Paul Adolph Michel de Man (* 6. Dezember 1919 in Antwerpen; † 21. Dezember 1983 in New Haven) war ein aus Belgien stammender Literaturtheoretiker, -kritiker und Philosoph.
Als Student wanderte der gebürtige Flame 1952 in die Vereinigten Staaten aus und wurde an der Harvard University mit einer Arbeit über Stéphane Mallarmé und William Butler Yeats promoviert. Von 1960 bis 1966 lehrte er an der Cornell University; von 1967 bis 1970 an der Universität Zürich und an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. 1970 erhielt Paul de Man einen Ruf an die Yale University, wo er bis zu seinem Tod als Professor der Komparatistik wirkte. 1973 wurde er zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences ernannt.
De Man ist der führende Vertreter der sogenannten Yale Critics.
Im Zentrum seines Interesses standen die immanenten Widersprüche literarischer Texte, die darauf beruhen, dass sie zugleich rhetorischer und logischer Natur sind. Ein Text sagt etwas aus, will Wissen vermitteln, Aufklärung leisten etc. – das ist sein logischer Aspekt. Um dies zu erreichen, muss er sich aber Mittel bedienen, denen eine gewisse Überzeugungskraft innewohnt, also vor allem rhetorischer Figuren. Es ist de Mans vielfach wiederholte These, dass dieser Doppelcharakter zwangsläufig auf eine Selbstzerstörung des Textes hinausläuft, weil sein rhetorischer Gehalt den logischen hintertreibt. Die meisten seiner Interpretationen – insbesondere der romantischen Literatur – kommen zu dem Schluss, dass die sprachlichen Mittel, derer sich ein Text bedient, gerade das Gegenteil von dem aussagen, was der Text logisch vermitteln möchte – dies ist die Dialektik von Blindheit und Einsicht („Blindness and Insight“, New York 1971). Da die Sprache logische Gegenstände immer nur aus rhetorischen Funktionen zusammensetzen kann, verdeckt sie immer auch den Gegenstand, den sie zeigen möchte.
Eine Ausnahme gilt nur für den literarischen Text. Da sich solche Texte von vornherein über ihre Rhetorizität im Klaren sind, die Mittel kennen, mit denen sie arbeiten, haben sie im Hinblick auf die Widerständigkeit der Sprache gegenüber logischer Wahrheit einen Vorteil. Literatur hat gerade die ‚Blindheit‘ zum Thema und kann sie daher bewusst unterlaufen. Literarische Texte haben die Fähigkeit, an sich selbst zu demonstrieren, wie Sprache den Blick auf die Wirklichkeit verstellen kann. Indem ein Text vorführt, dass er keiner eindeutigen Lektüre unterzogen werden kann, wird er selbst eine ‚Allegorie des Lesens‘. Da der Versuch, Texte zu interpretieren, selbst bloß eine rhetorische Funktion der Texte ist, provoziert der Versuch, eine rhetorische Figur auf eindeutigen Sinn festzulegen höchstens ein „misreading“. Nur eine dekonstruktive Lektüre, die den leseallegorischen Charakter der Texte erkennt, kann hier ein Ausweg sein. Beispielhaft sind hier Analysen der Texte von Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich Schiller, Jean-Jacques Rousseau, Marcel Proust, Baudelaire, Percy Bysshe Shelley, William Wordsworth, Walter Benjamin, T. S. Eliot und Heinrich von Kleist.
De Mans Modus der Sprachkritik steht gedanklich der Dekonstruktion Derridas, der ihm freundschaftlich verbunden war, und dem Poststrukturalismus nahe, jedoch oppositionell zur Postmoderne, insofern seine Theorie die Historizität von Texten bestreitet. Methodisch kann sein Vorgehen als Radikalisierung strukturalistischer Ansätze verstanden werden, die an Verfahren des frühen russischen Formalismus anknüpft.
Nachdem 1987 de Mans Mitarbeit an den belgischen Kollaborationszeitungen Le Soir und Het Vlaamsche Land aufgedeckt worden war, wurde massiv Kritik an der Person wie am Werk laut. Diese Mitarbeit an nazitreuen Zeitschriften beginnt nach de Mans gescheitertem Versuch, vor den Nationalsozialisten nach Spanien zu fliehen, Ende 1940 und dauert bis Ende 1941. Die antisemitische Tendenz dieser Artikel ist eindeutig, besonders in dem Artikel vom 4. März 1941, Les Juifs dans la littérature actuelle („Die Juden in der gegenwärtigen Literatur“). Den Juden sei es trotz aller Bemühungen nicht gelungen, die europäische Literatur zu korrumpieren; sie bleibe weiterhin „gesund“. Das Resümée des Artikels ist, dass gegen eine „isolierte jüdische Kolonie“ außerhalb Europas aus literarischen Gesichtspunkten keine Einwände sprächen. Die Entdeckung dieser Artikel vier Jahre nach de Mans Tod führte zusammen mit dem schon vorher erhobenen Einwurf, seine Theorie favorisiere politischen Inaktivismus, zu einer Abwertung seiner Arbeiten im akademischen Diskurs. Mittlerweile wurde der Nachweis bemüht, dass verschiedene andere Artikel der Zeit sich durchaus positiv mit beispielsweise dem Dreyfus-Verteidiger Charles Péguy und den von den Nazis verachteten französischen Surrealisten befassen.
In Siri Hustvedts Roman Damals (2019) wird ihm nicht nur der Vorwurf gemacht, antisemitische Artikel geschrieben zu haben, sondern auch „dass er seine akademischen Grade gefälscht, Geld gestohlen, seine Kinder im Stich gelassen, als Bigamist gelebt und sich bei den Behörden durch Lügen x-mal dem Auffliegen entzogen“ zu haben.[1] Die Erzählerin des Romans behauptet, „dass Paul de Man ein Psychopath war.“[2]
Personendaten | |
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NAME | Man, Paul de |
ALTERNATIVNAMEN | Man, Paul Adolph Michel de (vollständiger Name); Man, Paul M. de |
KURZBESCHREIBUNG | US-amerikanischer Literaturtheoretiker, Literaturkritiker und Philosoph |
GEBURTSDATUM | 6. Dezember 1919 |
GEBURTSORT | Antwerpen, Belgien |
STERBEDATUM | 21. Dezember 1983 |
STERBEORT | New Haven, Connecticut, Vereinigte Staaten |