Mein Vaterland (tschechisch Má vlast) JB 1:112 ist ein Zyklus von sechs sinfonischen Dichtungen des tschechischen Komponisten Bedřich Smetana, der als vollständiges Werk am 5. November[1] 1882 im Sofien-Palast Prag uraufgeführt wurde. Smetana komponierte den Zyklus zwischen 1874 und 1879 im Stadium der vollständigen Ertaubung. Die Spieldauer beträgt circa 75 Minuten.
Bedřich Smetana gilt neben Antonín Dvořák, Zdeněk Fibich, Leoš Janáček, Josef Suk und Bohuslav Martinů als einer der bedeutendsten tschechischen Komponisten. Zu seinen Lebzeiten gehörte das heutige Tschechien noch als Königreich Böhmen zum Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. Wie zahlreiche Mitstreiter im politischen Bereich arbeitet Smetana auf musikalischem Terrain am Aufbau einer nationalen Kultur, die sich der Dominanz der Habsburgermonarchie entgegenstellt. Seine Strategie: eine radikale Programmmusik, deren Komposition nicht nur „innermusikalischen“ Gesetzen und Strukturen folgt, sondern u. a. mittels Tonmalerei auf Außermusikalisches verweist.[2] Für Smetana stand das tschechische Nationalstreben mit seiner persönlichen Situation zusammen: Bislang war es ihm nicht gelungen, sich als Musiker, Dirigent oder Pianist überregional einen Namen zu machen. Nun bot sich ihm die Möglichkeit, in Prag ein modernes Musikleben aufzubauen und sich dadurch gleichzeitig die finanzielle Grundlage und den Freiraum für seine eigenen künstlerischen Vorhaben zu schaffen. Die Stilisierung zum „Begründer der tschechischen Nationalmusik“ wurde wesentlich durch seine geschickte Wahl von Stoffen und Motiven gefördert, vor allem aber durch eine gezielt lancierte Erhebung des Komponisten zum Leitidol der tschechischen Nation.[3]
Die Komposition von Má vlast steht in engem thematischem Zusammenhang mit der Oper Libuše aus dem Jahr 1872, die Smetana als nationales Festspiel konzipiert hatte. Der Zyklus, dessen Entstehungszeit von der völligen Ertaubung des Komponisten überschattet wurde, war zunächst als Vierteiler geplant; erst nach einer dreijährigen Schaffenspause entstanden die letzten beiden Teile. Smetana erkrankte während der Kompositionsarbeit schwer und notierte im Herbst 1874 in sein Tagebuch:
„Schon fast eine ganze Woche sitze ich zuhause, darf nicht ausgehen. Muß meine Ohren in Watte eingehüllt haben und volle Ruhe bewahren. Ich fürchte das Äußerste: daß ich völlig mein Gehör verloren habe. Ich höre nichts! Wie lange soll dieser Zustand noch währen? Sollte ich nie mehr genesen?“
Má vlast geht von Liszt aus und zugleich über ihn hinaus. Kritiker meinten, Smetana habe den Meister „überliszten“ wollen. Während dessen sinfonische Dichtungen literarische Stoffe in Musik verwandeln, stellt Smetana die musikalische über die erzählerische Logik. Zwar sind auch bei ihm deskriptive Elemente wesentlich – denn was wäre Programmmusik ohne Programm? –, doch finden sich neben Schilderungen konkreter außermusikalischer Vorgänge viele allgemein gehaltene Beschwörungen mythischer Figuren, historischer Orte und böhmischer Landschaften.[4]
