Das Grabenwahlsystem ist ein Wahlsystem, bei dem mehrere Wahlverfahren nebeneinander und ohne Verrechnung miteinander angewandt werden (Parallelwahl ohne Ausgleich, daher im Englischen parallel voting genannt). Meistens wird beim Grabenwahlsystem ein Teil der Sitze per Mehrheitswahl in Einpersonenwahlkreisen vergeben und der andere nach dem Prinzip des Verhältniswahlrechts. Dabei müssen nicht notwendigerweise zwei Stimmen abgegeben werden, entscheidend ist lediglich, dass es zwei völlig getrennte Sitzzuteilungsverfahren gibt, wo die endgültige Anzahl der Sitze nicht proportional zu Stimmen ist.
Der Begriff kommt daher, dass beim Grabenwahlsystem (anders als beim heutigen deutschen Wahlsystem) die Direktmandate nicht auf die Listenmandate angerechnet werden.[1] Zwischen beiden Arten, ins Parlament zu kommen, besteht so gesehen ein Graben.
1956 legte die CDU/CSU unter Bundeskanzler Adenauer einen Gesetzentwurf zu einem Grabenwahlsystem vor, das ihren damaligen Koalitionspartner FDP viele Mandate gekostet hätte. Die FDP im nordrhein-westfälischen Landtag wechselte daher „aus Notwehr“ aus der Koalition mit der CDU zur SPD, womit Adenauer seine Bundesratsmehrheit verlor. Der Vorgang führte zu einer Spaltung der FDP und ihrem Austritt aus der Regierung Adenauer sowie der Gründung der Freien Volkspartei. Langfristig führte die prinzipielle Koalitionsmöglichkeit mit der SPD zur ersten sozialliberalen Bundesregierung 1969.[2][3]
Im Frühjahr 2019 schlug der CDU-Politiker Günter Krings ein Grabenwahlsystem vor, um einen immer größer werdenden Deutschen Bundestag zu vermeiden. Ende 2019 griffen 24 Mitglieder des Bundestages der CDU/CSU-Fraktion die Idee erneut auf. Die anderen Parteien wiesen den Vorschlag zurück. FDP-Chef Christian Lindner erinnerte daran, dass schon Adenauer mit der Idee gescheitert sei.[4]
Ein Grabenwahl- und ein Mehrheitswahlsystem hätten bei der Bundestagswahl 2021 voraussichtlich zu einer Sitzverteilung mit einem höheren Anteil für die großen Parteien (Duvergers Gesetz) im Vergleich zur personalisierten Verhältniswahl geführt. Die Sitzverteilung würde stärker vom Anteil der Parteien an den abgegebenen Stimmen abweichen. Dem steht eine kleinere Parteienvielfalt und geringere Zersplitterung des Parlaments entgegen. Wie bei der Fünf-Prozent-Hürde würde eine gewisse Abweichung der Mandatsverteilung zur Stimmenverteilung in Kauf genommen, um die Fähigkeit zur Regierungsbildung und -führung zu erleichtern.[5] Die Wahlgleichheit kann mit dem Gallagher-Index gemessen werden.
Das System findet in einer Reihe von Ländern Anwendung (wo nicht anders vermerkt in einer Kombination aus Mehrheitswahl in Einpersonenwahlkreisen und Verhältniswahl).