Hornussen ist eine Schweizer Mannschaftssportart, die in einigen Kantonen des Schweizer Mittellandes betrieben wird, hauptsächlich im Kanton Bern. Das Spiel besteht für die schlagende Mannschaft darin, eine Kunststoffscheibe (den «Hornuss» oder kurz «Nouss») so weit wie möglich zu schlagen. Die gegnerische Mannschaft versucht, den anfliegenden Nouss so früh wie möglich, spätestens jedoch vor dem Auftreffen am Boden des Spielfeldes, mit einer flachen Abfangschaufel (der «Schindel») zu stoppen.
Hornuss ist eigentlich eine schweizerische Bezeichnung für die Hornisse. Die Bezeichnung Hornuss für die geschlagene Scheibe beruht auf dem summenden Ton, den sie wie das Insekt beim Flug erzeugt.[1]
Das Hornussen wird zusammen mit dem Schwingen und dem Steinstossen zu den Schweizer Nationalsportarten gezählt. Es ist eng verwandt mit anderen Schlag- und Fangspielen wie Cricket, Baseball, Knurr and Spell oder Mazza sowie dem Scheibenschlagen in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht.
Der Eidgenössische Hornusserverband (EHV) und seine regionalen Unterverbände organisieren die Meisterschaft der Nationalligen A und B sowie der restlichen fünf Ligen, das alle drei Jahre stattfindende Eidgenössische Hornusserfest, das Hornussen am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest sowie die jährlich stattfindenden Unterverbands- und interkantonalen Feste.
Die Anzahl der Hornussergesellschaften je Kanton präsentiert sich wie folgt (Stand August 2017):
Die hauptsächliche Konzentration der Hornussergesellschaften auf den Kanton Bern und die nordöstlich benachbarten Kantone zeigt sich auch in einer entsprechenden Verteilung der Hornusserplätze.[2]
Ausserhalb der Schweiz gibt es nur durch eine deutsche Gesellschaft in Großrinderfeld einen regelmässigen Spielbetrieb (Freundschaftsspiele und Deutsche Gruppenmeisterschaft). Ausserdem leben in Südafrika einige Hornusser, die regelmässig an den interkantonalen Festen und am Eidgenössischen Hornusserfest teilnehmen. In Südafrika wird das Hornussen Swiss Golf genannt.
Hornussen gilt traditionell als Männersportart, jedoch sind heute auch Frauen aktiv. Eine nationale Vereinsbefragung im Jahr 2016 ergab einen Frauenanteil von 9 % unter den aktiven Mitgliedern in der Hornusservereinen (gegenüber 36 % Frauenanteil in allen Schweizer Sportvereinen); 96 % der EHV-Vereine hatten einen Männeranteil von über 80 %.[3] Jährlich wird ein reiner Frauenwettkampf ausgetragen. Im Jahr 2019 war dies das 11. Frauenhornussen in Gondiswil.[4]
Das Hornussen verbindet Elemente des Einzelwettkampfes (möglichst weiter Abschlag des Nouss als Einzelleistung) mit Elementen des Mannschaftssports (Abfangen des geschlagenen Nouss als Mannschaftsleistung).
Beim «Schlagen» wird der Nouss auf das Ende einer metallenen Abschlagrampe («Bock») gesetzt. Als Abschlaggerät dient ein bis zu 3 Meter langer, flexibler «Stecken» aus Aluminium, Fiberglas, Kunststoff oder Carbonfasern, an dessen Ende ein Klotz (das «Träf») aus Hartholz befestigt ist. Der Schläger holt mit dem Stecken Schwung und versucht mit dem Träf den Nouss möglichst weit zu schlagen, entweder in das gegnerische Spielfeld hinein oder gar darüber hinaus. Der Bock besteht aus zwei gebogenen Läufen aus Chromstahl (je ein Lauf passend für Rechts- bzw. Linkshänder), die dem Träf als Führungsschiene dienen.[5]
Bei Versuchen der ETH Zürich wurden die folgenden Werte gemessen:[6][7]
Abweichend davon wird die Geschwindigkeit des Nouss am Ende der Flugbahn in einem Bericht der Berner Zeitung mit etwa 100–150 km/h angegeben,[8] vom Eidgenössischen Hornusserverband mit ca. 180 km/h.[9] Die Flugweite des Nouss ist stark von den Windverhältnissen abhängig. Bei günstigen Bedingungen können Spitzenschläger Weiten bis ca. 390 Meter erreichen.[10]
Ein Spiel hat keine festgelegte Dauer (wie dies z. B. beim Fussball üblich ist). Im Normalfall (Wettspiel/Meisterschaft/Kleinanlass) werden zwei Umgänge gespielt, wobei jede Mannschaft pro Umgang einmal schlägt und einmal abtut. Jeder einzelne Spieler schlägt pro Umgang zwei Streiche mit drei Versuchen. Das Spielen von zwei Umgängen dauert ca. drei bis vier Stunden.
Es gewinnt die Mannschaft mit weniger Nummern, d. h. diejenige, bei welcher weniger Hornusse ungestoppt im Spielfeld zu Boden gegangen sind. Bei Gleichstand entscheidet das Total der Schlagpunkte (pro 10 Meter Schlagweite, gemessen ab dem Beginn des Spielfeldes, wird ein Punkt gezählt); sind auch die Punkte identisch, entscheidet das höchste Ries aus allen Durchgängen (Ries: Total 1. Streich, Total 2. Streich etc.). Sollte dann immer noch Gleichstand herrschen, entscheidet das höchste Einzelspieler-Resultat.[11] Ein Unentschieden als Spielresultat kommt daher praktisch nicht vor.
