Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) sind pluripotente Stammzellen, die durch künstliche Reprogrammierung von nicht-pluripotenten somatischen Zellen entstanden sind. Die Umwandlung wird durch von außen angeregte Expression spezieller Gene (Transkriptionsfaktoren) in der Körperzelle angestoßen, für die verschiedene Techniken existieren. iPS-Zellen ähneln natürlichen Stammzellen in vielen Eigenschaften stark, ob die heutigen iPS-Zellen in allen Eigenschaften mit natürlichen Stammzellen übereinstimmen, ist eine ungeklärte Frage. Induzierte pluripotente Stammzellen haben ein hohes medizinisches Potential, da die Forschung an ihnen weniger ethische Probleme mit sich zieht als die an Embryonalen Stammzellen. Außerdem lassen sich speziell auf Patienten angepasste iPS-Zellen erzeugen.
Nachdem 2006 im Labor des japanischen Stammzellenforschers Shin’ya Yamanaka die ersten iPS-Zellen hergestellt wurden, ist die Forschung an iPS-Zellen heute eines der sich am schnellsten weiterentwickelnden Gebiete der Biologie. Für die Entwicklung induzierter pluripotenter Stammzellen erhielt Shin’ya Yamanaka 2012 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.[1]
Sowohl Embryonale Stammzellen (ES-Zellen), die mit Körperzellen fusioniert wurden, als auch die Zellen der ersten Zellteilungen nach einem somatischen Zellkerntransfer sind in der Lage, Körperzellen zu einem pluripotenten Zustand umzuprogrammieren. Außerdem war es vor 2006 in mehreren Experimenten gelungen, durch Überexpression bzw. Unterexpression von einzelnen Transkriptionsfaktoren den Zelltyp von somatischen Zellen zu ändern (Transdifferenzierung).[2][3] Shin’ya Yamanaka stellte auf diesen Grundlagen aufbauend die Hypothese auf, dass Gene, die in ES-Zellen eine besonders wichtige Rolle spielen, auch in der Lage sein könnten, eine Körperzelle in einen pluripotenten Zustand zurückzuversetzen. Zusammen mit Kazutoshi Takahashi führte er Experimente an Fibroblasten des Modellorganismus Maus durch, in denen die Expression von zentralen Transkriptionsfaktoren in Körperzellen dadurch angeregt wurde, dass deren DNA durch ein Retrovirus in das Genom eingebracht wurde (Transduktion).
Ausgehend von insgesamt 24 Kandidaten-Genen konnte er im Experiment zeigen, dass mit einer Kombination aus den vier Genen c-Myc, Klf-4, Oct-4 und Sox-2 die Reprogrammierung einiger Zellen in einen pluripotenten Zustand möglich ist.[4] Überraschend war für ihn hierbei, dass das Nanog-Gen, das zur Selbsterneuerung von Stammzellen essentiell ist, nicht benötigt wurde. Die Zellen ähnelten natürlichen Stammzellen stark, waren jedoch nicht in der Lage, nach der Injektion in die Blastozyste eines Maus-Embryo eine lebende Chimäre zu erzeugen. Dies gelang Yamanakas Team Mitte 2007, zeitgleich mit zwei anderen Laboren.[5][6][7] Die entscheidende Verbesserung in dieser zweiten Generation von iPS-Zellen war, dass zum Erhalt der erfolgreich umgewandelten Zellen nicht Fbx15, sondern Nanog verwendet wurde (der Anteil der erfolgreich reprogrammierten Zellen einer Zellkultur ist sehr gering, er liegt im Promille- bzw. unteren Prozentbereich). Induzierte pluripotente Stammzellen besitzen einen teilweise unterschiedlichen Phänotyp zu embryonalen Stammzellen.[8] Die Umwandlung zu induzierten pluripotenten Stammzellen ist unter anderem von einer Entfernung der Trimethylierung des Lysins im Histon H3 an Position 27 (H3K27me3) begleitet.[9]
Ende 2007 gelang es unabhängig voneinander mehreren Teams, iPS-Zellen aus menschlichen Körperzellen zu erzeugen.[10][11][12] Diese Studien zeigten auch, dass sich aus menschlichen iPS-Zellen Zellen aller drei Keimblätter gewinnen lassen.
