Bohrer war der Sohn des promovierten Volkswirts Hermann Bohrer und seiner Ehefrau Elisabeth Bohrer, geb. Ottersbach. Er besuchte von 1939 bis 1943 die Volksschule in seiner Heimatstadt. Danach war er Schüler am humanistischen Gymnasium und Landschulheim Birklehof in Hinterzarten im Schwarzwald. Die Pädagogik des Internats wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von dem Philosophen Georg Picht neu begründet. 1953 legte Bohrer die Reifeprüfung ab und studierte zunächst zwei Semester lang Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte an der Universität zu Köln. Im selben Jahr fuhr er zum ersten Mal nach England, über das er in den kommenden Jahrzehnten immer wieder geschrieben und wo er auch lange gelebt hat.
Im Jahr 1957 legte Bohrer an der Universität Göttingen das Staatsexamen in den Fächern Deutsch und Geschichte ab. Danach nahm er eine Tätigkeit als Lektor für deutsche Sprache am Deutschen Zentrum in Stockholm auf. Für seine Promotion immatrikulierte er sich im Sommersemester 1960 an der Universität Heidelberg, an der er den Historiker Rudolf von Albertini sowie die Germanisten Arthur Henkel und Peter Wapnewski hörte. 1961 wurde er bei Arthur Henkel mit der Arbeit Der Mythos vom Norden. Studien zur romantischen Geschichtsprophetie promoviert.
Bohrer schrieb Kulturreportagen und literarische Essays für den Rundfunk und die Deutsche Zeitung, ehe er 1962 nach Hamburg in die Feuilletonredaktion der Welt kam. Von 1966 bis 1982 gehörte er der Feuilletonredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an und leitete ab 1968 deren Literaturressort.[1] 1974 wurde er in dieser Funktion durch Marcel Reich-Ranicki abgelöst, der später über seinen Vorgänger Bohrer sagte, dieser habe den Literaturteil „mit dem Rücken zum Publikum redigiert“.[2] Nach einer Pause von einem Jahr ging Bohrer dann 1975 für die FAZ als Korrespondent nach London.[3]
1997 wurde er in Bielefeld emeritiert. Karl Heinz Bohrer war in erster Ehe mit Barbara Bohrer verheiratet,[5] in zweiter Ehe mit der Schriftstellerin Undine Gruenter († 2002). Er wohnte zuletzt in London und lebte in dritter Ehe mit Angela Bielenberg (geb. Gräfin von der Schulenburg).[3] Bohrer starb Anfang August 2021 im Alter von 88 Jahren in London.
Im September 2021 ist bei Suhrkamp Was alles so vorkommt: Dreizehn alltägliche Phantasiestücke postum erschienen.
Der österreichische Schriftsteller Franz Schuh bezeichnete Bohrer in einem weiträumigen Essay Der letzte Ästhet. Zu den Schriften Karl Heinz Bohrers[6] als „derzeit wichtigsten Denker des Ästhetischen“. In diesem Aufsatz besprach Schuh eine Reihe von Arbeiten Bohrers, die dieser der Thematik eines ästhetisierenden Schrecklichen und Bösen gewidmet hatte. Es handelt sich um: 1. Erscheinungsschrecken und Erwartungsangst,[7] 2. Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk,[8] 3. Die Grenzen des Ästhetischen,[9] 4. Sprachen der Ironie – Sprachen des Ernstes. Das Problem,[10] 5. Ästhetik des Staates,[11] 6. Das Böse – eine ästhetische Kategorie?,[12] 7. Der Abschied. Theorie der Trauer. Baudelaire, Goethe, Nietzsche, Benjamin[13] und 8. Möglichkeiten einer nihilistischen Ethik.[14] Neben seinen späteren Essays schrieb Bohrer auch eine Autobiographie in zwei Bänden: Granatsplitter (2012) und Jetzt (2017).[15]
Anlässlich des Spieles der Wembley-Elf (1972) prägte der damalige London-Korrespondent Bohrer die Wendung, Netzer habe seine Vorstöße „aus der Tiefe des Raumes“ vorgetragen.[16] Die Formulierung brachte es zur stehenden Redewendung, nicht nur im Fußballdiskurs, und zum Titel eines Kinofilms. Bohrer wird ebenso mit der Prägung des Begriffs „Gutmensch“ in Verbindung gebracht.[17]
Der Mythos vom Norden. Studien zur romantischen Geschichtsprophetie, Heidelberg 1962, DNB481920579, OCLC252040202 (Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Referent Arthur Henkel, Korreferent Friedrich Sengle, 26. Februar 1962, 146 Seiten).
