Zwölfprophetenbuch des Tanach |
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Namen nach dem ÖVBE |
Hosea (auch: Hoschea, hebräisch הושע deutsch ‚JHWH hat gerettet‘, altgriechisch Ωσηε, lateinisch Osee) bezeichnet einen historischen Schriftpropheten (750–725 v. Chr., vollständig: hebräisch הוֹשֵׁעַ בֶּן־בְּאֵרִי [ ], deutsch ‚Hosea Sohn des Beeri‘) im Nordreich Israel und das ihm zugeschriebene Buch. Mit ihm beginnt das Zwölfprophetenbuch im hebräischen Tanach. Es berichtet von Hoseas Kampf gegen den Götzendienst in Metaphern einer Liebesbeziehung.
In seiner heutigen Gestalt wird das Buch in drei Teile gegliedert, um die herum Eingangs- und Schlusswort 1,1 EU und 14,10 EU als Rahmen stehen.[1] Die Einteilung in 14 Kapitel wurde erst im Mittelalter vorgenommen.
Die ersten drei Kapitel enthalten drei konzentrische Abschnitte (Aufbau: A–B–A'), die Hoseas Ehe mit einer Hure bzw. Ehebrecherin als Spiegel für Israels Untreue gegenüber JHWH darstellen.[2]
„Danach werden die Söhne Israels umkehren und den Herrn, ihren Gott, suchen und ihren König David. Zitternd werden sie zum Herrn kommen und seine Güte suchen am Ende der Tage.“
Dieser eschatologische Ausblick deutet auf eine Komposition dieses Hauptteils gegen Ende des Exils, als unter den Exilierten Hoffnungen auf einen Nachkommen Davids aufkamen, der Israel und Juda wiedervereinen und damit die messianische Heilszeit einläuten würde. Hoseas akute gegenwartsbezogene Unheilsansage, die keine Ausflucht mehr ließ, wurde zum Bußruf historisiert, auf den hin vergangenes Geschehen gedeutet wurde, um daraus neue Zukunftsperspektiven zu gewinnen. Hosea weiß sonst nichts vom König David, einem Messias und vom Jerusalemer Tempelkult.[3]
Die beiden widersprüchlichen Eheberichte haben der Exegese viele Rätsel aufgegeben: Welcher der beiden Berichte ist authentisch? Handelte es sich um dieselbe oder eine neue Ehe? War diese bloß metaphorisch zu verstehen[4] oder real? Von einer Scheidung von Gomer wird nichts berichtet. Walther Zimmerli nahm an, dass sie eine Tempelprostituierte war, da Hosea diese Praxis scharf kritisierte und für seine Gerichtspredigt verfolgt wurde (Hos 9,7b–8 EU). Seine Treue zu der Ehebrecherin drückte aber bereits JHWHs Treue zu Israel gerade in seinem unausweichlichen Gerichtshandeln aus.
Ab dem vierten Kapitel reihen sich Gottes- und Prophetenreden aneinander und reden zuweilen das ganze Volk Israel, dann wieder seine Priester und den König an oder beschreiben ihre Schuld in der dritten Person.
Eine große Anklagerede wie in einem Gerichtsprozess umreißt in Hos 4,1-3 EU die Thematik des ganzen Buches, eingeleitet mit: „Hört das Wort des Herrn, ihr Söhne Israels!“ (4,1a EU) Sie zählt die Vergehen des Volkes auf: „Denn der Herr erhebt Klage gegen die Bewohner des Landes: Es gibt keine Treue und keine Liebe und keine Gotteserkenntnis im Land. Nein, Fluch und Betrug, Mord, Diebstahl und Ehebruch machen sich breit, Bluttat reiht sich an Bluttat.“ (4,1b-2 EU) Maßstab sind hier die Zehn Gebote, wobei der Bruch des 1. Gebots, Gott allein zu lieben, alle weiteren Rechtsverstöße nach sich zieht. Dies hat tödliche Folgen für alle: „Darum soll das Land verdorren, jeder, der darin wohnt, soll verwelken, […]“ (4,3 EU)[5]
Auf diese Darlegung des „Deutehorizonts“ (Jörg Jeremias) als Prozess JHWHs gegen sein Volk folgen zwei durchkomponierte Absätze mit jeweils fünf Abschnitten (Aufbau: 1+2/3+4/5).[5]
Nun werden die beiden Hauptsünden Israels dargestellt.
