Oskar Pastior wurde in Hermannstadt als Angehöriger der deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen geboren. Sein Vater war Zeichenlehrer. Von 1938 bis 1944 besuchte er in seiner Geburtsstadt das Gymnasium. Im Januar 1945 wurde der 17-jährige Pastior im Zuge der Verschleppung von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion in Arbeitslagern als Zwangsarbeiter eingesetzt. Erst 1949 konnte er nach Rumänien zurückkehren, wo er in den folgenden Jahren von Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten lebte. Während des anschließenden dreijährigen Wehrdienstes in der rumänischen Armee holte er in Fernkursen sein Abitur nach. Danach arbeitete er als Betontechniker in einer Baufirma. Von 1955 bis 1960 studierte er Germanistik an der Universität Bukarest und legte dort sein Staatsexamen ab.
Ab 1960 war Pastior Redakteur bei der deutschsprachigen Inlandsabteilung des Rumänischen Staatsrundfunks. Seine ersten Lyrikveröffentlichungen im Rumänien der 1960er Jahre (erster Lyrikband Offne Worte, 1964) erregten Aufsehen und brachten ihm zwei bedeutende rumänische Literaturpreise ein.
Oskar Pastior wurde postum vorgeworfen, von 1961 bis 1968 unter dem Decknamen „Otto Stein“ inoffizieller Mitarbeiter (IM) für den ehemaligen rumänischen Geheimdienst Securitate gewesen zu sein, nachdem er zuvor selbst vier Jahre unter dessen Überwachung stand. Der Schriftsteller und Journalist Hans Bergel hatte bereits 1990 auf eine mögliche Verstrickung des Dichters hingewiesen.[4]
Der Schriftsteller Dieter Schlesak entdeckte im Jahr 2010 beim Studium seiner Securitate-Akte, dass ihn Oskar Pastior als inoffizieller Mitarbeiter bespitzelt hatte.[5] Der Historiker Stefan Sienerth, damals Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München, veröffentlichte im selben Jahr eine Studie zu der Frage, ob Pastior dem rumänischen Geheimdienst inkriminierende Informationen über rumäniendeutsche Schriftstellerkollegen geliefert hatte.[6] Sienerth wertete Pastiors Securitate-Akte aus und zitierte daraus. Pastior habe sich in der Zusammenarbeit mit der Securitate als korrekt erwiesen und die ihm auferlegten Aufgaben erfüllt. Er habe nützliche Materialien über verschiedene „suspekte Personen“ geliefert, auf die er angesetzt wurde. Dies waren vor allem westdeutsche Staatsbürger, die er teilweise offiziell über seine Dienststelle kontaktierte.[6]
Nobelpreisträgerin Herta Müller zeigte sich nach den Enthüllungen über ihren Kollegen und Freund Pastior „entsetzt“ und „verbittert“.[7] Sie habe zuerst Erschrecken, auch Wut, dann Anteilnahme und Trauer verspürt.[8] Sie sagte in einem Interview, es sei schrecklich, wenn man von jemandem, den man zu kennen glaubte, etwas Dunkles, kaum Fassbares erfahre, das einem verheimlicht wurde. Sie habe aber auch gedacht, dass Pastior als Homosexueller verletzbar und erpressbar gewesen sei. Homosexualität wurde in Rumänien mit mehreren Jahren Haft geahndet.[9][10]
Grete Loew, eine ehemalige Bürokollegin Pastiors in Hermannstadt, erhob Vorwürfe gegen ihn. Sie habe 27 Monate in politischer Haft gesessen, weil sie angeblich regimefeindliche Gedichte von Pastior aufbewahrt hatte. Pastior habe sich nie bei ihr entschuldigt.[11]
Dieter Schlesak, der seinen ehemaligen Freund Pastior in der IM-Affäre zunächst in Schutz genommen hatte, bezeichnet diesen nach Einsicht seiner eigenen Akte als den „Hauptspitzel“, der von der Securitate auf ihn angesetzt war.[12][13] Schlesak warf Pastior ferner vor, er habe den Selbstmord des jungen siebenbürgischen Dichters Georg Hoprich mitverschuldet. Der Literaturkritiker Ernest Wichner wies diesen Vorwurf zurück mit der Begründung, Pastior sei erst nach der Verhaftung und Verurteilung Hoprichs Mitarbeiter der Securitate geworden; es sei außerdem unklar, ob Pastior Hoprich nach dessen Entlassung bespitzelt habe.[14]
Der Schriftsteller Richard Wagner verlangte die schonungslose Aufklärung der Securitate-Verstrickung Pastiors.[15] Für Wagner war Pastior ein „Meister der Duplizität“.[16] Sein Werk sei zwar „ein Feuerwerk an Sprachartistik“, dem aber „jede moralische Begründung“ fehle. Wagner stellte auch die Zukunft der Oskar-Pastior-Stiftung in Frage: „Ich glaube nicht, dass man die Stiftung und den Preis weiter betreiben und führen kann.“[17]
Stefan Sienerth meinte: „Der Mensch Pastior muss neu bewertet werden“, riet dann jedoch mit Bezug auf die Securitate-Akten „zu Besonnenheit und zu Behutsamkeit im Umgang mit dieser seltsamen Überlieferung“.[5]
Für den Schriftsteller Claus Stephani, selbst Ziel von Berichterstattungen über Verstrickungen mit der Securitate seit 1961, war Pastior „ein Gefangener“ geblieben: „Man sollte auch nicht vergessen, dass Pastior immer wieder vom Schicksal bestohlen wurde – um seine Jugendjahre, die er in einem sowjetischen Arbeitslager verbringen musste, um die Freiheit, danach, selbst entscheiden zu dürfen über sein weiteres Leben.“[18]
Die Oskar-Pastior-Stiftung plante, eine Forschungsgruppe einzusetzen, um an Pastiors Beispiel die Verstrickung von Schriftstellern und Geheimdienst in der Diktatur zu untersuchen.[19] Ergebnis der Recherchen war der 2013 veröffentlichte Sonderband Versuchte Rekonstruktion – Oskar Pastior und die Securitate der Zeitschrift Text + Kritik.
