Giovanni Gabrieli wurde als eines von fünf Kindern in Venedig, der Hauptstadt der Republik Venedig, geboren. Der Vater war kurz vorher aus Karnien nach Venedig gekommen, über die Mutter ist nichts bekannt. Vermutlich war Giovanni der jüngste der Familie. Von seiner Kindheit ist kaum etwas überliefert, doch geht man davon aus, dass er 1557 entweder geboren oder bei seinem Onkel Andrea Gabrieli aufgenommen wurde. Der Onkel hatte sich 1556 für eine Stelle als zweiter Organist am Markusdom in Venedig beworben, konnte sich aber gegen Claudio Merulo nicht durchsetzen. Erst nach dessen Beförderung zum ersten Organisten 1557 bekam Andrea die Stelle des zweiten Organisten. Hauptamtlicher Kirchenmusiker am Markusdom war Adrian Willaert, unter dem Venedig inzwischen ein Zentrum europäischer Musikkultur geworden war. Die Tatsache, dass Andrea damals etwa 45 Jahre alt war, spricht dafür, dass er als Familienältester auch eine Sorgepflicht gegenüber der Familie seines Bruders hatte. Da Andrea den Beinamen „di Cannaregio“ hatte, ist zu vermuten, dass Onkel und Neffe in diesem Stadtteil Venedigs wohnten.[1]
Auf Kosten der Familie Fugger studierte Giovanni Gabrieli Musik beim berühmten Orlando di Lasso in München am Hof Herzog Albrechts V. von Bayern. Mit ihm studierte auch sein Freund Hans Leo Hassler, der später ein bedeutender deutscher Komponist wurde.
1580 kam Giovanni Gabrieli nach Venedig zurück und wurde dort am Markusdom unter seinem Onkel Andrea Gabrieli, der immer noch das Amt des Zweiten Organisten ausübte, Hilfsorganist. Mit dem Ziel einer späteren Festanstellung am Dom veröffentlichte er 1583 als Komponist seine erste Madrigalsammlung in Venedig De floridi virtuosi d’Italia il primo libro de madrigali a quinque voci, eine Art „Dissertation“, ohne die es an großen Kirchen keine Festanstellung gab.
Nach Claudio Merulos Kündigung 1585 wurde Andrea Gabrieli Hauptorganist und Giovanni Gabrieli zweiter Organist am Markusdom in Venedig. Nach dem Tod des Onkels ein Jahr später am 30. August 1586 übernahm Giovanni dessen Stelle als Hauptorganist auf Empfehlung der Familie Fugger. Ihr widmete er dafür später seine Komposition Sacre di Giove à 12 voce. Es erschienen die Concerti (1587), seine erste Sammlung von instrumentalen und vokalen Konzerten für 6–16 Stimmen in bis zu vier Chören. Wie üblich erschien sie in Stimmbüchern. Gabrieli ließ seine Concerti (1587) und später alle seine Werke bei Angelo Gardano, einem der renommiertesten Drucker Venedigs, verlegen.
Der Markusdom pflegt eine lange musikalische Tradition auf höchstem Niveau, und dank der künstlerischen Tätigkeiten am Dom avancierte Giovanni Gabrieli zu einem der bekanntesten Komponisten Europas. Die Mode, die mit seinem einflussreichen Sammelband Sacrae symphoniae (1597) begann, war so groß, dass Komponisten aus ganz Europa nach Venedig kamen, um bei ihm Musik zu studieren: Mogens Pedersøn (1580–1623), der 1599/1600 und erneut 1604 zu Gabrieli kam, und Christof Cornet sowie einige andere dänische Musiker trugen den Musikstil Gabrielis nach Dänemark. Enge Kontakte bestanden auch zum Landgraf Moritz von Hessen-Kassel: Dank dessen Stipendium kam Heinrich Schütz im Alter von 24 Jahren zu Gabrieli, um dort gewissermaßen ein Zweitstudium zu beginnen. Der Lehrer Gabrieli entwickelte zu ihm eine Freundschaft.
