Heinrich Melchior Mühlenberg wurde nach einem Studium der Theologie in Göttingen und Halle und seiner Ordination in Leipzig 1741 von Gotthilf August Francke, dem Sohn von August Hermann Francke und Direktor der Franckeschen Stiftungen zu Halle, nach deren Anfrage und Mühlenbergs Zustimmung zunächst für drei Jahre als lutherischer Pfarrer dreier deutschsprachiger Gemeinden in Pennsylvanien (Philadelphia, Providence und New Hanover) entsandt, die bis dahin unorganisiert und kaum mit geistlichem Beistand versorgt waren. Nach seiner Ankunft in Philadelphia 1742 begann er nach deren schnell erfolgender Anerkennung durch die Gemeinden rasch mit dem Aufbau einer institutionalisierten lutherischen Kirche. Durch den ausgesprochen langen Korrespondenzweg (Briefe konnten nur per Schiff befördert werden, dementsprechend ließ die Antwort lange auf sich warten) musste Mühlenberg, der inzwischen seinen Namen in Muhlenberg anglisiert hatte, eigene Wege finden.
Kurz nach seiner Ankunft 1742 geriet Mühlenberg in einen Konflikt mit Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, der seinerseits 1741 nach Pennsylvania gereist war, um sich um die deutschen Protestanten zu kümmern, die er unter Beibehaltung ihrer konfessionellen Praktiken zu einem Rat der Kirchen einigen wollte, in dem sie zusammenarbeiteten, statt sich Konkurrenz zu machen. Dies entsprach seinem missionarischen Auftrag.
Mühlenberg hingegen, dessen Auftrag als Pfarrer dem einer Missionierung nicht entsprach, setzte indessen einen nach langem Suchen gefundenen Weg um: Dieser beinhaltete einerseits wesentliche Elemente einer durch die Gemeindeglieder getragenen Selbstverwaltung der Gemeinden durch Laienvertreter (was der damaligen Lebenswirklichkeit entsprach), jedoch andererseits auch die ausschließliche geistliche Führung durch die (durch die Gemeinden selbst gewählten) Pfarrer. Diese Umsetzung gelang ihm persönlich durch einen untadeligen Lebenswandel und seinen Ruf als lebendiger Prediger einerseits sowie andererseits durch seinen Willen zur unbedingten Erfüllung der seelsorgerlichen Erwartungen, die von den weit auseinanderliegenden Gemeinden ausgingen und die er erfüllte, obwohl sie immer wieder bis an die Grenze der physischen Erschöpfung Mühlenbergs führten.
Neben dem Bau von Kirchen und Schulen wurde unter seiner maßgeblichen Leitung der deutsche Gemeindeverband des evangelisch-lutherischen Ministeriums von Pennsylvanien und benachbarten Staaten, zunächst in der Provinz Pennsylvania (1748) und später dann auch separat für die Provinz New York (1786) begründet. Auf sein Betreiben wurde ferner im Jahre 1762 für die Stadtgemeinde Philadelphia eine eigene Kirchenordnung erlassen, die weiteren lutherischen Gemeinden als Vorbild diente. Ebenso verfasste er einen Entwurf für ein eigenes Gesangbuch, das so genannte Mühlenbergsche Gesangbuch, das erstmals 1786 erschien. Mühlenberg starb am 7. Oktober 1787 in Providence/Pennsylvanien.
Henry Melchior Mühlenberg heiratete 1745 Anna Maria Weiser (1727–1802), eine Tochter von Conrad Weiser (1696–1760). Aus den Nachfahren der Mühlenberg/Muhlenberg-Familie gingen später zahlreiche amerikanische Politiker hervor. Mitglieder der sog. „Muhlenberg-Dynastie“ in den Vereinigten Staaten:
Peter Muhlenberg (1746–1807), General der revolutionären Kontinentalarmee, später Kongressabgeordneter und Senator
Frederick Muhlenberg (1750–1801), Mitglied des Kontinentalkongresses, erster Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses, Namensgeber der Muhlenberg-Legende
Henry Ernest Muhlenberg (1753–1815), bedeutender Naturforscher im regen Austausch mit deutschen und nordamerikanischen Gelehrten. Erforschte systematisch die nordamerikanische Fauna
John Andrew Shulze (1774–1852), Sohn von Eva Elisabeth Mühlenberg (1748–1808), 6. Gouverneur des Bundesstaates Pennsylvania
Henry A. P. Muhlenberg (1782–1844), Kongressabgeordneter und erster Gesandter der Vereinigten Staaten in Österreich
Nach dem „Vater des amerikanischen Luthertums“ ist auch das 1848 gegründete und bis heute mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika affiliierte Muhlenberg College, eine Hochschule mit Schwerpunkt auf den Geisteswissenschaften, benannt.
