Die marxistische Literaturtheorie zählt zu den kontextzentrierten Literaturtheorien. Der Sammelbegriff fasst diejenigen Literaturtheorien zusammen, welche sich auf die Theorie des Marxismus berufen bzw. die Literatur vom Standpunkt der marxistischen Weltanschauung aus betrachten. Die verschiedenen marxistischen Literaturkritiken versuchen deshalb die Rolle herauszuarbeiten, welche die Literatur, und die Kunst im Allgemeinen, in der Gesellschaft spielen.
Karl Marx selbst hat nie eine Literaturtheorie entwickelt, aber er war überzeugt von der relativen Autonomie der Kunst und somit auch der Literatur. Er hatte hierbei einen besonderen Hang zur griechischen Kunst, die für ihn von überdauernder Schönheit war.
Bereits vor der russischen Revolution verfasste Leo Trotzki Aufsätze zur proletarischen Literatur, die er 1922 überarbeitete und 1923 in einem Buch zusammenfasste. Später schufen Georg Lukács und Terry Eagleton eigene marxistische Systeme marxistischer Literaturtheorie. Erwähnenswert sind auch die Beiträge des Anglistik-Professors Christian Enzensberger (jüngerer Bruder von Hans Magnus Enzensberger). Darüber hinaus findet sich noch eine Vielzahl anderer marxistischer Ansätze zur Literaturtheorie, beispielsweise in den Ideen und Theorien der Frankfurter Schule oder den Schriften von Alexander Woronski.
Die kritische Theorie der Reflexion ist auf den ungarischen Philosophen und Literaturwissenschaftler Georg Lukács zurückzuführen. Er beschäftigt sich in seiner Theorie damit, wie Literatur in den sozialen, ökonomischen und historischen Kontext ihrer Zeit eingebettet ist. Eine der zentralen Fragen ist somit, ob bzw. wie stark die Ideale und Werte einer Gesellschaft Einfluss auf die Literatur nehmen. Ebenso bedeutsam ist die Frage, wie stark die Literatur Einfluss auf die Gesellschaft nimmt. Literatur wird folglich als eine Art Spiegel betrachtet, welcher die Gesellschaft reflektiert. In ihrer reflexiven Funktion verdeutlicht Literatur den Klassenkampf verschiedener sozialer Gruppen; sie stellt somit den Überbau einer gegebenen Basis (nämlich der Gesellschaft) dar und reflektiert und verändert diese stetig. Diese veränderte Gesellschaft wird nun wiederum in der Literatur reflektiert, dies führt zu einem dialektischen Prozess der Selbsterneuerung und Selbstverbesserung. Der dialektische Prozess findet dann ein Ende, wenn die perfekte Gesellschaft entstanden ist. Im Fall des Marxismus wäre die perfekte Gesellschaft eine klassenlose Gesellschaftsform.
Die ideologiekritische Literaturtheorie (Critique of Ideology) geht auf Terry Eagleton zurück, der als bedeutendster marxistischer Literaturkritiker Großbritanniens gilt. Ansätze französischer Theoretiker wie Louis Althusser und Roland Barthes aufgreifend, versucht er mit seinem Ansatz zu ergründen, wie Literatur soziale Gegensätze zwischen ökonomischen Gruppen offenbart. Nach seinem Fürsinnen wird die Gesellschaft nicht von der Literatur reflektiert, vielmehr versucht Literatur, durch ideologische Einflussnahme den Effekt von Realität zu erzeugen. In diesem Punkt ist seine Theorie konträr zu jener von Lukács: Literatur ist nicht Spiegel, sondern Steuermann der Gesellschaft. Literatur kann Gesellschaften somit in gewisse Richtungen lenken.
Christian Enzensberger entwickelte in seinem Buch „Literatur und Interesse“ (1977/81) eine marxistische Literaturtheorie. Seine ebenso provokante wie auch naheliegende Kernthese besagt: Literatur hat eine kompensatorische Funktion bezüglich der Mängel einer sinndefizitären Gesellschaft. Der Zusammenhang der Literatur mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist nicht der der Abbildung, sondern, im Gegenteil, der der Sinnberuhigung, der Bedürfnisbefriedigung, der Kompensation. Enzensbergers Theorie steht in den beiden Kernpunkten (Widerspiegelung, Wirkung) konträr zu Lukacs und Eagleton. Der Zusammenhang von Literatur und Gesellschaft beruht verkürzt auf einem einfachen Sachverhalt: Gesellschaftliche Mängel bewirken eine Erfahrung von Sinnmangel (Sinndefizit). Diesem Sinndefizit steht ein existentielles, unausrottbares menschliches Sinnbedürfnis gegenüber. Literatur befriedigt dieses Sinnbedürfnis kompensatorisch, indem sie in die Sinnlücke eintritt und diese füllt. Aus dieser Auffassung von „Literatur als Kompensation“ ergeben sich zwei Folgerungen. Literatur ist immer „fiktive Wirklichkeitskonstruktion“ und in diesem Sinn keine reine Abbildung von Wirklichkeit. Literatur hat keine gesellschaftsverändernde Kraft, sondern bewirkt das genaue Gegenteil: sie absorbiert Aktivität und trägt damit zur Stabilisierung des Bestehenden bei.