Smetana, der durch seine Opern, insbesondere durch seine Prodaná nevěsta (Die verkaufte Braut) zum Begründer der tschechischen Nationalmusik wurde, leistete mit seinem Zyklus symphonischer Dichtungen Má vlast (Mein Vaterland) auch einen wichtigen Beitrag auf dem Gebiet der tschechischen Programmmusik. In seiner Art bildet dieser Zyklus geradezu ein instrumentales Gegenstück zur festlichen Oper Libuše: „Beide Werke stimmen gedanklich in der Glorifikation der Heimat und der Nation miteinander überein, so wie es das Gebot der Zeit war [...], in der der nahezu hundertjährige aktive Kampf des politisch unterdrückten tschechischen Volkes um seine Eigenart und um volles kulturelles und politisches Ausleben seinen Höhepunkt erreicht hatte. Má vlast und Libuše sind geradezu Symbole dieser sich vollendenden nationalen Wiedergeburt.“ In den sechs Werken des Zyklus vertonte Smetana nationale Mythen (Vyšehrad, Šárka), nationale Geschichte (Tábor), die Schönheit der Natur und das tschechische Volksleben im Tanz und Gesang (Vltava, Z českých luhů a hájů [Aus Böhmens Hain und Flur]) und schließlich auch ein hymnisches Glaubensbekenntnis zur glänzenden Zukunft der tschechischen Nation (Blaník). Nach der verhältnismäßig raschen Entstehung der ersten zwei Paare symphonischer Dichtungen wurde der Zyklus am 18. Oktober 1875 mit Aus Böhmens Hain und Flur vorläufig abgeschlossen. Der Komponist sprach von ihm als einer „Tetralogie“, die zunächst den Namen Vlast [Das Vaterland] trug. Erst dem sechsteiligen, am 9. März 1879 vollendeten Zyklus gab Smetana während der Vorbereitungen zur Drucklegung des Werkes den endgültigen Titel Má vlast.
Im Bewusstsein der Einmaligkeit seines Werkes und im Interesse von dessen Verbreitung strebte der ansonsten nicht gerade praktisch veranlagte Komponist zunächst die Drucklegung der Vltava an. Während seiner Reise zu Spezialisten für Ohrenkrankheiten nach Wien und Würzburg im April 1875 bot er die Partituren der drei ersten symphonischen Dichtungen dem Musikverlag B. Schott’s Söhne in Mainz zum Druck an – allerdings vergeblich. Ähnlich negativ verliefen die Verhandlungen mit der Berliner Firma Bote & Bock im Jahre 1878, obwohl der Komponist sich bereit erklärt hatte, einen für ihn eigentlich unwürdigen Kompromiss einzugehen: „Ich verlange kein Honorar, bis auf einige Freiexemplare.“ Erst nachdem der Prager Buchverleger František Augustin Urbánek damit anfing, Musikalien zu publizieren, kam es zur Veröffentlichung des gesamten Zyklus Mein Vaterland. Zwischen Dezember 1879 und Juni 1880 erschienen zunächst leichter verkäufliche Bearbeitungen für Klavier zu vier Händen, bevor ab 1880 die sechs Werke dann auch in gedruckten Partituren und mit gedrucktem Stimmenmaterial publiziert wurden. Bald nach dem Erscheinen des Drucks sandte Smetana je ein Exemplar des Vyšehrad und der Vltava an Franz Liszt:
„Die beiden ersten Nummern habe ich nun mir erlaubt, Ihnen, mein Meister, zu senden in Partitur und 4händigem Klavierauszug. Alle sechs sind zu wiederholten Malen hier in Prag und zwar mit außergewöhnlichem Erfolge aufgeführt worden, sonst bloß in Chemnitz die ersten zwei. In Folge des großen Erfolges hat der hiesige Verleger Urbánek den Aufwand der Herausgabe riskirt.“
Smetana selbst hatte im Vertrag mit Urbánek vom 14. Mai 1879 ein sehr niedriges Honorar vorgeschlagen: je Komposition 40 Gulden für Partitur und Stimmen und 30 Gulden für den Klavierauszug zu vier Händen, insgesamt also 420 Gulden für den gesamten Zyklus, dessen Vervollständigung im Druck er nicht mehr erlebte. Zu seinen Lebzeiten erschien nach dem Vyšehrad und der Vltava nur noch die Ausgabe von Aus Böhmens Hain und Flur (1881).