Ernest Wichner und Corina Bernic sahen Dossiers zu Pastior im Archiv des Nationalrates für die Aufarbeitung der Securitate-Akten ein und stellten 2011 fest, dass Pastior niemandem geschadet habe.[20] Wichner sagte 2012 in einem Interview, Pastior habe sich dem Druck der Securitate nicht entziehen können, er habe aber als Informant nur Belanglosigkeiten geliefert.[21]
Der Schriftsteller und Bürgerrechtler Lutz Rathenow sah in der rumäniendeutschen Debatte über die Securitate-Vergangenheit eine „Mischung aus Aufklärungsversuch und Desinformationseifer. [...] Da wünschte man sich schon deutsche Verhältnisse und Sachgutachten einer halbwegs verlässlich arbeitenden Behörde. Und wir ahnen erst einmal, wie richtig der deutsche Weg war, die Akteneinsicht nicht in dieser Art der Privatisierung versacken zu lassen.“[22]
Erstmals im Oktober 2007 fand in Hermannstadt das Internationale Poesiefestival „Oskar Pastior“ statt, veranstaltet von Ernest Wichner vom Literaturhaus Berlin und Corina Bernic vom Kulturinstitut Bukarest.[24] Es erlebte noch zwei Wiederholungen in den Jahren 2008 und 2009. Teilgenommen haben unter anderen Inger Christensen, Urs Allemann, Herta Müller, Oswald Egger und Jean Daive. Angeblich wegen mangelnder Bereitschaft in Hermannstadt, das Festival zu unterstützen,[25] wurde es danach eingestellt.
Das Deportationsschicksal des Protagonisten in Herta Müllers Roman Atemschaukel (2009) ist angelehnt an Oskar Pastiors Erfahrungen im sowjetischen Gefangenenlager. Müller hatte gemeinsam mit Pastior diese Erinnerungsarbeit geleistet, als sie wöchentlich zu einem Schreibtermin zusammenkamen. 2004 hatten sie eine gemeinsame Reise nach Kriwoj Rog und Gorlowka unternommen, um die Lagerorte in der Ukraine aufzusuchen.[26]
In seinem Testament verfügte Pastior die Einrichtung einer Oskar-Pastior-Stiftung (Eigenschreibweise: Oskar Pastior Stiftung) und bestimmte sieben Personen, die Mitglieder des Stiftungsrates sein sollten. Die Stiftung wurde im April 2008 im Literaturhaus Berlin gegründet. Sie sollte gemäß Pastiors Testament alle zwei Jahre den mit 40.000 Euro dotierten Oskar-Pastior-Preis vergeben, um experimentelle Literatur zu fördern, die in der Tradition der Wiener Gruppe, des Colloquiums Neue Poesie und der Gruppe OULIPO steht.[27][28]
Der Oskar-Pastior-Preis ging erstmals am 28. Mai 2010 im Berliner Rathaus an Oswald Egger.[29] Im Jahr 2012 verzichtete die Stiftung auf eine Preisvergabe, stattdessen bemühte sie sich um die Aufklärung der Securitate-Mitarbeit von Pastior. Die Ergebnisse dieser Recherche wurden 2013 in dem Band Versuchte Rekonstruktion – Oskar Pastior und die Securitate (edition text + kritik) veröffentlicht.[27] 2014 erhielt Marcel Beyer die Auszeichnung.[30] Der letzte Preisträger war 2016 Anselm Glück.[28]
Ingwer und Jedoch. Texte aus diversem Anlaß (= Sudelblätter. Nr.3). Edition Herodot, Göttingen 1985, ISBN 3-88694-803-X (38 S.).
Lesungen mit Tinitus. Gedichte 1980–1985. Hanser Verlag, München/Wien 1986, ISBN 3-446-14530-3 (158 S.).
Anagrammgedichte. Klaus G. Renner Verlag, München 1986, ISBN 3-921499-77-1 (82 S.).
Römischer Zeichenblock. Rainer Verlag, West-Berlin 1986, ISBN 3-88537-088-3 (135 S.).
