Hormonersatztherapie (HET; englisch hormone replacement therapy, HRT) bezeichnet die medizinische Verwendung von Hormonen zur Behandlung von Beschwerden, die auf einen relativen oder absoluten Mangel eines oder mehrerer Hormone zurückgeführt werden können. Im engeren Sinne wird mit Hormonersatztherapie die Gabe von Medikamenten in den Wechseljahren (Klimakterium bei Frauen und Klimakterium virile bei Männern) und als begleitende geschlechtsangleichende Maßnahme für Transmenschen bezeichnet. Der Begriff selbst ist strittig, da es sich um eine Unterart der Hormontherapie (HT oder z. B. eine menopausal hormone therapy (MHT) oder Postmenopausale Hormontherapie (PHT, PMHT)) handelt und nicht ein kompletter Ersatz des endogenen Hormonstoffwechsels stattfindet.
Hormone, die in der Hormontherapie eingesetzt werden können, wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Heute haben bioidentische Hormone die früheren, aus Pferdeurin gewonnenen Hormone abgelöst.
Hormone, die in der Hormontherapie eingesetzt werden können, wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt.
Die in der HET verwendeten equinen konjugierten Östrogene werden aus dem Urin von trächtigen Stuten gewonnen. Es handelt sich um ein Gemisch von Sulfatestern verschiedener Estrogene, hauptsächlich des Estrons und des Equilins.[1] Sie enthalten Steroide, die zum Teil nur bei Pferden vorkommen und sind damit nicht bioidentisch.[2] Eine Vielzahl weiterer estrogen wirksamer Steroide, die zur pharmakologischen Wirkung beitragen, können in kleineren Mengen enthalten sein.[3] Aufgrund der komplexen Zusammensetzung sollen die Effekte nicht vorauszusagen sein und es dementsprechend auch keine klaren Dosis-Wirkungs-Beziehungen geben.[2]
Die sogenannte bioidentische Hormontherapie[4] soll Risiken verringern, die unter der klassischen Hormonersatztherapie (HRT) beobachtet wurden, insbesondere in der US-amerikanischen Frauengesundheitsinitiative (Women’s Health Initiative; WHI) oder der britischen One-Million-Women-Studie. Als bioidentisch werden nur Substanzen bezeichnet, die auch vom menschlichen Körper selbst gebildet werden und heute auf pflanzlicher Basis gewonnen werden. Diese Hormone können oral (z. B. als Tabletten) oder transdermal (z. B. als Creme) verabreicht werden.[2]
Die postmenopausale Hormonersatztherapie soll die Beschwerden durch eine sich verändernde endogene Hormonproduktion der Frau lindern. Da es sich um eine elektive Maßnahme handelt, sind besonders hohe Anforderungen an die ärztliche Aufklärung zu Vor- und Nachteilen, Risiken bei Langzeitbehandlung sowie den wesentlichen Fakten zu stellen. Als einzige Indikation zur peri- und postmenopausalen Hormonersatztherapie gilt die Behandlung peri- und postmenopausaler Beschwerden wie Hitzewallungen und Atrophie der Vaginalschleimhaut und Vulva (siehe Klimakterium). Die Prävention von Erkrankungen (z. B. Osteoporose) ist keine Indikation für eine Hormontherapie.
Grundsätzlich kann entweder eine Monotherapie mit Östrogenen (estrogen therapy (ET)) oder eine sequentielle Therapie mit Östrogen und Gestagen (estrogen progestin therapy (EPT)) durchgeführt werden, die Auswahl ist hierbei von verschiedenen Faktoren abhängig.[5][6] Die Dosierung der Hormone richtet sich nach der geringsten Dosis, mit der sich die klimakterischen Beschwerden adäquat behandeln lassen. Als Darreichungsform stehen Tabletten sowie Pflaster, Cremes und Gele zur transdermalen Applikation und östrogenhaltige Cremes bzw. Ovula, Pessare und Vaginalringe zur lokalen Behandlung ausschließlich urogenitaler Beschwerden wie z. B. einer Kolpitis zur Verfügung. Die Auswahl der Applikationsform soll dem Wunsch der Patientin nach Beratung durch den Arzt entsprechen. Bei gleichzeitig vorliegenden Störungen des Fettstoffwechsels mit Hypertriglyzeridämie empfehlen Picker et al. die perorale Behandlung,[7] bei familiären Gerinnungsstörungen, Patientinnen mit Migräne oder Epilepsie riet Douketis zur transdermalen Anwendung.[8]
Vor einer Hormonersatztherapie sollte eine umfangreiche Anamneseerhebung unter Einschluss der Familienanamnese durchgeführt werden. Eine gynäkologische Untersuchung mit einem Pap-Test und eine Untersuchung der Brust sind ebenfalls erforderlich. Blutdruck und Körpergewicht vor Beginn der Behandlung sollten dokumentiert werden.
