Johann Joachim Becher (* 6. Mai 1635 in Speyer; † Oktober 1682 in London)[1] war ein Gelehrter, Leibarzt, Hochschullehrer, Ökonom und Alchemist. Er gilt als der bei weitem bedeutendste unter den deutschen Merkantilisten.[2]
Becher, in Speyer geboren, verbrachte dort seine Jugend und besuchte hier das Retscher-Gymnasium. Sein Vater Joachim Becher († 1643)[3] war ein protestantischer Pastor in Speyer, seine Mutter war Anna Margaretha Gauss aus einer Speyerer Ratsfamilie.[4] Ab 1650 durchreiste er Europa und besuchte dabei Stockholm, Amsterdam und vielleicht Italien. 1657 ließ Becher sich in Mainz nieder und wurde mit nur 25 Jahren und ohne einen medizinischen Studienabschluss im modernen Sinn am 28. Juni 1660 von Kurfürst und Erzbischof Johann Philipp von Schönborn als Autodidakt zum kurfürstlichen Leibarzt und Hofmathematiker ernannt. Am 17. September 1660 wurde er an der Medizinischen Fakultät der Universität Mainz als candidatus medicinae immatrikuliert und im Folgejahr zum Doktorexamen zugelassen. Die öffentliche Disputation fand am 19. September 1661 unter dem Vorsitz von Ludwig von Hörnigk statt, und am 28. November 1661 erfolgte seine Aufnahme in die Medizinische Fakultät,[5] aus der er bereits am 4. Januar 1664 wieder ausschied.[6]
Becher trat zur römisch-katholischen Kirche über, bevor er die Tochter von Hörnigks, Maria Veronika, am 13. Juni 1662 heiratete. Sein Schwiegervater übertrug ihm im April 1663 das Amt des Professor publicus et ordinarius an der Medizinischen Fakultät. Titel seiner Antrittsvorlesung war Über die Wirklichkeit des Lapis philosophorum oder Stein der Weisen.[4] Becher beriet Johann Philipp von Schönborn auch in wirtschaftlichen Fragen und entwarf in seinem Auftrag eine Polizeiordnung für das Kurfürstentum Mainz, die zwar nicht realisiert wurde, spätere Verordnungen aber beeinflussen sollte.[7] Zu seinen weiteren Leistungen zählen Pläne für Schleusen, die beim Bau des Rhein-Donau-Kanals verwendet werden sollten.[8] 1664 stand er kurzzeitig in den Diensten des Kurfürsten Karl I. Ludwig von der Pfalz in Mannheim. 1664–1670 befand er sich als Arzt und Mathematiker am Hof des bayerischen Kurfürsten Ferdinand Maria und wurde von dort aus ab 1668 auch als bayerischer Beauftragter am Kaiserhof in Wien tätig. In dieser Zeit entstand sein ökonomisches Hauptwerk Politischer Discurs, das mehrere Auflagen erfuhr und auch noch mehr als 100 Jahre nach seinem ersten Erscheinen neu aufgelegt wurde.
Für kurze Zeit war er ab 1669 als Berater des Hanauer Grafen Friedrich Casimir tätig, der eine Wirtschaftspolitik im Sinne von Becher betrieb. Becher erhielt den Auftrag, eine Kolonie Hanauisch-Indien in Südamerika, im Bereich des heutigen Guyana, zu gründen. Dieses Projekt, das die finanziellen Möglichkeiten der durch den Dreißigjährigen Krieg danieder liegenden Grafschaft Hanau bei weitem überschritt, und der wirtschaftliche Bankrott, dem sich die Grafschaft rasant näherte, führten noch im selben Jahr zu einem Staatsstreich der Familie gegen Graf Friedrich Casimir und zur Entlassung von Johann Joachim Becher. Er wandte sich erneut nach München, wo er noch im gleichen Jahr auf Kosten der bayerischen Regierung ein großes alchemistisches Laboratorium eröffnete.
