Hermann Stehr wurde als Sohn eines armen Sattlers geboren und arbeitete ab 1887 als Volksschullehrer. Infolge kirchenkritischer Veröffentlichungen wurde er mehrfach in die entlegensten Dörfer der Grafschaft Glatz strafversetzt, zuletzt ins Waldenburger Bergland nach Dittersbach bei Waldenburg. Ab 1915 war er freier Schriftsteller mit Wohnsitz in Warmbrunn (Mandelhaus). Das Erscheinen seines Bestsellers „Der Heiligenhof“ 1918 befreite ihn aus seinen finanziellen Nöten, und er stieg zu einem gefeierten Dichter auf.
Stehr siedelte sich 1926 mit finanzieller Unterstützung seines Mäzens, des Textilunternehmers Max Pinkus, in dem idyllischen Schreiberhau (Faberhaus) an. Er war 1926 Gründungsmitglied der Preußischen Dichterakademie, einer Unterabteilung der Preußischen Akademie der Künste. Anschließend näherte er sich der Blut-und-Boden-Ideologie an.[1] Entsprechend hieß es 1940 in Nachrufen, seine Werke seien „Führer zu deutscher Gesinnung“, und er sei ein „Dichter, dessen Werk im Volke wurzelt“.[2][3]
Er starb am 11. September 1940 zurückgezogen in Oberschreiberhau im Alter von 76 Jahren an einem Schlaganfall.[2] Er wurde am 15. September auf dem Habelschwerdter Florianberg bestattet, wobei das Grab „für alle Zukunft“ durch die Stadt erhalten werden sollte.[4] Sein zwischenzeitlich nicht lokalisierbares Grab wurde 2007 auf dem Florianberg an der alten Stelle wiedergefunden. Es war unberührt, lediglich die Aufbauten waren abgetragen und verschwunden. In mühevoller, im Jahr 2009 abgeschlossener Arbeit stellten ehemalige und heutige Bewohner das Grab wieder her.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gehörte er weiterhin der politisch gesäuberten Akademie der Dichtung an. Nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gehörte Stehr im August 1934 zu den Unterzeichnern des Aufrufs der Kulturschaffenden zur Volksbefragung über die Zusammenlegung des Amts des Reichspräsidenten und Reichskanzlers in der Person Hitlers.[1] Ebenso schrieb er eine Rechtfertigung zur Legalisierung der Morde anlässlich des Röhm-Putsches in der Deutschen Allgemeinen Zeitung.[1] Der nationalsozialistische Kulturbetrieb feierte Stehr als „Künder der deutschen Seele“ und pries ihn wegen seiner „völkischen Erdverbundenheit“. Im Jahr 1935 wurde Stehr in den Reichskultursenat aufgenommen, wozu ihm Goebbels persönlich gratulierte.[5]
Als Stehr hingegen auf der Feier seines 70. Geburtstags vom SA-Obergruppenführer und Breslauer Polizeipräsidenten Edmund Heines angepöbelt worden war, wandte er sich per Brief persönlich an Adolf Hitler und bat um Heines’ unverzügliche Absetzung; anlässlich seines 75. Geburtstages hielt Stehr sodann eine Rede, in der er sich wie folgt geäußert haben soll: „Wenn das neue Deutschland sich im Braunhemd, dem Marschtritt, der Gleichschaltung ausdrückt, nicht die inneren Werte der Menschen weckt, die Worte der Dichter, den Geist alter deutscher Geschichte nicht achtet, bin ich nicht mit euch. Doch ich hoffe von ganzem Herzen, daß für Deutschland eine neue Zukunft anbricht.“[6]
Uns sollen die Zähne ausfallen und die Zunge im Munde verdorren, wenn wir am 10. April nicht dem Führer und seinen Taten ein begeistertes Ja zurufen.[5]
Über den Schlesier:
Der Schlesier legt sich schlafen wie ein Vlame, springt wie ein draufgängerischer Franke in den Tag, arbeitet wie ein Pole und verliert sich, von einem sentimentalen Böhmen oder Wenden an der Linken, von einem verträumten Thüringer an der Rechten geführt, durch den Abend in die Nacht. Der Charakter der Schlesier ist wie eine Volksversammlung, die erregt debattiert, aber keine Resolution faßt... .[7]
1937, zum 73. Geburtstag, benannte Habelschwerdt (heute Bystrzyca Kłodzka) den Stadtbergturm nach dem Torwächter Willmann aus Stehrs Roman Drei Nächte in Willmannsturm.
Benennung einer Straße in Waldenburg-Dittersbach (heute Dzietrzychów), in der er über zehn Jahre als Lehrer tätig war, Zeitpunkt unbekannt, vor 1940
Mehrere Straßen oder Wege wie in Bergheim-Zieverich, Bergkamen, Bremen, Köln, Lüdinghausen, Münster, Neumarkt in der Oberpfalz, Nordwalde, Nürnberg-Fischbach, Ratingen, Salzgitter, Ulm oder Wolfenbüttel tragen seinen Namen.
