Kindesmisshandlung ist Gewalt gegen Kinder oder Jugendliche. Es handelt sich um eine besonders schwere Form der Verletzung des Kindeswohls. Unter dem Begriff Kindesmisshandlung werden sowohl physische als auch psychische Gewaltakte, sexueller Missbrauch sowie Vernachlässigung zusammengefasst. Diese Handlungen an Kindern sind in den meisten westlichen Industrieländern strafbar. Statistiken haben ergeben, dass die Täter häufig die Eltern oder andere nahestehende Personen sind.
Kindesmisshandlung kann verstanden werden als „eine nicht zufällige, bewusste oder unbewusste, gewaltsame, psychische oder physische Schädigung, die in Familien oder Institutionen (beispielsweise Kindergärten, Schulen, Heimen) geschieht, die zu Verletzungen, Entwicklungshemmungen oder sogar zum Tod führt und die das Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigt oder bedroht“ (nach SchBast[1]).
In dieser Definition sind Formen der alltäglichen und systematischen Kinderfeindlichkeit, wie sie sich beispielsweise in schlechten Wohnbedingungen oder lebensbedrohlichem Verkehr ausdrücken, nicht berücksichtigt. Diese ebenfalls zur Misshandlung zu zählen, würde den Begriff zu ungenau machen.
Unterschieden werden:
Zum körperlichen Missbrauch zählen körperliche Gewalt und schwere Züchtigungen durch Erziehungsberechtigte. Zum sexuellen Missbrauch zählt die Entblößung des Täters bzw. exhibitionistische Handlungsformen sowie sexueller Missbrauch mit Körperkontakt. Von emotionaler Misshandlung wird gesprochen, wenn das Kind dauerhaft feindliche Zurückweisung, Entwertung, Verspottung, Drohung, Liebesentzug oder Isolierung erfährt und sich nicht menschenwürdig entfalten kann. Andererseits stellen auch unangemessen kontrollierendes Verhalten, Verwöhnen oder das Drängen des Kindes in eine überfordernde Rolle als Partner- oder Elternteilersatz (Parentifizierung) emotionalen Missbrauch dar. Die Inzidenz beträgt in USA und Großbritannien circa 10 Prozent bei Frauen und 4 Prozent bei Männern.[4] Zu wenig Beachtung findet in Wissenschaft und Gesellschaft die Missbrauchsform der emotionalen und körperlichen Vernachlässigung.[2] Die Vernachlässigung ist oftmals nicht unmittelbar erkennbar, da gesundheitliche Folgen oder Entwicklungsdefizite erst nach länger anhaltender Mangelversorgung sichtbar werden.
Oft bedingen sich diese Misshandlungsformen gegenseitig, so kann beispielsweise die Einschüchterung des Kindes nach der Misshandlung als emotionaler Missbrauch verstanden werden. Aus der Vernachlässigung eines Kleinkindes kann körperliche Misshandlung entstehen.
Körperstrafe
In den meisten Staaten der Welt sind Körperstrafen als Erziehungsmittel gesetzlich nicht pauschal verboten. Es wird daher zwischen „nicht-missbräuchlicher“ (nonabusive) und „missbräuchlicher“ (abusive) Züchtigung unterschieden. Es gibt dabei in jedem Land eigene Gesetze, die den Tatbestand der Misshandlung von der legalen Züchtigung abgrenzen. In Deutschland wird seit der Gesetzesänderung von 2000 grundsätzlich jede Körperstrafe, unabhängig von ihrer Härte, gesetzlich als Misshandlung angesehen (siehe auch Züchtigungsrecht). Die meisten Misshandlungen geschehen durch nahestehende Personen (ältere Geschwister, Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten, nähere Bekannte der Familie).
Adipositas
Die Deutsche Kinderhilfe bewertet es nicht als „Frage des individuellen Lebensstils oder eine Ausprägung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Erziehungsrechts“, wenn Erziehungsberechtigte es zulassen, dass Minderjährige adipös werden. „Eltern, die zulassen, dass ein 10-Jähriger schon 100 kg oder mehr wiegt, misshandeln nach bestehender Rechtslage ihr Kind! Nur wenn wir dies akzeptieren, gibt es eine Chance, im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe gemeinsam mit den Familien präventiv gegenzusteuern und frühzeitig auch verhaltensändernd einzugreifen.“[5] Der Staat müsse das Recht erhalten, Eltern adipöser Kinder zur Teilnahme an Ernährungskursen zu verpflichten und die Nichtteilnahme zu sanktionieren.
