Francesca P. Albanese (* 1977 in Ariano Irpino, Kampanien) ist eine italienische Rechtswissenschaftlerin mit Spezialisierung auf Internationales Recht und Menschenrechte. Seit 2022 ist sie UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas (englisch: United Nations Special Rapporteur on the occupied Palestinian territories).
Francesca Albanese absolvierte ihr juristisches Grundstudium an der Universität Pisa und das Master-Studium mit Schwerpunkt Menschenrechte an der School of Oriental and African Studies der University of London. Sie promovierte zur PhD in internationalem Flüchtlingsrecht an der juristischen Fakultät der Universiteit van Amsterdam.[1]
Nach einem Stipendium am Institute for the Study of International Migration der Georgetown University in Washington, D.C. wurde sie Leitende Beraterin für Migration und erzwungene Vertreibung bei der NGO Arab Renaissance for Democracy and Development (ARDD)[1] und Forschungs-Fellow am International Institute of Social Studies der Erasmus-Universität Rotterdam.[2][3] Bei der ARDD war sie Mitgründerin des Global Network on the Question of Palestine.[1] 2020 publizierten sie und Lex Takkenberg bei der Oxford University Press den Bericht Palestinian Refugees in International Law.[4]
Albanese arbeitete ein Jahrzehnt lang als Menschenrechtsexpertin für die Vereinten Nationen, so für den Hohen Kommissar für Menschenrechte und das Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten.[5] In dieser Zeit beriet sie auch nationale Regierungen und zivilgesellschaftliche Akteure im Mittleren Osten, Nordafrika und Pazifischen Raum über Menschenrechte, ihre Umsetzung und Normen, besonders bezüglich verletzlicher Gruppen wie Flüchtende und Migranten. Sie arbeitet als Dozentin für internationales Recht und Vertreibung an europäischen und arabischen Universitäten (bspw. am Issam Fares Institute der Amerikanischen Universität Beirut) und tritt bei Kongressen als Expertin für den Israelisch-Palästinensischen Konflikt auf.[1]
Am 1. Mai 2022 wurde sie für eine dreijährige Amtsperiode als Nachfolgerin des Kanadiers Michael Lynk zur ehrenamtlichen UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete ernannt.[6] Am 18. Oktober 2022 rief Albanese in ihrem ersten Bericht dazu auf, dass die UN-Mitgliedsstaaten einen Plan entwickeln sollten, „um weitere Landbesetzungen durch die israelische Siedlungsbewegung und das Apartheids-Regime zu beenden“.[7] Ihr Bericht schloss: „Die Rechtsverstöße, die im vorgelegten Report beschrieben werden, zeigen die Natur der israelischen Besatzung, eines absichtlich besitzergreifenden, segregationistischen und repressiven Regimes, das die Verwirklichung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung verhindern soll.“[8]
Albaneses Ernennung zur UN-Sonderbeauftragten für die besetzten palästinensischen Gebiete (als zweite Italienerin nach Giorgio Giacomelli und als erste Frau in diesem Amt)[9] führte zu einer anhaltenden Kontroverse über Statements von ihr zum Holocaust und zu jüdischen Interessenverbänden, in der ihr Antisemitismus vorgeworfen wurde. Die Konfliktlinien folgen im Wesentlichen den erbittert geführten Auseinandersetzungen, wie die IHRA-Definitionen für Antisemitismus im Einzelfall anzuwenden sind.[10][11][12][13] Albanese wies den Vorwurf, Antisemitin zu sein, zurück und betonte, dass ihre Kritik an Israel sich auf die Okkupation der palästinensischen Gebiete beziehe.[14]
Im Januar 2023 berichtete WAFA, die Nachrichtenagentur der Palästinensischen Autonomiebehörde, dass Albaneses „unermüdliche Anstrengungen für den Schutz der Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten (OPT) und ihr Bewusstsein für die alarmierenden tätlichen Verletzungen palästinensischer Rechte“ in einem Statement von nicht spezifizierten 116 Menschenrechts-, zivilgesellschaftlichen Organisationen, akademischen Institutionen und anderen Gruppen gelobt worden sei.[15] Im Februar 2023 sprach sich eine parteiübergreifende Gruppe von 18 Mitgliedern des US-Kongresses für eine Ablösung Albaneses aus, da sie anhaltende Vorurteile gegen Israel zeige.[16]
Amnesty International Italien veröffentlichte im April 2023 ein Unterstützungsschreiben für Albanese, das von Dutzenden italienischer Rechtsgruppen, Abgeordneten, Juristen und Akademikern unterzeichnet wurde, nachdem der ehemalige italienische Außenminister Giulio Terzi (Fratelli d’Italia) und der israelische Minister für Diaspora Amichai Chikli die italienische Regierung aufgefordert hatten, sich für eine Entlassung Albaneses einzusetzen.[17]
