Mühle, in der Schweiz auch Nünistei („neun Steine“) genannt, ist ein Brettspiel für zwei Spieler. Das Spielbrett besteht aus drei ineinander liegenden Quadraten mit Verbindungslinien in den Seitenmitten. Als Spielfiguren werden gewöhnlich neun schwarze und neun weiße runde, flache Spielsteine verwendet, die meist aus Holz oder Kunststoff sind. Andere Farben sind auch möglich.
Gewonnen ist das Spiel,
Mühle ist ein zufallsfreies Spiel mit perfekter Information, d. h., beide Spieler verfügen stets über die gleichen Informationen über das bisherige Spielgeschehen.
Das Spiel endet immer remis, wenn keiner der beiden Spieler einen Fehler macht.[1] Der An- oder Nachziehende zu sein, macht bezüglich Gewinn oder Niederlage keinen Unterschied. Im Laufe des Spiels gibt es jedoch dem Nachziehenden einen Vorteil: Er setzt den letzten Stein auf das Brett und kann dabei einen möglichen Zugzwang berechnen.
Im Vergleich zum Schachspiel ist Mühle deutlich variantenärmer. Während beim Schach die Zahl der theoretisch möglichen Stellungen auf 2,28 · 1046 geschätzt wird, gibt es bei Mühle lediglich rund 1,8 · 1010 unterschiedliche (nicht durch Drehungen, Spiegelungen oder Vertauschen von innerem und äußerem Ring ineinander überführbare) Stellungen. Es gibt neun Milliarden Stellungen ohne Zugwiederholungen und 128 Milliarden mit Zugwiederholungen.[2]
Das Spiel läuft in drei Phasen ab:
Drei Steine einer Farbe, die in einer Geraden auf Feldern nebeneinander liegen, nennt man eine „Mühle“. Wenn ein Spieler eine Mühle schließt, darf er einen beliebigen Stein des Gegners aus dem Spiel nehmen, sofern dieser Stein nicht ebenfalls Bestandteil einer Mühle ist. Die offiziellen Turnierregeln erlauben seit 2010 das Schlagen eines Steines aus einer geschlossenen Mühle, wenn der Gegner nur noch Steine in geschlossenen Mühlen hat. Regional und teilweise auch in kommerziell vermarkteten Produkten wird dies jedoch anders gehandhabt.
Insbesondere während der Anfangsphase des Spieles ist es weniger wichtig, frühzeitig Mühlen zu bilden, als vielmehr eine große Beweglichkeit seiner Steine sicherzustellen. So sind die vier Kreuzungspunkte des Mühlebrettes bevorzugt zu besetzen, während die Eckpunkte zu meiden sind. Außerdem ist es beim Schlagen eines Steines meistens besser, eine zusätzliche eigene Mühle zu öffnen, als eine gegnerische Mühle zu verhindern.
Besonders erstrebenswert sind folgende Situationen: Die roten Steine bilden eine sogenannte „Doppelmühle“ (manchmal „Zwickmühle“ genannt), das bedeutet, dass der rote Spieler bei jeder Runde eine Mühle schließen kann. Dies erlaubt ihm, die Steine des Gegners schnell zu dezimieren, ohne dass dieser eine wirksame Gegenmaßnahme ergreifen kann.
Eine gängige Strategie ist die „Zentrumsmühle“. Sie besteht darin, als anziehender Spieler zügig eine Mühle auf dem mittleren Ring anzustreben. Weiß versucht, zwei der zentralen Kreuzungspunkte und anschließend die Ecke zwischen diesen Kreuzungspunkten zu besetzen. Damit droht er mit zwei offenen Mühlen gleichzeitig. Erfahrene Schwarz-Spieler kontern, indem sie ebenfalls mit den ersten beiden Steinen Kreuzungen besetzen. Diese Strategie führt bei optimalem Spiel beider Kontrahenten zu Remis. Da ein solches Spiel jedoch schwer zu durchschauen ist und beide Spieler deshalb anfällig für Fehler sind, endet das Spiel in der Praxis vergleichsweise häufig mit dem Sieg eines Spielers.
Das eigentliche Spiel, das für jeden Spieler in der Suche nach einem möglichst kurzen oder originellen Pfad durch diesen Problemraum besteht, lässt sich aufgrund des Vorliegens der optimalen Lösungsstrategien mit objektiven Daten vergleichen. So lassen sich einerseits Minderleistungen und logische Fehler erkennen, aber es ist auch möglich, Programme anzusteuern, die im Rahmen verschiedener Parameter eine nahezu perfekte Spielweise ausführen – gemessen an der (bekannten) effektivsten Lösung für die jeweilige Situation. Da für den Spielgenuss aber auch individueller Stil, Traditionen, trickreich gestellte Fallen oder überraschende kreative Lösungen geschätzt werden, wird die Qualität eines Programms unter Spielern nicht allein an seiner logischen Stringenz gemessen.