Smetana gehörte nicht zu denjenigen Komponisten, die der Öffentlichkeit zu ihren Werken inhaltliche Deutungen und literarische Kommentare lieferten. In einer Zeit weit verbreiteter Vermittlung von Musik durch das geschriebene Wort erwartete man jedoch, zumal bei einer symphonischen Dichtung, dass der Autor dem Publikum den „Inhalt“ seiner Musik in Worten mitteilte. Smetana verhielt sich diesem Verlangen gegenüber etwas zurückhaltend: Seiner Ansicht nach war für die grundlegende Orientierung und Einstimmung des Hörers der Werktitel allein schon ausreichend. Smetana baute in erster Linie auf die Beredsamkeit und Autarkie seiner Musik und meinte, dass „jedem Hörer erlaubt [sei], alles andere seiner Phantasie zu überlassen und nach seinem Geschmack hinzuzudichten, was immer er will.“ Außerdem fühlte sich Smetana wahrscheinlich auch gar nicht genügend literarisch qualifiziert, um selbst Programme zu seinen sinfonischen Dichtungen für die Öffentlichkeit zu verfassen. Er verließ sich dabei vielmehr auf wortgewandte Journalisten, die das, wenn gewünscht, nach seinen Angaben und Intentionen zu besorgen hatten. So können die in der Presse vor der Uraufführung 1875 und im Erstdruck 1880 zur Vltava erschienenen Erläuterungen, obwohl sie nicht aus der Feder Smetanas stammten, in gewisser Hinsicht als autorisiert angesehen werden.
Einem zeitgenössischen Bericht zufolge sah Smetana Unterschiede zwischen den symphonischen Dichtungen von Má vlast und seinen sogenannten schwedischen sinfonischen Dichtungen Richard III., Valdštýnův tábor (Wallensteins Lager) und Håkon Jarl. Letztere galten ihm als „freilich wahre sinfonische Dichtungen. Ich habe sie in Schweden direkt unter dem Eindruck geschrieben, den auf mich in Weimar die sinfonischen Dichtungen von Liszt ausgeübt haben. Sie haben vollkommen die Form wie bei Liszt.“ Mit den sinfonischen Dichtungen von Má vlast dagegen habe „es eine ganz andere Bewandtnis: in diesen erlaubte ich mir eine spezifische, ganz neue Form zu bestimmen; sie haben eigentlich nur den Namen sinfonische Dichtungen.“[5]
Der Zyklus Má vlast hatte zur Entstehungszeit sowie im 20. Jahrhundert nachhaltigen Einfluss auf die Bildung einer tschechischen Identität; hielt diese Musik doch sogar den Widerstand und Überlebenswillen tschechischer KZ-Häftlinge aufrecht. Die Aufführung von Má vlast bildet (im Anschluss an die tschechische Nationalhymne Kde domov můj) traditionell jedes Jahr am 12. Mai, dem Todestag des Komponisten, die Eröffnung des Musikfestivals Prager Frühling.
