Klassifikation nach ICD-10 | |
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A48.0 | Gasbrand (Gasödem) |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Gasbrand (Synonyme: Gasgangrän, Gasödem, Gasphlegmone, Clostridium-Myositis, Clostridium-Zellulitis, clostridiale Myonekrose, malignes Ödem) ist eine schnell hervorgerufene, infektiös-toxische und extrem gefährliche Infektionskrankheit. Ursächlich ist eine lokale Weichteilinfektion mit gasbildenden, anaeroben Clostridien (insbesondere C. perfringens), die überall (omnipräsent) in Form von Sporen im Erdreich und der sonstigen Umwelt vorkommen.
Heute kann durch zügige chirurgische und antibiotische Behandlung von Wunden ein für die Infektion zwingend notwendiges anaerobes Wund-Milieu vermieden und damit dem Gasbrand vorgebeugt werden. Nach Naturkatastrophen kommt es allerdings durch verspätete Wundversorgung nach wie vor (ebenso wie in manchen Kriegsgebieten[1]) zu sehr hohen Infektionszahlen.[2]
Abzugrenzen vom typischen Gasbrand sind eitrige Mischinfektionen, die ebenfalls mitunter Gas bilden können (beispielsweise nekrotisierende Fasziitis oder nicht durch Clostridien verursachte Zellulitis), aber primär und hauptsächlich nicht die Muskulatur zersetzen, eine andere Symptomatik aufweisen und auch eine bessere Prognose haben.
Die hier bedeutsamen Clostridien-Arten (Clostridium perfringens (90 % der Fälle), Clostridium novyii, Clostridium septicum, Clostridium histolyticum)[3][4] kommen in der Natur überall (ubiquitär) vor. Sie sind obligat anaerobe grampositive Sporenbildner, die auch im menschlichen Darm zu finden sind, wo sie aber unter normalen Bedingungen nicht pathogen (krankheitserregend) sind.
Die Pathogenität ergibt sich erst mit dem Wechsel der Umweltbedingungen auf ein anaerobes Milieu (Sauerstoffmangel), wie es in zerstörtem Weichteilgewebe mit verringertem Sauerstoffpartialdruck existiert.
Meistens sind verletzungsbedingt stark verschmutzte, zerstörte und zerklüftete Gewebebereiche der Ort, an dem die Clostridien ihre Pathogenität erlangen, wo sich also aus Sporen Bakterien entwickeln, die sich dann vermehren.
Grundlegend ist der Sauerstoffmangel (Clostridien sind anaerobe Erreger). Begünstigend sind die Minderdurchblutung durch Weichteilquetschung, Gewebeuntergang (Nekrosen), Schock, Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus und bösartige Tumoren. Zusätzlich bringt die Verschmutzung der Wunde eine Infektion mit aeroben (sauerstoffverbrauchenden) Erregern mit sich, was den Sauerstoffmangel im infizierten Gewebe fördert und die Lebensbedingungen für die Clostridien verbessert.
Clostridien bilden außer CO2 verschiedene Exotoxine, die im umgebenden Gewebe eine Zellmembranzerstörung und Ödembildung bewirken und somit im Sinne eines Teufelskreises (Circulus vitiosus) weiteren Nährboden für den Erreger zur Verfügung stellen. Zusätzlich wirken Exotoxine von Clostridien auf weiße Blutkörperchen (Leukozyten) funktionshemmend bis abtötend. Sie fördern zudem den Verschluss kleiner Blutgefäße durch Thrombosen, was den Sauerstoffmangel im betroffenen Gewebe durch eine Durchblutungsstörung weiter verstärkt und das für die Clostridien optimale Wachstumsmilieu fördert.
Nach einer Inkubationszeit von 5 bis 48 Stunden fällt nach Operationen oder Weichteilverletzungen eine sich rasch ausbreitende Wundinfektion auf (Rötung, Hitze im Wundbereich), die extrem schmerzhaft ist.
In den meisten Fällen ist beim Betasten (Palpieren) der Wundumgebung ein auffälliges Knistern zu hören und zu fühlen: ein Hautemphysem durch CO2-Bildung (Hautkrepitation).
Aus Drainagen entleert sich oft ein blutig-schwärzliches, schaumiges, süßlich-faulig riechendes Sekret. Die befallene Muskulatur ist von grauroter Farbe und ähnelt gekochtem Rindfleisch.
