Prioritätsrecht ist ein Begriff aus dem gewerblichen Rechtsschutz. Es ist das Recht des Anmelders oder Hinterlegers eines gewerblichen Schutzrechts, den Prioritätstag einer früheren Anmeldung für eine Nachanmeldung in Anspruch zu nehmen und so zwar nicht die Laufzeit des Schutzrechts an den Anmeldetag der früheren Anmeldung zu binden, wohl aber den Altersrang der Anmeldung gegenüber zwischenzeitlichen Entwicklungen (Fortschreiten des Stands der Technik, in der Zwischenzeit entstandene Rechte Dritter) auf den Anmeldetag der Voranmeldung zurückzuverlegen.[1]
Der für die Neuheitsprüfung relevante Stand der Technik lässt sich um ein Jahr in die Vergangenheit verlegen, wenn der Anmeldung eine Erstanmeldung voraus geht, deren Priorität wirksam beansprucht werden kann.[2]
Die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ)[3] gewährt in Art. 4 für die in einem der Verbandsländer vorschriftsmäßig hinterlegte Anmeldung während bestimmter Fristen das Prioritätsrecht in den anderen Ländern. Das gilt sowohl für Patente wie auch für Gebrauchsmuster, Marken und Designs (früher „Geschmacksmuster“). Art. 87 des Europäischen Patentübereinkommens[4] verweist für Europäische Patente auf das PVÜ. Die wirksame Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung setzt nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ voraus, dass die Anmeldung des europäischen Patents dieselbe Erfindung wie die Voranmeldung betrifft.[5]
Im Patentzusammenarbeitsvertrag (Patent Cooperation Treaty – PCT) ist das Prioritätsrecht in Art. 8 verankert.
Das Madrider Markenabkommen (MMA) gewährt das Prioritätsrecht in Art. 4 Abs. 2.
Das Haager Musterabkommen 1960 definiert in Art. 6 eigenes Prioritätsrecht.
Das deutsche Patentgesetz bezieht sich in § 41 materiell auf die PVÜ und legt hierfür die Formalia fest. Darüber hinaus liefert § 40 PatG die Grundlage für inländische Prioritätsinanspruchnahmen.
Dies gilt im Übrigen auch für Gebrauchsmuster. Für diese ist die Priorität im § 6 GbrMG[6] in Verbindung mit § 41PatG geregelt und funktioniert analog zum Patent.
Das Europäische Patentübereinkommen schafft für die europäischen Patentanmeldungen mit Art. 87 ein eigenes Prioritätsrecht.
Das deutsche Markengesetz bezieht sich in § 34 materiell auf die PVÜ und legt hierfür die Formalia fest.
Für Unionsmarken regelt seit dem 1. Oktober 2017 Art. 34 der Verordnung (EU) 2017/1001[7] das Prioritätsrecht. Danach genießt jedermann hinsichtlich der Anmeldung derselben Marke als Unionsmarke für die Waren oder Dienstleistungen, die mit denen identisch sind, für welche die Marke angemeldet ist, oder die von diesen Waren oder Dienstleistungen umfasst werden, während einer Frist von sechs Monaten nach Einreichung der ersten Anmeldung ein Prioritätsrecht. Als prioritätsbegründend wird jede Anmeldung anerkannt, der nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, in dem sie eingereicht worden ist, oder nach zwei- oder mehrseitigen Verträgen die Bedeutung einer vorschriftsmäßigen nationalen Anmeldung zukommt. Nach Art. 35 der VO (EU) 2017/1001 wird eine Inanspruchnahme der Priorität zusammen mit der Anmeldung einer Unionsmarke beantragt und enthält das Datum, die Nummer und das Land der früheren Anmeldung.
Das deutsche Designgesetz bezieht sich in § 14 materiell auf die PVÜ und legt hierfür die Formalia fest.
Die EU-Musterverordnung bindet das Prioritätsrecht der PVÜ in Art. 41 ein.
Im Urheberrecht existiert kein Prioritätsrecht. Das Urheberrecht entsteht im Wesentlichen automatisch weltweit mit dem Akt der Schöpfung ohne eine Anmeldung irgendwo, so dass kein Prioritätsrecht nötig ist. Es können identische urheberrechtlich geschützte Werke nebeneinander bestehen, solange kein Plagiat vorliegt.
Die PVÜ bestimmt, dass binnen eines Jahres nach einer ersten Anmeldung einer Erfindung in einem PVÜ-Land der Patentanmelder für seine Patentanmeldungen in einem anderen PVÜ-Land den Anmeldetag der ersten Anmeldung beanspruchen kann. Später als ein Jahr ist dies dagegen nicht mehr möglich. Für Marken und Geschmacksmuster werden qualitativ die gleichen Festlegungen getroffen. Die Fristen hier sind allerdings kürzer, nämlich sechs Monate nach der ersten Anmeldung. Die Festlegungen und Fristen im deutschen und im europäischen Patentrecht und in den EU-Verordnungen und internationalen Verträgen sind qualitativ wie die in der PVÜ zu Patenten. Die DE- und EP-Regelungen gehen insoweit über die PVÜ hinaus, als sie nicht nur die länderübergreifende Prioritätsinanspruchnahme, sondern auch die „interne Priorität“ zulassen, also EP > EP, DE > DE.
