Ottilie Rooschütz kam 1817 als Tochter des Kriminalrats Gottlob Christian Rooschütz (1785–1847) und seiner Ehefrau Leonore geb. Scholl (1796–1874) zur Welt. Getauft wurde sie evangelisch in der Rottenburger katholischen Stiftskirche St. Moriz, die auf königlichen Befehl damals als Simultankirche genutzt wurde. Sie war das älteste Kind der Familie, gefolgt von drei Brüdern. Sie wuchs in Marbach am Neckar auf, wohin ihr Vater nach seiner Beförderung zum Oberamtsrichter versetzt wurde. Schon früh zeigte sich ihr starker Wissensdrang. Sie erhielt zuerst Privatunterricht und besuchte dann bis zum 14. Lebensjahr die Volksschule. Im Sommer 1833 verbrachte die 16-Jährige sechs Monate in einer Hauswirtschaftsschule in der ResidenzstadtStuttgart, wo sie Kochen und Nähen lernte. Weitere Bildungsangebote erhielt sie nicht, sodass sie ihre literarischen Kenntnisse wie auch Englisch und Französisch im Selbststudium erlernte. Schon in jungen Jahren verfasste sie Gedichte und Geschichten.[1]
1843, im Alter von 26 Jahren, heiratete sie den zehn Jahre älteren Philologen Johann David Wildermuth (1807–1885). Dieser hatte nach längerem Aufenthalt als Hofmeister in Frankreich und England eine Anstellung als Professor für neuere Sprachen am Lyzeum in Tübingen, dem heutigen Uhland-Gymnasium, erhalten. Zum Freundeskreis des Ehepaares Wildermuth gehörten von Anfang an Ludwig Uhland und seine Frau, Emilie Auguste, geb. Vischer, Auguste Eisenlohr[2], die Tochter des Dorfpfarrers Gustav Feuerlein aus Wolfschlugen und ihr Ehemann Theodor Eisenlohr, die Familie des Dichters Karl Mayer, Karl August Klüpfel, Gustav Schwab und „wie üblich“, etliche Tübinger Universitätsprofessoren. Ihre vielseitige Bildung ermöglichte es Ottilie Wildermuth, an den Arbeiten ihres Mannes teilzunehmen.[3]
Ottilie Wildermuth schloss sich mit Tübinger Frauen zu einem „Kranz“ zusammen, dem sie 34 Jahre lang bis zu ihrem Tode angehörte. Sie gab auch selbst Englischstunden für Mädchen, betätigte sich karitativ sowie als Hauswirtin für Untermieter. Mit weiteren Frauenvereinigungen und vor allem den protestantischen schwäbischen Zirkeln hielt sie engen Kontakt.
Von fünf Kindern, die sie zwischen 1844 und 1856 zur Welt brachte, überlebten die Töchter Agnes und Adelheid und der Sohn Hermann. 1847 nahm sie ihre verwitwete Mutter in ihrem Haus auf und pflegte diese hier, bis diese 1874 starb.[1]
Sie unternahm regelmäßig kleinere Reisen ins Elsass sowie in die Schweiz, nach Baden-Baden und Holstein. Ab ihrem 50. Lebensjahr wurde ihre Gesundheit durch ein wiederkehrendes Nervenleiden stark angegriffen.
1847 schickte Ottilie Wildermuth erstmals eine Geschichte mit dem Titel Die alte Jungfer an CottasMorgenblatt. Nachdem diese zum Druck angenommen wurde, schrieb sie weitere Erzählungen, Novellen, Lebensbilder, Familien- und Jugendgeschichten, idyllische Schilderungen protestantischen schwäbischen Lebens, deren Stoffe sie aus ihrem näheren Umkreis bezog. Die vielgelesenen Familienzeitschriften (Daheim, Die Gartenlaube und mehr als ein Dutzend weitere[1]) druckten ihre dem Publikumsgeschmack entsprechenden Geschichten ab und machten sie zur bekanntesten Schriftstellerin ihrer Zeit, die quer durch alle Gesellschaftsschichten gelesen wurde. 1871 erhielt sie die große goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft des Königreichs Württemberg.
Im Jahr 1876 gab sie den vom Verlag Kröner gegründeten Jahresband Der Jugendgarten – Eine Festschrift für Knaben und Mädchen heraus. Später übernahmen ihre Töchter Agnes Willms und Adelheid Wildermuth die Herausgabe.