In der Stadt Steinfurt wurde die Stehrstraße 2012 in Ringelnatzstraße umbenannt.[11]
Das Stundenglas. Reden/Schriften/Tagebücher. Paul List Verlag, Leipzig 1936
Der Mittelgarten. Ausgewählte frühe und neue Gedichte. Paul List Verlag, Leipzig 1936
Schlesien. Bielefeld, Velhagen & Klasing 1937 (Einleitung zu einem Bildband)
Der Himmelsschlüssel. Eine Geschichte zwischen Himmel und Erde. Paul List Verlag, Leipzig 1939
Von Mensch und Gott. Worte des Dichters. Ausgewählt von Emil Freitag, Paul List, Leipzig 1939
Droben Gnade drunten Recht Das Geschlecht der Maechler. Roman einer Deutschen Familie. Leipzig, List 1944 (Neufassung)
Damian oder Das große Schermesser List, Leipzig (1944) „Das Geschlecht der Maechler Band 3“.
Cajetan Novelle. Paul List Verlag, Leipzig 1944, Sonderauflage, Frontbuchhandelsausgabe für die Wehrmacht. Im Auftrag des OKW hergestellt von der Wehrmachtspropagandagruppe beim Wehrmachtsbefehlshaber Norwegen. Gedruckt in Oslo.(zuerst 1931)
Hermann Stehr. Walter Rathenau. Zwiegespräche über den Zeiten. Geschichte einer Freundschaft in Briefen und Dokumenten. Hrsg. von Ursula Meridies-Stehr. Paul List, Leipzig und München 1946
Das Mandelhaus. List, München 1953
Hermann Stehr Schlesier, Deutscher, Europäer. Ein Gedenkbuch zum 100. Geburtstag des Dichters. Holzner Verlag, Würzburg, 1964
Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 587. ISBN 978-3-10-039326-5
Helmut Wocke: Hermann Stehr und sein Werk. Ein Bekenntnis. Berlin: W. Meister [1922].
Wilhelm Meridies (Hrsg.): Hermann Stehr. Sein Werk und seine Welt. Hrsg. von Wilhelm Meridies. Habelschwerdt: Franke 1924.
Wolfgang Baumgart: Hermann Stehr. 3. Aufl. Breslau: Gauverlag (NS-Druckerei) Schlesien 1943.
Hermann Böschenstein: Hermann Stehr. Einführung in die Stimmung seines Werkes. Breslau: Priebatsch 1935. (= Sprache und Kultur der germanisch-romanischen Völker; Reihe B, Germanistische Reihe; 15)
Ulrich Erdmann: Vom Naturalismus zum Nationalsozialismus? Zeitgeschichtlich-biographische Studien zu Max Halbe, Gerhart Hauptmann, Johannes Schlaf und Hermann Stehr. Mit unbekannten Selbstzeugnissen. Frankfurt am Main u. a.: Lang 1997. ISBN 3-631-30907-4
Emil Freitag: Hermann Stehr. Gehalt und Gestalt seiner Dichtung. Groningen u. a.: Wolters 1936.
Martin Krebs: Hermann Stehr. Sein Werk im Zusammenhange des religiösen Bewußtseins der Gegenwart. Limburg: Limburger Vereinsdr. 1932.
Stephan Lobe: Wirkungsgeschichte Hermann Stehrs und seines Werkes. Köln: Univ. Diss. 1976.
Wilhelm Meridies: Hermann Stehr. Sein Leben und Werk. Würzburg: Holzner 1964. (Erstauflage 1924 = Hermann Stehr. Sein Werk und seine Welt)
Hans Moritz Meyer: Das Übersinnliche bei Hermann Stehr. Nachdr. d. Ausg. Berlin 1936. Nendeln/Liechtenstein: Kraus 1967.
Werner Milch: Hermann Stehr. Seine dichterische Welt und ihre Probleme. Berlin: Goldstein 1934.
Erich Mühle: Hermann Stehr. Ein deutscher Gottsucher der Gegenwart. Stuttgart: Truckenmüller 1937. (= Deutsches Wesen; 4/5)
Fritz Richter: Hermann-Stehr-Bibliographie. 1898-1964. Würzburg: Holzner 1965.
Walter Schlusnus: Die Frage der Polarität und der Einheit im Werk Hermann Stehrs. Königsberg: Univ. Diss. 1938.
Wilhelm Meridies (Hrsg.): Wege zu Hermann Stehr. Festschrift des Hermann Stehr-Archivs zum 100. Geburtstag des Dichters. Würzburg: Holzner 1964.
Hermann Stehr – Walther Rathenau. Zwiesprache über den Zeiten. Geschichte einer Freundschaft in Briefen und Dokumenten. Hrsg. von Ursula Meridies-Stehr. Leipzig: Paul List 1946.
Peter Sprengel: Hermann und Hedwig Stehr im Briefwechsel mit Gerhart und Margarete Hauptmann. Erich Schmidt Verlag, 2008.
Wojciech Kunicki (Hrsg.): ... und steigert meine Furcht zum Zorn. Leipziger Universitätsverlag, 2009.
Joseph Wittig: Hermann Stehrs Siebziger Geburtstag. Guda Obend 1935.
Hans-Windekilde Jannasch: Hermann Stehr. In: Spätlese. Begegnungen mit Zeitgenossen, Göttingen 1973, S. 22–32.
↑Walter A. Reichart: Hermann Stehrs Freundschaft mit Gerhart Hauptmann. Einige persönliche Erinnerungen. In: Fritz Richter (Hrsg.): Hermann Stehr. Schlesier, Deutscher, Europäer. Ein Gedenkbuch zum 100. Geburtstag des Dichters (Ostdeutsche Beiträge aus dem Göttinger Arbeitskreis, Bd. 28), S. 181–182.