Gabrieli nutzte die im Markusdom gegebenen Räumlichkeiten mit den gegenüberliegenden Emporen, mit den beiden dort installierten Orgeln, indem er den Chor in zwei Abteilungen gliederte, die sowohl antiphonisch als auch simultan eingesetzt werden konnten. In der Tradition Willaerts pflegte er die Synthese von flämischen, französischen und italienischen Stilelementen: Die Venezianische Mehrchörigkeit war eng mit der Venezianischen Schule verknüpft. Zur gleichen Zeit wurde das Prinzip der Mehrchörigkeit weiter auf die Instrumentalmusik übertragen. Offensichtlich wies Giovanni Gabrieli seine Schüler an, auch das Madrigal zu studieren, damit sie nicht nur seine große Venezianische Mehrchörigkeit in ihre Heimatländer tragen konnten, sondern auch den intimeren Stil der Madrigale; Heinrich Schütz trug maßgeblich dazu bei, Gabrielis doppelschichtig „in der Musik gut gelegten Fundamente“ (wie Schütz auch in seiner Autobiografie schreibt) in den deutschsprachigen Raum zu transportieren; ein Trend, der die Musikgeschichte entscheidend prägte. „Die obere Schicht bilden das Neue: das ‚Barocke‘; dieses aber steht seinerzeit auf dem Fundament der altüberlieferten kontrapunktischen und motettischen Satzweise spätmittelalterlich-niederländischer Herkunft. Die obere Schicht des Fundaments bilden jene epochalen Neuerungen, die von Schütz uneingeschränkt übernommen wurden: das konzertierende Prinzip, die Einbeziehung instrumentaler Chöre und Stimmen in die Vokalkomposition, der solistische Gesang, der Generalbass und bei alledem das Streben nach musikalischem Ausdruck des Textes. Diese Neuerungen zielten darauf ab, die Musik ‚lebhaft und durchdringend‘, wirkungsvoller zu machen: voll von Wirkungen, die den Menschen angreifen und bewegen.“[2] Die Werke des deutschen Barocks, die in der Musik von J. S. Bach gipfelten, gründen auf dieser Tradition, die ihre Wurzeln in der Venezianischen Schule unter Giovanni Gabrieli haben.
Zwischen 1586 und 1597 übernahm Giovanni Gabrieli zusätzlich auch die Stelle des Organisten an der Scuola Grande di San Rocco, der angesehensten und reichsten aller venezianischen Bruderschaften und der zweitgrößte Kaderschmiede nach dem Markusdom. Ein Großteil der Musik Gabrielis wurde speziell für diesen Ort geschrieben,[3] obwohl Giovanni Gabrieli wahrscheinlich noch mehr für den Markusdom komponierte.
Giovanni Gabrieli starb am 12. August 1612 im Alter von 59 Jahren und wurde in der Chiesa di Santo Stefano in Venedig beerdigt.[4] Auf dem Sterbebett soll er Heinrich Schütz einen Ring vermacht haben, den Schütz später für das berühmte Rembrandt-Porträt am kleinen Finger der linken Hand trug.
Ein halbes Jahr später erst wurde Claudio Monteverdi Gabrielis Nachfolger am Markusdom in Venedig. Monteverdi und Schütz unterschieden sich grundsätzlich.[5] Heinrich Schütz kehrte 1613 in seine Wahlheimat Hessen-Kassel zurück und nahm dort im Alter von 28 Jahren hin, dass er trotz seiner avantgardistischen Venezianischen Schule und Berufserfahrung nur die Stelle des zweiten Organisten erhielt. Schütz legte später drei Bände mit mehrchörigen Motetten vor und nannte sie auf Gabrieli bezogen: Symphoniae Sacrae.
Gabrieli gilt als wichtige musikalische Persönlichkeit am Übergang von der Renaissance hin zum Barock. Seine Arbeiten machen bereits früh vom Basso continuo Gebrauch, und in der Sonata pian e forte finden sich einige der frühesten dynamischen Kennzeichnungen, d. h. Markierungen zum jeweiligen Einsatz von Lautstärke in der Musik. Namhafte Komponisten, z. B. Heinrich Schütz, waren Schüler Gabrielis. Von seinen Arbeiten erschienen die ersten in einer 1575 zu Venedig herausgekommenen Sammlung, weitere in der 1587 ebenfalls in Venedig von ihm veröffentlichten Sammlung von Gesängen seines Onkels Andrea Gabrieli.
Die wichtigsten von ihm verfassten Sammlungen sind:
Concerti di Andrea, et di Giovanni Gabrieli, organisti della Serenissima Signori di Venetia: Eine Sammlung an 77 Werken von Andrea Gabrieli und folgenden mehrstimmigen Motetten seines Neffen Giovanni Gabrieli.[8][9]
Nr. 09 Inclina Domine aurem für 6-stimmig gemischten Chor
Nr. 19 Ego dixi Domine für 7-stimmig gemischten Chor
Nr. 33 O magnum mysterium für 8-stimmig gemischten Chor
Nr. 37 Deus meus ad te de luce für 10-stimmig gemischten Chor
Nr. 40 Angelus ad pastores ait für 12-stimmig gemischten Chor
Nr. 77 Sacri di Giove augei für 12-stimmig gemischten Chor
Eine Gruppe an 17 Canzoni und 4 Sonaten, erst nach dem Tod herausgegeben. Er lädt hier ein „per sonar con ogni sorte de instrumenti con il basso per l’organo“ (auf allen Instrumentenarten mit dem Orgelbass begleitbar).[13]
LP Gabrieli. Venezianische Chormusik des 16. Jahrhunderts. Originalgetreu ist diese Aufnahme im Markusdom entstanden. E. Power Biggs (Orgel), The Gregg Smith Singers, The Texas Boys Choir, The Edward Tarr Brass Ensemble, Gabrieli Consort „La Fenice“, Vittorio Negri (Leitung). Gesamtspielzeit: 72'11. Sony Music Entertainment, 1969/71
CD Giovanni Gabrieli. Canzoni & Sonate. Consort Fontegara, Rene Clemencic (Leitung). Tactus, DDD, 1996
CD Giovanni Gabrieli. Symphoniae Sacrae (1597). 16 Canzonen & Sonaten. His Majesty’s Sagbutts & Cornetts, Timothy Roberts (Leitung). Hyperion, DDD, 1997
CD Gabrieli. Sonate e canzoni. Per concertar con l’organo. Jansen, Tamminga, Concerto Palatino, Dickey, Toet. harmonia mundi, DDD, 1998
CD Gabrieli. In Festo sanctissimae Trinitatis. Choeur de Chambre de Namur, Ensemble La Fenice, Jean Tubery. Ricercar, DDD, 1998
Super Audio Hybrid-CD Giovanni Gabrieli. Music for San Rocco. Gabrieli Consort & Players, Paul McCreesh. Archiv Produktion (Universal Music), 2004.
