Boehm vertritt in seinem Werk Israel – eine Utopie (2020) die Idee eines jüdisch-palästinensischen binationalenBundesstaates als Alternative zum 1948 gegründeten jüdischen Staat Israel. Er argumentiert, dass dies den ursprünglichen Idealen des Zionismus entspreche und eine gerechtere Lösung für alle Einwohner Palästinas bieten würde. Dabei kritisiert er andere liberale und linke Kräfte in Israel, die weiterhin an der Zweistaatenlösung festhalten. Allerdings wird auch angemerkt, dass Boehm die Rolle der Palästinenser in seinem Konzept möglicherweise vernachlässigt und die Realitäten des Konflikts nicht vollständig berücksichtigt. Seine Idee einer Republik Haifa wird als utopisch betrachtet, bietet jedoch Raum für Diskussion und Reflexion über alternative Friedenslösungen im Nahostkonflikt.[3]
Das Zwei-Staaten-Konzept von Oslo bot keinen echten Kompromiss mit den Palästinensern: Fünfzig Prozent der Bevölkerung zwischen Jordan und Meer sollten eine eingeschränkte Souveränität über 22 Prozent des Territoriums in zwei getrennten Gebieten erhalten – dem Gazastreifen und dem Westjordanland. Und wir haben noch kein Wort über die Frage der Hunderttausenden von Siedlern im Westjordanland verloren. Die Idee war, dass die Palästinenser, wenn sie diesen »faulen Kompromiss« ablehnen würden, ihr Recht auf Rechte ganz und gar verlieren würden. Ein solcher Kompromiss kann nicht wirklich zum Frieden führen, denn er ist weit davon entfernt, die Palästinenser als gleichberechtigte Partner zu sehen. Er geht also nicht von der Annahme aus, dass wir wirklich mit ihnen Frieden schließen müssen, als moralische Verpflichtung und aus politischem Interesse. Es ist nicht überraschend, dass diejenigen, die diese Form des »Kompromisses« vorschlagen, sich auch weiterhin auf die Seite der Siedlungen stellen oder – wie der Oberste Gerichtshof – die Frage ihrer Rechtmäßigkeit offen lassen. Es ist auch nicht überraschend, dass die Öffentlichkeit, die diesen Kompromiss vorgeschlagen hat, die liberale israelische Linke, bereit ist, die schrecklichen Kriegsverbrechen, die Israel gegen die Palästinenser begeht, schweigend hinzunehmen.[4]
Boehm vertritt in seinen politischen Positionen und Ideen auch einen radikalen Universalismus, der traditionelle Konzepte von Identität und Rechten in Frage stellt. Er argumentiert gegen die konventionelle Auffassung des Universalismus in westlichenliberalen Demokratien und behauptet, dass diese lediglich eine leere Hülle sei, die den eigenen Interessen dient und die Idee der Menschheit zerstört. Boehm setzt sich für einen „wahren Universalismus“ ein, den er aus verschiedenen historischen Quellen ableitet, darunter die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die Schriften Immanuel Kants und biblische Erzählungen. Er betont die Bedeutung individuellerAutonomie und Selbstbestimmung sowie die Überlegenheit der Gerechtigkeit über alle Autoritäten. Kritiker werfen Boehm vor, dem Fanatismus durch seine Betonung der Wahrheit vor der Demokratie Vorschub zu leisten. Dennoch bleibt sein Werk ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Idee von Pflichten gegenüber Rechten und zur Suche nach einer nicht-nihilistischen Lösung für die aktuellen gesellschaftlichen Gegensätze. Boehm fordert eine Rückbesinnung auf die „absolute Liebe zur Menschheit“ und setzt sich gegen Partikularismus und Identitätspolitik ein. Seine politischen Positionen stehen im Kontrast zu traditionell liberal-demokratischen Ansätzen und sind geprägt von einer starken humanistischen Motivation.[5]
Boehm kritisiert auch die israelische Linke und die Proteste gegen die geplante Justizreform von Netanjahu 2023. Er sagte:
Diejenigen, die gegen den Regimeputsch gekämpft haben und vorgaben, die Besatzung könne aufgehoben werden, um die jüdisch-demokratische Idee zu verteidigen, sprechen heute von einem Waffenstillstand, um die Geiseln zurückzubringen. Aber es gab keinen öffentlichen Aufschrei für ein sofortiges Ende der Politik des Aushungerns, der Bombardierung und der Vertreibung der Bevölkerung von Gaza. Es gab keinen Aufruf für eine Zweistaatenlösung von führenden Politikern, die in der Vergangenheit eine Zweistaatenlösung forderten, oder von denen, die in der Vergangenheit als das Gewissen der Linken galten.[4]
The Binding of Isaac: A Religious Model of Disobedience. London: T&T Clark, 2007
Kant’s Critique of Spinoza. Oxford University Press, 2014
mit Eva Illouz: Kollektive Schuld, kollektive Opfer: die Israelis stecken in der Opferrolle fest. Das hindert sie daran, die Verantwortung für ihre eigenen Gewalttaten zu übernehmen. In: Deutschland, Israel. Regensburg: ConBrio-Verlags-Gesellschaft, 2015
A future for Israel: beyond the two-state solution. New York City: New York Review Books, 2020
Israel – eine Utopie. Übersetzung aus dem Englischen Michael Adrian. Berlin: Propyläen, 2020, ISBN 978-3-549-10007-3
Haifa Republik. A democratic future for Israel. New York Review Books, New York 2021, ISBN 978-1-68137-393-5.
Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität. Universalismus als rettende Alternative. Übersetzung aus dem Amerikanischen Michael Adrian. Berlin: Propyläen, 2022, ISBN 978-3-549-10041-7
The Principle of Sufficient Reason, the Ontological Argument and the Is-Ought Distinction. In: The European Journal of Philosophy, 2016
Verfassung für Israel: Was wird aus Israel? Die universelle Idee der Menschenwürde ist das Fundament, auf das der Staat 75 Jahre nach seiner Gründung bauen sollte. Dafür müssen Philosophie und Recht in einer Verfassung neu zusammenfinden. In: Die Zeit № 20, 11. Mai 2023, S. 49 Was wird aus Israel? Abgerufen am 22. Mai 2023.
↑Klaus Hillenbrand: Traum von der „Republik Haifa“. In: taz.de. 18. Juli 2020, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 10. Februar 2024.
↑ abNetta Ahituv: “We Need to Protect the Palestinians in the Name of a Shared Future,” Says Israeli-German Philosopher Omri Boehm. In: Haaretz, 14. Dezember 2024.
↑Jens-Christian Rabe: Die einzig wahre Autorität. In: sueddeutsche.de. September 2022, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 11. Februar 2024.