Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm
Logo des DOK Leipzig
Das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, kurz DOK Leipzig, ist ein seit 1955 jährlich in Leipzig stattfindendes Zwei-Sparten-Filmfestival. In den Wettbewerbskategorien Internationaler Dokumentarfilm, Internationaler Animationsfilm, Deutscher Dokumentarfilm und Publikumswettbewerb werden als Hauptpreise die Goldenen und Silbernen Tauben verliehen. Zur 67. Ausgabe des Festivals 2024 wurden Preisgelder in Höhe von 70.000 Euro vergeben. Seit 2004 gibt es außerdem mit DOK Industry ein umfangreiches international ausgerichtetes Branchenangebot, das DOK Leipzig zur wichtigsten deutschen Plattform der Dokumentarfilmbranche macht. 2024 besuchten erstmals rund 55.000 Zuschauer das Festival.[1]
Am Kino „Capitol“ in der Petersstraße während der XVI. Internationalen Dokumentar- und Kurzfilmwoche (1973)Publikum im Festivalkino „Capitol“ mit Dean Reed beim DOK Leipzig (1975)Werbetafeln für das Festival am Markt (2002)
Die Initiative zur 1. Gesamtdeutschen Leipziger Woche für Kultur- und Dokumentarfilm 1955 geht auf den Club der Filmschaffenden der DDR zurück. Direktor des ersten unabhängigen und gesamtdeutschen Festivals der DDR war Wolfgang Kernicke. Aufgrund von Konzeptionsstreitigkeiten in den Jahren 1957 bis 1959 fand die Filmwoche nicht statt. Mit der Wiederaufnahme und neuer Konzeption 1960 begann das Festival, sich in der Dokumentarfilmlandschaft zu etablieren. 1961 fand das erste internationale Festival statt und im Jahr darauf wurden die Goldene und Silberne Taube als Hauptpreise eingeführt. Die Tauben gingen auf einen Entwurf von Pablo Picasso zurück, den dieser ursprünglich für die Pariser Weltfriedenskongress 1947 angefertigt hatte. Der französische Autor Vladimir Pozner war auf Vorschlag des Ehrenpräsidiums von der Direktion des Festivals beauftragt worden, bei seinem Freund Picasso nachzufragen, ob seine Taube in die Medaillen, die für die großen Preise des Festivals verliehen werden, eingraviert werden dürfte. Als Symbol des Festivals war die Taube bis 2004 auch in dessen Logo präsent. 1964 wurde Wolfgang Harkenthal neuer Direktor. Die ersten ernsthaften politischen Konflikte gab es 1968 mit der Niederschlagung des Prager Frühlings. Zwar durften einige gesellschaftskritische Filme im Programm gezeigt werden, Filme zum Thema „Tschechoslowakei“ wurden allerdings von der Aufführung ausgeschlossen. Ab 1971 nahm die Einmischung der staatlichen Behörden der DDR in die Programmgestaltung deutlich zu.
1973, mit der Ratifizierung des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, gründete sich das Komitee der Internationalen Leipziger Woche für Dokumentar- und Kurzfilm. Erste Präsidentin war Annelie Thorndike, Vize blieb bis 1983 Karl-Eduard von Schnitzler. Festivaldirektor war von 1973 bis 1989 Ronald Trisch. Die politische Einflussnahme auf Festivalbeiträge nahm weiter zu, es wurden Schnitt- und Textänderungen erzwungen, die Qualität der Beiträge nahm ab, da zunehmend lange Filme und Fernsehreportagen statt künstlerisch hochwertiger Dokumentarkunst präsentiert wurden. Von der Auswahlkommission und der Presse wurde bis 1981 vor allem das „Selbstnominierungsprinzip“ kritisiert; aus den Unionsrepubliken der Sowjetunion trafen meist sehr kurzfristig Filmpakete ein, die teils gezeigt wurden, ohne sie zuvor gesehen zu haben.
1987 wurden die ersten Filme zur Perestroika gezeigt, ARD und ZDF waren offizielle Teilnehmer des Festivals.
1988 wurden selbst sowjetische Filme durch das DDR-Kulturministerium zensiert, die Diskussionsrunden wurden abgeschafft. Mit der Wende 1989 trat das Komitee zurück. Das Festival bekam jedoch Unterstützung durch die Regelungen des Einigungsvertrags.
