Grönlandhai | ||||||||||||
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![]() Grönlandhai (Somniosus microcephalus) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Somniosus microcephalus | ||||||||||||
(Bloch & Schneider, 1801) |
Der Grönlandhai oder Eishai (Somniosus microcephalus) ist ein Hai aus der Ordnung der Dornhaiartigen (Squaliformes). Bislang ist wenig über die Art bekannt. Untersuchungen aus dem Jahr 2016 ergaben, dass Grönlandhaie ca. 500 Jahre alt werden können und somit von allen bekannten Wirbeltierarten das höchste Alter erreichen.[1]
Der Grönlandhai wird durchschnittlich 4 bis 5 Meter lang, größere Exemplare können jedoch fast 8 Meter Länge erreichen und bis zu 2,5 Tonnen wiegen. Sein Körper ist torpedoförmig, seine Färbung graubraun bis olivgrün. Die Flossen sind relativ klein, sie haben keine Dornen, und die Schwanzflosse ist asymmetrisch.
Der Grönlandhai hält sich meistens in kalten Gebieten auf. Das Verbreitungsgebiet dieser Art sind die arktischen Gewässer des Nordatlantiks. Gelegentlich wird er auch weiter südlich, bis in die Biskaya, angetroffen. Dieser Hai kann bis zu 2000 Meter tief tauchen.[2] Im Jahr 1995 filmte ein unbemanntes U-Boot bei dem Wrack der Central America vor der Küste South Carolinas einen 6 Meter langen Grönlandhai in 2200 Metern Tiefe – mehr als 1000 Meter unter der bis dahin beobachteten Tauchtiefe. Es war die bis dahin südlichste Sichtung eines Grönlandhais.[3] Im Jahr 2022 wurde ein Grönlandhai bei einer Expedition am Belize-Barrier Reef an der Südküste des mittelamerikanischen Staats zufällig gefangen. Obwohl die genaue Art nicht bestätigt werden konnte, handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Grönlandhai oder eine Kreuzung zwischen dem Grönlandhai und dem Pazifischen Schlafhai (Somniosus pacificus).[4] Zwar gelang es nicht, eine DNA-Probe des Hais zu nehmen, mit der seine Artzugehörigkeit genau hätte bestimmt werden können, doch aufgrund von Fotos gehen führende Hai-Experten davon aus, dass es sich bei dem Tier höchstwahrscheinlich um einen Grönlandhai gehandelt hat.[5]
Der Grönlandhai ist noch wenig erforscht. Über seine Gefährdung ist nichts bekannt, da aber die Tiere immer wieder Fischern ungewollt ins Netz gehen, können sie durchaus als gefährdet gelten.[6] Eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe um Nigel E. Hussey (2014)[7] untersuchte diese Haie in der Baffin Bay. Man hat ein Exemplar mit einem Sender versehen, um seine Wanderwege und Tauchtiefen zu dokumentieren.
Von der früheren Forschung wurde angenommen, dass der Hai ausschließlich in der direkten Nähe des Meeresgrundes in Tiefen von mehreren hundert Metern lebe und diesen träge schwimmend nach Nahrung (vor allem herabsinkendes Aas) absuche.
Neueren Erkenntnissen zufolge scheint er sich jedoch hauptsächlich von Robben und Fischen zu ernähren und diese sowohl in großen als auch in geringen Tiefen aktiv zu jagen.[8] Diese Untersuchungen beinhalten Langzeitpositionsbestimmungen der Grönlandhaie unter Einsatz von Peilsendern. Es wird vermutet, dass der Grönlandhai trotz seiner langsamen Fortbewegung Robben erbeuten kann, da er sie angreift, während sie schlafen.[9] Der Fund eines Kieferknochens eines (noch nicht völlig ausgewachsenen) Eisbären im Magen eines Grönlandhais lässt zumindest vermuten, dass dieser Hai in der Lage ist, auch noch größere Beutetiere zu überwältigen.[10]
Auf den Augen dieser Haiart sitzen oftmals die Ruderfußkrebse Ommatokoita elongata.[11] Es ist nicht bekannt, ob sie dem Hai schaden oder nützen. Für beide Möglichkeiten gibt es Erklärungsversuche: Eine Theorie besagt, dass sie die Augen paralysieren, die Haie durch sie sogar erblinden. Eine andere Theorie geht davon aus, dass die Ruderfußkrebse lumineszieren, die Aufmerksamkeit anderer Tiere erregen und den Haien damit Nahrung „ködern“.
