Gregor Schneider (* 5. April 1969 in Rheydt) ist ein deutscher Künstler, dessen Arbeitsschwerpunkt gebaute Räume sind. Für sein bislang bekanntestes Werk Totes Haus u r, für den deutschen Pavillon, wurde er im Jahre 2001 mit dem Goldenen Löwen der Biennale ausgezeichnet.
Schneider studierte von 1989 bis 1992 an der Kunstakademie Düsseldorf und an der Kunstakademie Münster sowie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Es folgten von 1999 bis 2003 verschiedene Gastprofessuren und Lehrtätigkeiten an den De Ateliers in Amsterdam, der Hochschule für bildende Künste Hamburg und an der Königlich Dänischen Kunstakademie, Kopenhagen. Gregor Schneider lehrte als Professor für Bildhauerei an der Universität der Künste Berlin (2009 bis 2012) und der Akademie der Bildenden Künste München (2012 bis 2016). 2016 wurde er als Nachfolger von Tony Cragg auf einen Lehrstuhl für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf berufen. Seine Professur trat Schneider zum Sommersemester 2016 an.[1]
2015 wurde Gregor Schneider in die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste gewählt. Im Mai 2018 wurde Schneider als neues Mitglied in die Sektion Bildende Kunst der Berliner Akademie der Künste gewählt.[2]
Mit sechzehn Jahren stellte er in einer Einzelausstellung unter dem Titel Pubertäre Verstimmung in der Galerie Kontrast in Mönchengladbach aus. Seit Anfang der 1990er Jahre arbeitete er mit Räumen in Galerien und Museen, die er als dreidimensionale, begehbare Skulpturen begreift, welche die vorhandenen Galerie- oder Museumsräume zum Verschwinden bringen; die Vorlagen findet er in allen Bereichen eines Wohnhauses. Im Jahre 1985 hatte er begonnen, in einem Mehrfamilienhaus in Rheydt Räume aus- und umzubauen, das er im Folgenden als „Haus u r“ betitelte.
Das Haus in der Unterheydener Straße in Mönchengladbach-Rheydt – das „u r“ steht für Unterheydener Straße und Rheydt[4] – wurde von Schneider fortlaufend seit 1985 in einer aufwändigen Form bearbeitet. Gregor Schneider vervielfältigte die vorhandenen Räume, indem er komplette Räume bestehend aus Wänden, Decke und Boden hineinbaute. Diese gedoppelten Räume waren den Besuchern nicht mehr als Raum im Raum erkennbar. Zusätzlich setzte er Motoren ein, um Decken oder ganze Räume in eine nicht mehr wahrnehmbare langsame Bewegung zu versetzen. Durch die Form der Einbauten entstanden Hohl- und Zwischenräume. Einige Räume wurden, da nunmehr hinter Wänden, nicht mehr zugänglich, andere mit Beton, Blei, Glaswolle oder schallschluckenden Dämmstoffen isoliert. Mit Hilfe von außen angebrachter Lampen wurden Tageszeiten simuliert. Die Räume wurden fortlaufend nummeriert (u r1 -), um sie zu unterscheiden. Vorlage für die Nachbauten waren zu Anfang alle Bereiche eines Hauses: ein Schlafzimmer, ein Kaffeezimmer, eine Abstellkammer, eine Küche, ein Flur, ein Keller. In dem Haus u r waren seit Mitte der 1980er Besucher, die von beängstigenden Erlebnissen berichteten.[5]
2001 gewann Gregor Schneider mit der Einzelausstellung Totes Haus u r Venedig 2001 den „Goldenen Löwen“ der 49. Biennale in Venedig. Udo Kittelmann, seinerzeit Direktor des Kölnischen Kunstvereins, hatte den Künstler zu einer Einzelausstellung in den deutschen Pavillon eingeladen. Hier errichtete Schneider in einer Bauzeit von über drei Monaten ein Totes Haus u r, für das er insgesamt 24 Räume in 100 Packstücken mit einem Gesamtgewicht von 150 Tonnen von Rheydt per Schiff nach Venedig transportieren ließ; als totes Haus u r bezeichnet Schneider die Räume, die aus dem Haus u r für einen anderen Ort ausgebaut oder an einem anderen Ort rekonstruiert wurden.
