Paliperidon

Strukturformel
Strukturformel von Paliperidon
1:1-Gemisch (Racemat)
aus (R)-Isomer (oben) und (S)-Isomer (unten)
Allgemeines
Freiname Paliperidon
Andere Namen
  • (RS)-3-{2-[4-(6-Fluor-1,2-benzisoxazol-3-yl)piperidino]ethyl}-9-hydroxy-2-methyl-6,7,8,9-tetrahydro-4H-pyrido[1,2-a]pyrimidin-4-on
  • (±)-3-{2-[4-(6-Fluor-1,2-benzisoxazol-3-yl)piperidino]ethyl}-9-hydroxy-2-methyl-6,7,8,9-tetrahydro-4H-pyrido[1,2-a]pyrimidin-4-on
Summenformel C23H27FN4O3
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 144598-75-4
EG-Nummer (Listennummer) 620-493-1
ECHA-InfoCard 100.117.604
PubChem 115237
ChemSpider 103109
DrugBank DB01267
Wikidata Q423292
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N05AX13

Wirkstoffklasse

Atypisches Neuroleptikum

Eigenschaften
Molare Masse 426,48 g·mol−1
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301
P: 301+310[1]
Toxikologische Daten

65 mg·kg−1 (LD50Ratteoral)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Paliperidon ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der atypischen Neuroleptika. Unter dem Handelsnamen Invega (Janssen Pharmaceutica) ist er seit 2007 in der Europäischen Union in Form von Retardtabletten zugelassen für die Behandlung der Schizophrenie. Es folgten die intramuskulären Depotformen Xeplion (2011), Trevicta (2016) und Byannli (2020) für eine weniger häufige Verabreichung.

Die Verabreichung der Depotform erhöht die Kontrolle der kontinuierlichen Gabe des Medikaments. Dies ist insofern wichtig, als Neuroleptika für die Therapie einiger schwerer psychischer Erkrankungen eingesetzt werden, von den Patienten aber oftmals mangels Einsicht nach einiger Zeit wieder abgesetzt werden. Gleichzeitig vereinfacht die Depotform den Alltag für die Betroffenen, da die tägliche Einnahme und die damit verbundenen Spiegelschwankungen wegfallen. Nachteilig gegenüber der Tablettenform ist hingegen der Aspekt, dass der Wirkstoff beim Auftreten von unerwünschten Wirkungen noch längere Zeit aus dem Depot in den Blutkreislauf abgegeben wird und die Wirkung somit noch längere Zeit anhält.

Klinische Angaben

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Paliperidon ist der aktive Hauptmetabolit „9-Hydroxyrisperidon“ des Neuroleptikums Risperidon.[2] Im menschlichen Organismus bildet sich nach Einnahme von Risperidon dessen Abbauprodukt Paliperidon, welches pharmakologisch wirksam ist.

Hinsichtlich der erwünschten und unerwünschten Wirkungen gleicht Paliperidon weitgehend dem Risperidon. Allerdings wurde vom Hersteller bisher noch keine Vergleichsstudie (Head-to-Head-Study) veröffentlicht.

Paliperidon gehört zur Gruppe der Me-Too-Präparate.[3]

Pharmakologische Eigenschaften

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Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)

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Der Wirkmechanismus ist teilweise schon bei Risperidon beschrieben. Paliperidon bindet stark an Serotonin-5-HT2- und Dopamin-D2-Rezeptoren. Darüber hinaus blockiert Paliperidon auch α1-Adrenozeptoren und, in geringerem Ausmaß, Histamin-H1-Rezeptoren sowie α2-Adrenozeptoren. Die pharmakologische Wirkung der (+)- und (–)-Paliperidon-Enantiomere ist qualitativ und quantitativ ähnlich.

Aufnahme und Verteilung im Körper (Pharmakokinetik)

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Die Pharmakokinetik der Paliperidon-Präparate unterscheidet sich in einigen Punkten von jenen des Risperidons. Auf Grund der Retardform kommt es zu geringeren Schwankungsbreiten zwischen den Spitzen- und Talkonzentrationen im Vergleich zu jenen, die bei Risperidon-Präparaten mit sofortiger Freisetzung beobachtet wurden.