Zusätzlich zur Mannschaftswertung wird bei der Schweizer Meisterschaft und bei Festanlässen eine Einzelschlägerwertung geführt. Massgeblich für die Einzelschlägerwertung sind bei Festanlässen die geschlagenen Punkte. Die komplexere Wertung in der Meisterschaft berücksichtigt zusätzlich Rangpunkte aus den einzelnen Spielen, um Mannschaften mit vorteilhaften Spielfeldern nicht zu begünstigen.
Bei Hornusserfesten werden drei Umgänge gespielt – an Eidgenössischen Hornusserfesten vier. Dabei heisst der erste Umgang – bei den eidgenössischen Festen die ersten zwei Umgänge – Anhornussen (analog der «Qualifikationsrunde» bei anderen Sportarten). Für die verbleibenden Umgänge (den Ausstich) werden die Gegner dem Resultat des Anhornussens entsprechend neu eingeteilt.
Während bei Hornusserfesten mit drei gespielten Umgängen der Wettkampf am selben Tag abgeschlossen wird, findet der Ausstich beim Eidgenössischen Fest am Folgetag statt.
In den Ursprüngen des Hornussens oblag es der verlierenden Gesellschaft, das nach dem Spiel eingenommene Zvieri (Brotzeit) zu bezahlen. Heute schliessen die Mannschaften stattdessen eine Wette über den Spielausgang ab. Der Einsatz liegt bei 50 bis 100 Franken pro Spiel. Diese Wetten sind auch bei reinen Freundschaftsspielen üblich, weshalb diese als Wettspiele bezeichnet werden. Es ist ebenfalls üblich, dass einzelne Spieler ähnlicher Spielstärke über die geschlagenen Punkte um ein Bier wetten.
Der 78 Gramm schwere Nouss trifft mit etwa 100–150 km/h im Ries ein. Dennoch kommt es nur selten zu schweren Verletzungen. Das universitäre Notfallzentrum am Berner Inselspital zählte innerhalb von 14 Jahren 27 solche Fälle. 23 dieser verletzten Spieler mussten operiert werden, meist wegen Frakturen im Gesichtsbereich (z. B. Kiefer, Wangenknochen, Nase), Riss-Quetsch-Wunden oder Augenverletzungen.[8]
Helme schützen die Spieler vor dem Nouss, vor allem wenn dieser schräg von einer Schindel abprallt, und vor herabfallenden Schindeln, wenn diese beim Abtun geworfen werden.[15] Eine Helmpflicht besteht aber nur für Spieler mit Jahrgang 1984 oder jünger. Bei den älteren Spielern ist das Helmtragen freiwillig, ausser wenn sich eine ganze Mannschaft zum Helmtragen verpflichtet hat. Die Jahrgangsregel sorgt dafür, dass irgendwann alle Spieler Schutzhelme tragen werden.[8]
Im Juni 2023 kam es jedoch zu einem Kopftreffer bei einem Spiel in Recherswil-Kriegstetten, durch den ein Schiedsrichter getötet wurde. Dies führte zu Forderungen zur Einführung der allgemeinen Helmpflicht.[16]
In den Zeiten ohne festes Regelwerk (vor 1900) kamen direkte Körpertreffer öfter vor, da Körpertreffer häufig höher gewertet wurden als Nummern. Auch lag das Spielziel eher darin, den Gegner durch Nummern als über die Schlagweite zu besiegen. Seither haben sich die Spielphilosophie und die Regularien geändert. Das absichtliche Schlagen des Nousses in eine flache (den Horizont kaum übersteigende) Flugbahn wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Einführung der Schussblende (siehe Fotografie) verhindert.[17] Eine weitere Regeländerung strich das Recht auf einen zusätzlichen Schlag nach einer gefallenen Nummer.
Die Ursprünge des Hornussens sind nicht geklärt. Erste schriftliche Erwähnungen gibt es im frühen 17. Jahrhundert, als das (sonntägliche) Spiel in Kirchenschriften abgelehnt wurde.[18] In der Literatur werden Hornusserspiele seit dem 19. Jahrhundert beschrieben (Jeremias Gotthelf im Roman Uli der Knecht). Demnach war das Hornussen ein spielerischer Wettkampf zwischen Jungbauern im Emmental und wurde hauptsächlich im Herbst auf den abgeernteten Äckern gespielt. Die Regeln wurden jeweils vor Spielbeginn zwischen den Mannschaften vereinbart. Spieleinsatz war ein Zvieri (inkl. Getränke), welches die Verlierergesellschaft der gewinnenden ausrichten musste. Eine Spielbeschreibung aus dem 19. Jahrhundert findet sich auch im Schweizerischen Idiotikon.[19] Im Anschluss an die Spiele wurden, befeuert durch Regelstreitigkeiten und Alkoholkonsum, häufig Raufereien ausgetragen. Dies und die Tatsache, dass die Spiele meist am Sonntag stattfanden (was den Kirchgang tangierte), führte verschiedentlich zu Verbotsversuchen durch die Obrigkeit, so noch 1886 durch die Synode der Berner Landeskirche.[19]
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte auch beim Hornussen die Vereinsbildung und Reglementierung ein. 1902 wurde der nationale Dachverband (Eidgenössischer Hornusserverband) gegründet.
Im Jahr 1999 erschien der mit dem Schweizer Filmpreis prämierte Dokumentarfilm Schlagen und Abtun von Norbert Wiedmer.[20]