Das Experiment von Yu aus dem Labor James Thomsons hatte die Besonderheit, dass statt der vier Pluripotenzgene Yamanakas eine andere Kombination von Genen aktiviert wurden: Neben Oct4 und Sox-2 waren dies Nanog und Lin-28. Dies zeigte, dass es möglich ist, auf c-Myc verzichten zu können. c-Myc ist ein bekanntes Protoonkogen.
Nach der erfolgreichen Reprogrammierung von Fibroblasten wurde gezeigt, dass sich Zellen aus unterschiedlichem Gewebe (Blut, Leber, Gehirn, Pankreas u. a.) zur Pluripotenz umprogrammieren lassen.[13] Eine große Hürde auf dem Weg zur klinischen Anwendung von iPS-Zellen besteht jedoch darin, dass bei der Transduktion durch Retroviren das Genom der Empfängerzelle verändert wird, was Krebs zur Folge haben kann. Ein weiteres Risiko ist das Protoonkogen c-Myc, das – obwohl nicht unentbehrlich – die Effizienz der Methode stark verbessert.
Aus diesem Grund wurde bald nach Methoden gesucht, die das Genom der Empfängerzelle nicht dauerhaft verändern und so gentechnisch veränderte Organismen zu vermeiden. Ein Ansatz besteht darin, Adenoviren als Vektor zu verwenden statt Retroviren.[14] Ein anderer Ansatz besteht darin die Gene in Form eines Plasmids in die Zelle zu bringen, so dass die Chromosomen der Zelle nicht verändert werden.[15] Schließlich gelang es Forschern 2009 sogenannte protein-induzierte pluripotente Stammzellen (piPS-Zellen) durch das Einbringen von rekombinanten Proteinen zu erzeugen. Bei dieser Methode produziert die Zelle die notwendigen Proteine nicht selbst durch Translation wie bei allen vorherigen Ansätzen. Stattdessen werden sie – in leicht veränderter Form, damit sie die Zellmembran passieren können – der Zelle von außen zugeführt.[16] Die meisten dieser alternativen Methoden erreichen jedoch eine weitaus niedrigere Effizienz, als die stabile Transfektion durch die ursprünglichen vier Pluripotenzgene.
Die Erzeugung induzierter pluripotenter Stammzellen wurde von der Zeitschrift Nature Methods zur Methode des Jahres 2009 gekürt.[17]
Zum Nachweis, dass die reprogrammierten Zellen wirklich pluripotente Stammzellen sind, ist eine Reihe von Verfahren notwendig. Man kann zwischen morphologischen, molekularen und funktionellen Nachweismöglichkeiten unterscheiden.[18]
iPS Zellen können aber auch mit tetraploiden Blastozysten kombiniert werden. Hierbei können die Blastozysten lediglich Plazentagewebe ausbilden und der Embryo muss aus den iPS-Zellen herstammen. Dieser strengere Test konnte nun mit iPS-Zellen aus Mäusen erfolgreich durchgeführt werden.[19]
Der genaue Mechanismus des zur Pluripotenz führenden Prozesses ist weitgehend unverstanden. Wegen der geringen Effizienz der Methode ist es schwierig, Zellen gezielt während des graduellen, etwa zehntägigen Prozesses der Reprogrammierung zu verfolgen.[20] Bei den ersten Generationen von iPS-Zellen lag die Erfolgsrate nur bei 0,05 %. Diese Prozentzahl liegt in der gleichen Größenordnung wie der Anteil natürlich vorkommender Stammzellen in einer Population von Hautzellen, so dass die Hypothese aufkam, dass nicht terminal ausdifferenzierte Zellen, sondern seltene natürliche Stammzellen zu iPS-Zellen werden.[21]
In den folgenden Jahren konnte dieser Verdacht entkräftet und gezeigt werden, dass vollständig ausdifferenzierte Zellen fähig sind, zu iPS-Zellen zu werden.[22] Außerdem wurde die Effizienz der auf Retroviren basierenden Methode durch die zusätzliche Zugabe von bestimmten Chemikalien drastisch auf ca. 10 % erhöht.[23] Trotzdem ist es möglich, dass weniger weit ausdifferenzierte Zellen sich leichter reprogrammieren lassen.