Am 12. Juli 1877 erlag Ottilie Wildermuth im Alter von 60 Jahren einem Schlaganfall. Sie wurde auf dem Stadtfriedhof in Tübingen beerdigt. In dem Familiengrab sind auch ihr Ehemann und die Tochter Adelheid bestattet.
Neue Bilder und Geschichten von Schwaben. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1854 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
Olympia Morata. Ein christliches Lebensbild. Verlag C. P. Scheitlin'sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1854 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
Erzählungen und Märchen für die Jugend. Verlag Gebr. Scheitlin, Stuttgart 1855, OCLC551239908 (Digitalisat der Staatsbibliothek zu Berlin – Neuauflage von 1865 als Von Berg und Tal).
Aus dem Frauenleben. Erzählungen. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1855, OCLC551240790.
Aus dem Frauenleben. Zweiter Band. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1857 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
Lebensrätsel. Gelöste und ungelöste. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1863.
Jugendgabe. Erzählungen für Kinder von 8 bis 12 Jahren. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1864 (Digitalisat einer Ausgabe von 1867, HathiTrust).
Kindergruß. Erzählungen für Kinder von 8 bis 12 Jahren. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1864, OCLC1414293829 (Digitalisat der Staatsbibliothek zu Berlin).
Erzählungen. Zwickau 1866.
Der Einsiedler im Walde. Eine Weihnachtsgeschichte aus Amerika. 1867.
Perlen aus dem Sande. Erzählungen. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1867, OCLC839076509 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
Für Freistunden. Erzählungen für die Jugend. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1868 (Digitalisat der 2. Auflage von HathiTrust).
Zur Dämmerstunde. Erzählungen. Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart 1871, OCLC643134513 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
Jugendschriften (22 Bände, 1871–1900).
Ein einsam Kind. Die Wasser im Jahre 1824. Zwei Erzählungen, Krabbe Stuttgart 1880 (Digitalisat).
Drei Schulkameraden. Der Spiegel der Zwerglein (Zwei Erzählungen).
Eine seltsame Schule. Bärbeles Weihnachten (Zwei Erzählungen).
Eine Königin. Der Kinder Gebet (Zwei Erzählungen).
Spätes Glück. Die drei Schwestern vom Walde (Zwei Erzählungen).
Die Ferien auf Schloß Bärenburg. Der Sandbub′ oder Wer hat′s am besten? (Zwei Erzählungen).
Cherubino und Zephirine. Kann sein, ′s ist auch so recht (Zwei Erzählungen).
Brüderchen und Schwesterchen. Der Einsiedler im Walde (Zwei Erzählungen).
Der Peterli vom Emmenthal. Zwei Märchen für die Kleinsten.
Krieg und Frieden. Emmas Pilgerfahrt (Zwei Erzählungen).
Das braune Lenchen. Des Königs Patenkind (Zwei Erzählungen).
Nach Regen Sonnenschein. Frau Luna. Das Bäumlein im Walde (Drei Erzählungen).
Die Nachbarskinder. Kordulas erste Reise. Balthasars Äpfelbäume.
Die wunderbare Höhle. Das Steinkreuz. Unsre alte Marie.
Der kluge Bruno. Eine alte Schuld. Heb’ auf, was Gott dir vor die Tür legt.
Elisabeth. Die drei Christbäume. Klärchens Genesung. Das Feenthal.
Vom Armen Unstern. Eine wahrhafte Geschichte.
Es ging ein Engel durch das Haus. Des Herrn Pfarrers Kuh. Die erste Seefahrt (Drei Erzählungen).
Schwarze Treue (Erzählung).
Das Osterlied. Die Kinder der Heide (Zwei Erzählungen).
1887, zehn Jahre nach ihrem Tod, wurde das Ottilie-Wildermuth-Denkmal in Tübingen enthüllt. Es befindet sich auf der Neckarinsel in der Nähe der Alleenbrücke. Das mehrstufige Denkmal enthält ein Hochrelief-Tondo von Wilhelm Rösch und im unteren Bereich eine Tafel, laut der das Denkmal Ottilie Wildermuth „von deutschen Frauen“ gewidmet wurde. Es war auf Betreiben von Mathilde Weber gebaut und mit zahlreichen Spenden finanziert worden.
An dem Haus in Marbach am Neckar, in dem Ottilie Wildermuth mit ihrer Familie von 1825 bis 1839 gewohnt hatte, ist eine Gedenktafel angebracht.