Die Kapitel 12–14 sind eine Art Zusammenfassung der hoseanischen Gerichtsverkündigung mit Abschlusscharakter und Einladung zur Umkehr nach dem Fall Samarias. Möglicherweise war das in einem früheren Stadium der Redaktion ein Anhang zu den Kapiteln 4–11, eine Art Schlussdiskussion der Anhänger Hoseas.
Hos 14,2–14,10 wird als eine exilische Heilsprophetie und als Anhang gedeutet.
Der Textbestand des Buches Hosea gehört neben dem Buch Amos zu den biblischen Büchern mit der längsten Überlieferungsgeschichte. Entsprechend uneinig ist die historisch-kritische Bibelforschung über seine mögliche Herkunft und Überlieferungsgeschichte. Diskutiert werden vier denkbare Entstehungsmodelle:[6]
Sicher ist, dass ein Teil der hier gesammelten Prophetensprüche auf eine judäische Redaktion in oder nach dem Babylonischen Exil (586–539 v. Chr.) zurückgeht, die Unheilsworte an das Nordreich auf das Südreich bezog und entsprechend ergänzte. Das zeigen im ganzen Buch verstreute angehängte Einzelverse, die Israels Schicksal von 722 als Mahnung an Juda deuten (4,15 EU; 5,5 EU; 6,1–3 EU; 7,10 EU; 8,14 EU; 10,11 EU; 11,10f EU).
Dieser Redaktion kann jedoch schon eine lange überlieferte Sammlung von Hoseas Prophetie vorgelegen haben, die wahrscheinlich bald nach 722 im Südreich begann. Eventuell wurden dort bereits Heilsansagen unverbunden neben die älteren, authentischen Unheilworte Hoseas gestellt, da nach 586 auch judäische Prophetie auf diese Weise ergänzt und gedeutet wurde (Hans Walter Wolff, Otto Kaiser).[3]
Hos 1,1 EU stellt Hosea als Sohn Beeris vor. Mehr erfährt man nicht über seine Herkunft. Er stammte aber wohl aus dem Nordreich, denn er bezog sich ausschließlich auf dessen Traditionen und trat vor allem in der Hauptstadt Samaria, eventuell auch anderen israelitischen Kultorten wie Bethel und Gilgal auf, die genannt werden.[3]
Er soll in der Regierungszeit der judäischen Könige von Usija (ca. 787–736 v. Chr.) bis zu Hiskija (ca. 728–700 v. Chr.) sowie unter dem israelitischen König Jerobeam II. (787–747 v. Chr.) gewirkt haben. Diesem war zunächst eine Rückeroberung der an die Aramäer verlorenen Gebiete gelungen (2 Kön 14,25 EU). Doch bald darauf wurden Israel und Juda zunehmend von der neuen Großmacht Assyrien bedroht; 722 v. Chr. eroberte deren König Salmanassar V. Samaria und beendete das Königtum des Nordreichs.[3]
Einige Anspielungen erlauben, Hoseas Wirkungszeitraum näher einzugrenzen:[3]
Anders als bei dem etwa zur selben Zeit auftretenden Propheten Amos (Am 7,14 EU) wird von Hosea keine ausdrückliche Berufung berichtet. Seine Prophetie ist überwiegend Kultkritik, verrät genaue Kenntnis der Opferpraxis und stellt die Exodustradition in den Vordergrund. Man hat deshalb vermutet, dass Hosea mit oppositionellen Priestern im Nordreich verbunden war, die den Synkretismus bekämpften und – ähnlich wie schon die vorherigen Propheten Elija und Elischa – die exklusive Verehrung JHWHs gegen eine ausgleichende, den kanaanäischen Baalskult einbeziehende Religionspolitik der Könige durchzusetzen versuchten. Diese Politik wird im Deuteronomistischen Geschichtswerk stereotyp als „Sünde Jerobeams“ für den Untergang des Nordreichs verantwortlich gemacht.[3]
Hoseas eigene Liebesgeschichte war eine Leidensgeschichte. Er heiratete eine Frau, die ihm immer wieder untreu wurde. Er beschwor sie, sperrte sie sogar ein, um weitere Treffen mit ihren Liebhabern zu verhindern. Er beschimpfte sie als Hure oder versuchte es mit pädagogischen Strafen.
