Nicht zu verwechseln mit der Bakterien-Gattung Nitrospina.
Nitrospira (von lateinischnitro‚Nitrat‘ und altgriechischσπείραspira, deutsch ‚Spirale‘, ‚das Gewundene‘; übersetzt „Nitratspirale“) ist eine Gattung von Bakterien innerhalb des Phylums Nitrospirota.[1][2][3]
Das erste Mitglied dieser Gattung wurde 1986 von Stanley Watson et al. aus dem Golf von Maine isoliert und beschrieben; dieses Bakterium erhielt den Namen Nitrospira marina.[4][5]Nitrospira-Vertreter sind allgegenwärtige Bakterien, das im Stickstoffkreislauf[6] eine Rolle spielen, indem sie im zweiten Schritt der NitrifikationNitritoxidieren.[7]
Ursprünglich ging man noch davon aus, dass sich die Populationen auf marine Ökosysteme beschränken, doch später stellte sich heraus, dass zahlreiche Lebensräume für entsprechend angepasste Vertreter gut geeignet sind, darunter
natürliche biologische Meeresumgebungen (wie die Strände in Cape Cod[4]),
Vertreter der Gattung Nitrospira leben in einer Vielzahl von Umgebungen, unter anderem in Trinkwassersystemen, Kläranlagen, Reisfeldern, Waldböden, Geothermalquellen und im Gewebe von Schwämmen.[11]
Obwohl sie in vielen natürlichen und künstlichen Ökosystemen vorkommen, lassen sich Nitrospira nur schwer kultivieren, so dass das meiste Wissen über sie auf molekularen und genomischen Daten beruht.[12]
Die erste Spezies, deren Genom sequenziert wurde, war Nitrospira defluvii (2010).[6]
Außerdem sind zeigen die 16S-rRNA-Sequenzen innerhalb der Gattung Nitrospira zu wenig Übereinstimmung, um sie für PCR-Primer zu verwenden, so dass Mitglieder mit diesem Verfahren unentdeckt bleiben können.[12]
Darüber hinaus wurden auch Mitglieder von Nitrospira mit der Fähigkeit zur vollständigen Nitrifikation (Comammox-Bakterien) entdeckt[11][13] und auch kultiviert.[14]
Nitrospira moscoviensis als Vertreter der Gattung Nitrospira ist ein gramnegativerNitrit-oxidierendes Bakterium mit einer helikalen bis gekrümmt stäbchenförmigen (vibroiden) Gestalt (0,9–2,2 × 0,2–0,4 Mikrometer groß).[15]
Es handelt sich um nicht-planktonische Organismen, die als Klumpen, so genannte Aggregate, in Biofilmen leben.[1]
Mit dem Transmissionselektronenmikroskop (TEM) lassen sich sternförmige Ausstülpungen auf der äußeren Membran (6–8 nm dick). Der periplasmatische Raum ist außergewöhnlich breit (34–41 nm dick),[4] was Platz für elektronenreiche Moleküle bietet.[16]
Im Zytosol befinden sich elektronenarme Strukturen, bei denen es sich vermutlich um Speicherbläschen (Vesikel) für Glykogen handelt; im Zytoplasma wurden auch Granula aus Polyhydroxybutyrat und Polyphosphat identifiziert.[15]
Bei der DNA-Analyse wurde festgestellt, dass 56,9 ± 0,4 Mol-% der DNA aus Guanin- und Cytosin-Basenpaaren bestehen (GC-Gehalt).[15]
Nitrospira ist zur aeroben Wasserstoffoxidation[17] und zur Nitritoxidation[7] fähig, um Elektronen zu gewinnen; hohe Nitritkonzentrationen hemmen jedoch nachweislich ihr Wachstum.[1]
Die optimale Temperatur für die Nitritoxidation und das Wachstum von Nitrospira moscoviensis liegt bei 39 °C (die Spanne beträgt insgesamt 33–44 °C); bei einem pH-Wert von 7,6-8,0.[15]
Obwohl sie gemeinhin als obligate Chemolithotrophe eingestuft werden,[4]
sind einige Vertreter der Gattung zur Mixotrophie fähig,[7] d. h. diese Nitrospira können unter verschiedenen Umgebungsbedingungen Kohlenstoff durch Kohlenstofffixierung[7] oder durch den Verzehr organischer Moleküle (Glycerin, Pyruvat oder Formiat)[18] assimilieren.