Das Turnierwesen wird durch den Welt-Mühlespiel-Dachverband, kurz WMD, geregelt. Er setzt nicht nur die genauen Spielregeln fest, sondern regelt auch den Turnierablauf. Wie beim Schach wird bei großer Teilnehmerzahl nach Schweizer System gespielt und bei kleiner Teilnehmerzahl vollrundig (jeder gegen jeden). Um die Zahl der unentschiedenen Spiele auf einem Minimum zu halten, wird grundsätzlich mit Zeitvorgaben gespielt. Je nach Rundenzahl wird mit 5, 7 oder 10 Minuten Bedenkzeit pro Spieler und Runde gespielt, wobei zur Kontrolle Schachuhren verwendet werden. Ziel des WMD ist es, das Mühlespiel weltweit zu fördern. Dem WMD bekannte Mühle-Turniere aus den Jahren 2005–2023 fanden in der Schweiz, Deutschland, Rumänien und Ungarn statt. Davor gab es gelegentlich auch in anderen Ländern Turniere.[3]
Der WMD vergibt ähnlich wie beim Schach zwei verschiedene Titel: Den Großmeister-Titel (GM) und den Meister-Titel (MM). Für den Großmeister-Titel sind zwanzig Turniersiege erforderlich, bzw. 20 Normenpunkte laut WMD-Regelung. Für den Meister-Titel sind 15 Podestplätze nötig. Turniere werden nur gezählt, wenn sie vorher dem WMD bekannt gegeben werden und gewisse Auflagen an Teilnehmer- und Rundenzahl erfüllen. Per Februar 2008 gibt es vier Großmeister und 20 Meister. Die Großmeister sind Markus Schaub als dominierende Persönlichkeit von 1982 bis 1992, Alain Flury, Manfred Nüscheler und Adrian Wenger.
Der WMD veranstaltet seit 1996 eine Europameisterschaft. Bis 2004 fand diese jeweils an der Lenk in der Schweiz statt, von 2005 bis 2008 und 2017 in Passau, 2009 in Seeon bei Seebruck am Chiemsee, ab 2010 bis 2016 in München, 2018 in Budapest und 2019 in Augsburg. Mit elf Titeln ist GM Alain Flury (CH) der erfolgreichste Spieler bei Europameisterschaften. Weitere Europameister sind GM Adrian Wenger (Schweiz, zwei Titel), GM Markus Schaub (Schweiz, ein Titel), Jakub Borlik (Polen, ein Titel), Matthias Lorenz (Deutschland, ein Titel), Karl-Heinz Andraschko (Deutschland, zwei Titel) sowie György Bándy (Ungarn, fünf Titel). Stand Mai 2019[4].
Von 1987 bis 1997 fand im englischen Hutton-Le-Hole eine Weltmeisterschaft statt. Mit vier Titeln führend ist MM Andy Fawbert (Großbritannien). Je einen Titel weisen auf: MM Mike Sunley (Großbritannien), MM Anthony Eddon (Großbritannien), MM Raymond Thompson (Großbritannien), MM Eric Weldon (Großbritannien), GM Markus Schaub (Schweiz), GM Adrian Wenger (Schweiz) und MM Franz Beyeler (Schweiz).
Es gibt in der Schweiz zwei Mühlespielvereine: 1974 entstand in der französischsprachigen Schweiz der Club de Charret de Granges-Marnand. Dieser Klub organisierte nebst Klubturnieren auch Tourneen durch die Westschweiz, wobei MM Angelo Fuschetto die Szene in der Westschweiz bis heute weitgehend dominiert. 1978 entstand der Mühlespielverein Bern. Dieser Klub brachte mit Hans Schürmann, Markus Schaub, Manfred Nüscheler, Alain Flury und Adrian Wenger so starke Mühlespieler hervor, dass nahezu alle international bedeutenden Turniere ab 1996 von diesem Klub gewonnen werden konnten.
Verschiedene Versuche, in Deutschland einen Klub mit regelmäßigen Treffen zu etablieren, schlugen fehl, so dass sich die besten Spieler jeweils über Internet duellieren.
Das Linienmuster des Mühlespiels ist in Form von Petroglyphen in Zeichensteinen, Höhlen und Felswänden kulturübergreifend mindestens seit dem Neolithikum belegt. Da viele der Einritzungen an waagrechten oder schlecht erreichbaren Stellen erfolgt sind, werden sakrale Gründe wie Abwehrzauber vermutet.