Unter Festivaldirektorin Christiane Mückenberger (1990–1993) ergaben sich einige Neuerungen: 1991 wurde als neuer Veranstalter die Dok-Filmwochen GmbH der Stadt Leipzig ebenso wie ein neues Motto eingeführt. Die Veranstaltungsreihe „DOK zwischendurch“ fand zum ersten Mal statt und in Zusammenarbeit mit der Filmschule Leipzig wurde erstmals der Preis der Jugendjury vergeben. 1993 übernahm Otto Alder die Programmsektion „Animationsfilm“.
1994 löste der Publizist und Filmemacher Fred Gehler Christiane Mückenberger ab. Er blieb bis 2003 Direktor des Festivals. Ein Jahr nach seinem Antritt wurde erstmals ein eigenständiger Wettbewerb für den Animationsfilm durchgeführt. Unter einem neuen Motto („Dialog mit dem Mythos“) wurde 1997 erstmals die Goldene Taube für ein Lebenswerk vergeben: an den argentinischen Regisseur Fernando Birri und an Santiago Álvarez aus Kuba. Die erste „nacht des jungen films“, ein Event mit Filmen, Musik, Literatur und Partys, fand 1998 statt. 2000 veranstaltete der Verein „Fernsehen macht schön e. V.“ innerhalb dieser Veranstaltung zum ersten Mal das „Shocking Local Short Night Shuffle“, einen lokalen Kurzfilmwettbewerb.
Claas Danielsen, Filmemacher und Studienleiter, wurde 2004 neuer Direktor. Er führte das Fortbildungsprogramm für Nachwuchs-Dokumentarfilmer, Discovery Campus e. V. und unter anderem den Wettbewerb für den deutschen Dokumentarfilm ein. Außerdem etablierte er den Branchentreffpunkt DOK Industry und das Motto „the heART of documentary“. Die Preisgelder steigen auf insgesamt 47.500 Euro mit der Vergabe des „Förder-Preis der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig“. 2005 bekam das Festival den neuen Kurztitel DOK Leipzig. Im Jahr darauf gab es erstmals den „DOK Markt Digital“. Die Jubiläumsausgabe 2007 brachte einen neuen Zuschauerrekord: Knapp 31.000 Menschen besuchten das Festival. Von 2015 bis 2019 war die finnische Journalistin Leena Pasanen Festivaldirektorin.[2][3] Unter ihrer Leitung wurde die Trennung von Dokumentar- und Animationsfilm in den Wettbewerben aufgehoben. Sie etablierte kostenlose Filmvorführungen im Leipziger Hauptbahnhof, setzte sich für Angebote für Hör- und Sehbeeinträchtigte ein und führte eine Frauenquote für den deutschen Wettbewerb ein. Ebenfalls 2015 wurde Brigid O’Shea zur Leiterin von DOK Industry ernannt. Sie baute das Branchenprogramm international weiter aus und festigte dessen Stellung als Deutschlands führende Branchenplattform für den Dokumentarfilm. Zahlreiche Formate entwickelte sie für das Festival, z. B. die Rohschnitt-Präsentationen DOK Preview oder den Kurzfilm-Pitch DOK Short n‘ Sweet.[4]
Zum 1. Januar 2020 übernahm Christoph Terhechte als Nachfolger von Leena Pasanen die Intendanz und künstlerische Leitung des Filmfestivals.[5] Der Journalist und Filmkritiker leitete von 2001 bis 2018 das Internationale Forum des Jungen Films der Berlinale und anschließend bis 2020 das Internationale Filmfestival Marrakesch. Als Festivalleiter von DOK Leipzig straffte er das Filmprogramm, um eine klarere Programmstruktur zu schaffen.[6] Außerdem stärkte der die Rolle langer Animationsfilme beim Festival sowie die Vernetzung der Dokumentar- und Animationsfilmbranchen. 2020 führte er erstmals eine Goldene Taube für lange Animationsfilme ein und etablierte in dem Zuge eine neue Wettbewerbsstruktur.[7]
Aus der hybriden Festivaledition im Pandemiejahr 2020 entstand das Online-Filmangebot „DOK Stream“, in dem während der Festivalwoche aktuelle Filme deutschlandweit online zu sehen sind. Dennoch setzt das Festival unter Terhechte einen klaren Schwerpunkt auf das Kino und Veranstaltungen vor Ort.[8]
Seit 2021 wird die Branchenplattform DOK Industry von Nadja Tennstedt verantwortet. Seitdem hat das Festival den Fokus auf die Teilhabe von Kreativen aus unterrepräsentierten Gruppen und das Infragestellen von in der Dokumentarfilmbranche existierenden Machtstrukturen verstärkt. Als neues Format führte DOK Industry 2022 den DOK Archive Market ein und baute das Angebot des DOK Industry Podcasts aus.[9]
Die Hauptpreise sind seit 1962 die Goldene und Silberne Tauben, die aus Meissener Porzellan eigens für das Festival hergestellt werden. Die Goldenen Tauben werden verliehen von der Internationalen Jury für Dokumentarfilm, der Internationalen Jury für Animationsfilm, Deutschen Jury für Dokumentarfilm und der Publikumsjury, die sich aus Vertreter*innen des Leipziger Publikum zusammensetzt. Die beiden Silbernen Tauben im Internationalen Wettbewerb Dokumentarfilm gehen an Nachwuchsfilmschaffende.