Schneider baute die Räume im Inneren des deutschen Pavillons zu einem ähnlich doppelwandigen und doppelbödigen Haus im Haus wieder auf wie in Rheydt. Dem Gründerzeit-Eingang des Pavillons mit seinem Säulenportikus verpasste er einen Hauseingang mit Briefkastenschlitzen und bejahrten Klingelschildern an der Seite. Fenster im Innern ließen sich nicht nach außen öffnen. „Man baut, was man nicht mehr kennen kann“, kommentierte Gregor Schneider seine Installation.[6] Das Werk wurde im Rahmen der Biennale auch als subtile politische Aussage gedeutet, da der deutsche Pavillonbau aus dem Jahre 1909 gelegentlich als das „Martialischste“ angesehen wurde, „was auf dem Gelände der Giardini“ zu finden sei.[7]
2003 wurde das Tote Haus u r für ein Jahr im Museum of Contemporary Art Los Angeles (MOCA) aufgebaut.
Gregor Schneider wurde offiziell eingeladen, zur Biennale 2005 auf dem Markusplatz in Venedig den CUBE VENICE 2005 zu realisieren. Kurz vor der Eröffnung wurde diese Skulptur auf dem Markusplatz aufgrund der „politischen Natur“, nach einer Entscheidung in Rom, verboten. CUBE VENICE 2005 sollte eine in Form, Funktion und Aussehen eigenständige Skulptur werden, von der Kaaba in Mekka inspiriert, von dem heiligsten Ort des Islam, zu dem jährlich Millionen Gläubige pilgern. Kaaba heißt übersetzt „würfelförmiges Bauwerk“. Das in den Medien international kontrovers diskutierte Kunstwerk wurde in der Folge auch auf dem Vorplatz des Hamburger Bahnhofs und einem Museum für zeitgenössische Kunst in Berlin kurz vor der Realisierung verboten.
Letztlich realisierte Schneider sein Werk CUBE HAMBURG 2007 zwischen Alt- und Neubau der Hamburger Kunsthalle. In einer Ausstellung mit dem Titel „Das schwarze Quadrat – Hommage an Malewitsch“ wurden von März bis Juli 2007 unter der künstlerischen Leitung des Kurators Hubertus Gaßner, Direktor der Hamburger Kunsthalle, unterschiedliche Aspekte eines Gemäldes von Kasimir Malewitsch (1878–1935) beleuchtet. Um die verschiedenen Aspekte des „Schwarzen Quadrats“ zu vermitteln, waren – neben zahlreichen Werken von Malewitsch selbst – auch dessen Zeitgenossen, Schüler wie auch Kritiker, mit Arbeiten in der Ausstellung vertreten.
Der CUBE HAMBURG 2007 wurde als interreligiöse Plattform genutzt. Ahmet Yazici, stellvertretender Vorsitzender des Bündnisses der islamischen Gemeinden in Norddeutschland, gratulierte dem Künstler „zu seinem völkerverständigenden Projekt“. Yazici versicherte: „Glauben Sie mir, es gibt keine muslimische Gemeinde, die etwas dagegen hätte.“[8] Der Islam verbiete nicht die Nachahmung oder Abbildung der Kaaba in Mekka.