Als Kontraindikationen (Gegenanzeigen) für eine Hormonersatztherapie gelten:
Nach Beginn der Hormonersatztherapie sollte regelmäßig die Wirksamkeit der Behandlung überprüft werden, dies beinhaltet ärztliche Kontrolluntersuchungen. Vor allem soll beurteilt werden, ob die zu behandelnden Wechselbeschwerden rückläufig sind und ob eine Zufriedenheit mit der Behandlung und deren Ergebnissen vorliegt. Im weiteren Verlauf sollten regelmäßige, jährliche Kontrolluntersuchungen mit Erfassung des Blutdrucks, Körpergewicht und gynäkologischer Kontrolluntersuchung inklusive Untersuchung der Brust stattfinden. Die Durchführung eines PAP-Abstriches sowie eine Mammographie wird alle zwei Jahre empfohlen, hierbei sollte auf vorhandene Screening- und Vorsorgeprogramme geachtet werden.[9][10]
Derzeit gibt es keine allgemein verbindliche Empfehlung über die Dauer einer Hormonersatztherapie, Einleitung, Durchführung und Beendigung müssen individuell im Dialog zwischen der betreffenden Frau und dem behandelnden Arzt beschlossen werden. Die Indikation zu einer weiteren Durchführung der Therapie sollte jedoch jährlich überprüft werden.[11] Die Behandlung ist in jedem Fall beim Auftreten einer der oben genannten Kontraindikationen zu beenden.
Da es derzeit keine allgemeingültige Empfehlung zur Durchführung der Hormonersatztherapie gibt, muss vor der Therapie eine Abwägung der Vor- und Nachteile durchgeführt werden. Individuelle Faktoren spielen hierbei eine bedeutende Rolle:
Vorteile
Nachteile
Aus mehreren bevölkerungsrepräsentativen Studien, die von 1984 bis 1999 durchgeführt wurden, liegen für die Bundesrepublik Deutschland umfassende Daten zur Pharmakoepidemiologie der Anwendung von Präparaten der Hormonersatztherapie vor.[16] Die Daten dieser langfristig geplanten Bundes-Gesundheitssurveys ermöglichen auch, die Anwendung der HRT-Präparate im Zusammenhang mit klinisch-chemischen Kenngrößen der Anwenderinnen darzustellen.[17]
Bereits seit Ende der 1940er Jahre erfolgte eine Follikelhormon-Therapie mit dem synthetischen Östrogen Farmacyrol (Dienoestroldiacetat).[18][19] Die Hormonersatztherapie für Frauen in den Wechseljahren begann Ende der 1960er Jahre in Form einer Östrogen-Monotherapie. Dies führte jedoch zu einer erhöhten Inzidenz von Korpuskarzinomen. Ende der 1970er Jahre begann dann die sequentielle Hormonersatztherapie mit Östrogen und Gestagen, hierunter ließ sich ein Rückgang der Inzidenz des Korpuskarzinoms erzielen.
Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde die Hormonersatztherapie in vermehrtem Umfang durchgeführt und damit auch Objekt großangelegter wissenschaftlicher Studien. Aufsehen erregte hierbei der Abbruch eines Teils der sogenannten WHI-Studie (women’s health initiative) im Jahr 2002.[20][21][22]
Testosteron ist ein natürliches Hormon, das Männer für den Erhalt vieler Körper- und Geistesfunktionen essentiell benötigen. Jenseits des 50. Lebensjahres durchlaufen Männer eine hormonelle Umstellung, das sogenannte Klimakterium virile, die zu altersassoziiertem Testosterondefizit führen kann.