Neuere Studien zeigen auch, dass NitrospiraHarnstoff als Nährstoffquelle nutzen kann.[7]
Die in ihrem GenomkodierteUrease kann Harnstoff zu Kohlendioxid (CO2) und Ammoniak (NH3) abbauen.
Das CO2 kann durch Anabolismus assimiliert werden, während das Ammoniak und von Nitrospira freigesetzte organische Nebenprodukte es Ammoniumoxidierern[7] und anderen Mikroben ermöglichen, in derselben Mikroumgebung in einer mikrobiellen Gemeinschaft zu koexistieren.[1]
Alle Mitglieder der Gattung besitzen die Gene für die Nitrit-Oxidoreduktase und gelten daher als Nitrit-Oxidierer.[12]
Seit der Entdeckung nitrifizierender Bakterien wurde angenommen, dass die Nitrifikation generell in zwei getrennten Schritten erfolgt, auch wenn es für einen Organismus energetisch günstig wäre, beide Schritte zusammen durchzuführen.[19]
Jedoch wurden ab etwa 2015 auch Nitrospira-Mitglieder mit der Fähigkeit zur vollständigen Nitrifikation (Comammox-Bakterien) entdeckt[11][13][20] und auch kultiviert, wie z. B. Nitrospira inopinata.[14][21]
Die Entdeckung von Comammox-Organismen innerhalb der Gattung Nitrospira definiert die Art und Weise neu, wie Bakterien zum globalen Stickstoffkreislauf beitragen; es ist daher zu erwarten, dass sich noch viele künftige Studien damit befassen werden.[11]
Aufgrund dieser neuen Erkenntnissen eröffnet sich eine Möglichkeit, in technischen Systemen wie Kläranlagen hauptsächlich eine vollständige Nitrifikation anstelle von partiellen Nitrifikation einzusetzen. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass die vollständige Nitrifikation zu geringeren Emissionen der TreibhausgaseLachgas (N2O) und Stickoxid (NO) in die Atmosphäre führen dürfte.[22][21]
Die Sequenzierung und Analyse der DNA zweier Nitrospira-Mitglieder (Ca. N. nitrosa alias Nitrospira sp. 1 und Ca. N. nitrificans alias Nitrospira sp. 2) ergab, dass beide Arten Gene für eine Ammoniak-Monooxygenase (Amo) und eine Hydroxylamin-Dehydrogenase (hao) kodieren. Beides sind Enzyme, mit denen Ammoniak-oxidierende Bakterien (AOB) Ammoniak über Zwischenstufen in Nitrit umwandeln.[11][13][20]
Diese Bakterien besitzen alle erforderlichen Untereinheiten für beide Enzyme sowie die notwendigen Zellmembran-assoziierten Proteine und Transporter, um den ersten Schritt der Nitrifikation durchzuführen. Der Ursprung des Amo-Gens unter den AOB ist unklar, eine mögliche Monophylie ist umstritten.[13] Aktuelle Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich das Hao-Gen phylogenetisch von den Hao-Genen anderer AOB unterscheidet. Es wird vermutet, dass sie von den AOB vor langer Zeit erworben wurden, wahrscheinlich durch horizontalen Gentransfer.[11]
Nitrospira-Mitglieder tragen auch die Gene, die für alle Untereinheiten der Nitrit-Oxidoreduktase (nxr) kodieren – das ist das den zweiten Schritt der Nitrifikation katalysierende Enzym.[11]
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