Der Grönlandhai ist ovovivipar (‚ei-lebend-gebärend‘), das heißt, die Jungtiere schlüpfen noch im Mutterleib aus den Eiern und werden anschließend geboren.[12][13] Dabei haben die Eier einen Durchmesser von 5–7 cm.[13] Neugeborene Grönlandhaie haben eine Länge von ungefähr 40 cm.[12][13] Die Datenlage zu neugeborenen Grönlandhaien ist sehr spärlich, neuere Befunde legen nahe, dass ein schwangeres Muttertier über 200 Nachkommen austrägt,[12][13] ältere Beobachtungen ließen auf eher zehn Junge pro Schwangerschaft schließen.[14] Der Zeitpunkt der Geschlechtsreife wurde auf mindestens 150 Jahre taxiert. Zu diesem Zeitpunkt haben die Haie eine Länge von etwa 4 Metern erreicht.[1]
Über die ersten Lebensjahre der Jungtiere ist sehr wenig bekannt. Die seltenen Sichtungen und Funde, die es gibt, häuften sich laut Grönlandhaiforscher Julius Nielsen rund um den Mittelatlantischen Rücken, und nicht in der Arktis, welche als Lebensraum der adulten Tiere gilt.[13]
Aufgrund ihres sehr langsamen Wachstums und der trotzdem erreichbaren erheblichen Größe war schon länger vermutet worden, dass Grönlandhaie ein sehr hohes Alter erreichen können. Die durchschnittliche Wachstumsgeschwindigkeit ist anfänglich maximal und nimmt mit der Zeit ab. In der zweiten Hälfte der natürlichen Lebensspanne liegt die Wachstumsgeschwindigkeit bei deutlich unter 1 cm Körperlänge jährlich.
Eine genauere Altersbestimmung wurde im Jahr 2016 von einem federführend an der Universität Kopenhagen angesiedelten Forscherteam publiziert.[1] Die Forscher analysierten mittels Radiokarbonanalyse die Augenlinsen von 28 weiblichen Grönlandhaien von 81 bis 502 cm Länge, die in den Jahren 2010–2013 gefangen wurden. Die Augenlinse wurde genommen, weil der Kern der Augenlinse schon im Embryonalstadium gebildet wird und sich aus kristallinen Proteinen zusammensetzt, die nach der Embryonalphase keinem Stoffwechsel mehr unterliegen, d. h. nicht mehr neu gebildet werden. Der Kern der Augenlinse bildet deswegen eine Art biologischer „Zeitkapsel“ vom Zeitpunkt der Geburt. Von den 28 analysierten Grönlandhaien fanden sich nur bei den zwei kleinsten Exemplaren Spuren der atmosphärischen Nukleartests aus den 1950er Jahren, die den 14C-Gehalt der gesamten Biosphäre deutlich erhöhten und als Kernwaffen-Effekt oder sogenannter „Bomben-Puls“ bei der Radiokarbondatierung nachweisbar sind. Die meisten der untersuchten Haie mussten demnach vor den frühen 1960er Jahren geboren worden, d. h. mindestens etwa 50 bis 60 Jahre alt sein. Aufgrund dieser Datierung konnte einem 220 cm langen Exemplar ein Alter von etwa 50 Jahren zugeordnet werden. Bei dem größten untersuchten Exemplar von 5,02 Meter Länge wurde ein Alter von 392±120 Jahren geschätzt.[15] Der Grönlandhai ist damit das Wirbeltier mit der längsten bekannten Lebensspanne. Das bisher älteste Exemplar war ein 5,4 Meter großes Weibchen, das auf 512 Jahre geschätzt wurde.[16]
Die Lebensspanne übertrifft die des ebenfalls sehr langlebigen Grönlandwals (dokumentiert etwas über 200 Jahre),[17] des Schwertwals (über 100 Jahre) und des Kaiserbarschs (Hoplostethus atlanticus, geschätzt etwa 150 Jahre).[18] In diesem Aspekt übertroffen wird der Grönlandhai in der Tierwelt unter anderem durch die Islandmuschel (gemessen 507 Jahre)[19] und den antarktischen Riesenschwamm Anoxycalyx joubini (angenommen über 10.000 Jahre).[18]
Vermutete Fressfeinde des Grönlandhais sind Pottwale und Orcas. Von letzteren nimmt man an, dass sie dem Pazifischen Schlafhai, einem nahen Verwandten des Grönlandhais, gefährlich werden können.[20]
Der Grönlandhai wird als eigenständige Art in die Gattung Somniosus innerhalb der Schlafhaie (Somniosidae) eingeordnet, die neben ihm fünf weitere Arten beinhaltet. Die wissenschaftliche Erstbeschreibung stammt von Marcus Élieser Bloch und Johann Gottlob Theaenus Schneider aus dem Jahr 1801 in der von Bloch erarbeiteten und von Schneider überarbeiteten und nach dem Tod von Bloch veröffentlichten Systema Ichthyologiae iconibus ex illustratum.