Nach § 1631 Abs. 2 BGB haben in Deutschland Kinder „ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Zudem stehen bestimmte Formen der Misshandlung nach dem Strafgesetzbuch unter Strafe, so beispielsweise nach § 225 StGB Misshandlung von Schutzbefohlenen (beziehungsweise den § 211–§ 229 StGB (Tötung und Körperverletzung)) und nach § 174 (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen), § 176 ff. (Sexueller Missbrauch von Kindern) sowie § 177–§ 178 StGB (sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung).
Eine Strafverfolgung von Sextourismus ist möglich; Menschen, die im Ausland sexuelle Übergriffe begehen, sexuell nötigen, vergewaltigen oder sexuell missbrauchen, können dafür auch dann in Deutschland bestraft werden, wenn die Tat am Tatort nicht strafbar ist.
Fast alle dieser Paragraphen sind Offizialdelikte, das heißt die Staatsanwaltschaft muss bei Hinweisen ermitteln, selbst wenn kein Strafantrag gestellt wird (bei einfacher Körperverletzung ist zwar grundsätzlich ein Strafantrag erforderlich, allerdings ermittelt die Staatsanwaltschaft bei besonderem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung, das bei Kindesmisshandlung generell angenommen wird, von Amts wegen, vgl. unten).
Die Gesetzgebung hat eine in sich widersprüchliche Form angenommen. Zum einen wird Kindesmisshandlung als Straftat aufgefasst und das Strafgesetzbuch fordert mit § 225 StGB bis zu zehn bzw. fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe bei einer solchen Straftat. Mit dem Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung aus dem Jahr 2000 wurde jedoch der Grundsatz „Hilfe statt Strafe“ verankert[6]. Zitat aus dem Gesetzentwurf (nur hier wurde das Konzept „Hilfe statt Strafe“ benannt):
Die Veröffentlichung des verabschiedeten Gesetzes im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2000 I Nr. 48) zeigt neben Änderungen der Unterhaltsregelungen die zwei Gesetzesmodifikationen zum Schutz von Kindern vor Gewalt:
Daneben floss diese Widersprüchlichkeit auch in die Verwaltungsvorschrift zum Tätigwerden der Staatsanwaltschaften (RiStBV, Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren) ein. Dort heißt es in der ab dem 1. Februar 1997 bundeseinheitlich geltenden Fassung unter Abschnitt 235:[8]
Die Umsetzung des Konzeptes Hilfe statt Strafe spiegelt sich in den Richtlinien für die zuständigen Behörden wider. So leitet das vom Familienministerium geförderte Handbuch Kindeswohlgefährdung die Mitarbeiter des Jugendamtes und des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) dazu an, über den Schutz der Kinder wie folgt zu entscheiden:
Kindesmisshandlung ist zwar ein Offizialdelikt, wird aber nur strafrechtlich verfolgt, wenn er den Strafverfolgungsbehörden bekannt wird. Auch wenn für den Kinderschutz verantwortliche Behörden Polizei und Staatsanwaltschaft nicht hinzuziehen, so bleibt Kindesmisshandlung dennoch eine Straftat:
Diese Ausprägung der Gesetzgebung bringt eine gespaltene staatliche Haltung gegenüber Fällen von Gewalt in Familien zum Ausdruck. Das zeigt sich besonders an dem Paradoxon, dass ein gegen den Partner gewalttätiger Ehegatte, nach dem bei erwachsenen Opfern geltenden Gewaltschutzgesetz mit Wohnungsverweis zu rechnen hat, wogegen aber bei Kindesmisshandlung durch dieselbe Person Unterstützung durch Jugendhilfemaßnahmen (sog. Hilfen zur Erziehung) zur Linderung einer Überforderungssituation als Lösung verfolgt wird, allerdings auch Sorgerechtsentzug in Betracht kommt. Bei den staatlichen Maßnahmen gegen häusliche Gewalt werden Kinder als eigenständige Opfergruppe ausgenommen. So lässt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Häusliche Gewalt in ihren „Standards und Empfehlungen“[11] Kinder nur als indirekt betroffene Opfer gelten. Andererseits kommt in beiden Fällen eine Bestrafung in Betracht (teilweise bei Taten gegen Minderjährige sogar eine höhere), wenn der Fall den Strafverfolgungsbehörden bekannt wird (vgl. oben).