Jalousien aufgemacht. Ein Lesebuch. Hrsg.: Klaus Ramm. Hanser Verlag, München/Wien 1987, ISBN 3-446-15008-0 (234 S.).
Bilder. Anagramme. Mit Galli. Henssel-Verlag, West-Berlin 1988, ISBN 3-87329-928-3 (103 S.).
Neununddreißig Gimpelstifte. Rainer Verlag, West-Berlin 1990, ISBN 3-88537-127-8 (39 S.).
Kopfnuß, Januskopf. Gedichte in Palindromen. Hanser Verlag, München/Wien 1990, ISBN 3-446-15905-3 (161 S.).
Eine Scheibe Dingsbums. Gedichte (= Ravensburger Taschenbuch Gedichte. Band7). Ravensburger Verlag, Ravensburg 1990, ISBN 3-473-51744-5 (45 S.).
Urologe küßt Nabelschnur. Verstreute Anagramme 1979–1989 (= Die tollen Hefte. Nr.3). MaroVerlag, Augsburg 1990, ISBN 3-87512-603-3 (22 S.).
Feiggehege. Listen, Schnüre, Häufungen. Fotografien: Renate von Mangoldt (= Text und Porträt. Nr.5). Literarisches Colloquium, Berlin 1991, ISBN 3-926178-21-3 (105 S.).
Vokalisen & Gimpelstifte. Hanser-Verlag, München/Wien 1992, ISBN 3-446-16573-8 (111 S.).
Eine kleine Kunstmaschine. 34 Sestinen. Mit Nachwort und Fußnoten. Hanser-Verlag, München/Wien 1994, ISBN 3-446-17667-5 (101 S.).
Das Unding an sich. Frankfurter Vorlesungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-518-11922-2 (127 S.).
Das Hören des Genitivs. Gedichte. Hanser-Verlag, München/Wien 1997, ISBN 3-446-19126-7 (144 S.).
Gimpelschneise in die Winterreise-Texte von Wilhelm Müller. Engeler Verlag, Weil am Rhein/Basel 1997, ISBN 3-9521258-7-3 (56 S.).
Der Janitscharen Zehn. Folienschnitte: Inga Rensch. Andante-Handpresse, Berlin 1998, DNB959249044 (24 S.).
Standort mit Lambda. Backelohrs Battom: Wiesenhahnenfuß in Agonie. Handsatz: Peter Rensch. Andante-Handpresse, Berlin 1998, DNB95926695X (8 S.).
Come in to Frower. Ein Fotokrimi. Von Veronika Schäpers und Silke Schimpf. Schäpers, Tokio/Berlin 1998, DNB958266573 (12 S.).
Pan-tum tam-bur. Von Uta Schneider. Selbstverlag, Frankfurt am Main 1999, DNB959951547 (8 S.).
Saa uum. Von Uta Schneider. Selbstverlag, Frankfurt am Main 1999, DNB959969640 (19 S.).
Gewichtete Gedichte: Chronologie der Materialien. Mit Beiträgen von Ralph Kaufmann, Oswald Egger. Das Böhmische Dorf, Neuss 2006, ISBN 3-902024-08-9 (79 S.).
Jürgen H. Koepp: Die Wörter und das Lesen – zur Hermeneutik Oskar Pastiors. Über die Konstruktion von Sinn und Bedeutung in Poetik und Hermeneutik. Aisthesis-Verlag, Bielefeld 1990, ISBN 3-925670-27-0.
Burkhard Tewes: Namenaufgeben. Das Wort in zeitgenössischer Lyrik am Beispiel von Texten Oskar Pastiors. (= Literaturwissenschaft in der Blauen Eule. 12). Verlag Die Blaue Eule, Essen 1994, ISBN 3-89206-595-0.
Grazziella Predoiu: Sinn-Freiheit und Sinn-Anarchie. Zum Werk Oskar Pastiors. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2004, ISBN 3-631-51864-1. (Kritische Auseinandersetzung mit dieser Veröffentlichung im Periodikum Spiegelungen)
Theo Breuer: Die Nacht als Oskar Pastior starb. In: Kiesel & Kastanie. Von neuen Gedichten und Geschichten. Monographie zur zeitgenössischen Lyrik und Prosa nach 2000. Edition YE, Sistig/Eifel 2008, ISBN 978-3-87512-347-0.
Ernest Wichner: Versuchte Rekonstruktion – Die Securitate und Oskar Pastior (= Text + Kritik Sonderband. XII/12). edition text + kritik, München 2013.
William Totok: Mit tückischer Durchtriebenheit. Durchsetzung der offiziellen Geschichts- und Kulturpolitik im national-kommunistischen Rumänien mit nachrichtendienstlicher Unterstützung. (II), In: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik. 26. Jg., Heft 1–2, 2014, S. 147–167.
Der Ort des Schreibens findet statt. Begegnungen mit Oskar Pastior. Hrsg.: Theresia Prammer. Verlag Peter Engstler, Ostheim vor der Rhön 2019, ISBN 978-3-946685-28-9 (87 S.).