Beginn und Herkunft der Nutzung der Linienfolge als Spiel sind schwer zu bestimmen.[6] Zwar sind Mühlemuster in den Dachplatten des Sethos-Tempels in el-Qurna, der im 14. Jahrhundert v. Chr. errichtet wurde, dokumentiert,[7] doch lassen sich die Muster nicht datieren und stammen eher aus nachantiker Zeit.[8]
Ob die große Mühle im antiken Rom bekannt war, ist unsicher. Die an verschiedenen antiken Stätten in die Marmorfußböden eingeritzten Mühlemuster lassen sich kaum gesichert datieren. Manche dieser Muster finden sich auch hier an senkrechten Flächen, so dass nicht sicher gesagt werden kann, ob ein Mühlemuster tatsächlich als Spielbrett diente oder eine symbolische Funktion besaß. Sicher nachgewiesen ist das Mühlespiel in Europa erst in byzantinischer Zeit. Ein frühes Zeugnis findet sich am Königsthron Karls des Großen in der Aachener Pfalzkapelle, wo man noch heute auf einer der Marmorplatten, aus denen der Thron besteht (und die angeblich aus der Grabeskirche in Jerusalem stammen sollen) die Linien eines Mühlespiels erkennen kann.
In römischer Zeit bekannt war die sogenannte Kleine Mühle, also die Mühle mit zweimal drei Steinen. Dieses Spiel scheint Ovid zu meinen, wenn er (Ars amatoria III, 365–66; Tristia, II, 480–81) schreibt: „Parva sit ut ternis instructa lapillis / In qua vicisse est continuasse suos“ (Wie mit je drei Steinen ein kleines Brett belegt wird, / Auf dem zu gewinnen heißt, seine verbunden zu haben). Aus der römischen Antike sind drei Formen dieser Kleinen Mühle bekannt: 1. das einfach durchkreuzte Quadrat, 2. das orthogonal und diagonal durchkreuzte Quadrat, 3. das durchkreuzte Quadrat mit eingeschriebenem Rhombus.
Die älteste Beschreibung der Kleinen Mühle in einer europäischen Sprache findet sich im „Libro de los juegos“ Alfons’ X. von Kastilien und Leon.[9] Er gibt auch eine Gewinnstrategie für den Anfangsspieler der Kleinen Mühle an und stellt das Spiel als Kinderspiel dar.
Seit Carl Blümleins 1918 veröffentlichter Musterpartie wurden die zahlreich in antike Marmorfußböden eingeritzten Radmuster als kreisrunde Form der Kleinen Mühle angesehen.[10] In jüngster Zeit ist diese Deutung jedoch praktisch widerlegt worden.[11][12][13][14][15] Die sogenannte Rund- oder Radmühle, die ohnehin nirgendwo auf der Welt nachgewiesen ist, gab es wohl nie.
Für die große Mühle mit zweimal neun Steinen beschreiben der anonyme Autor von „De Vetula“ (Verse I 636–646) und Alfons’ X. von Kastilien und Leon im „Libro de los juegos“ auch eine Variante mit drei Würfeln.[16] Dabei war es einem Spieler erlaubt, vor seinem Zug zu würfeln und bei einem Ergebnis von 6-5-4, 6-3-3, 5-2-2 oder 4-1-1 mit einem Stein zu springen, um eine Mühle zu bilden.
Im Mittelalter wurden für das Mühlespiel, genau wie für Schach und Backgammonspiele, Wettaufgaben komponiert. Solche finden sich in Handschriften, die unter dem Titel „Bonus Socius“ und „Civis Bononiae“ bekannt sind.[17] Bereits in der ältesten erhaltenen Handschrift der „Bonus Socius“-Gruppe in der Biblioteca Nazionale Centrale in Florenz mit der Signatur B.R. 241 werden neben 194 Schach- und elf Backgammonproblemen auch 24 Mühleaufgaben beschrieben. Mühleprobleme wurden anhand derjenigen aus den Manuskripten H. 279 in Montpellier[18][19] sowie Lat. 10286 und F.Fr 1173 in der Französischen Nationalbibliothek Paris[17] bekannt gemacht. Die Aufgaben sind ähnlich aufgebaut wie mittelalterliche Schachprobleme: Eine Position mit allen Sonderbedingungen wird vorgestellt und dem Spielpartner die Wahl der Steine überlassen, was gleichzeitig bedeutete, dass mit den gewählten Steinen das Spiel gewonnen werden sollte. Eine festgelegte Anzahl Züge gibt es nicht, doch manchmal spezielle Spielregeln, die im gewöhnlichen Spiel nicht gelten, so etwa Steine, die nur einmal oder gar nicht gezogen werden dürfen. In anderen Fällen können alle Steine auf jeden beliebigen Punkt springen. Manche Aufgaben sind so gestellt, dass eine Partei verloren hat, wenn es der anderen Seite gelingt, einen einzigen Stein zu schlagen. In wenigen anderen Fällen, die als wenig anspruchsvoll galten, gewinnt der Spieler, dem es zuerst gelingt, eine Mühle zu machen.
Seit dem 15. Jahrhundert fand das Mühlespiel seinen festen Platz auf der zweiten Außenseite der klappbaren Spielkästen für Schach, Mühle und Backgammon.