Das Prioritätsrecht hat, soweit es wirksam ist, die wesentliche rechtliche Wirkung, dass der Zeitrang der späteren Anmeldung derjenige der in Anspruch genommenen früheren Patentanmeldung wird. Das bedeutet für Patente, dass der Stand der Technik, an dem die Patentwürdigkeit der später eingereichten Patentanmeldung gemessen wird, mit dem Anmeldetag der früheren ersten Patentanmeldung aufhört anzuwachsen und nicht bis zum Anmeldetag der zweiten späteren Anmeldung weiter wächst. Faktisch hat dies zwei wesentliche Wirkungen:
Damit eine Priorität einer früheren Patentsanmeldung ordnungsgemäß beansprucht ist, muss im Verfahren vor dem deutschen und dem europäischen Patentamt und bei internationalen Anmeldungen
Eine formal richtig beanspruchte Priorität ist nur dann materiell wirksam, wenn der Gegenstand, der die Priorität genießen soll, in der beanspruchten früheren Anmeldung zu finden ist (sog. Erfindungsidentität). Dabei ist darauf abzustellen, ob der konkrete Gegenstand der Nachanmeldung aus Sicht des Fachmanns in der Voranmeldung unmittelbar und eindeutig offenbart ist. Der Gegenstand der Nachanmeldung ist dabei bei Patenten die gesamte Kombination von Merkmalen, die in einem Patentanspruch beansprucht ist, während bei der Voranmeldung deren gesamte Offenbarung, also neben den Ansprüchen auch die Beschreibung und ggf. die Zeichnungen, maßgeblich ist. In Deutschland kommt zu dem Erfordernis der unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung im Sinne der klassischen Neuheitsprüfung noch hinzu, dass der Fachmann den Gegenstand der Nachanmeldung der Gesamtoffenbarung der Voranmeldung als zur Erfindung gehörig bzw. als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen können muss.[8]
Wenn es auf den Prioritätsanspruch ankommt, wird er vom Prüfer während des Prüfungsverfahrens überprüft. Ggf. können hierzu Übersetzungen der früheren Anmeldung notwendig werden.
Der Begriff Zeitrang kann meistens als Abkürzung für „Anmeldetag“, oder, wenn eine Priorität wirksam beansprucht wird, das „Prioritätsdatum“ verstanden werden.
Nicht immer ist der Tag, an dem erstmals die Anmeldeunterlagen einer Anmeldung zum Patentamt gelangen (=Einreichungstag) der Anmeldetag dieser Anmeldung im rechtlichen Sinn. Teilanmeldungen und abgezweigte Gebrauchsmuster haben einen Anmeldetag, der vor dem Einreichungstag der zugehörigen Unterlagen liegt. Er kann viele Jahre vorher liegen und ist der Anmeldetag der Anmeldung, aus der heraus die Teilanmeldung oder das abgezweigte Gebrauchsmuster geteilt bzw. abgezweigt wurden.
Kettenprioritäten sind unzulässig, da das Prioritätsrecht nur ausgehend von der „ersten Hinterlegung“ einer Erfindung als Schutzrechtsanmeldung eingeräumt wird.
Mehrfachprioritäten sind dagegen möglich. Bspw. kann eine EP-Anmeldung mehrere frühere japanische Anmeldungen in Anspruch nehmen. Man muss sich allerdings bewusst sein, dass Kombinationen aus unterschiedlichen prioritätsgebenden Anmeldungen eine Priorität womöglich nicht wirksam genießen, denn der kombinierte Inhalt war in keiner der prioritätsgebenden Anmeldungen zu finden. Als Zeitrang verbleibt es dann beim Anmeldetag.
In Deutschland sind Teilprioritäten unzulässig. Beansprucht ein Patentanspruch also eine Kombination von Merkmalen, die jeweils für sich genommen in verschiedenen Voranmeldungen offenbart sind, nicht jedoch in dieser konkreten Kombination, so kann für diesen Patentanspruch eine Priorität einer oder mehrerer dieser Voranmeldungen nicht wirksam in Anspruch genommen werden – der Patentanspruch erhält als Zeitrang somit den Anmeldetag der Nachanmeldung. Es ist im Rahmen der Erfindungsidentität immer auf die gesamte in einem Patentanspruch beanspruchte Merkmalskombination abzustellen. In Verfahren vor dem Europäischen Patentamt sind Teilprioritäten dagegen für Patentansprüche mit einem oder mehreren generischen Ausdrücken oder anderweitig alternativen Gegenständen (sog. generischer „ODER“-Anspruch) zulässig.[9]