Giovanni Baglione (sprich „dschiowanni baljone“) oder Baglioni (* 1566[1][2] in Rom; † 30. Dezember1643 ebenda) war ein italienischer Maler und Freskant zwischen Manierismus und Barock, der für die Nachwelt vor allem als Kunstschriftsteller bekannt ist. Er wurde auch il sordo del Barezzo (oder Barozzo) genannt,[1][3] was darauf hindeutet, dass er wohl schwerhörig oder sogar taub war.
Er war ein Sohn des Tommaso Baglione und von dessen Frau Tommasa Grampi. Laut Bagliones eigenen Angaben lernte er zunächst zwei Jahre bei dem unbekannten florentinischen Maler Francesco Morelli.[4]
1593 wurde Baglione in die Accademia di San Luca, die Künstlervereinigung Roms, aufgenommen, und in den etwa 50 Jahren bis zu seinem Tode wurde er dreimal zum Leiter (principe) dieser Institution gewählt.[2]
Um die Jahrhundertwende zeigte seine Malerei Tendenzen zu einem realistischeren Barock, wie bereits in dem 1598–99 gemalten Marienzyklus im Chor der römischen Kirche Santa Maria dell’Orto, für die er in den nächsten Jahrzehnten noch viele weitere Malereien schuf.[4] Im Jahr 1600 war er neben anderen Künstlern an der von Cavalier d’Arpino geleiteten Dekoration des Querschiffs von San Giovanni in Laterano beteiligt und malte dabei die beiden Bilder der Hl. Philippus und Konstantin schenkt Papst Silvestro goldene Vasen.[4]
Etwa um 1600 begann Baglione ziemlich plötzlich in seinen Ölgemälden einem anscheinend von Caravaggio beeinflussten naturalistischenTenebrismus zu huldigen und schuf im Zeitraum bis etwa 1603 in dieser Art einige Bilder, die zu seinen besten gezählt werden. Darunter sind die Heiligenbilder von Petrus und Paulus (1601) sowie vom Apostel Andreas (1603) in Santa Cecilia in Trastevere, sowie ein Hl. Franziskus in Ekstase (1601, einst in der Sammlung Borghese, heute in Privatbesitz).[4]
Ebenfalls zu dieser Phase gehört das für den Kardinal Giustiniani entstandene allegorische Bild Der himmlische Amor besiegt den irdischen Amor (1602), in dem der als großer Engel dargestellte himmlische „Amor“ eine Art Flammenpfeil auf den irdischen Amor abzielt. Das Bild soll als Gegenstück oder in einer Art Wettstreit zu Caravaggios Amor als Sieger (für den Bruder des Kardinals) entstanden sein[5][6][7] – Bagliones irdischer Amor hat auch eindeutig Ähnlichkeit mit einer Figur von Caravaggio – und zugleich zu einem nicht erhaltenen Erzengel Michael von Orazio Gentileschi.[8] Bagliones Gemälde wurde unter anderem von Gentileschi kritisiert, der meinte, dass der himmlische Amor zu erwachsen wirke und eigentlich auch nackt sein müsse – und tatsächlich malte Baglione eine zweite, leicht veränderte Version, die wahrscheinlich mit derjenigen im Palazzo Barberini identisch ist: Auf diesem Bild ist der himmlische Amor etwas zierlicher, weniger martialisch und leichter bekleidet.[9][10] Als Belohnung erhielt Baglione vom Kardinal Giustiniani eine goldene Kette.[8][11]
Nicht lange danach, im Jahr 1603, begannen in ganz Rom zwei Pamphlete zu zirkulieren, in denen Baglione und seine Malerei in teilweise vulgärer Sprache herabgewürdigt und zur Zielscheibe von Spott und Hohn wurde – was offenbar von Caravaggio und einigen anderen Malern angezettelt worden war.[12] In beiden Pamphleten wurde übrigens die goldene Kette erwähnt, die Baglione für seinen Himmlischen Amor vom Kardinal Giustiniani geschenkt bekommen hatte, und die er „unwürdigerweise“ tragen würde.[13] Baglione versuchte sich gegen die Demütigungen mithilfe eines Verleumdungsprozesses zu wehren, den er gegen Caravaggio, Orazio Gentileschi, Filippo Trisegni sowie den Architekten Onorio Longhi anstrengte.[4][2][14] Baglione selber vermutete als Grund für die Beleidigungskampagne, dass die anderen Maler ihn wegen seines Erfolges beneideten, besonders wegen seiner kurz zuvor für die Jesuiten gemalten Auferstehung Christi, die sich ursprünglich in Il Gesù befand,[8][2] aber später abgenommen wurde und heute verschollen ist;[4][15][16] wie das Bild aussah, ist also nicht bekannt, allerdings wurde ein unsigniertes (d. h. anonymes) Bozzetto im Louvre von einigen Autoren als Vorstudie für Bagliones verlorene Auferstehung gehalten[4] – das ist jedoch nicht sicher und wurde von anderen bestritten.[15]