Die absolute orale Bioverfügbarkeit von Paliperidon beträgt 28 %. Da die Resorption auch davon abhängt, ob die Einnahme auf nüchternen Magen oder mit einer Mahlzeit erfolgt, ist es notwendig, dass die Patienten sich für eine Art der Einnahme entscheiden und dabei bleiben.

Paliperidon wird höchstwahrscheinlich nicht extensiv in der Leber metabolisiert. In vivo wurden keine Hinweise auf eine signifikante Verstoffwechselung von Paliperidon durch die Enzymformen CYP2D6 und CYP3A4 gefunden, obwohl In-vitro-Studien auf eine mögliche Beteiligung hatten schließen lassen. Die Elimination von Paliperidon erfolgt hauptsächlich über die Nieren, eine Reduzierung der Dosis je nach Nierenfunktion ist erforderlich.[4]

Die Indikation war zunächst auf die Behandlung der Schizophrenie beschränkt. Seit Anfang 2011 besteht eine Indikationserweiterung zur Behandlung von psychotischen und manischen Symptomen schizoaffektiver Störungen (das erste Neuroleptikum mit dieser Indikation in der Europäischen Union). Im Dezember 2008 zog die Firma eine zuvor eingereichte Indikationserweiterung zur Behandlung von akuten manischen Episoden bei Bipolar-I-Störungen zurück, da die klinischen Belege als unzureichend beurteilt worden waren.[5]

Sehr häufig (über 10 %)

Häufig (1–10 %)

  • Erregungsleitungsstörungen, verlängerte QT-Zeit (Kardiotoxizität)
  • langsamer Herzschlag, schneller Herzschlag, Verlängerung des QT-Intervalls des Herzens
  • orthostatische Hypotonie (niedriger Blutdruck)
  • Hypertonie (erhöhter Blutdruck)
  • Transaminasen (Leberwerte) erhöht
  • Pruritus, Hautausschlag
  • Arthralgie, Muskelschmerzen, Rückenschmerzen
  • Amenorrhö (Ausbleiben der Menstruation)
  • Dyspepsie Erbrechen, Übelkeit, Verstopfung, Durchfall
  • Asthenie, Fatigue, Fieber
  • pharyngo-laryngealer Schmerz
  • Husten, Schnupfen
  • Bauchschmerzen, abdominale Beschwerden
  • Zahnschmerzen
  • Mundtrockenheit
  • verschwommenes Sehen
  • Dystonie, Schwindel, Dyskinesie, Tremor
  • Manie, Unruhe, Angst, Depression
  • Gewichtszunahme, Gewichtsabnahme, gesteigerter oder verminderter Appetit
  • Bronchitis, Infektion der oberen Atemwege, Sinusitis, Harnwegsinfektion, Influenza

Im September 2013 wies der Hersteller (Janssen-Cilag) in einem Rote-Hand-Brief auf das Risiko eines intraoperativen Floppy Iris Syndroms (IFIS) in Verbindung mit einer Behandlung mit Risperidon oder Paliperidon bei Patienten, die sich einer Kataraktoperation (grauer Star) unterziehen hin.[6]

Ereignisse 2014 in Japan

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Am 9. April 2014 meldeten zahlreiche Medien, dass in Japan 17 Schizophrenie-Patienten verstorben seien, nachdem Ärzte ihnen das Medikament Paliperidon gespritzt hätten. Ein ursächlicher Zusammenhang sei unklar und das Mittel sei weder vom Markt genommen, noch wurde vor einer Einnahme grundsätzlich abgeraten. Es liegt (Stand 9. April 2014) keine Warnung der deutschen oder europäischen Zulassungsbehörden vor. Bei Spiegel Online heißt es: „Janssen Pharmaceuticals wies Ärzte in Japan an, das Medikament mit großer Sorgfalt anzuwenden und auf mögliche Nebenwirkungen vor allem in Kombination mit anderen antipsychotischen Mitteln zu achten. Die Substanz bleibt demnach nach der Injektion mindestens vier Monate im Körper. Einige der Patienten starben erst rund 40 Tage nach Verabreichung. In Japan wird es seit November 2013 als Injektion verabreicht. Seitdem wurden dort fast 11.000 Menschen damit behandelt.“[7]

Isomerie und chemische Eigenschaften

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Paliperidon ist chiral. Es wird arzneilich als Racemat eingesetzt. Es gehört zur Gruppe der Benzisoxazol-Derivate. Paliperidon ist kaum löslich in 0,1 N Salzsäure und Dichlormethan; praktisch unlöslich in Wasser, 0,1 N Natriumhydroxid und n-Hexan; sowie wenig löslich in N,N-Dimethylformamid.