1670 wechselte Becher in den Dienst Kaiser Leopold I. Er übte einen starken Einfluss auf dessen Wirtschafts-, Handels- und Beschäftigungspolitik aus. Der Kaiser ernannte ihn zum Hofrat und Mitglied des Kommerzkollegiums. Er entwarf Pläne zu Manufakturen und schlug die Errichtung einer österreichisch-indischen Handelsgesellschaft vor. Im Jahr 1675 versuchte er vergeblich, Neu-Amsterdam (das heutige New York City) für das Kurfürstentum Bayern zu erwerben.[9][10] Seit 1676 war er in Würzburg, Haarlem (1677–1679) und dann in London tätig, wo er sich mit großen Bergwerksunternehmen beschäftigte. In Holland wollte er aus dem Meeressand Gold gewinnen. 1678 war er in Hamburg bei Hennig Brand. Gottfried Wilhelm Leibniz verhinderte, dass er nach Hannover berufen wurde.[11] Noch im gleichen Jahr 1678 reiste er nach England und Schottland. In Schottland besuchte er Minen auf Wunsch des Prinzen Ruprecht von der Pfalz, Duke of Cumberland.[12] Später reiste er zum gleichen Zwecke nach Cornwall, wo er ein Jahr lang lebte. Zu Beginn des Jahres 1680 präsentierte er der Royal Society einen Text, in dem er versuchte, der Erfindung der Pendeluhr aus dem Jahre 1657 durch Christiaan Huygens zur Zeitmessung zu widersprechen. 1681 erhielt er in England ein Patent auf die Herstellung des Steinkohleteers, mit dem Schiffe konserviert wurden. Im Oktober 1682 starb er in London und wurde in der Kirche St. Martin-in-the-Fields begraben.[13] Nicht weit davon fand einige Jahre später Robert Boyle seine letzte Ruhe. Seine erste ausführliche Biographie veröffentlichte Urban Gottfried Bucher 1722.[14]
Becher war ab 1662 mit Maria Veronika von Hörnigk (* 1642), Tochter des Mainzer Dekans Ludwig von Hörnigk, verheiratet.[15] Seine ökonomischen Vorstellungen beeinflussten auch seinen Schwager Philip Wilhelm von Hörnigk.[15][16] So arbeitete er ab dem Jahre 1673 gemeinsam mit ihm in Wien an den Handelsstatistiken über die österreichischen und böhmischen Erblande.
Becher war eine „schillernde Persönlichkeit“ in der Zeit des Übergangs von der Alchemie zur modernen Chemie. Er untersuchte die Natur des Verbrennungsprozesses und nahm an, dass beim Verbrennen von Stoffen eine „terra pinguis“ freigesetzt würde. Nach Bechers Auffassung waren Luft, Wasser und Erde die eigentlichen Elementarprinzipien. Die Erde selbst teilte er nochmals in eine terra fluida oder merkuralische Erde, die den Stoffen Flüssigkeit, Feinheit, Flüchtigkeit und metallische Eigenschaften verleihe; eine terra pinguis oder fettige Erde, die der öligen Flüssigkeit der Alchemisten entspricht, die den Substanzen ölige, schweflige und brennbare Eigenschaft verleihe; und eine terra lapidea oder glasartige Erde, die für das Prinzip der Schmelzbarkeit stünde. Die terra fluida bezeichnete er auch als phlogistos. Dieser Terminus war an sich nicht neu und wurde auch von anderen, etwa Nicolaus Niger Hapelius (1559–1622),[17] Daniel Sennert und letztlich schon bei Aristoteles – hier für „brennbar“ – in ähnlichem Sinnzusammenhang verwendet. 1669 entdeckte Becher die Bildung des ersten Vertreters der Alkene, des Ethens (als gaz oléfiant, später auch Äthylen genannt) durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Ethanol.[18]
Es war das Modell der drei Erden mit den daraus formulierten Sätzen, das Georg Ernst Stahl (1659–1734) zur Ausbildung der (seit Lavoisier überholten) Phlogistontheorie nutzte.
In seiner Wiener Zeit entwickelte Becher ein Verfahren zum Goldmachen. Mit Hilfe der Zugabe von Silber und anderen geheimen Zutaten zum Schwemmsand des Wiener Beckens gelang ihm scheinbar die Transmutation in Gold. Sein „Immerwährendes Sandbergwerk“ fand aber keine Geldgeber. Erst um 1934 wurde wieder versucht, die Goldsande großtechnisch auszubeuten. Die Tragik liegt bei ihm (und anderen erfolgreichen Goldmachern) darin, dass sie nicht erkannten, dass das Gold schon fein verteilt im Sand enthalten und nicht durch ein alchemistisches Verfahren entstanden war.