Trotz dieser Krise war Bagliones Karriere damit noch lange nicht beendet und er malte in den folgenden Jahrzehnten noch zahlreiche Kirchenbilder für Rom, Viterbo, Spoleto, Perugia oder Loreto. Ein offizieller Höhepunkt seiner Laufbahn war dabei die Auferstehung der Tabita (1607) im Petersdom, für die er mit einer Erhebung zum Christusritter belohnt wurde. Auch dieses Bild ist verloren, aber grundsätzlich durch eine Kopie aus dem 18. Jahrhundert in Santa Maria degli Angeli bekannt.[4]
Für den Herzog von Mantua, Ferdinando Gonzaga, schuf Baglione von 1621 bis 1623 einen zehnteiligen dekorativen Gemäldezyklus (in Öl) mit Apollo und den neun Musen, wobei es ihm gelang, in einer Mischung aus tenebristischen und klassizistischen Stilelementen, und teilweise in origineller Weise, jeder Muse einen ganz eigenen Charakter zu verleihen. Dem Gonzaga gefielen diese Bilder so gut, dass er eine Replik des gesamten Zyklus bestellte, welchen er der französischen Königin Maria de’ Medici zum Geschenk machen wollte (heute: Musée des Beaux-Arts, Arras; im Depot des Louvre, Paris).[4]
Zu Bagliones letzten Werken gehören die Fresken der Kapelle des hl. Carlo Borromeo in Madonna dell’Orto (1641).[4]
Giovanni Baglione hatte zu Lebzeiten mit seinen Gemälden einigen Erfolg, heute wird er dagegen kaum beachtet. Zu den ganz großen italienischen Künstlern seiner Generation – wie Caravaggio, Guido Reni oder Orazio Gentileschi – wird man ihn sicher nicht zählen können. Doch sind eine gerechte Beurteilung seiner Werke und sein heutiger Ruf deutlich beeinträchtigt und gefärbt durch die persönliche und gegenseitige Abneigung, die er und der seit dem 20. Jahrhundert geradezu kultisch verehrte Caravaggio füreinander empfanden, sowie durch die extrem negativen Äußerungen, die jener während des Prozesses von 1603 über Baglione machte.
In seinen letzten Lebensjahren betätigte sich Giovanni Baglione auch als Schriftsteller und hat sich durch zwei Werke ein bleibendes Verdienst um die Kunstgeschichte erworben: Sein 1639 erschienenes und dem Kardinal Francesco Barberini gewidmetes Buch Le Nove chiese di Roma… ist eine Art Reiseführer durch die neun wichtigsten Kirchen Roms.[4]
Bagliones 1644 in Rom erschienene Vite de’ pittori, scultori, et architetti… ist eine Sammlung von Künstlerbiographien, mit denen er beabsichtigte, die Vite des Giorgio Vasari fortzusetzen. Sie sind ein bedeutendes Quellenwerk über Künstler, die zwischen 1572 und 1642 in Rom wirkten. Das Buch ist indes nicht ganz frei von subjektiven und manchmal negativen Urteilen, vornehmlich über Caravaggio, dem Baglione seine gehässige Kritik vor und während des Prozesses von 1603 nie verzeihen konnte.[4][2]
Giovanni Baglione: Le nove chiese di Roma, di Giovanni cavalier Baglione romano dell’habito di Christo. Nelle quali si contengono le historie pitture scolture, & architetture di esse, Andrea Fei, Rom 1639
Online im Internetarchiv (italienisch; Abruf am 14. November 2021)
Giovanni Baglione: Le vite de’pittori, et scvltori et architetti : dal pontificato di Gregorio XIII del 1572 in fino a’tempi di Papa Urbano Ottavo nel 1642, Andrea Fei, Rom, 1642.