Der sinfonische Zyklus Má vlast besteht aus sechs eigenständigen Teilen:
Nr. | Titel | Opus | Entstehungszeit | Erstveröffentlichung* | Orchesterbesetzung | Tempoangaben | Tonart | Spieldauer |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | Vyšehrad | T 110
JB 1:112/1 |
1872–74 | Prag, 1880
Verlag: Urbánek |
Piccolo, Flöte (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Harfe (2), Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass | Lento – Largo maestoso – Grandioso poco largamente – Allegro vivo ma non agitato – Meno mosso – Più allegro e poco agitato – Più mosso agitato – Più lento – Lento ma non troppo – Largamente | Es-Dur | ca. 16' |
2. | Vltava (Die Moldau) |
T 111
JB 1:112/2 |
1874 | Prag, 1880
Verlag: Urbánek |
1. Flöte, 2. Flöte (auch Piccolo), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Große Trommel, Harfe, Violine (2), Viola, Cello (2), Kontrabass | Die beiden Quellen der Moldau: Allegro commodo non agitato – Waldjagd – Bauernhochzeit: L’istesso tempo, ma moderato – Mondschein; Nymphenreigen: L’istesso tempo – Tempo I – St. Johann-Stromschnellen – Die Moldau strömt breit dahin: Più moto – Vyšehrad-Motiv – Entschwinden in der Ferne | e-Moll | ca. 12' |
3. | Šárka | T 113
JB 1:112/3 |
1875 | Prag, 1888
Verlag: Urbánek |
Piccolo, Flöte (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass | Allegro con fuoco ma non agitato – Più moderato assai – Moderato ma con calore – Moderato – Molto vivo – Più vivo | a-Moll | ca. 10' |
4. | Z českých luhů a hájů (Aus Böhmens Hain und Flur) | T 114
JB 1:112/4 |
1875 | Prag, 1881
Verlag: Urbánek |
Piccolo, Flöte (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass | Molto moderato – Allegro poco vivo, ma non troppo – Meno vivo – Allegro, quasi Polka – Tempo I – Allegro – L'istesso tempo, ma un poco meno vivo – Presto | g-Moll | ca. 13' |
5. | Tábor | T 120
JB 1:112/5 |
1878 | Prag, 1892
Verlag: Urbánek |
Piccolo, Flöte (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Becken, Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass | Lento – L'istesso tempo – Molto vivace – Lento – Molto vivace – Più mosso – Lento maestoso – Più animato | d-Moll | ca. 12' |
6. | Blaník | T 121
JB 1:112/6 |
1879 | Prag, 1894
Verlag: Urbánek |
Piccolo, Flöte (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass | Allegro moderato – Andante non troppo – Più allegro ma non molto – Più mosso – Meno mosso – Tempo di marcia – Grandioso – Tempo I – Più vivo – Largamente maestoso – Grandioso, meno Allegro – Vivace | d-Moll | ca. 15' |
*Alle sechs Teile wurden zum ersten Mal im Verlag Urbánek veröffentlicht, kamen jedoch 1879–80 zunächst als Bearbeitungen für Klavier vierhändig heraus.
Themen des Zyklus Má vlast sind Mythen (Nr. 1 und 3), Landschaft (Nr. 2 und 4) sowie Geschichte (Nr. 5 und 6) der tschechischen Heimat Bedřich Smetanas.
wurde von Ende September bis zum 18. November 1874 komponiert und am 14. März 1875 in Prag uraufgeführt.
Die tschechische Akropolis namens Vyšehrad, Stammsitz der legendären ersten böhmischen Herrscher, bildet das Eingangsportal. Smetana stimmt im raunenden Tonfall des Barden sein wehmütiges „Es war einmal“ an, dem sich dann umso feierlicher das hoffnungsvolle „Es wird wieder sein“ beigesellt. Zwei Harfen präsentieren das elegische, bald schon vom ganzen Orchester ins Heroische gewendete Hauptthema. Dessen Umbildung, einer stürmischen kontrapunktischen Durchführung unterworfen, schildert die nunmehr auf der Burg und im Lande ausbrechende Zwietracht: ein gewaltiger Kampf, der letztlich zur Zerstörung des Vyšehrad führt. Volkstümliche friedliche Stimmen vermögen sich nicht lange zu behaupten. Am Ende steht der resignative Rückblick auf eine entschwundene ruhmreiche Zeit.[4]
Vyšehrad zeichnet die Geburt des tschechischen Volkes auf dem gleichnamigen Burgberg durch die Stammesmutter Libuše und ihren Gemahl Přemysl. Prächtig wie die damalige, zu Smetanas Zeiten freilich völlig verfallene Festung ist natürlich das Hauptmotiv, das in den späteren Stücken des Zyklus immer wieder anklingt.[6]
Die Vltava (Die Moldau) entstand in der Zeit vom 20. November bis zum 8. Dezember 1874 und wurde am 4. April 1875 in Prag uraufgeführt. Das Werk erschien gemeinsam mit Vyšehrad im Dezember 1879 im Urbánek-Verlag in einer Fassung für Klavier vierhändig; im Februar 1880 folgten die Partitur und die Stimmen, die Smetana selbst korrigiert hatte.