Gregor Schneider selbst sagte über die Entstehungsidee des Kubus: „Es ist nicht meine Idee, sondern Idee eines gläubigen Moslems. Er hat die Verbindung gesehen zur Kaaba, zu diesem Bauwerk, das für mich eines der faszinierendsten und schönsten Bauwerke der Menschheit ist.“ Im Anschluss daran äußerte sich Schneider über das Werk: „Die Skulptur verlangt allen Beteiligten einiges ab (…) Die Kiste führt uns alle vor, zwingt mich dazu, gegen falsche Berichterstattung vorzugehen und die Öffentlichkeit zu suchen, was ich früher nicht machen musste. Es fordert Muslime, die diese Form der Annäherung noch nicht kannten, und es zeigt Besuchern aus der westlichen Welt, was sie noch nie gesehen haben. In der Geschichte des Islams ist Abraham/Ibrahim der Erbauer der Kaaba. Mit dem Bauwerk können sich sehr wohl alle drei monotheistischen Religionen identifizieren.“[9]
Eine aus 21 identischen Zellen bestehende und 400 Quadratmeter große begehbare Installation entstand an dem berühmtesten Strand der australischen Ostküste, dem Bondi Beach, unter dem gleichnamigen Titel „Bondi Beach, 21 beach cells“.[10] Das auf den Ausstellungsort abgestimmte Kunstwerk hinterfragt „das Ideal einer zwanglosen, egalitären Freizeitgesellschaft“ dort „wo sonst Strandvolleyballer und Rucksacktouristen, Marathonschwimmer und Hochzeitspaare das Bild bestimmen“.[11]
Vom 8. November 2008 bis zum 6. September 2009 war Gregor Schneiders 14 Meter hohe schwarze Außenskulptur „END“ für das Publikum begehbar. Der Künstler baute „END“ vor dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach. Die Skulptur war mit dem Museum verbunden und konnte als zusätzlicher Eingang für die Museumsräume benutzt werden. Vor einem Gang durch „END“ musste der Besucher eine Erklärung unterschreiben, dass er für sich abgewogen hat, „ob steile Leitern, enge und/oder völlig verdunkelte Räume ein körperliches oder psychisches Hindernis“ für ihn darstellen. Danach konnte er durch eine schwarze Öffnung das Raumensemble „END“ über eine Leiter betreten. An den meisten Stellen des Raumes sorgte völlige Dunkelheit für einen Verlust des Raum- und Ortsgefühles. Die einzige Orientierung boten Wände, um den Gang abzutasten. Integriert in „END“ waren vier Räume aus dem „Haus u r“.
Im Frühjahr 2008 entfachte Schneider in der Presse eine Kontroverse um die von ihm formulierte Idee: „Ich möchte eine Person zeigen, welche eines natürlichen Todes stirbt oder gerade eines natürlichen Todes gestorben ist. Dabei ist mein Ziel, die Schönheit des Todes zu zeigen.“ (autorisiertes Zitat von Gregor Schneider).[12] Im April 2008 wurde der Künstler in The Art Newspaper mit den Worten zitiert: „I want to display a person dying naturally in peace or somebody who has just died“ sowie: „My aim is to show the beauty of death“. Deutsche Zeitungen titelten daraufhin mit: „Künstler will Menschen sterben lassen“.[13] Stimmen von Politikern der CDU, FDP und der Grünen wurden laut, die Schneider „Missbrauch künstlerischer Freiheit“ vorwarfen und seine Pläne als „Versuch einer Provokation“ und als „unausgegorene Idee“ bezeichneten. In den Internet-Foren mehrerer Zeitungen wurden Gewalt verherrlichende Kommentare veröffentlicht. Am Telefon und per E-Mail erhielt Schneider Morddrohungen. „Es gibt absurde Todesdrohungen mir gegenüber“, sagte Schneider im Interview mit der Westdeutschen Zeitung. The Guardian titelte am 26. April 2008: „There is nothing perverse about a dying person in an art gallery“.
Schneider beschreibt ausführlich den gebauten Kunstraum. Diesen Raum möchte er einem Sterbenden oder einem Toten in einem Museum als Angebot zur Verfügung stellen. Dies mit dem jeweiligen Einverständnis der beteiligten Person, der Verwandtschaft und der nötigen Begleitung. Mit diesem öffentlichen Sterberaum wolle er den Tod aus dem gesellschaftlichen Tabu führen und ihn, ähnlich der Geburt eines Menschen, zu einem positiven Erlebnis werden lassen.
Im Januar 2021 installierte er während der COVID-19-Pandemie im Staatstheater Darmstadt einen Denkraum über den Tod, ein Sterbezimmer ohne Körper. Ausgestellt waren Kirschholzfurniere, Fischgrätenparkett und Marmorplatten über der Heizung. Mit dieser Ästhetik von Abschied wollte Schneider zu einer lebhaften Diskussion über den Tod und einem ehrlichen Umgang mit dem Tabuisierten beitragen.[14]
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NAME | Schneider, Gregor |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Künstler |
GEBURTSDATUM | 5. April 1969 |
GEBURTSORT | Rheydt |