Nachdem die Medien über eine große Zahl von schweren Kindesmisshandlungsfällen mit zum Teil tödlichem Ausgang berichteten, bei denen die Jugendämter vorher eingeschaltet waren, wurde deren Kompetenz bei Maßnahmen gegen familiäre Gewaltverbrechen an Kindern in Frage gestellt. Dies führte im Jahr 2005 zu einer Neufassung des Schutzauftrages[12] im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII). Seitdem sind die Jugendämter bei Gefährdungssituationen dazu verpflichtet, Fachkräfte und als letzte Möglichkeit auch die Polizei hinzuzuziehen. Bereits zuvor waren die Jugendämter verpflichtet, bei erkennbaren Kindeswohlgefährdungen ggf. eine Inobhutnahme vorzunehmen (§ 42 SGB VIII).
Gegen die Einschaltung der Polizei wird bei Jugendhilfe und Kinderschutz bisweilen argumentiert, dass Eltern sich dann allen Angeboten der Hilfe zur Erziehung entziehen würden. Eine Problematik liegt insbesondere darin, dass das 1991 in Kraft getretene Kinder- und Jugendhilfegesetz anders als das Jugendwohlfahrtsgesetz zuvor den Sorgeberechtigten und nicht das Kind als Anspruchsberechtigten betrachtet. Daher waren bis zur Einfügung des § 8a SGB VIII im Jahr 2005 die Eingriffsmöglichkeiten des Jugendamtes weitgehend beschnitten worden. Mit der Einführung des § 8a sind die Jugendämter nunmehr aufgefordert, Konzepte zu entwickeln, wie im Falle von Kindeswohlgefährdung in Jugendhilfeeinrichtungen diese durch gestufte Interventionen zu beheben ist.
Auch nach Einführung der neuen gesetzlichen Instrumentarien bleibt aber ein großes Problem, dass die überwiegende Zahl der Fälle von Kindesmisshandlung weder den Jugendämtern noch der Polizei bekannt werden und somit die betroffenen Kinder völlig schutzlos bleiben. Dem soll eine Bundesratsinitiative Rechnung tragen, die die Einführung von Pflichtuntersuchungen vorsieht.[13]
Nur in Berlin gibt es ein spezialisiertes Kommissariat der Kriminalpolizei.[14] Um Gewaltopfern oftmals quälende Mehrfachaussagen zu ersparen, wäre es bei einer Anzeige sinnvoll, sie nur bei einer solchen Behörde zu stellen (trotzdem müssen die Aussagen mindestens noch einmal vor Gericht wiederholt werden). Der Einsatz von Videotechnologie bei Opferaussagen zur Vermeidung von Mehrfachaussagen oder Konfrontation mit dem Täter wird in Deutschland nur sehr selten wahrgenommen; häufig wird er mit formal-juristischen oder finanziellen Argumenten abgelehnt.