„Auch mit ihren Kindern habe ich kein Erbarmen; denn es sind Dirnenkinder. Ja, ihre Mutter war eine Dirne, die Frau, die sie gebar, trieb schändliche Dinge. Sie sagte: Ich will meinen Liebhabern folgen; sie geben mir Brot und Wasser, Wolle und Leinen, Öl und Getränke. Darum versperre ich ihr den Weg mit Dornengestrüpp und verbaue ihn mit einer Mauer, sodass sie ihren Pfad nicht mehr findet. Dann rennt sie ihren Liebhabern nach, holt sie aber nicht ein. Sie sucht nach ihnen, findet sie aber nicht. Dann wird sie sagen: Ich kehre um und gehe wieder zu meinem ersten Mann; denn damals ging es mir besser als jetzt.“
Diese katastrophale Ehe, in der der Betrogene trotz deren Untreue nicht von der geliebten Frau lassen kann, wurde als Symbol für Israel genommen, dessen treuloses Volk gleich mehrere Götter verehrte. Hoseas Geduld, der weder seine Frau noch die Hoffnung auf ihre Rückkehr aufgibt, zeugt von einer großen, anrührenden Leidenschaft.
„Wie könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie dich aufgeben, Israel? Wie könnte ich dich preisgeben wie Adma, dich behandeln wie Zebojim? Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf. Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken und Efraim nicht noch einmal vernichten. Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte. Darum komme ich nicht in der Hitze des Zorns.“
Als Prophet des Nordreichs bezog sich Hosea ausschließlich auf dessen Traditionen, vor allem den Auszug aus Ägypten, die Wüstenwanderung und das 1. Gebot (Hos 13,4 EU). Seine Gerichtspredigt war ebenso radikal wie die seines Zeitgenossen Amos. Auch Hosea verlangte soziale Gerechtigkeit und Gesellschaftsveränderung (Hos 10,12f EU), stellte aber die Kritik am Opferkult und den Priestern in den Vordergrund. Dabei knüpfte er an die ältere vorschriftliche Prophetie Elijahs an, der ebenfalls jede Synthese von Baal und JHWH als für Israel tödlichen Abfall ablehnte (1 Kön 18 EU).