CD Giovanni Gabrieli. Christmas in Venice. Musica Fiata, La Capella Ducale, Roland Wilson (Leitung). DHM, DDD, 2011
CD Giovanni Gabrieli. Canzoni Canzone, Toccaten, Ricercare, Motetten. B. Dickey & D. Sherwin (Zink),L. Tamminga (Orgel), San Petronio Bologna. Passacaille, DDD, 2012
CD Giovanni Gabrieli. Symphoniae Sacrae. Oltremontano, Gesualdo Consort Amsterdam, Wim Becu. Accent, DDD, 2012
CD Gabrieli Sacred Symphonies. His Majestys Sagbutts and Cornets, Ex Cathedra, Concerto Palatino, Jeffrey Skidmore. Hyperion, DDD, 2012
CD Giovanni Gabrieli. La Musica per San Rocco. Melodi Cantores, La Pifarescha, Elena Sartori. Arts, DDD, 2012
CD Giovanni Gabrieli: Berliner Dom - Musik für Blechbläser & Orgel. Andreas Sieling (Sauer-Orgel & Orgel der „Tauf- und Traukirche“ des Berliner Doms), Berlin Brass, Lucas Vis. Pentatone, DDD, 2013
Denis Arnold: Giovanni Gabrieli and the Music of the Venetian High Renaissance. Oxford University Press, London u. a. 1979, ISBN 0-19-315232-0
Richard Charteris: Giovanni Gabrieli (ca. 1555–1612). A Thematic Catalogue of his Music with a Guide to the Source Materials and Translations of his Vocal Texts (= Thematic Catalogues. Vol. 20). Pendragon Press, Stuyvesant NY 1996, ISBN 0-945193-66-1.
Holger Eichhorn: Gabrieli Tedescho. Rezeption und Überlieferung des Spätwerks von Giovanni Gabrieli in deutschen Quellen des 17. Jahrhunderts. 328 S., Reinhold-Verlag 2006, ISBN 978-3930550463
Stefan Kunze: Die Instrumentalmusik Giovanni Gabrielis (= Münchner Veröffentlichungen zur Musikgeschichte. Bd. 8, 1–2, ZDB-ID 511426-3). 2 Bände. Mit einem Notenanhang z. T. erstmals veröffentlichter Instrumentalkompositionen G. Gabrielis und seiner Zeitgenossen. Schneider, Tutzing 1963 (Teilw. zugleich: München, Univ., Diss., 1960/61: Die Kanzonen und Sonaten G. Gabrielis.).
Siegfried Schmalzriedt: Heinrich Schütz und andere zeitgenössische Musiker in der Lehre Giovanni Gabrielis. Studien zu ihren Madrigalen (= Tübinger Beiträge zur Musikwissenschaft. Bd. 1, ZDB-ID 184213-4 = Hänssler-Edition 24101). Hänssler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart 1972 (Zugleich: Tübingen, Univ., Diss., 1969).
Roselore Wiesenthal: Giovanni Gabrieli. Ein Beitrag zur Geschichte der Motette. Jena 1954 (Jena, Univ., Diss., 1954).
C. von Winterfeld: Johannes Gabrieli und sein Zeitalter. Zur Geschichte der Blüthe heiligen Gesanges im sechzehnten, und der ersten Entwickelung der Hauptformen unserer heutigen Tonkunst in diesem und dem folgenden Jahrhunderte, zumal in der Venedischen Tonschule. Band 1: Johannes Gabrieli und seine Zeit- und Kunstgenossen während des sechzehnten Jahrhunderts. Schlesinger, Berlin 1834, online (PDF; 15,3 MB).