Auch mit der Einführung des § 8a SGB VIII im Jahr 2005 ist in Deutschland noch keine Meldepflicht beim Bekanntwerden von einzelnen Misshandlungen entstanden. Ärzte, Sozialpädagogen und Psychologen sind grundsätzlich an ihre Schweigepflicht gebunden (§ 203 StGB). Wenn es allerdings um eine Gefahr für die physische und/oder psychische Entwicklung von Kindern/Jugendlichen geht, können sie nicht nur einen „rechtfertigenden Notstand“ geltend machen, der die Verletzung der Schweigepflicht rechtfertigt (was schon vorher bei Gefahr für Leib oder Leben der Fall war (§ 34 StGB)). Bei einer Kindeswohlgefährdung (z. B. wiederholte Misshandlungen) sind Berufsgeheimnisträger seit 2012 gemäß § 4 KKG[15] berechtigt (nicht jedoch verpflichtet), das Jugendamt zu informieren, wenn Betroffene keine geeigneten Hilfemaßnahmen annehmen. Die Entscheidungsfindung und Ablehnung von Hilfsangeboten durch die Betroffenen sollten schriftlich dokumentiert werden. Die Berufsträger haben gegenüber dem Träger der Jugendhilfe einen Beratungsanspruch zu Fragen des Vorgehens; Fragen des Datenschutzes beantworten auch die zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden.
Zum Vergleich: In den USA sind Vertreter der mit Kindern befassten Institutionen durch gesetzliche Regelungen („Reporting Act“) dazu verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden zu informieren. Diese sogenannten Mandated Reporters können anonym bleiben und genießen Immunität, solange sie sich korrekt verhalten.
Die Behandlung von Gewalt- und Sexualdelikten in der Familie ist im österreichischen Strafrecht auf verschiedene Tatbestände verteilt: Körperverletzungen sind in den § 83 ff. StGB verboten, das Quälen oder Vernachlässigen unmündiger jüngerer oder wehrloser Personen, wie etwa die Verweigerung einer medizinischen Behandlung, in § 92 StGB, die Freiheitsentziehung, wie etwa das Einsperren in einem Keller oder Abstellraum, werden in § 99 StGB abgehandelt. Weiterhin kommen für Kindesmisshandlung die § 105, § 106 StGB (Nötigung), § 107 StGB (gefährliche Drohung) und § 212 StGB (Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses) in Frage. Schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen ist in § 206 StGB geregelt, sexueller Missbrauch von Unmündigen in § 207 StGB. Der Tatbestand der Vernachlässigung der Pflege, Erziehung oder Beaufsichtigung von Unmündigen ist in § 199 StGB niedergelegt. Diese Tat kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten bestraft werden.
Repräsentative Studien über das Ausmaß von Kindesmisshandlung sind in Deutschland selten; die meisten Untersuchungen unterscheiden sich erheblich in Forschungsansatz, zugrunde liegender Definition und entsprechend auch den Ergebnissen. Laut einer Ausarbeitung der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet, die sich auf mehrere internationale Studien stützt, in denen Kinder und Eltern zu Misshandlungserlebnissen und Erziehungsmitteln befragt wurden, ist in wohlhabenden Ländern fast jedes 10. Kind betroffen.[16] Für das Jahr 2022 meldet das Statistische Bundesamt rund 62.300 von den Jugendämtern erfasste Kindeswohlgefährdungen in Deutschland, wobei es sich in ca. 59 % der Fälle um Vernachlässigung handle.[17][18]
Körperliche Gewalt in der Erziehung ist bei vielen Kindern anzutreffen: nach Studien haben 75 % bis 80 % schon mindestens einmal einen „Klaps“ oder eine „Ohrfeige“ bekommen, 20 % bis 30 % haben eine schwerere Form von Misshandlung wie beispielsweise „Prügel“ erlitten.
Die vermutlich häufigste Form der Misshandlung ist die Vernachlässigung kindlicher Bedürfnisse, also das Vorenthalten von materieller oder emotionaler Zuwendung, die für die Entwicklung oder das Leben des Kindes notwendig sind. Vernachlässigung wird sowohl von der Gesellschaft als auch von der Wissenschaft bisher selten thematisiert. Auch die emotionale Misshandlung, die beispielsweise durch herabwürdigendes oder ablehnendes Verhalten geschieht, ist kaum empirisch untersucht.
Jährlich werden bundesweit 15.000 bis 20.000 Kinder Opfer von sexueller oder sexualisierter Gewalt.