Heute vermuten die meisten Forscher, dass der Prozess der Reprogrammierung stochastischer Natur ist, bei dem verschiedene „Barrieren“ epigenetischer Art überwunden werden müssen. Zum einen müssen die Promotorregionen derjenigen Gene, die für die Pluripotenz essentiell sind, demethyliert werden. Auch die Acetylierung der Histone muss während der Reprogrammierung geändert werden. Man geht davon aus, dass diese Prozesse stochastischer Natur sind, und dass ein Teil der ursprünglichen Zellen auf dem Weg zur Pluripotenz in Zwischenzuständen hängenbleiben (wie etwa die ursprüngliche Generation der iPS-Zellen von Yamanaka, die keine lebenden Chimären erzeugen konnte). Es spricht einiges dafür, dass prinzipiell alle Zellen zu iPS-Zellen reprogrammiert werden können, auch wenn die Zeit, in der dies geschieht, stark von Zelle zu Zelle variiert.[24]
Einen Grenzfall zwischen iPS, immortalisierten Zelllinien und normalen Zellen bilden konditional reprogrammierte Zellen, die sich unbegrenzt teilen können, solange zwei Faktoren hinzugegeben werden – Fütterzellen und der Inhibitor der Rho-Kinase Y-27632.[25][26][27]
Für die medizinische Forschung sind iPS-Zellen interessant, weil sich mit ihrer Hilfe patientenspezifische Zellen herstellen lassen. Hierdurch kann möglicherweise in Zukunft das Problem der Immunabstoßung, das herkömmliche Stammzelltherapien (Stammzelltransplantation) haben, umgangen werden.
Es ist Forschern bereits gelungen, iPS-Zellen von Patienten mit Krankheiten wie Amyotropher Lateralsklerose[28] oder Spinaler Muskelatrophie[29] zu isolieren und diese zu Neuronen differenzieren zu lassen. Da man diese Zellen oft nur schwer auf natürlichem Wege erhalten kann, kann dieses Verfahren das Studium von Krankheiten im Labor verbessern.
Bei Mäusen ist es gelungen, mittels Transplantation von iPS-Zellen Sichelzellenanämie zu therapieren[30] und die Symptome der Parkinson-Krankheit zu lindern.[31] Diese Methoden haben zurzeit jedoch noch erhebliche Risiken (Bildung von Teratomen und anderen Tumoren), so dass eine klinische Anwendung mit dem derzeitigen Stand der Technologie noch nicht in Frage kommt.
Nach Einschätzung führender Forscher auf dem Gebiet liegt die therapeutische Anwendung von iPS-Zellen daher noch in der Ferne.[32][33] Eine Verwendung zum Studium von Krankheiten und zum Testen potentieller Medikamente im Labor könnte jedoch nach Einschätzung Yamanakas schon in wenigen Jahren weite Verbreitung finden.[34]
Da iPS-Zellen aus Körperzellen entstehen, treten bei ihrer Herstellung im Vergleich zu embryonalen Stammzellen weit weniger ethische Probleme auf, Therapeutisches Klonen oder In-vitro-Fertilisation sind nicht notwendig. Zum Identitätsnachweis sind natürliche ES-Zellen aber gegenwärtig auch bei der Forschung an iPS-Zellen unverzichtbar. Aber auch die Forschung an iPS-Zellen selbst ist nicht frei von ethischen Problemen. Begünstigt durch den relativ einfachen Prozess der Herstellung ist es denkbar, dass in Zukunft aus iPS-Zellen Gameten gewonnen werden können oder mit ihrer Hilfe menschliche Klone erzeugt werden könnten, was beides ethische Probleme aufwirft.[35]
Der extrem schnelle Fortschritt der Forschung im Gebiet der iPS-Zellen, verbunden mit starker Resonanz der Öffentlichkeit und Medien und großen Hoffnungen auf zukünftige neue Therapieformen, stößt auch auf kritische Stimmen. Gerade auch von den Forschern selbst wurden Bedenken geäußert, dass die starke Konkurrenz und der wettlaufartige Charakter auf dem Gebiet der Forschung schaden könnte und dazu führe, dass vorschnell veröffentlicht wird und zu wenig Identitätstests und Langzeituntersuchungen auf Tumorbildung durchgeführt werden.[36][37]
2014 führte ein Skandal um zwei experimentelle Veröffentlichungen in Nature zu STAP-Zellen, einer Untermenge von iPS-Zellen, die nach Angabe der Autoren schon durch äußere Stimuli Pluripotenz erlangt haben sollten, zu einem Rückzug der Artikel, da sich die Ergebnisse als fabriziert herausstellten.[38]