Das Werkhaus war ein Technologieprojekt, welches 1666 von Johann Joachim Becher konzipiert wurde und als ein erster Prototyp auf dem Tabor bei Wien gebaut werden konnte.[19] Es war ein Zusammenschluss verschiedener Produktions- und Lehrstätten, die untereinander kooperierten. Das Ziel des Projekts war die Förderung der inländischen Produktion und die Beschäftigung von Arbeitslosen. Das Projekt scheiterte letztendlich an selbstsüchtigen Eigeninteressen Einzelner. Außerdem brannte im Türkenkrieg 1683 das Werkhaus ab und es wurde nicht wieder aufgebaut.
Die habsburgische Monarchie befand sich im 17. Jahrhundert wirtschaftlich und finanziell in einer schlechten Lage. Aufgrund dessen berief Johann Joachim Becher im Auftrag Kaiser Leopolds I. das "Kommerz-Kollegium zur Förderung des Handels" ein. Dieses stützte sich auf das merkantilistische System und auf dessen drei Hauptpfeiler:
Bechers Hauptaugenmerk lag auf dem ersten Punkt und so entstand das Projekt Werkhaus. Das Werkhausprojekt förderte die Produktion, indem es
Das Werkhaus beinhaltete ein großes chemisches Laboratorium, eine Werkstatt zur Erzeugung von Majolikgeschirr, eine Apotheke, eine Werkstatt zur Herstellung von Hausgeräten, eine Wollmanufaktur, eine Seidenmanufaktur, einen Brunnen zur Salpeterherstellung und einen Teich, welcher der Energiegewinnung dienen sollte. Gleichzeitig sollte das Werkhaus als eine Lehrwerkstätte für alle inländischen Gewerbetreiber dienen und auch eine Lehranstalt für Landeskinder sein. Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges lebte nur noch ca. ein Drittel der deutschen Bevölkerung, weswegen Becher ausländische Arbeiter aus Holland, England und Italien anheuerte, die neue Verfahren einführten. Das Projekt sollte auch eine soziale Zufriedenheit innerhalb des Volkes hervorrufen, da es zu dieser Zeit viele Arbeitslose gab. Jedoch wurde das Projekt nach nur fünf Jahren gestoppt, weil verschiedene Stände nur die negativen Auswirkungen des Projektes für sich selbst sahen. So sahen beispielsweise die Zünfte ihre Monopolstellung gefährdet und intrigierten gegen Bechers Werkhaus. Durch die Zerstörung des Werkhauses im Türkenkrieg 1683, ein Jahr nach Bechers Tod, fand Bechers Vision in Wien ein Ende.
Ansätze von Bechers Idee werden heute noch in Kibbuzen umgesetzt und in den dualen Ausbildungssystemen.
Auf den Reisen des Universalgelehrten[20] und an seinen unterschiedlichsten Aufenthaltsorten entstanden eine Vielzahl von Büchern, die sein weites Interessenspektrum widerspiegeln; ein konstanter Schwerpunkt aber lag bei seinen chemisch-alchemistischen und ökonomischen Werken.[21] Sein Entwurf einer numerisch repräsentierten Interlingua-Sprache[22] gilt als Vorläufer der modernen Idee einer maschinellen Übersetzung. Er beschrieb 1683 auch ein durch Wärme bewegtes Aufzugssystem für Uhren (fast) nach Art des Perpetuum mobile sowie ein weiteres System, das das Regenwasser vom Dach seines Hauses verwendete. Becher warb auch – hier wieder ganz praktisch – für die Einführung des Kartoffelanbaues in Deutschland.
Seine volkswirtschaftlichen Schriften werden von Eli F. Heckscher mit Adam Smiths Wealth of Nations verglichen: Bei Merkantilismus wie Liberalismus steht der Reichtum im Mittelpunkt des wirtschaftspolitischen Strebens; dem Merkantilismus geht es aber primär um eine Zusammenfassung der Kräfte gegenüber mittelalterlichem Partikularismen durch eine Stärkung der Staatsmacht (der damaligen Territorialherren).[2]
1685 erschien unter dem Namen Johann Joachim Bechers ein Werk der Hausväterliteratur, das aber in Wirklichkeit von einem Autor namens Sturm verfasst wurde.[24]
Personendaten | |
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NAME | Becher, Johann Joachim |
KURZBESCHREIBUNG | Gelehrter, Leibarzt, Hochschullehrer |
GEBURTSDATUM | 6. Mai 1635 |
GEBURTSORT | Speyer |
STERBEDATUM | Oktober 1682 |
STERBEORT | London |