Verabreichung von Drogen an Kinder: Im Herbst 2010 wurden in Bremen 5 Kindern Haarproben entnommen. Es wurden bei allen 5 Kindern polytoxikomane Konsummuster festgestellt. Daraufhin wurden allen Kindern, die im Kontext der öffentlichen Jugendhilfe in Bremen versorgt wurden, Haarproben entnommen. Es wurden bei annähernd allen Kindern polytoxikomane und bei einigen monotoxikomane Konsummuster nachgewiesen.[19] In Bremerhaven werden Kinder, deren Eltern Drogen konsumieren oder mit Methadon versorgt werden, regelmäßig getestet.[20]
Aufschluss über die Anzahl polizeilich erfasster Fälle von Kindesmisshandlung gibt die PKS (Polizeiliche Kriminalstatistik). Dabei zu beachten ist:
Die Polizeiliche Kriminalstatistik Deutschlands weist für das Jahr 2005 unter den Schlüsseln 2231 (Misshandlung von Kindern) und 1310 (Sexueller Missbrauch von Kindern) folgende Daten aus (PKS 2005[23]):
Fallentwicklung und Aufklärung (PKS, Tabelle 1) | ||||||
Erfasste Fälle | Aufklärungsquote | |||||
2005 | 2004 | 2005 | 2004 | |||
Misshandlung von Kindern: | 2.905 | 2.916 | 98 % | 97 % | ||
Sexueller Missbrauch von Kindern: | 13.962 | 15.255 | 82 % | 81 % |
Opfer (PKS, Tabelle 91) | |||
Insgesamt | Männlich | Weiblich | |
Misshandlung von Kindern: | 3.390 | 55 % | 45 % |
Sexueller Missbrauch von Kindern: | 17.558 | 23 % | 77 % |
Geschlechts- und Altersstruktur Tatverdächtige (PKS, Tabelle 20) | |||||
Gesamt | Männlich | Weiblich | Alter unter 21 | Alter ab 21 | |
Misshandlung von Kindern: | 2.962 | 56 % | 44 % | 5 % | 95 % |
Sexueller Missbrauch von Kindern: | 9.805 | 96 % | 4 % | 28 % | 72 % |
Außer diesen direkt der Kategorie „Kindesmisshandlung“ zugeordneten Fällen beinhalten die polizeilichen Zahlen weitere Daten zu Verbrechen an Kindern. Für das Jahr 2002 wies die PKS folgende Zahlen angezeigter Straftaten aus, die in direktem Zusammenhang mit Kindesmisshandlung standen (nur kindliche Opfer):
Straftat | Angezeigte Fälle |
---|---|
Mord | 38 |
Totschlag und Tötung auf Verlangen | 67 |
Fahrlässige Tötung | 108 |
Vergewaltigung und Sexuelle Nötigung | 643 |
Körperverletzung mit Todesfolge | 21 |
Gefährliche/Schwere Körperverletzung | 9.028 |
Misshandlung von Schutzbefohlenen | 3.058 |
Vorsätzliche leichte Körperverletzung | 26.119 |
Fahrlässige Körperverletzung | 3.658 |
Straftaten gegen die persönliche Freiheit | 9.982 |
Dunkelfeldzahlen bei Kindesmisshandlung wurden durch eine Untersuchung des „Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen“ ermittelt.[24] Diese Untersuchung beschränkte sich auf körperliche Gewalt, berücksichtigte also nicht die anderen Misshandlungsformen wie Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch usw. Die im Laufe des Jahres 1998 durchgeführte Befragung von Jugendlichen nach ihren Gewalterfahrungen ergab, dass in den jeweils vorausgegangenen 12 Monaten 7 % aller Kinder unter 12 Jahren Misshandlungen und 8 % dieser Kinder schwere Züchtigungen durch die Eltern erlebt hatten.[25] Zu weiteren Häufigkeitsangaben aus Bevölkerungsstichproben siehe Kindheitstrauma.
