Metalepse oder griechisch Metalepsis (wörtlich etwa "Herübernahme") ist ein Begriff aus der klassischen Rhetorik, der in der Erzähltheorie eine neue Verwendung erfuhr. Da der Begriff auch innerhalb der Rhetorik schon in verschiedenen Kontexten gebraucht wurde, sind insgesamt drei, jedoch miteinander zusammenhängende Verwendungen zu unterscheiden:
Für den Begriff der klassischen Rhetorik wird bevorzugt die griechische Form verwendet, für den der Erzähltheorie das auch im Französischen gebräuchliche "Metalepse", man begegnet aber auch jeweils der anderen Form.
Die Metalepsis oder Metalepse wird in der klassischen Rhetorik unterschiedlich definiert:
Die erstgenannte Bedeutung wurde zwar in der Nachfolge Quintilians häufig theoretisch dargestellt, aber seine Ablehnung dieser Figur teilte sich in gleicher Weise mit. Er nennt sie "höchst selten und ungebührlich, bei den Griechen aber häufiger" (Institutio oratoria 8.6.37). Als ein griechisches Beispiel bringt er die Benennung des Kentauren Cheiron (was auch "geringer" heißt) als "der Kümmerling". Eine sinnvolle Verwendungsmöglichkeit sieht er allenfalls in der Komödie (ebd. 39).
George Puttenham (1529–1590) versteht die Metalepsis in seinem einflussreichen Buch The Arte of English Poesie von 1589 in der zweiten Bedeutung und übersetzt sie von daher als the farfet, "die Weithergeholte".
Bereits Quintilian schrieb, die Metalepse öffne "gleichsam den Weg von einer Trope zu einer anderen" (Institutio oratoria 8.6.37). Giambattista Vico fasst in seinen Institutiones oratoriae von 1711 die erste und die zweite Wortbedeutung zu der allgemeineren, aber ebenfalls präzisen Definition zusammen: die Metalepse sei eine "Verknüpfung mehrerer Tropen" (plurium troporum nexus, § 42). Im Kapitel "Poetische Chronologie" seiner Scienza nuova hebt er die "evolutionäre Rationalität" (A. Burkhardt) des Vergilbeispiels hervor, indem er darauf hinweist, dass in einer bäuerlichen Gesellschaft die Jahre lange Zeit nach den Ernten gezählt worden sein müssen, bevor sich ein abstrakter Begriff "Jahr" herausbildete.
In der Literaturwissenschaft wird von einer Metalepse immer dann gesprochen, wenn (mindestens) zwei getrennte Erzählebenen (z. B. die extradiegetische Ebene des Erzählers und die fiktive Intradiegese dessen, was er erzählt) logikwidrig miteinander vermischt werden. Der Begriff "narrative Metalepse" ("métalepse narrative") wurde von Gérard Genette eingeführt, in "Discours du récit" (Figures III, 1972).
Bei Genette bezeichnet die "narrative Metalepse" das Überschreiten der Grenze zwischen einer fiktionsinternen Binnenwelt und einer ebenfalls fiktiven Rahmenwelt des Erzählers. Das kann zum einen bedeuten, dass der Erzähler (als Figur oder auch nur Stimme eines fiktionalen Textes, nicht zu verwechseln mit dem empirischen Autor!) sich in die Handlung seiner Geschichte einmischt. Dies ist insofern paradox, als der Erzähler damit die Simulation von Faktualität aufgibt und offenlegt, dass seine Geschichte nur fiktional ist. Zum anderen zählt für Genette auch die motivische Umkehrung dieses Eindringens in eine fiktive Welt, nämlich das Heraustreten einer Figur der Binnenerzählung in die (ebenfalls fiktive) 'Wirklichkeit' der Rahmenerzählung, zur Metalepse. Genette nennt als Beispiel für diesen zweiten Fall Julio Cortázars Erzählung "Continuidad de los Parques" aus Final del Juego (dt. Ende des Spiels), in der die Figuren ihren Leser umbringen. In seinem eher assoziativen Essay Métalepse von 2004 dehnt Genette diesen Ansatz auf die Beschreibung von Filmen und anderen Kunstwerken aus, z. B. Woody Allens The Purple Rose of Cairo, verwischt aber damit auch die begriffliche Klarheit von 1972.
John Hollander versteht die Metalepse in The Figure of Echo als literarische Anspielung und kulturelles Echo, womit er sie in die Nähe des Topos rückt.
Der Metalepse verwandt ist die narrative Mise en abyme (frz.: "in den Abgrund schicken" im Sinne von "ins Unendliche/Bodenlose verlängern") nach André Gide (theoretisch expliziert von Lucien Dällenbach). Die Bezeichnung lehnt sich an die Heraldik an und bezieht sich auf die Wiederholung desselben Wappens en miniature auf dem Schild. Entsprechend steht die narrative mise en abyme für einen Text, der andeutet, sich selbst (im Maßstab herabgesetzt) nochmals zu enthalten. Da eine solche Potenzierung ins Unendliche führen müsste und kein gedruckter Text unendlich sein kann, lässt sich eine "mise en abyme" in der Literatur immer nur andeuten. Einen ähnlichen Effekt kann man auch in einer Spiegelflucht beobachten, in der das eigene Spiegelbild schier unendlich wiederholt und von Spiegelung zu Spiegelung kleiner wird.
Einen interessanten Hinweis auf die Funktion von Metalepsen (allerdings ohne dem Phänomen diesen Begriff zu geben, der erst später von Genette geprägt wurde) gibt Jorge Luis Borges in "Magias parciales del Quijote" (span.: "Partielle Magie im Don Quichotte"): "Warum beunruhigt es uns so sehr, dass die Landkarte in der Landkarte beinhaltet ist und die 1001 Nächte im Buch Tausendundeine Nacht? Warum beunruhigt es uns, dass Don Quichotte Leser des Quichotte, Hamlet Zuschauer des Hamlet ist? Ich denke, die Ursache herausgefunden zu haben: solche Vertauschungen legen nahe, dass, wenn die Figuren einer Fiktion Leser oder Zuschauer sein können, [auch] wir, ihre Leser oder Zuschauer, fiktiv sein können" (vgl. Jorge Luis Borges, Obras Completas, Bd. 2, Buenos Aires: Emecé 1989, S. 47).
Metaleptische Strukturen gibt es nicht nur in der Erzählliteratur. Beispiele finden sich u. a. schon in Ludwig Tiecks frühromantischen Dramen. Als weiterer Beispieltext mit dramatischen Metalepsen kann das Theaterstück Sechs Personen suchen einen Autor (1921) von Luigi Pirandello angesehen werden.