Nach den Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 betonte sie in einer Erklärung am 14. Oktober, dass sowohl Palästinenser als auch Israelis Anspruch auf ein Leben in Frieden, Gleichberechtigung, Würde und Freiheit hätten. Sie rief die Weltgemeinschaft dazu auf, die Bemühungen um einen sofortigen Waffenstillstand zwischen den Parteien zu intensivieren, bevor ein „Punkt ohne Wiederkehr“ erreicht werde. Es sei Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, die Bevölkerung vor Gräueltaten zu schützen. Das Vorgehen der Hamas und der israelischen Besatzungstruppen müsse nach den Kriterien des Völkerrechtes bewertet werden. Zur Ankündigung einer militärischen Großoperation in Nord-Gaza durch Israel und der Aufforderung an die dortigen 1,1 Millionen Menschen, diese Wohngebiete unverzüglich und vollständig zu räumen, sprach sie von einer drohenden ethnischen Säuberung, die als Selbstverteidigung nicht gerechtfertigt sei.[18]
Am 14. November 2023 gab Albanese ein Interview im australischen Fernsehen, wo sie gefragt wurde, wie aus ihrer Sicht eine richtige Antwort Israels auf den Terrorangriff der Hamas ausgesehen hätte. Sie antwortete, dass Israel statt einer Kriegserklärung mit „Rechtsdurchsetzung“ (law enforcement) hätte reagieren müssen. Ferner schlug sie vor, dass Israel die UN hätten anrufen können, um die Hamas zu demilitarisieren. Schließlich verglich sie die Situation Israels mit der Situation Frankreichs nach dem Bataclan-Terrorattentat 2015 und argumentierte, dass Frankreich es als Reaktion unterlassen habe, Belgien anzugreifen, obwohl die Terroristen aus Belgien gekommen seien. Auf das Recht zur Selbstverteidigung aus Artikel 51 der UN-Charta zur Rechtfertigung seines militärischen Vorgehens könne Israel sich schon deshalb nicht berufen, weil es sich beim Gazastreifen um ein von Israel besetztes Gebiet handele.[19][20]
Israels Außenminister Israel Katz (Likud-Partei) und Innenminister Moshe Arbel (Schas-Partei) forderten in einer gemeinsamen Erklärung, dass UN-Generalsekretär António Guterres Albanese als UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete entlassen solle, und teilten mit, Albanese dürfe jetzt nicht mehr nach Israel oder Palästina einreisen. Hintergrund war Albaneses Posting vom 10. Februar 2024, auf eine Beschreibung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 das „größte antisemitische Massaker unseres Jahrhunderts“ genannt hatte. Albanese schrieb: „Das ‚grösste antisemitische Massaker unseres Jahrhunderts‘? Nein, Herr @EmmanuelMacron. Die Opfer von 7/10 wurden nicht wegen ihres Judentums getötet, sondern als Reaktion auf die Unterdrückung durch Israel. Frankreich und die internationale Gemeinschaft haben nichts getan, um sie zu verhindern. Mein Beileid an die Opfer.“ Albanese erklärte, das Einreiseverbot sei „keine Neuigkeit“, da Israel „seit 2008 ALLEN Sonderberichterstattern die Einreise verweigert“. Die Ankündigung aus Israel dürfe „nicht zur Ablenkung von Israels Gräueltaten im Gaza werden“, die mit der Bombardierung von Menschen in „sicheren Gebieten“ in Rafah ein neues Ausmaß an Grauen erreichen.[21][22][23]
Am 26. März 2024 legte Albanese in der 55. Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen in Genf ihren Bericht Anatomie eines Völkermords vor,[24] in dem sie triftige Gründe dafür sieht, dass Israel in seinem Vorgehen gegen die Palästinenser in Gaza zumindest drei in der Völkermordkonvention aufgeführte Tatbestände begangen habe:[24]:§ 5
Albanese forderte Sanktionen und ein Waffenembargo gegen Israel. Des Weiteren plädierte sie dafür, den kolonialen Kontext der europäischen Besiedlung Palästinas anzugehen, der zu einer „Zerstörung und Verdrängung indigener Völker“ geführt hat,[24]:§ 9 und empfahl dafür die „Wiedereinsetzung des Sonderausschusses der Vereinten Nationen gegen Apartheid“.[24]:§ 97e
Im Juli 2024 wurde Albanese für einen zustimmenden Kommentar zu einem X-Post kritisiert, der den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler verglich.[25] Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein stufte die Äußerung aufgrund der Dämonisierung Israels als antisemitisch ein. Ähnliche Aussagen habe Albanese schon zuvor gemacht.[26] Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, bezeichnete den Vergleich als inakzeptabel.[27]
Im April 2023 erhielt Albanese den nicht dotierten Internationalen Stefano Chiarini Preis (benannt nach dem Il-manifesto-Journalisten) in Anerkennung ihrer Arbeit über Palästina und den Nahen Osten.[28][29]
Francesca Albanese hat zwei Kinder.[1]
Personendaten | |
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NAME | Albanese, Francesca |
ALTERNATIVNAMEN | Albanese, Francesca P. |
KURZBESCHREIBUNG | italienische Juristin und Menschenrechtsexpertin |
GEBURTSDATUM | 1977 |