Die folgende Tabelle zeigt die Aufschlüsselung dieser Zahlen:
Letzte 12 Monate | Gesamte Kindheit | |
Misshandlungen: | 7 % | 10 % |
Schwere Züchtigungen: | 8 % | 17 % |
Leichte Züchtigungen | 27 % | 30 % |
Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Anzeigen belaufen sich nur auf ca. 3500 pro Jahr. Der Vergleich zum Gesamtausmaß (siehe vorheriger Abschnitt) zeigt, dass nur einer von 400 Fällen bei der Polizei angezeigt wird. Diese extrem niedrige Anzeigequote steigt nur in den Teilbereichen langsam an, wo „Sensibilisierungskampagnen“ die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung verstärken, wie z. B. beim Sexuellen Kindesmissbrauch. Viele der Jugendhilfemaßnahmen werden mit anderen Anlässen als dem Verdacht auf Kindesmisshandlung begründet. Am häufigsten werden Überforderung und Beziehungsprobleme genannt. Diese Angaben sind allerdings jugendhilfetypisch, da der Vorwurf einer Straftat bei freiwilligen Formen der Unterstützung in der Regel zur Verweigerung der Zusammenarbeit führt. Ihre gesetzliche Ausprägung erfuhr die Annahme von Überforderung als häufigstem Grund für Kindesmisshandlung durch Verankerung des Grundsatzes „Hilfe statt Strafe“.[7] Es gibt jedoch keine wissenschaftliche Grundlage als Beleg für „Überforderung als häufigster Ursache für Kindesmisshandlung“. Evident ist aber die politische Funktion dieser Einordnung. Zum einen wird damit eine Hegemonie der Jugendhilfe für Maßnahmen gegen Kindesmisshandlung unterstützt, was einem Umverteilen öffentlicher Mittel zu Gunsten der ebenfalls zuständigen Strafverfolgungsbehörden entgegenwirkt. Überforderung als Begründung für Kindesmisshandlung hat zudem eine entlastende Funktion für die Frauenpolitik. Nach den Hellfeldzahlen des Bundeskriminalamtes[26] wie auch nach den Dunkelfeldzahlen der Forschung zur Gewalt in der Familie besteht ein signifikanter Anteil der Täter aus Frauen.[27]
Der bei Kinder- und Jugendhilfe vorhandene Kenntnisstand wird von der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik zentral aufbereitet und zugänglich gemacht. In der Sonderausgabe ihrer Zeitschrift KomDat vom Oktober 2006[28] fasst die AKJStat die Sachlage wie folgt zusammen:
Erheblich detailliertere Daten zu Kindesmisshandlung werden in den USA erhoben. Das Children’s Bureau, eine Einrichtung des „Department of Health and Human Services“ (Gesundheitsministerium) erfasst und publiziert die aus den Kinderschutzeinrichtungen (55,8 %) sowie direkt aus der Bevölkerung (44,2 %) stammenden Daten seit 1995.[31] Fakten aus dem letzten Bericht, „Child Maltreatment 2004“:[32]
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Körperstrafen in der Kindererziehung (etwa das sogenannte paddling) auch heute in US-amerikanischen Familien und teils in Schulen üblich ist und in weiten Teilen der USA keinem Verbot unterliegt (siehe auch: Kindheit und Jugend in den Vereinigten Staaten).
Eine Sonderstellung bei Kindesmisshandlung hat der sexuelle Missbrauch von Kindern und der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen. Diese sexuelle Art der Misshandlungen von Kindern ist eine besondere Form der Gewaltanwendung. In der Fachliteratur wird weitgehend zwischen sexuellem Missbrauch von Kindern und Misshandlungen unterschieden.
In Österreich liegen die Schätzungen beim sexuellen Missbrauch von Kindern bei 10.000 bis 25.000 (Stand: 2004) Betroffenen im Jahr. Davon sind in überwiegender Zahl Mädchen betroffen.[39]
Die Ursachen und Hintergründe von Kindesmisshandlung sind vielfältig. Entsprechend den beiden staatlichen Reaktionsformen „Strafe“ bzw. „Hilfe“ werden kriminell- bzw. sozialbedingte Ursachen genannt.