2023 erschien das Buch Söhne der Freiheit: Eine deutsche Einwandererfamilie und die Gründung der Vereinigten Staaten des Schriftstellers und Historikers Johannes Ehrmann, das die Rolle Heinrich Mühlenbergs und die seiner Söhne Peter und Friedrich als deutsche Migranten in der Amerikanischen Revolution beleuchtet (Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023, ISBN 978-3-608-98718-8).
2011: 300 Jahre Heinrich Melchior Mühlenberg (1711–1787). Patriarch der Lutherischen Kirche in Nordamerika. Gefördert von der deutschen Botschaft in Washington, in Zusammenarbeit mit dem Lutheran Theological Seminary in Philadelphia, Pennsylvania und mit anderen Stellen wurde die Ausstellung in deutscher und englischer Sprache an verschiedenen Orten in den USA und Deutschland gezeigt.
Eberhard Görner: In Gottes eigenem Land. Heinrich Melchior Mühlenberg – der Vater des amerikanischen Luthertums. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2011, ISBN 978-3-89812-766-0.
Theodore G. Tappert, John W. Doberstein (Hrsg.): The Journals of Henry Melchior Mühlenberg. 3 Bände, Philadelphia 1942–1958. Reprint Philadelphia/Evansville 1982.
Thomas Müller-Bahlke (Hrsg. und Einleitung): Tagebücher. In: Heinrich Melchior Mühlenberg – Selbstbiographie von 1711–1743. Halle, Francke’sche Stiftungen, 2011. ISBN 978-3-939922-32-2.
Die Korrespondenz Heinrich Melchior Mühlenbergs aus der Anfangszeit des deutschen Luthertums in Nordamerika. Hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Hauptarchiv der Franckeschen Stiftungen Halle von Kurt Aland und Hermann Wellenreuther. 5 Bände, Berlin/New York: de Gruyter 1986–2002 (Texte zur Geschichte des Pietismus; Abt. 3: Handschriftlicher Nachlass August Hermann Francke)
Paul A. W. Wallace: The Muhlenbergs of Pennsylvania. University of Pennsylvania Press, Philadelphia PA 1950.
Thomas J. Müller: Kirche zwischen zwei Welten. Die Obrigkeitsproblematik bei Heinrich Melchior Mühlenberg und die Kirchengründung der deutschen Lutheraner in Pennsylvania. Franz Steiner, Stuttgart 1994.
Walter H. Wagner: The Zinzendorf-Muhlenberg Encounter: A Controversy in Search of Understanding. Moravian Historical Society, Bethlehem PA 2002, ISBN 0-9719060-0-9.
Alexander Wieckowski (Hrsg.): Der Katharinenhof und sein Inspektor: Diaconus Heinrich Melchior Mühlenberg. (= Großhennersdorfer-Rennersdorfer Kirchengeschichten. Heft Nr. 3). Großhennersdorf 2011.
Thomas Müller-Bahlke, Alexander Wieckowski: Heinrich Melchior Mühlenberg und der Katharinenhof zu Großhennersdorf. (= Schriftenreihe der Akademie Herrnhut. 3). Dresden 2015, ISBN 978-3-86276-165-4.
↑William K. Frick: Henry Melchior Muhlenberg, Patriarch of the Lutheran Church in America. Lutheran Publication Society, Philadelphia 1902.
↑Frieder Schulz: Das Gedächtnis der Zeugen – Vorgeschichte, Gestaltung und Bedeutung des Evangelischen Namenkalenders. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie, Band 19. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1975, S. 69–104, Namenliste S. 93–104 (Digitalisat)
↑Gail Ramshaw: More Days for Praise: Festivals and Commemorations in Evangelical Lutheran Worship. Augsburg Fortress 2016, S. 235.