Zulassung und Vermarktung

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Paliperidon ist in oraler Form als Retardtablette (Invega) seit Juni 2007 in der ganzen EU (zentrale Zulassung) und seit Mai 2008 auch in der Schweiz zugelassen.

2011 erhielt eine Depotform (Handelsname Xeplion, Wirkstoff Paliperidon-Palmitat[S 1], ein Palmitinsäureester des Paliperidons) die Zulassung der Europäischen Kommission.[8] Die Verabreichung erfolgt durch intramuskuläre Injektionen im Abstand von einem Monat.

Im Jahr 2016 kam Trevicta auf den Markt.[9] Hierbei handelt es sich wie bei Xeplion ebenfalls um ein Paliperidon-Palmitat-Depotpräparat. Dieses wird in höherer Wirkstoff-Dosierung als Xeplion alle drei Monate intramuskulär gespritzt. Es ist zugelassen zur Erhaltungstherapie bei Schizophrenie bei erwachsenen Erwachsenen, die stabil auf das Ein-Monats-Depotpräparat eingestellt wurden. 2020 folgte die Zulassung von Byannli, das alle sechs Monate injiziert wird.[10]

  • O. Benkert, H. Hippius: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. 5. Auflage. Springer, 2005, ISBN 3-540-21893-9.
  • Brigitte Woggon: Behandlung mit Psychopharmaka: Aktuell und maßgeschneidert. Huber, Bern/Göttingen/Toronto/Seattle 2005, ISBN 3-456-83538-8.
  • Hermann J. Roth: Medizinische Chemie: Targets und Arzneistoffe; 157 Tabellen. Deutscher Apotheker-Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-7692-3483-9.
  • R. Knegtering, P. Baselmans, S. Castelein, F. Bosker, R. Bruggeman, R. J. van den Bosch: Predominant role of the 9-hydroxy metabolite of risperidone in elevating blood prolactin levels. In: The American journal of psychiatry. Band 162, Nummer 5, Mai 2005, S. 1010–1012, doi:10.1176/appi.ajp.162.5.1010, PMID 15863810.

Einzelnachweise

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  1. a b c Datenblatt Paliperidone bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 16. April 2011 (PDF).
  2. EMA: Zusammenfassungen für die Öffentlichkeit.
  3. Ulrich Schwabe: Patentgeschützte Analogpräparate (Me-too-Liste 2017 in der modifizierten Fassung von 2011)
  4. Isabel Hach: Der Wirkstoff Paliperidon Zertifizierte Fortbildung apotheke+marketing 2008 PDF (Memento vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive).
  5. Janssen-Cilag: Withdrawal Letter (englisch) (PDF; 27 kB), 15. Dezember 2008.
  6. Rote-Hand-Brief von Janssen-Cilag am 9. September 2013. (PDF; 397 kB) Abgerufen am 10. September 2013.
  7. Spiegel Online: Paliperidon: 17 Tote nach Injektion von Schizophrenie-Arznei, abgerufen am 9. April 2014.
  8. Janssen Pharmaceutica, Pressemitteilung: Europäische Kommission erteilt Zulassung für XEPLION(R) zur Behandlung von Schizophrenie.
  9. Kurz informiert. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 113, Nr. 26. Deutscher Ärzte-Verlag, 1. Juli 2016 (aerzteblatt.de [abgerufen am 10. April 2024]).
  10. Byannli (previously Paliperidone Janssen-Cilag International) auf der Website der europäischen Arzneimittelagentur. In: ema.europa.eu. 7. Juli 2020, abgerufen am 10. April 2024 (englisch).
  1. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Paliperidonpalmitat: CAS-Nr.: 199739-10-1, EG-Nr.: 682-873-3, ECHA-InfoCard: 100.208.402, PubChem: 9852746, ChemSpider: 8028457, Wikidata: Q27157250.