Kindesmisshandlung liegt vor, wenn in der Erziehung gegen grundlegende rechtliche Normen verstoßen wird:
und insbesondere:
Beispiele für Kindesmisshandlungsgründe sind:
Eine Entlastung der Täter bei Kindesmisshandlung ist – wie bei allen Straftaten – nur bei den in den §§ 19, 20 und 21 des StGB geregelten Gründen möglich:
Obwohl nur in wenigen Fällen Schuldunfähigkeit oder Strafmilderung zugrunde zu legen sind, werden nur sehr wenige Kindesmisshandlungen als Straftaten verfolgt. Die wesentlichen Gründe dafür sind:
In der Literatur werden Risikofaktoren genannt, wonach bestimmte Momente in der Entwicklung, der Persönlichkeit oder Lebenssituation die Entwicklung von Misshandlung fördern. Einige mögliche Risikofaktoren sind nach der Senatsverwaltung Berlin:[40]
Kind | Familie | Rahmenbedingung/Umfeld |
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Anmerkungen:
Kindesmisshandlung kommt am häufigsten in der Unterschicht vor. Christel Hopf bemerkt hierzu:
„In Zeitungsberichten über Gewalt gegen Kinder liest man mitunter, dass diese in allen gesellschaftlichen Schichten vorkommt. Dies ist so nicht falsch, lenkt aber von einer Auseinandersetzung mit den quantitativen Relationen ab. Verschiedenen sozialwissenschaftliche und kriminologische Untersuchungen belegen, dass Kinder aus den unteren sozialen Schichten signifikant häufiger misshandelt werden als die Kinder anderer Schichten […] Das Risiko misshandelt zu werden steigt insbesondere in den so genannten Randschichten der Gesellschaft […] Schichten mit besonders niedrigem Einkommen, hoher Arbeitslosigkeit, niedrigem Bildungsstand und besonders ungünstigen Wohnverhältnissen. Dabei sind – gegen die Erwartung – Frauen relativ häufig Täterinnen – insbesondere junge, allein erziehende Mütter der unteren sozialen Schichten.“[41]
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2012 von Wissenschaftlern der Universität Liverpool und der WHO, die in Genf 17 Studien mit 18.374 behinderten Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren auswertet, legt ebenfalls nahe, dass geistig und/oder körperlich behinderte Kinder ein erhöhtes Risiko haben Opfer von Misshandlung zu werden.[42]
Der Erkennung von Verletzungsfolgen durch Misshandlungen kommt eine große Bedeutung bei den derzeit erörterten Früherkennungssystemen zu. Wichtige Voraussetzung für deren Funktionieren ist eine ausreichende Qualifizierung von Hebammen, Kindergarten- und Schulpersonal sowie Kinderärzten in der Erkennung von Misshandlungsfolgen.
Kindesmisshandlung kann eine Vielzahl von schweren Folgen für das betroffene Kind (und unter Umständen auch für Geschwisterkinder) haben. Diese sind von der Form der Gewaltanwendung abhängig.
Beispiele für typische akute Verletzungen sind:
Beispiele für dauerhafte Misshandlungsfolgen sind:
Psychische Belastungen und Stress in der Kindheit wie z. B. Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch oder auch das Miterleben von Krieg und Naturkatastrophen können psychische Störungen im Erwachsenenalter (z. B. affektive Störung oder Angststörung, Persönlichkeitsstörung, Essstörung, Schizophrenie, Substanzmissbrauch), aber auch Veränderungen im Immunsystem oder im neuroendokrinen System zur Folge haben. Des Weiteren gibt es nachgewiesene neurologische Effekte von Kindesmissbrauch.
Die Folgenschwere von Gewalt und Vernachlässigung für das älterwerdende Kind und den späteren Erwachsenen ist umstritten. Die Extrempositionen reichen von „hat mir gutgetan“ oder „eigene Schuld“ bis hin zu „hat mein Leben zerstört“. Dies hängt unter anderem mit der Schwere des Erlittenen, den situativen Gegebenheiten und den Möglichkeiten zur Verarbeitung zusammen, aber auch damit, dass mit dem Erwachsenwerden die Erinnerungen an den eigenen kindlichen Schmerz verblassen, ohne dass dem Erwachsenen dies selbst notwendigerweise bewusst wird. So kann mit dem Verschwinden der Erinnerung an beispielsweise demütigende Gefühle später mit ehrlicher Überzeugung behauptet werden, dass einem die Schläge von einst „doch ganz gut getan“ oder „bestimmt nicht geschadet“ hätten.