Online im Internetarchiv (italienisch; Abruf am 14. November 2021)
Der hl. Ambrosius vertreibt die Arianer aus Mailand, 1641
Madonna mit Kind und Heiligen, 1641
Der hl. Carlo Borromeo bei den Pestkranken, 1641.
An anderen Orten:
Fresken: Tarquinius erwirbt die sibyllinischen Bücher, Allegorie der Geduld und die Bibliotek von Babylonien, 1589, Biblioteca Vaticana, Rom (unter Cesare Nebbia und Giovanni Guerra da Modena)
Carla Guglielmi: Intorno all'opera pittorica di Giovanni Baglioni. In: Bollettino d'arte. Nr. 39, 1954, ISSN0391-9854, S. 311–326.
Valentino Martinelli: L'Amor divino „tutto ignudo“ di Giovanni Baglione e la cronologia dell 'intermezzo caravaggesco. In: Arte antica e moderna. Nr. 5, 1959, ZDB-ID 400520-x, S. 82–96.
Italo Faldi: Il Cavalier Bernini, il Cavalier Baglione e il Cavalier Guidotti Borghese. In: Arte antica e moderna. Nr. 14, 1961, S. 297–299.
Stephen Pepper: Baglione, Vanni and Cardinal Sfondrato. In: Paragone. Nr. 211, 1967, S. 69–74.
Erich Schleier: Una pala d’altare inedita di Giovanni Baglione ed il suo studio preliminare. In: Arte illustrata. Nr. 41/42, 1971, ISSN0004-3435, S. 10–16.
Liliana Barroero: S. Maria dell'Orto. Istituto di Studi Romani, Rom 1976 (Le chiese di Roma illustrate 130 = NS 6, ZDB-ID 196104-4).
Renate Möller: Baglione, Giovanni. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker (AKL). Band 6, Saur, München u. a. 1992, ISBN 3-598-22746-9, S. 277–279.
Herwarth Röttgen: Caravaggio, der irdische Amor oder der Sieg der fleischlichen Liebe (Fischer-Taschenbücher. Kunststück 3966), Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-23966-4
Alberto Macchi: L'uomo Caravaggio. atto unico. AETAS, Rom 1995, ISBN 88-85172-19-9 (TraGos ).
Jane Turner (Hrsg.) The Dictionary of Art. Band 3: B to Biard. Grove, New York NY 1996, ISBN 1-884446-00-0, S. 53–55.
Stefania Macioce (Hrsg.): Giovanni Baglione (1566–1644). pittore e biografo di artisti. Lithos, Rom 2002, ISBN 88-86584-64-4 (I saggi 25).
Sonja Brink: In una maniera propria : die Zeichnungen des Giovanni Baglione aus der Sammlung der Kunstakademie im museum kunst palast Düsseldorf. Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2008
↑ abcHerwarth Röttgen: Caravaggio, der irdische Amor oder der Sieg der fleischlichen Liebe Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1992, S. 16 (Fischer-Taschenbücher. Kunststück 3966).
↑Herwarth Röttgen: Caravaggio, der irdische Amor oder der Sieg der fleischlichen Liebe Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1992, S. 16–22.
↑Zur späteren Geschichte der beiden Bilder siehe: Maria Anna Chiatti (Hrsg.): Giovanni Baglione, artista romano, in: Storia dell’Arte (italienisch; Abruf am 5. Februar 2022)
↑Il processo del 1603, Aussagen von Caravaggio und Pamphlete gegen Baglione, in: Archivio di Stato Roma (italienisch; Abruf am 14. November 2021)
↑„…che della collana che tu porti indegno sei…“ (Pamphlet 1), und „…la catena d’oro che al collo indegnamente porta…“. Il processo del 1603, Aussagen von Caravaggio und Pamphlete gegen Baglione, in: Archivio di Stato Roma (italienisch; Abruf am 14. November 2021)
↑Herwarth Röttgen: Caravaggio, der irdische Amor oder der Sieg der fleischlichen Liebe Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-23966-4, S. 16f. (Fischer-Taschenbücher. Kunststück 3966).