Richard Engländer war Sohn von Moritz Engländer, einem jüdischen Kaufmann, und seiner Gattin Pauline, geb. Schweinburg.[1] Sein Pseudonym wählte er nach der 13-jährigen Bertha Lecher, die Engländer in Altenberg an der Donau kennenlernte und die von ihren Brüdern „Peter“ gerufen wurde.[2]
Er studierte erst Jus,[3] dann Medizin, brach die Studien aber ab und nahm eine Buchhändlerlehre bei der Hofbuchhandlung Julius Weise in Stuttgart auf. Diese brach er ebenso ab wie einen erneuten Versuch des Jus-Studiums. 1895 verfasste er erste literarische Arbeiten, durch den Kontakt mit Karl Kraus kam es ab 1896 zu Veröffentlichungen (Skizzenband Wie ich es sehe). Im März bzw. April 1900 trat er „aus der israelitischen Religionsgemeinschaft“ aus, blieb dann zehn Jahre konfessionslos und ließ sich schließlich im Jahr 1910 in der Karlskirchetaufen. Sein Taufpate war der Architekt Adolf Loos. Altenberg, der nach einer kurzen Zeit in München wieder nach Wien zurückgekehrt war, war dort schon zu Lebzeiten eine stadtbekannte Figur, um die sich Legenden rankten. 1904 riet er Marie Langs achtzehnjährigem Sohn Heinz, der sich an ihn gewandt hatte, weil seine Geliebte Lina Loos ihre gemeinsame Affäre beendet hatte, er solle sich umbringen, was dieser dann tat. Arthur Schnitzler verarbeitete den Vorfall in dem unvollendet gebliebenen „P.A.-Stück“ Das Wort.
Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, ein normales Berufsleben zu beginnen, attestierte ihm ein Arzt wegen einer „Überempfindlichkeit des Nervensystems“ die Unfähigkeit, einen Beruf auszuüben. Seither führte er das Leben eines Bohemiens und verbrachte die meiste Zeit in Kaffeehäusern.
Trotz Erfolges blieb Altenberg von Spenden abhängig, zu denen seine Freunde – darunter Karl Kraus und Adolf Loos – aufriefen. Seine letzten sechs Lebensjahre wohnte er in einem Zimmer im Graben-Hotel in der Dorotheergasse im Stadtzentrum. Nachdem er in den letzten zehn Lebensjahren häufig in Alkoholentzugs- und Nervenheilanstalten gewesen war,[Anm. 1] starb er am 8. Jänner 1919 in der III. Medizinischen Klinik (siehe: Franz Chvostek junior) des Wiener Allgemeinen Krankenhauses.[4] Er wurde am 11. Jänner 1919 auf dem Wiener Zentralfriedhof in einem später von der Stadtverwaltung ehrenhalber gewidmeten Grab bestattet (Gruppe 0, Reihe 1, Nummer 84).[5] Karl Kraus schloss seine Grabrede mit den Worten: „Wehe der Nachkommenschaft, die Dich verkennt!“
Porträtiert von Gustav Jagerspacher 1909Grabstätte von Peter Altenberg
Das Werk Peter Altenbergs besteht ausschließlich aus kurzen Prosatexten, die meistens als Prosaskizzen oder Prosagedichte kategorisiert werden. Es handelt sich dabei um Momentaufnahmen eines Gelegenheitskünstlers – flüchtigen Eindrücken und Begegnungen sowie zufällig mitgehörten Gesprächen, die das gesellschaftliche Leben der Wiener Moderne als sogenannte Kaffeehausliteratur skizzieren.
Altenberg selbst beschrieb den Prozess der Entstehung dieser Texte in einem Brief an Arthur Schnitzler folgendermaßen:
„Wie schreibe ich denn?!
Ganz frei, ganz ohne Bedenken. Nie weiß ich mein Thema vorher, nie denke ich nach. Ich nehme Papier und schreibe. Sogar den Titel schreibe ich so hin und hoffe, es wird sich schon etwas machen, was mit dem Titel in Zusammenhang steht.
Man muß sich auf sich verlassen, sich nicht Gewalt anthun, sich entsetzlich frei ausleben lassen, hinfliegen –. Was dabei herauskommt, ist sicher das was wirklich u. tief in mir war. Kommt nichts heraus, so war eben nichts wirklich und tief darin und das macht dann auch nichts.“[6]
Die Kunst Peter Altenbergs besteht darin, mit wenigen „literarischen Pinselstrichen“ und teilweise „zwischen den Zeilen“ ein ganzes Netz von Beziehungen anzudeuten. Dabei versucht er nicht, das Leben auf einen Nenner zu bringen, sondern zeigt es in seiner oft widersprüchlichen Vielfalt. Eine wichtige Rolle in den Skizzen spielen sinnliche Eindrücke wie Farben und Gerüche. Altenberg gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Impressionismus.
Manche der kurzen Texte sind für die Bühne geeignet. Die nur zwei Buchseiten umfassende Szene „Masken“ für neun Sprecherinnen und deren Chor[7] widmete Altenberg dem Architekten Josef Hoffmann; sie wurde 1907 im Kabarett Fledermaus aufgeführt, die Entwürfe für Bühnenbild und Kostüme stammten von Carl Otto Czeschka.[8] Der mit Altenberg befreundete Schriftsteller Egon Friedell, der sich auch als Kabarettist und Conférencier betätigte, trug immer wieder auch Texte von Altenberg vor. Teile aus Friedells Gesprächen mit Altenberg erschienen später als Anekdoten, wobei Friedell die alleinige Autorenschaft beanspruchte. Friedell gab auch Das Altenbergbuch mit Texten von Altenberg, Hugo von Hofmannsthal, Alfred Polgar u. a. sowie Korrespondenzen von, an und über Altenberg heraus.[9]
Im Jahr 1929 wurde in Wien in Döbling (19. Gemeindebezirk) die Peter-Altenberg-Gasse nach ihm benannt.