Angriffe auf Menschen durch Grönlandhaie sind nicht bekannt. Grönlandhaie galten zum Zeitpunkt ihrer Namensgebung als träge – der lateinische Name Somniosus bedeutet „der Schlaftrunkene“. Die Inuit berichten, dass diese Haiart in der Lage ist, ein Kajak anzugreifen. Von seiner Größe her wäre der Eishai durchaus in der Lage, dem Menschen gefährlich zu werden. Nur kommt es in den polaren Gewässern mit ihren extremen Wassertemperaturen äußerst selten zu Begegnungen zwischen Grönlandhai und Mensch. Laut einem Bericht wurde 1859 um Pond Inlet ein Grönlandhai gefangen, der ein halb verdautes menschliches Bein im Magen gehabt haben soll; dies wurde jedoch nie wissenschaftlich untersucht oder bewiesen.[21]
Das Fleisch des Grönlandhais kann nicht ohne spezielle Zubereitung gegessen werden. Es enthält Trimethylaminoxid, das bei der Verdauung zu Trimethylamin abgebaut wird und die Gesundheit gefährden kann. Forscher warnen davor, den Grönlandhai zu befischen bzw. unkritisch in Kauf zu nehmen, dass er als Beifang in arktischen Gewässern gefangen wird, solange keine genauen Daten über die Verbreitung existieren. Ein Lebewesen mit einer derartig langen Lebensspanne habe mutmaßlich auch eine extrem geringe Reproduktionsrate.[1]
Für die Sportfischerei ist er nur wenig interessant, gefangene Tiere werden in der Regel markiert und zurückgesetzt. Man kann nur seine große Leber, die Haut und die Flossen verwerten. In Grönland und Island wird sein getrocknetes Fleisch als Hundefutter benutzt; außerdem gilt das fermentierte Fleisch (Hákarl) unter isländischen Feinschmeckern als besondere, streng schmeckende Delikatesse.
Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) führt die Art in ihrer Roten Liste gefährdeter Arten als Art der Vorwarnliste als „potenziell gefährdet“ (NT – Near Threatened). Diese Art gilt als ein extrem langlebiger und langsam wachsender Hai mit begrenzter Fortpflanzungsfähigkeit.[22]
In den 1910er Jahren wurden allein in Grönland etwa 32.000 Haie pro Jahr gefangen. Diese Fischerei mag einen erheblichen Einfluss auf diese Art gehabt haben, aber die Rate des historischen Rückgangs ist unbekannt. Gegenwärtig wird der Grönlandhai als Beifang in der Schleppnetz-, Kiemennetz- und Reusenfischerei sowie in der privaten Fischerei in der Arktis gefangen. Die Populationsdynamik und -biologie der Art sind nur begrenzt verstanden. Dieser Hai wird auf der Grundlage möglicher Populationsrückgänge als mutmaßlich gefährdet eingestuft. Es besteht jedoch die Notwendigkeit, historische Daten zu untersuchen und die aktuellen Beifangmengen zu überwachen.[22]