Fat Face (englisch „fettes Schriftbild“)[1] bezeichnet besonders fetteSchriftarten aus der Schriftklasse Klassizistische Antiqua. Anders als bei fetten Grotesk- oder Egyptienneschriften bleiben die dünnen Haarstriche unverändert dünn und nur die kräftigen Schattenstriche werden verbreitert. Dadurch haben Fat-Face-Schriftarten einen extrem hohen Strichkontrast.[2] Die fetten Striche haben fast mehr den Charakter von Flächen als den von Linien.
Fat-Face-Schriften wurden für den Einsatz auf Plakaten und in der Werbung entwickelt.[3][4][5][6] Sie ziehen durch ihre Schriftstärke und ihre markanten Formen die Aufmerksamkeit an. Sie können allerdings schwerer als herkömmliche Antiquaschriften zu lesen sein, da die Buchstabenformen schlechter erkennbar und unterscheidbar sind. Für Mengentext eignen sie sich kaum.
Fat ist eine Steigerung zum englischen Begriff bold für herkömmliche fette Schrift. Face bezeichnet in der englischen Druckersprache den Teil der Lettern, der das Schriftbild trägt. Im Deutschen gibt es keinen etablierten Begriff für die Schriftartengruppe. „Fette Antiqua“ ist nicht spezifisch genug und wird vorrangig nicht als Stilbegriff, sondern für eine konkrete Schriftart aus dieser Stilform verwendet.
Die Antiqua kam um das Jahr 1475 auf und wurde außerhalb des deutschen Sprachraums im Druckwesen rasch zur beliebtesten Schriftart für das lateinische Schriftsystem. Ihre Form blieb in den folgenden Jahrhunderten enorm stabil. Es gab bis in das späte 18. Jahrhundert nur sehr zurückhaltende Weiterentwicklungen. Für Buchtitel, Überschriften und Ähnliches wurden üblicherweise lediglich größere Schriftgrade der normalen Antiqua verwendet, keine andersgestaltete Schrift.
Das änderte sich, als zu Beginn des 19. Jahrhunderts erstmals der Plakatdruck und das Thema der Werbung stark aufkamen. Für diese Einsatzzwecke entstand der Wunsch nach besonders auffälligen und das Auge auf Distanz anziehenden Schriftarten.[7][8][9][10] Nun entwickelten die Schriftgießereien völlig neue und kreative Schriftgestaltungsformen. Zu diesen zählen die Groteskschriften (serifenlos), die Egyptienneschriften (serifenverstärkt), neue Formen für gebrochene Schriften, und auch besonders fette sowie dekorativ veränderte Antiqua-Schriften.
Der englische Typograf John Lewis bezeichnet die Fat Face als die erste echte Akzidenzschrift.[4][3][11] Zwar gab es schon zuvor andere Akzidenzschriften, aber keine hatte eine so starke und nachhaltige Wirkung auf die Geschichte der Typografie wie die Fat Face.
Anfang des 19. Jahrhunderts gab es eine Übergangszeit, in der sich aus fetten klassizistischen Antiqua-Schnitten allmählich die voll entwickelte Fat Face herausbildete. So gilt beispielsweise nach Ansicht des Designers Paul Barnes eine 1803 vom britischen Typografen Robert Thorne entworfene Schrift noch nicht als eine Fat Face, nur als eine fette Antiqua.[12]
Die Fat Face trat erstmals etwa zwischen den Jahren 1805 und 1810 in London auf. Die Initiative für ihre Entwicklung ging möglicherweise von den Gestaltern von Lotterie-Plakatanschlägen aus, die für die Hauptzeilen ihrer Plakate auffällige und oft besonders fette Holzlettern verwendeten. Die britischen Schriftgießereien folgten diesen Vorbildern.[13] Die Fat Face wurde rasch sehr beliebt und international aufgegriffen.