Der Allgemeinzustand des Patienten ist gekennzeichnet durch ein rasch fortschreitendes septisches Krankheitsbild, mit Tachykardie, Verbrauchskoagulopathie (Blut-Gerinnungsstörung), Kreislaufstörung, Atemstörungen und hämolytischer Anämie durch die Zersetzung roter Blutkörperchen mittels Toxinen der Clostridien. Hinzu kommen akutes Nierenversagen und Leberfunktionsstörungen (Multiorganversagen).
Aufgrund des schnellen und tödlichen Verlaufs der unbehandelten Krankheit und der Notwendigkeit einer sofortigen, aber zugleich eingreifenden Therapie bis zur Amputation von Extremitäten muss die Diagnose unverzüglich und sicher gestellt werden. Für das klinische Bild eines Gasbrandes müssen alle drei folgenden Kriterien erfüllt sein:
Die Gasbildung im Gewebe erscheint im Röntgengebilde typischerweise als „gefiederte“ Muskulatur. Sind alle Kriterien erfüllt, so sollte als Nächstes die Infektionsursache ermittelt werden. Dabei muss ein exogener Gasbrand von einem endogenen unterschieden werden.
Ein exogener Gasbrand kann auftreten nach:
An einen endogenen Gasbrand muss gedacht werden bei:
Der klinische Verdacht muss bewiesen werden. Dieses geschieht entweder mit einem direkten Erregernachweis oder dem histologischen Nachweis charakteristischer Veränderungen in Gewebeproben von Muskeln. Für den direkten Erregernachweis kommen drei Methoden infrage:
Typische Merkmale einer Gasbrand-infizierten Muskulatur sind der schollige Zerfall, ein leukozytenarmes Ödem und Gaseinschlüsse.[6]
Die Therapie des Gasbrands steht auf vier Säulen:
Die Therapie muss bereits bei Verdacht beginnen.
Ziele des chirurgischen Eingriffs:
Aufgrund von Dramatik und Gefährlichkeit des Krankheitsverlaufs wird oft der Lebenserhaltung Vorrang vor dem kosmetischen und sogar dem funktionellen Ergebnis eingeräumt.
Die antibiotische Therapie muss eingeleitet werden, bevor das Ergebnis eines Antibiogramms bekannt ist. Aufgrund der zumeist vorliegenden Mischinfektion werden Kombinationen von hochdosierten Breitbandantibiotika und Antibiotika mit Wirksamkeit gegen Anaerobier eingesetzt. Eine Beispielkombination nach dieser Grundlage ist Penicillin G und Metronidazol.
Der Gasbrand ist eine Standardindikation für den Einsatz von Sauerstoff-Überdruckkammern.
Diese Therapie zielt darauf ab, durch extrem hohe Sauerstoffpartialdrücke in der umgebenden Atmosphäre mittels Diffusion den O2-Partialdruck im infizierten Gewebe zu erhöhen. So entzieht man dem obligat anaeroben Keim die Lebensgrundlage und erhofft sich mit dieser eleganten, aber logistisch anspruchsvollen Behandlung eine Rettung des Lebens und die Erhaltung von Extremitäten.
Ein Problem dabei ist der Zeitfaktor. Schwer Erkrankte sind kaum transportfähig und Überdruckkammern sind selbst unter Einschluss kooperierender militärischer Einrichtungen rar. Deutschlandweit existieren zwar 25 dieser Kammern, jedoch nur 4 verfügen über eine 24-Stunden-Intensivbereitschaft.[8][9] Initial bleibt häufig nur eine aggressive chirurgische Maßnahme.
Bedingt durch Wirkungen der Exotoxine des Erregers kommt es zum Multiorganversagen. Zur stabilisierenden Behandlung der Patienten werden häufig Beatmung, Therapie mit Katecholaminen und weitere intensivmedizinische Therapie- und Überwachungsmethoden nötig.
Nach dem Recht Sachsens besteht eine namentliche Meldepflicht bezüglich Erkrankung und Tod an Gasbrand.[10] Nach dem Recht Thüringens besteht eine nichtnamentliche Meldepflicht bezüglich Erkrankung und Tod an Gasbrand.[11]