Illinois University Press, Carbondale, Illinois 1970
Malcom Goldstein: The Political Stage, New York 1974
Anthony F. Palmieri: Elmer Rice: A Playwright's Vision of America, Fairleigh Dickinson Univ. Press, 1980
Fred Dayton Behringer: The Political Theatre of Elmer Rice, University of Texas, 1980
Christopher W. E. Bigsby: A Critical Introduction to Twentieth-Century American Drama, Band 1, Cambridge 1982
Bernard F. Dukore: American Dramatists, 1918-1945, New York 1984
J. T. Dorsey: Our Decentralized Literature, Amherst/Mass. 1986, Seite 88–106
Michael Vanden Heuvel: Elmer Rice: A Research and Production Sourcebook, Westport: Greenwood Press, 1996
Barry Witham: Between Two Worlds: Elmer Rice Chairs the Thirties Debate, in: Norma Jenckes (Hrsg.): New Readings in American Drama: Something's Happening Here, New York: Peter Lang, 2002
↑Hubert Zapf: Die verspätete Gattung: das amerikanische Drama der Moderne. In: Hubert Zapf (Hrsg.): Amerikanische Literaturgeschichte. J. B. Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01203-4, S. 283–305, hier S. 289f.
↑Hubert Zapf: Die verspätete Gattung: das amerikanische Drama der Moderne. In: Hubert Zapf (Hrsg.): Amerikanische Literaturgeschichte. J. B. Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01203-4, S. 283–305, hier S. 290.
↑ abKindlers Neues Literaturlexikon in der Ausgabe München 1988