Die Moldau gilt als der tschechische Fluss schlechthin, sozusagen als Lebensader des Landes, deren Verlauf Smetana mit seiner Musik folgt. Das allseits bekannte Werk dient u. a. im schulischen Musikunterricht häufig als eines der Paradebeispiele für Programmmusik mit Tonmalerei und gehört heutzutage zu den beliebtesten und meistgespielten sinfonischen Dichtungen überhaupt.
Vltava reiht rondoartig mehrere Episoden aneinander, deren Geschehnisse exakt durch Überschriften in der Partitur bezeichnet sind. So symbolisieren die Sechzehntelketten der Flöten und Klarinetten ganz zu Beginn „Die Quellen der Moldau“, die auch die folgende, von den Hörnern dominierte „Waldjagd“ begleiten. Ebenfalls an den Ufern des Flusses wird eine „Bauernhochzeit“ gefeiert, mit ihrem zündenden Polka-Rhythmus wohl die – neben der Ouvertüre zur Oper Die verkaufte Braut – fesselndste Apotheose böhmischer Volksmusik aus Smetanas Feder. Ihr folgt ein geheimnisvoll glänzender „Nymphenreigen im Mondschein“, der wieder in das Moldau-Thema mündet. Doch eilt der Fluss jetzt unaufhaltsam einer dramatischen Gefahr entgegen: den heute nicht mehr existierenden, weil im Stausee Štěchovice versunkenen „St. Johann-Stromschnellen“. Das Hauptthema ist nur noch bizarren Bruchstücken zu entnehmen, schäumend und beängstigend drängen sich die Tonmassen zusammen, bevor sie endlich ins Freie stürzen. „Die Moldau strömt breit dahin“ heißt der letzte Abschnitt; sie zieht am Burgwall des Vyšehrad vorbei und sorgt derart auch musikthematisch für einen sinnvollen, zyklischen Abschluss dieser Tondichtung.[4]
wurde am 20. Februar 1875 fertiggestellt und am 17. März 1877 uraufgeführt.
Mit der populären Vltava konnte sich Šárka nie messen. Sie wurde zu Lebzeiten Smetanas nicht einmal gedruckt, sondern erschien nur in einer vierhändigen Klavierfassung. Zur Begründung verweist man gern auf die angeblich mindere Qualität des schroffen, blutrünstigen Stückes. In Wahrheit jedoch enthält die Ballade alles, was sich zumindest Amazonen von einem konsequenten Geschlechterkampf erwarten dürfen. Die böhmische Amazonenkönigin Šárka lockt den Rittersmann Ctirad in den Hinterhalt, indem sie ihm weibliche Hilflosigkeit vorgaukelt. Er glaubt mit ihr im Lager ein Liebesfest feiern zu können, wird dann aber mit den Seinen erbarmungslos abgeschlachtet (Böhmischer Mägdekrieg). Die Frauen flechten Ctirad den anderen Männern zur Abschreckung ins Rad. Dieser überlebt jedoch die Tortur und lässt Šárka nach dem endgültigen Sieg lebendig begraben. Markig rhythmisierte Kampfszenen, ein munterer Marsch und nächtliche Waldstimmungen garantieren Šárkas effektvolle Wirkung.[4]
wurde am 18. Oktober 1875 beendet und am 10. Dezember 1878 uraufgeführt. Smetana konzipierte das Werk ursprünglich als Finale eines vierteiligen Vaterland-Zyklus (siehe Entstehung und Wirkung).