Ein Beispiel für eine Fat Face aus Deutschland ist die von Johann Christian Bauer in der Bauerschen Gießerei geschaffene Fette Antiqua (1850) mit dem kursiven Schnitt Fette Kursiv (1851).[14] Man nennt sie auch Fette Bauersche Antiqua. Eine andere mit unklarem Ursprung ist die ca. 1850 geschaffene Breite-Fette Antiqua.[15]
Fat-Face-Schriften wurden auch außerhalb der Druckbranche verwendet, etwa in Inschriften und auf gemalten Schildern. In den USA wurden sie nicht selten auch zur Beschriftung von Grabsteinen eingesetzt.[16][17][18][19]
Im 20. Jahrhundert lebte die Fat Face im Vereinigten Königreich als Teil der historisierenden „Victoriana“-Bewegung, die von John Betjeman und anderen in den 1930er Jahren vertreten wurde, teilweise nochmals auf. Zu den nach dem 19. Jahrhundert entstandenen Fat-Face-Schriftarten gehören:
Der Merkmale der klassizistischen Antiqua bilden die Grundlage der Fat Face. Dazu zählen die senkrechte Schattenachse, der hohe Strichkontrast, die scharfen, dünn angesetzten Serifen und kreisrunde bzw. elliptische Tropfenserifen. In Fat-Face-Schriften werden diese Merkmale noch weiter verstärkt. Sie erscheinen daher besonders geometrisch und abstrakt. Die Vielfalt innerhalb der Stilform Fat Face ist groß. In ihrer Formensprache zwischen Tradition und Moderne stehend, können Fat-Face-Schriften gekünstelt, energievoll, extravagant, freundlich, elegant, albern oder blasiert wirken. Es gibt sie in normaler aufrechter Form, in kursiven, schmalen und breiten Schnitten.
In der Periode mutigen Experimentierens mit neuer Schriftgestaltung entstanden möglicherweise aus der Umgekehrung des extremen Strichkontrasts der Fat Face die ersten Italienne-Schriften.[39]
Bei den insbesondere im Plakatdruck eingesetzten Holzlettern, aber auch im Bleisatz, kam die Praxis auf, die breiten Strichflächen von Fat-Face-Schriften wie Hohlräume zu füllen – von einer einfachen Linie (inline) bis hin zu geometrischen Mustern, floralen und bildlichen Gestaltungen.[37] Auch der Schattenwurf (dreidimensional erscheinende Schrift) wurde gerne in Fat-Face-Schriften als Gestaltungsmerkmal verwendet. Eine besonders für ihre dekorativen Designs bekannte Londoner Schriftgießerei war die von Louis Pouchée.[40]
Eine kursive Fat-Face-Schriftart von William Caslon IV., ca. 1816
Eine nach links geneigte kursive Variante aus der Figgins Foundry, London
Eine ornamental verzierte und dreidimensional gestaltete Fat-Face-Schriftart aus dem Katalog der Austin Foundry, London, 1838
Die digitale Fat-Face-Schriftart „Elephant“ von Matthew Carter. Oben der normale, unten der kursive Schnitt.[41]
Alfred F. Johnson: Selected essays on books and printing. Van Gendt & Co, 1970, ISBN 978-90-6300-016-5, Fat Faces: Their History, Forms and Use (1947), S.409–415.
Michael Twyman: The Bold Idea: The use of Bold-looking Types in the Nineteenth Century. Journal of the Printing Historical Society, Nr. 22, 1993.
↑Charles Thomas Jacobi: The Printers' Vocabulary: A Collection of Some 2500 Technical Terms, Phrases, Abbreviations, and Other Expressions Mostly Relating to Letterpress Printing, Many of which Have Been in Use Since the Time of Caxton. Gale Research Company, 1888, ISBN 978-0-8103-3309-3, S.42 (books.google.de).
↑ abThomas Phinney: Fat Faces. Graphic Design and Publishing Centre, archiviert vom Original am 9. Oktober 2015; abgerufen am 10. August 2015.Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/graphic-design.com
↑Paul Shaw: Revival Type: Digital Typefaces Inspired by the Past. Yale University Press, 2017, ISBN 978-0-300-21929-6, S.121–2 (google.com).
↑Alfred F. Johnson: Selected Essays on Books and Printing. 1970, Fat Faces: Their History, Forms and Use, S.409–415.
↑David Raizman: History of Modern Design: Graphics and Products Since the Industrial Revolution. Laurence King Publishing, 2003, ISBN 1-85669-348-1, S.40–3 (google.com).
↑Tobias Frere-Jones: Scrambled Eggs & Serifs. Frere-Jones Type, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. September 2015; abgerufen am 23. Oktober 2015.Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.frerejones.com
↑Margaret Re, Johanna Drucker, James Mosley, Matthew Carter: Typographically Speaking: The Art of Matthew Carter. Princeton Architectural Press, 2003, ISBN 978-1-56898-427-8, S.61, 84, 90 (google.com).