Ein Testosterondefizit kann auch vorliegen bei einer Anorchie, nach einer bilateralen Orchiektomie sowie bei Transmännern.
Ein Testosterondefizit des Mannes wird heute als ernst zu nehmende Krankheit eingestuft, die zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führt und weitere Gesundheitsrisiken verursachen oder verstärken kann. Dazu zählen Atherosklerose, Diabetes mellitus Typ 2, das metabolische Syndrom, Anämien, Osteoporose, Stimmungsschwankungen (hauptsächlich Depressivität und Antriebsmangel), kognitive Störungen und sexuelle Funktionseinbußen (hauptsächlich Erektionsstörungen und Libidoverlust).
Die Testosteronersatztherapie ist mittels moderner transdermaler (z. B. Creme) und injizierbarer Depotpräparate einfacher und besser steuerbar geworden.
Es gibt klare Richtlinien hinsichtlich Diagnostik, Therapieinitiation und -überwachung. Besonderes Augenmerk bei der Therapieüberwachung gilt der Prostata und dem roten Blutbild.[23]
Durch die Ergebnisse mehrerer internationaler Studien geriet die Hormonersatztherapie in kontroverse Diskussion. Kritiker vermuteten schon länger, dass die Einnahme von Hormonpräparaten auf Dauer das Risiko steigern würde, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. Für Aufsehen sorgte im Sommer 2003 in Deutschland vor allem die sogenannte One-Million-Women-Studie, eine langfristig angelegte Beobachtungsstudie, an der eine Million ausschließlich britischer Frauen teilnahmen. In der Gruppe der Teilnehmerinnen, die Hormonpräparate einnahmen, kam es zu einer signifikant höheren Zahl von Brustkrebserkrankungen als in der Gruppe derjenigen, die keine Hormonersatztherapie durchführen ließ. Die genauen Angaben geben darüber Aufschluss, ob eine reine Östrogen-Therapie, eine sequentielle Östrogen-Gestagen-Therapie durchgeführt wurde und ob den Teilnehmerinnen zum Zeitpunkt der Therapie die Gebärmutter entfernt worden war oder nicht.
Seit der Veröffentlichung dieser Ergebnisse ist es zu einer kontroversen, teilweise sehr emotional geführten Diskussion um Vor- und Nachteile der Hormonersatztherapie gekommen. Langjährige Beurteilungen des Nutzens einer Hormonersatztherapie, unter anderem die Annahme, dass durch Östrogene das Demenzrisiko gesenkt werden könne, weil die Durchblutung im Gehirn verbessert werde, sind durch klinische Studien seit Juni 2004 widerlegt. Eine neue Auswertung im amerikanischen Ärzteblatt zeigte, dass das Demenzrisiko im Gegenteil geringfügig erhöht wird.
Tierschutzgruppen kritisieren die Produktionsbedingungen des eingesetzten Präparats Premarin (in Deutschland: Presomen). Für die Herstellung wird der Urin trächtiger Stuten benötigt, der in spezialisierten Farmen gewonnen wird und ein Gemisch konjugierter equiner Estrogene enthält.
Besonders in den USA wurde die Hormonersatztherapie auch unter Lifestyle-Aspekten vermarktet. Oft wurde Frauen in Medienberichten suggeriert, dass ihre Haut durch die Einnahme der Hormone straffer bleibe. Tatsächlich gibt es bisher keine wissenschaftliche Studie, durch die dieser Effekt belegt werden konnte. Neuere Untersuchungen aus Österreich, bei denen aber keine HET-Präparate, sondern kosmetische Produkte untersucht wurden, scheinen jedoch zu bestätigen, dass weibliche Sexualhormone in der Kollagenfaserschicht der Haut einen positiven Effekt im Sinn einer Faltenglättung haben. Dies wurde schon vor Jahrzehnten von der Kosmetikindustrie beworben, indem mutterkuchenhormonhaltige Salben (Plazentubex) angeboten wurden.