Internationaler Wettbewerb Dokumentarfilm
Goldene Taube (über 40 min) dotiert mit 10.000 Euro gestiftet vom MDR
Goldene Taube (bis 40 min) dotiert mit 3.000 Euro
Silberne Taube (über 40 min/Nachwuchspreis) dotiert mit 6.000 Euro gestiftet von 3sat
Silberne Taube (bis 40 min/Nachwuchspreis) dotiert mit 1.500 Euro gestiftet von der SLM
Internationaler Wettbewerb Animationsfilm
Goldene Taube (über 40 min) dotiert mit 3.000 Euro
MDR-Film-Preis (für einen herausragenden osteuropäischen Dokumentarfilm) dotiert mit 3.000 Euro
Preis der Dienstleistungsgesellschaft ver.di dotiert mit 2.000 Euro
Preis der Interreligiösen Jury dotiert mit 2.000 Euro
Mephisto 97.6 Preis für den besten kurzen Animationsfilm
Filmpreis Leipziger Ring für einen hervorragenden Dokumentarfilm über Menschenrechte, Demokratie oder bürgerschaftliches Engagement, gestiftet von der Stiftung Friedliche Revolution in Höhe von 2.500 Euro
Die Zusammenstellung der Retrospektiven erfolgte von 1960 bis 1989 in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Filmarchiv der DDR.[11] Seit 1990 arbeitet das Festival für die Retrospektiven eng mit dem Bundesarchiv Filmarchiv Berlin zusammen.
DEFA-Stiftung (Hrsg.): apropos:Film. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2000–2001; Bertz + Fischer, Berlin 2002–2005.
Fred Gehler, Rüdiger Steinmetz (Hrsg.): Dialog mit einem Mythos. Ästhetische und politische Entwicklungen des Leipziger Dokumentarfilm-Festivals in vier Jahrzehnten. Vorträge und Diskussionen des Symposiums anlässlich des 40. Festivals 1997, zugleich VII. Hochschultage für Medien und Kommunikation. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 1998, ISBN 3-933240-38-7.
Andreas Kötzing: Die internationale Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche in den 1970er Jahren. Eine Studie über das „politische Profil“ des Festivals. (Zugl.: Leipzig, Univ., Magisterarbeit), Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2004, ISBN 3-86583-003-X.
Andreas Kötzing: »Die Sicherheit des Festivals ist zu gewährleisten!«. Kritische Jugend, die Leipziger Dokfilmwoche und das Ministerium für Staatssicherheit. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2014, ISBN 978-3-95462-342-6.
Andreas Kötzing: Kultur- und Filmpolitik im Kalten Krieg. Die Filmfestivals von Leipzig und Oberhausen in gesamtdeutscher Perspektive 1954–1972. Wallstein Verlag, Göttingen 2013, ISBN 978-3-8353-1264-7.
Kerstin Mauersberger: Weiße Taube auf dunklem Grund. 40 Jahre Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm. Henschel, Berlin 1997, ISBN 3-89487-280-2.
Heidi Martini: Dokumentarfilm-Festival Leipzig. Filme und Politik im Blick und Gegenblick. (Zugl.: Hannover, Univ., Diss., 2007), DEFA-Stiftung, Berlin 2007, ISBN 978-3-00-022950-3.
Caroline Moine: Cinéma et guerre froide. Histoire du festival international de films documentaires de Leipzig (1955–1990). (Thèse Univ. de Paris I, 2005), Publications de la Sorbonne, Paris 2014, ISBN 978-2-85944-788-5.
Ralf Schenk: Bilder einer gespaltenen Welt. 50 Jahre Dokumentar- und Animationsfilmfestival Leipzig. Bertz + Fischer, Berlin 2007, ISBN 978-3-86505-181-3.