Die gefährdete Phantasie, oder Surrealismus und Terror. Carl Hanser, München 1970 (ohne ISBN).
Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. Carl Hanser, München–Wien 1978, ISBN 3-446-12511-6. – Weitere Ausgabe: Ullstein, Frankfurt am Main–Berlin–Wien 1983, ISBN 3-548-35172-7.
Ein bißchen Lust am Untergang. Englische Ansichten. Carl Hanser, München 1979, ISBN 978-3-446-12720-3.
Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, ISBN 978-3-518-11058-4.
(Hrsg.:) Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983, ISBN 978-3-518-11144-4.
Der romantische Brief. Die Entstehung ästhetischer Subjektivität. Carl Hanser, München–Wien 1987, ISBN 978-3-518-11582-4.
Nach der Natur. Über Politik und Ästhetik. Carl Hanser, München–Wien 1988, ISBN 978-3-446-15301-1.
Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, ISBN 978-3-518-11551-0.
Selbstdenker und Systemdenker. Über agonales Denken. Carl Hanser, München 2011, ISBN 978-3-446-24184-8.
Granatsplitter. Eine Erzählung. Carl Hanser, München 2012, ISBN 978-3-446-23972-2. Auch als Granatsplitter. Erzählung einer Jugend 2014 bei dtv erschienen. ISBN 978-3-423-14293-9.
Das Erscheinen des Dionysos. Antike Mythologie und moderne Metapher. Suhrkamp, Berlin 2015, ISBN 978-3-518-58618-1.
Alexander Kluge: 200 Jahre Revolution: Die Guillotine -- Es berichtet: Karl Heinz Bohrer. In: 10 vor 11 (dctp), RTL plus, 30. Mai 1988.[20]
Olaf Haas, Karim Zendagui, Stefan Bollmann: Ich würde die Welt zweiteilen. Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler und Herausgeber des ‚Merkur‘ am 20. August 1989 in Paris. In: Zeitmitschrift. Journal für Ästhetik und Politik 6 (Oktober 1989–Januar 1990), S. 63–81.
Jochen Rack: Gespräch mit Karl Heinz Bohrer. In: Sinn und Form 64,4 (Juli/August 2012), S. 481–491.
Stefan Schlak: „Dieser Junge wünscht gefährlich zu leben“. Ein Gespräch mit Karl Heinz Bohrer. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 4,3 (Herbst 2012), S. 49–66.
↑Vgl. Helmut Böttiger: Literaturkritiker: Schlegel, Benjamin und der Pausenclown. In: Heinz Ludwig Arnold, Matthias Beilein (Hrsg.): Literaturbetrieb in Deutschland. 3. Aufl.: Neufassung. Edition text + kritik, München 2009, S. 97–108, hier S. 106; Kurt Oesterle: Wir sprachen mit[:] Karl Heinz Bohrer. Romantik und Revolte. In: Schwäbisches Tagblatt, 23. November 1989, Nr. 270, o. S.
↑Michael Braun: Provokateur und Negativist. Karl Heinz Bohrer ist der erste Inhaber der Heidelberger Gadamer-Professur, in: Basler Zeitung, 8. Juni 2001.
↑Karl Heinz Bohrer: Jetzt. Geschichte meines Abenteuers mit der Phantasie. Suhrkamp, Berlin 2017, S. 141 und öfter; Traueranzeige (PDF; 69 kB).
↑Karl Heinz Bohrer: Das absolute Präsens. Die Semantik ästhetischer Zeit, Frankfurt am Main 1994, S. 32–62.
↑Hanser, München–Wien 1978; vgl. Michael Rutschky: Die Ästhetik des Schreckens. Zu Karl Heinz Bohrers Untersuchung. In: Neue Rundschau 89,3 (1978), S. 457–464.
↑Gustav Seibt: Vom Bürgerkönigtum. Laudatio für Karl Heinz Bohrer. In: Sinn und Form 59,4 (2007), S. 557–563.
↑Variante auf DVD: Alexander Kluge: Die Guillotine oder die Kategorie der Plötzlichkeit. Mit Karl Heinz Bohrer. In: 10 vor 11 (dctp), RTL plus, 26. Dezember 1988, enthalten in: Seen sind für Fische Inseln. Fernseharbeiten 1987–2008. Zweitausendeins/dctp, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-86150-885-4, DVD Nº 1, Track Nº 2; auf dctp.tv.