Im Wiener Café Central wurde er als lebensgroße, an einem Kaffeehaustisch sitzende Figur aufgestellt. (Die Figur wurde einst für die Wiener Festwochen angefertigt.) Im Büro des Wiener Bürgermeisters befindet sich eine ähnliche Figur: Peter Altenberg liest Zeitung.[11]
Der Nachlass von Peter Altenberg, zusammengestellt von Alfred Polgar. S. Fischer, Berlin 1925.
Peter Altenberg. Auswahl von Karl Kraus, herausgegeben von Sigismund von Radecki. Atlantis, Zürich 1963
Das Buch der Bücher von Peter Altenberg, zusammengestellt von Karl Kraus. 3 Bände. Wallstein, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8353-0409-3
Die Selbsterfindung eines Dichters. Briefe und Dokumente 1892–1896. Hrsg. und mit einem Nachwort von Leo A. Lensing. Wallstein, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8353-0552-6
Alban Berg: Aus den Jugendliedern für Singstimme und Klavier (ca. 1901–1908; hrsg. 1985):
Traurigkeit („Weinet, sanfte Mädchen...“) (1906)
Hoffnung („Was erhoffst du dir, Mädchen, noch?!“) (1906)
Flötenspielerin („Von der Last des Gedankens und der Seele befreit“) (1906)
Alban Berg: Fünf Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg (1912, zwei dieser Lieder, nämlich die Nummern 2 und 3, brachte Arnold Schönberg im Rahmen des berüchtigten Skandalkonzerts von 1913 zur Uraufführung)
1. Seele, wie bist du schöner, tiefer, nach Schneestürmen
2. Sahst du nach dem Gewitterregen den Wald
3. Über die Grenzen des All blicktest du sinnend hinaus
4. Nichts ist gekommen, nichts wird kommen für meine Seele
5. Hier ist Friede. Hier weine ich mich aus über alles
Hanns Eisler: Und endlich („Und endlich stirbt die Sehnsucht doch“) (1953)
Gisela von Wysocki: Peter Altenberg. Bilder und Geschichten des befreiten Lebens. Essay. Hanser, München 1979, ISBN 3-446-12841-7 (Dissertation Universität Frankfurt am Main 1976 unter dem Titel: Potentiale der Subjektivität im irrationalistischen Denken); Neuausgabe: Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1994, ISBN 3-434-50049-9.
Andrew Barker, Leo A. Lensing: Peter Altenberg: Rezept die Welt zu sehen. Kritische Essays, Briefe an Karl Kraus, Dokumente zur Rezeption, Titelregister der Bücher (= Untersuchungen zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, Band 11), Braumüller, Wien 1995, ISBN 3-7003-1022-6.
Heinz Lunzer: Peter Altenberg – Extracte des Lebens. Einem Schriftsteller auf der Spur. Residenz, Salzburg 2003, ISBN 3-7017-1320-0.
Christian Rößner: Der Autor als Literatur. Peter Altenberg in Texten der ‚klassischen Moderne‘ (= Helicon, Band 32), Peter Lang, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-631-54965-2 (Dissertation Uni Bamberg 2005).
Ricarda Dick: Peter Altenbergs Bildwelt. Zwei Ansichtskartenalben aus seiner Sammlung. Wallstein, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8353-0431-4.
Simon Ganahl: Karl Kraus und Peter Altenberg: eine Typologie moderner Haltungen, Konstanz University Press, Paderborn 2015, ISBN 978-3-86253-059-5.
Briefwechsel mit Arthur Schnitzler: Arthur Schnitzler – Briefwechsel mit Autorinnen und Autoren. Hg. Martin Anton Müller, Gerd-Hermann Susen, Laura Untner, online
↑Heinz Lunzer, Victoria Lunzer-Talos: Peter Altenberg – Extracte des Lebens. Einem Schriftsteller auf der Spur. Residenz, Salzburg 2003, ISBN 3-7017-1320-0, S. 33.
↑Hedwig Abraham (Red.): Peter Altenberg. In: viennatouristguide.at, abgerufen am 23. Juli 2014.
↑Peter Altenberg an Arthur Schnitzler, [12. 7. 1894?]. In: Arthur Schnitzler: Briefwechsel mit Autorinnen und Autoren. Digitale Edition. Hg. Martin Anton Müller, Gerd Hermann Susen und Laura Untner, [1] (Abfrage 2020-10-20)
↑M. Buhrs, B. Lesák, Th. Trabisch: Fledermaus Kabarett 1907 bis 1913. Das Gesamtkunstwerk der Wiener Werkstätte. Österreichisches Theatermuseum 1907, S. 175 (Abbildungen)
↑Das Altenbergbuch. Herausgegeben von Egon Friedell. Verlag der Graphischen Wiener Werkstätte, Leipzig / Wien 1922, siehe Inhaltsverzeichnis, S. 419 ff., Textarchiv – Internet Archive.