Neurobiologische Folgen
Studien, die die Gehirnaktivität Überlebender, bei Exposition mit triggerndem Material, untersuchten, ergaben Befunde über Veränderungen in den Gehirnregionen Frontallappen, Temporallappen und Okzipitallappen.
Als Kurzzeitfolgen werden Folgen bezeichnet, die innerhalb der ersten beiden Jahre nach der sexuellen Misshandlung auftreten. Unter Langzeitfolgen sind Folgen zu verstehen, die länger als zwei Jahre andauern oder die um mehr als zwei Jahre verzögert auftreten. Meistens treten sie erst während der Adoleszenz oder im Erwachsenenalter auf.
Kurzzeitfolgen
Langzeitfolgen
Die Kindheitsforscherin Alice Miller machte es in diesem Zusammenhang zu ihrem Hauptanliegen, darauf hinzuweisen, dass auch ohne deren lebhafte Erinnerung die Folgen von Gewalt latent in Körper und Psyche verbleiben, dort ein gefährliches Eigenleben entwickeln und sich gegen das Opfer selbst oder andere zu richten beginnen können. Um dies zu verhindern sei es wichtig, behutsam die eigenen authentischen Gefühle von Schmerz in der Kindheit zu entwickeln und zu erinnern. Ohne das Erinnern sei ein Zugang zur eigenen Geschichte verbaut. Nicht selten sei Offenheit gegenüber dem Erinnern der Beginn eines langsamen Prozesses, der mehr und mehr Bruchstücke eines Mosaiks zum Vorschein bringt, so ihre Botschaft.
Kontrovers diskutiert wird Millers These, wonach das Verzeihen und Vergeben, welches in vielen Therapien anvisiert wird, manipulativ sei und eher die Verdrängungen und eigenen Idealisierungen der Therapeuten bezeuge – insbesondere bei religiös geprägten Menschen. Die Gefahr des Verzeihens liege darin, dass der Therapieprozess damit an dem Punkt aufhört, bis zu dem der jeweilige Therapeut aus seiner eigenen persönlichen Konstitution heraus begleitfähig war.
Methoden der Psychotraumatologie können dazu beitragen, die traumatischen Erlebnisse, insbesondere Intrusionen wie die sogenannten Flashbacks zu verarbeiten.
Es können je nach Folgeerkrankung andere Therapieformen sinnvoll sein. Wenn sich z. B. eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt hat, ist es wichtig, vor dem Aufarbeiten des Traumas zuerst eine Dialektisch-behaviorale Therapie durchzuführen, da das Aufarbeiten der Erinnerungen sonst weitere Schübe von Selbstverletzendem Verhalten auslösen könnte.
Prävention soll Kindesmisshandlungen verhindern. Wie in der Kriminalprävention üblich, wird nach zeitlicher Zuordnung und nach Zielgruppen unterschieden:
Frühzeitiges Erkennen soll fortdauernde Misshandlung oder Eskalation verhindern. In Deutschland wurde dazu von der seit 2005 regierenden Koalition im Koalitionsvertrag die Einrichtung von Frühwarnsystemen vereinbart. Das dadurch mögliche Erkennen einer Gefährdung ermöglicht verschiedene Formen von Sofortinterventionen:[48]
Kindesmisshandlung wird in der Literatur unter anderem in „Unloved: The True Story of a Stolen Childhood“ von Peter Roche. „Sie nannten mich Es“, „Der verlorene Sohn“ und „Ein Mann namens Dave“ von Dave Pelzer und „Mommie Dearest“ von Christina Crawford behandelt.
Im von Gene Pitney gesungenen und geschriebenen Lied Somewhere In the Country (1968) wird über eine Kindesmisshandlung berichtet. Auch die deutsche Sängerin Cora Lee hat mit dem Song und Video Silent Scream (2010) das Thema behandelt. Die im Video gezeigten Zahlen beruhen auf Angaben des Vereins Gegen Mißbrauch. Ein weiteres Lied zum Thema hat die Sängerin Claire mit Spuren vorgetragen, ebenso Suzanne Vega mit Luka.
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