Ottilie Wildermuths ehemaliges Wohnhaus in Marbach am Neckar
Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus in Marbach am Neckar
↑ abcGisela Brinker-Gabler, Karola Ludwig, Angela Wöffen: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800–1945. dtv, München 1986. ISBN 3-423-03282-0. S. 326–329.
↑Eva Kuby: „Fahr dem Herren durch den Sinn!“ Auguste Eisenlohr – Ein Frauenleben im Vormärz. Silberburg, Tübingen 1996, ISBN 3-87407-225-8.
↑Vera Vollmer: Ottilie Wildermuth. In: Elisabeth Noelle-Neumann (hrsg.): Baden-Württembergische Portraits, Frauengestalten aus fünf Jahrhunderten, S. 124.
Manfred Berger: Ottilie Wildermuth. In: Kurt Franz / Günter Lange / Franz-Josef Payrhuber (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon, Meitingen 1998 (6. Erg.-Lfg.), S. 1–14.
Anna Blos: Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder. Silberburg, Stuttgart 1929, S.148–168 (wlb-stuttgart.de).
Maria Pfadt: Ottilie Wildermuth. Profile ihrer Kinder- und Jugendliteratur. Dissertation. Pädagogische Hochschule Ludwigsburg 1994.
Jonathan Schilling: Ottilie Wildermuth. Eine vergessene christliche Bestsellerautorin. In: Jonathan und Ulrike Schilling (Hrsg.): Ottilie Wildermuth: In frohen und in müden Zeiten. Gereimtes und Erzähltes. Ein Lesebuch. SCM Hänssler, Holzgerlingen 2017, ISBN 978-3-7751-5768-1.
Jonathan Schilling: „gott- und red- und schreibselig“. Ottilie Wildermuth als religiöse Frau und Schriftstellerin. In: Schwäbische Heimat, 68. Jg. (2017), Nr. 1, S. 62–67 (https://doi.org/10.53458/sh.v68i1.1659).
Jonathan Schilling: Ottilie Wildermuth und der Pietismus. Glaube und Frömmigkeit in Leben und Werk einer Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte, 117. Jg., 2017, S. 181–213, ISSN0341-9479.
Jonathan Schilling: Wie aktuell ist Ottilie Wildermuth heute noch? (online).
Günther Schweizer: Ottilie Wildermuth geb. Rooschütz (1817–1877) und ihre schwäbischen Wurzeln. Die Vorfahren der Schriftstellerin und ihre Familien, Verein für Familienkunde in Baden-Württemberg, Stuttgart 2017 (= Südwestdeutsche Ahnenlisten und Ahnentafeln 6).
Günther Schweizer / Jens Th. Kaufmann: Ergänzungen zur Ahnenliste Ottilie Wildermuth geb. Rooschütz. Ihre genealogischen Wurzeln in Heilbronn, im Elsaß, in Mainz, Leipzig, Chemnitz und in Oberösterreich. In: Südwestdeutsche Blätter für Familien- und Wappenkunde, Bd. 37 (2019), S. 271–301.
Vera Vollmer: Ottilie Wildermuth. In: Elisabeth Noelle-Neumann (Hrsg.): Baden-Württembergische Portraits. Frauengestalten aus fünf Jahrhunderten, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, ISBN 3-421-05271-9, S. 122–127.
Rosemarie Wildermuth (Hrsg.): „Verehrte Freundin! Wo sind Sie?“ Justinus Kerners Briefwechsel mit Ottilie Wildermuth 1853–1862. Mit einem Vorwort von Bernhard Zeller. Lithos u. a., Weinsberg/Marbach/Stuttgart 1996, ISBN 3-88480-022-1.
Agnes Willms, Adelheid Wildermuth (Hrsg.): Ottilie Wildermuth’s Leben, nach ihren eigenen Aufzeichnungen zusammengestellt und ergänzt, Kröner, Stuttgart o. J. [1888].
Ursula Kuttler-Merz: Ein gar elendigliches Kindlein. In: Geschichten aus dem alten Rottenburg, Verlag Haus am Nepomuk, Rottenburg am Neckar 2019, S. 43–48, ISBN 978-3-941981-27-0
Adrienne Braun: Ottilie Wildermuth. Starautorin im Negligé. In: Künstlerin, Pionierin, Rebellin. Zwanzig außergewöhnliche Frauen aus Baden-Württemberg. Südverlag, Konstanz 2016, S. 75–80, ISBN 978-3-87800-035-8.