Hosea bezog diese Kritik aber nicht nur auf den neben der JHWH-Verehrung fortbestehenden Baalskult (2,11 EU; 9,10 EU; 11,2 EU), sondern auf die traditionellen Tieropfer für JHWH selber, die Israels Gott wie Baal zum Garanten des Wohlergehens missbrauchten:
Selbst an den Orten und unter dem Vorwand der JHWH-Verehrung verbarg sich für ihn der „Götzendienst“. Das in Ex 32 als Blasphemie verurteilte Stierkalb aus Gold war wahrscheinlich kein Fremdgötterbild, sondern ein aus Kanaan übernommenes Symbol für die von JHWH erwartete Fruchtbarkeit des Landes (Hos 8,5 EU; 10,5 EU), dem Stiere geopfert wurden (Hos 12,12 EU). Hosea verwarf im Namen des so angebeteten Gottes den Opferkult überhaupt:
„Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer.“
Dem stand Hoseas politische Kritik in nichts nach. Er bezog sie nicht nur auf gewaltsame Umstürze und schwankende Außenpolitik der Könige Israels, sondern auf das Königtum überhaupt:
„Ihre ganze Bosheit hat sich in Gilgal enthüllt, dort habe ich sie hassen gelernt.“
In Gilgal war seinerzeit Saul zum ersten König Israels gewählt worden (1 Sam 11 EU). Statt einen neuen König wie von Priestern und Propheten erwartet als Heilsbringer zu bejubeln, sah Hosea Thronfolgen und Thronwirren als Zeichen des göttlichen Gerichts:
„In meinem Zorn gab ich dir einen König, in meinem Groll nahm ich ihn weg.“
Die in der Abhängigkeit von König- und Priestertum sichtbare Untreue des Volkes führe dessen sicheren Untergang herbei (13,9 EU), hebe aber dennoch Gottes Treue zu ihm nicht auf (11,8 EU). In den politischen Katastrophen Israels sah Hosea vielmehr Gott wieder so handeln, wie er in Israels Frühzeit an ihm gehandelt hatte: Nur die Rückführung nach „Ägypten“ (Hos 8,13 EU; 11,1 EU) und in die Wüste (Hos 5,9 EU; 12,10 EU), also eine neue Fremdherrschaft, die Israels eigenmächtige Institutionen und Führungsautoritäten entmachtete (Hos 7,16 EU; 11,5 EU), werde dieses Volk lehren, seiner Berufung zu folgen und allein seinem Gott zu vertrauen (Hos 10,2-3 EU).
Wie später Jeremia (Jer 31,20 EU) und Tritojesaja (Jes 63,15 EU) betonte Hosea aber auch Gottes Leidenschaft für sein untreues Volk und sein Mitleiden an dessen Schicksal bis hin zum „Schmerz“:
„Mein Herz ist andern Sinnes [auch übersetzbar mit: kehrt sich um in mir, schmerzt mich], all meine Barmherzigkeit ist entbrannt.“
Gerade diese Fähigkeit zur Reue und zum erneuten Erbarmen gegenüber dem Wankelmut und der Untreue des menschlichen Bundesgenossen sah Hosea als die unverwechselbare Identität dieses Gottes (Hos 11,9 EU): „[…] Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch […]“.
Theologen wie Jürgen Moltmann und Wilfried Härle sehen in dieser prophetischen Theologie vom mitleidenden Schmerz Gottes eine notwendige Korrektur eines einseitigen Gottesbildes, das Gottes Wesen nur als Liebe ohne innere Bewegung, ohne Veränderung und Dramatik bestimmt. Gericht, Zorn, Verstoßung und erneute Annahme der geliebten Menschen seien untrennbare und unausweichliche Teilmomente dieser Liebe und machten ihren Realitätsgehalt in der Geschichtserfahrung Israels aus.
In der synagogalen Praxis wird an dem Schabbat zwischen Rosch ha-Schana und Jom Kippur die Haftara aus dem 14. Kapitel des Buches Hoschea (Vers 2) vorgetragen. Die Lesung beginnt mit den hebräischen Worten Schuwa Jisrael: „Kehre um, Jisrael, zum Ewigen, deinem Gotte, hin.“[7] Aufgrund dieser prophetischen Lesung erhielt dieser Schabbat auch seinen besonderen Namen Schabbat Schuwa = „Schabbat der Umkehr“ und fügt sich damit in die zehn Tage der Umkehr zwischen Rosch ha-Schana und Jom Kippur ein.
Personendaten | |
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NAME | Hosea |
ALTERNATIVNAMEN | Hoschea; Osee; Osea |
KURZBESCHREIBUNG | israelischer Prophet |
GEBURTSDATUM | 8. Jahrhundert v. Chr. |
STERBEDATUM | 8. Jahrhundert v. Chr. |