Auf größere Zustimmung durfte seit jeher die unleugbar kunstvoller gestaltete Pastorale Z českých luhů a hájů (geläufiger Titel im Deutschen: Aus Böhmens Hain und Flur) rechnen. Ihr Titel entspricht vollkommen dem Klischee vom sanftmütigen, weichen Charakter Smetanas. Dabei ist das Erlebnis der Natur, wie es uns eingangs die wogenden Figuren der Holzbläser und Streicher schildern, eher rauschhaft als idyllisch. Wir befinden uns inmitten einer heroischen Landschaft. Erst zögerlich verklingend weicht diese überwältigende Szenerie beschaulicheren Naturimpressionen, dem Spaziergang eines naiven Dorfmädchens und dessen jubelnden Sommerliedchen, gefolgt von der herrlich koloristisch eingefangenen Mittagsstille, einem fugierten Choral von Wallfahrern und der unvermeidlichen Polka. Die abschließende Coda nimmt noch einmal, jetzt eindeutig ins Freudvolle gewendet, Motive der Einleitung auf.[4]
Z českých luhů a hájů könnte im Grunde ländliches Leben überall auf der Welt darstellen. Wie sehr Smetana mit seinen „Gedanken und Gefühle beim Anblick der böhmischen Heimat“ jedoch den böhmischen Nerv traf, zeigt folgende Rezension der Uraufführung:
„Das Werk eines wahren Dichters und zudem so rein patriotisch! Jedes Thema ist von so entschieden tschechischem Charakter, dass es uns vorkommt, als würden wir uns in jedem wie in einem Volkslied betrachten.“[7]
wurde am 13. Dezember 1878 fertiggestellt und am 4. Januar 1880 uraufgeführt.
Tábor ist erfüllt von martialischen Eruptionen, von Trotz und Zorn. Den musikalischen Kern bildet der alte Hussiten-Choral Ktož jsú boží bojovníci („Die ihr Gottes Streiter seid“). Die südböhmische Stadt Tábor war eine Gründung und spätere Hochburg der Taboriten, des radikalen Flügels der nach dem 1415 von der Inquisition hingerichteten Reformator Jan Hus benannten Hussiten. Sie ist ein Ortssymbol der hussitischen Freiheitsbewegung, so wie der Choral zum Klangsymbol der böhmischen Reformation wurde, vergleichbar dem protestantischen „Ein feste Burg ist unser Gott“. Von gespenstisch langen Pausen unterbrochene Hörnerrufe formulieren die ersten vier Töne des Chorals, äußerst suggestiv begleitet von einer schwermütig fallenden Melodielinie in den Streichern. Der gesamte Satz ist – stark an Wagners „Walkürenritt“ erinnernd – größtenteils monothematisch und endet mit der markerschütternden Manifestation dieses Choralthemas.[4]
wurde am 9. März 1879 beendet und am 4. Januar 1880 gemeinsam mit der Tondichtung Tábor uraufgeführt.
Auch Blaník, benannt nach einem Berg in der Nähe Tábors, in dem ein Ritterheer – angeführt vom Heiligen Wenzel – verborgen schläft und dem tschechischen Land in schlechtesten Zeiten helfen soll, benutzt den Hussiten-Choral, gestaltet ihn jedoch nach den heftigen Eingangsakkorden zunehmend optimistisch. Visionen eines noch ausstehenden nationalen Glücks kleiden sich in tänzerisch-heitere Melodik. Am Ende kehrt Smetana zum Leitmotiv des Kopfsatzes Vyšehrad zurück und rundet damit den sechsteiligen Zyklus ab: Die Burg Vyšehrad erscheint noch einmal als grandios verklärte Erinnerung einstiger Größe – und ermahnt die Tschechen, sich auf die Kraft der Freiheit zu besinnen.[4]