Präsidentenwahl in der Republik China (Taiwan) 2000

Der Wahlsieger Chen Shui-bian (2005)

Die Präsidentenwahl in der Republik China 2000 fand am 18. März 2000 statt. Es war die zweite Direktwahl eines Präsidenten und die zehnte Präsidentenwahl seit 1947. Überraschenderweise gewann der Kandidat der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) Chen Shui-bian zusammen mit seiner Vizepräsidenten-Kandidatin Annette Lu die Wahl. Dies bedeutete das Ende der 50 Jahre währenden Herrschaft der Kuomintang (KMT) in der Republik China.

Im Vorfeld der Wahl

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Im Vorfeld der Wahl gab es in den Reihen der Kuomintang mehrere Bewerber für die Kandidatur, zum einen den amtierenden Vizepräsidenten Lien Chan, außerdem den amtierenden Premierminister Vincent Siew und den Gouverneur der Provinz Taiwan, James Soong. Obwohl der als volkstümlich geltende Soong in den Meinungsumfragen deutlich vor seinen Mitbewerbern rangierte, verfehlte er die Nominierung auf dem KMT-Parteitag und stattdessen wurde der eher distanziert-abgehoben auftretende amtierende Vizepräsident Lien Chan als Kandidat aufgestellt. Dieser wählte sich Vincent Siew zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft. Daraufhin kündigte Soong an, als unabhängiger Kandidat bei der Wahl antreten zu wollen. Er wurde infolgedessen im November zusammen mit 21 erklärten Unterstützern seiner Kandidatur aus der Kuomintang ausgeschlossen. Soong wählte sich Chang Chau-hsiung als Vizepräsidenten-Kandidaten. Sowohl Lien Chan als auch James Soong wurden nicht in Taiwan, sondern in Festland-China geboren und wählten sich daher aus Proporz- und wahltaktischen Gründen Vizepräsidenten-Kandidaten, die von der Insel Taiwan stammten.

Spitzenkandidat der Demokratischen Volkspartei (DPP) war der frühere Bürgermeister von Taipeh, Chen Shui-bian, der sich Annette Lu, Abgeordnete aus dem Landkreis Taoyuan zur Vizepräsidenten-Kandidatin wählte. Beim Wahlkampf zur Präsidentenwahl 1996 hatte die DPP noch einen radikalen Unabhängigkeitskurs verfolgt und war dann der KMT erdrutschartig unterlegen. Das Programm der DPP wurde daraufhin in dieser Hinsicht wesentlich moderater gestaltet und die Forderung nach einer expliziten Unabhängigkeitserklärung von China an die Abhaltung eines positiven Referendums geknüpft. Der frühere DPP-Vorsitzende Hsu Hsin-liang trat nach seiner Nicht-Nominierung als unabhängiger Kandidat an. Zusammen mit der Vizepräsidentschafts-Kandidatin Josephine Chu trat er im Wahlkampf für die Wiedervereinigung mit der Volksrepublik China unter der Parole Ein Land, zwei Systeme ein.

Kurz vor der Wahl versuchten Politiker der Volksrepublik China den Wahlausgang in ihrem Sinne zu beeinflussen, indem sie Warnungen und Drohungen für den Fall eines Unabhängigkeitsreferendums aussprachen. Ein Haupt-Wahlkampfthema der DPP war der Kampf gegen die Korruption. Daher war es Wasser auf die Mühlen der DPP-Wahlkampfstrategen, als James Soong in die öffentliche Kritik geriet, weil er angeblich Millionen von öffentlichen Geldern veruntreut hatte. Eine gewisse Wirkung hatte es auch, als sich der sehr angesehene Präsident der Academia Sinica und Nobelpreisträger für Chemie Yuan T. Lee öffentlich für Chen Shui-bian aussprach.

Landesweite Ergebnisse

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Grafische Darstellung der Mehrheitsverhältnisse

Die Wahlbeteiligung betrug 82,69 %, 122.278 Stimmen wurden als ungültig gewertet.

Kandidaten (Präsident und Vize) Partei Wahlbezirke Stimmen Prozent
Chen Shui-bian (陳水扁),
Annette Lu (呂秀蓮)
DPP 10 4.977.737 39,3 %
James Soong (宋楚瑜),
Chang Chau-hsiung (張昭雄)
Unabhängige 15 4.664.932 36,8 %
Lien Chan (連戰),
Vincent Siew (蕭萬長)
Kuomintang 0 2.925.513 23,1 %
Weitere Kandidaten Unabhängige 0 96.211 0,8 %
Gesamt 25 12.786.671 100,0 %

Ergebnisse nach Wahlbezirken

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Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse in den 18 Landkreisen und sieben kreisfreien bzw. regierungsunmittelbaren Städten. Die Stimmen- und Prozentzahl des Gewinners ist jeweils rot markiert.

Wahlbezirk Soong • Chang Lien • Siew Sonstige Chen • Lu
Stimmen % Stimmen % Stimmen % Stimmen %
Taipeh Stadt 631.538 39,79 % 347.564 21,90 % 10.599 0,37 % 597.465 37,64 %
Landkreis Taipeh 812.821 40,26 % 451.707 22,37 % 13.025 0,65 % 741.659 36,73 %
Keelung Stadt 106.032 47,01 % 48.545 21,52 % 1.411 0,62 % 69.555 30,84 %
Landkreis Yilan 86.549 33,05 % 51.082 19,51 % 1086 0,41 % 123.157 47,30 %
Landkreis Taoyuan 413.370 43,83 % 208.881 22,15 % 21.721 2,3 % 299.120 31,72 %
Landkreis Hsinchu 128.231 51,58 % 51.442 20,69 % 7.402 2,97 % 61.533 24,25 %
Hsinchu Stadt 88.412 42,83 % 46.234 22,40 % 2.038 0,99 % 69.760 33,97 %
Landkreis Miaoli 160.533 49,54 % 71.798 22,20 % 4.330 1,34 % 86.707 26,81 %
Landkreis Taichung 318.499 38,10 % 206.832 24,74 % 5.480 0,65 % 305.219 36,51 %
Taichung Stadt 217.486 41,37 % 111.391 21,19 % 3.079 0,59 % 193.796 35,86 %
Landkreis Changhua 251.310 33,71 % 191.685 25,71 % 3.881 0,52 % 298.571 40,05 %
Landkreis Nantou 144.863 46,94 % 56.025 18,15 % 1.309 0,43 % 106.440 34,49 %
Landkreis Yunlin 114.188 27,70 % 102.177 24,78 % 2.205 0,54 % 193.715 45,99 %
Landkreis Chiayi 85.890 26,98 % 73.409 23,06 % 1.481 0,47 % 157.512 49,94 %
Chiayi Stadt 43.773 29,34 % 34.670 23,24 % 617 0,43 % 70.124 47,01 %
Landkreis Tainan 136.217 21,10 % 159.443 24,70 % 2.746 0,43 % 347.210 53,78 %
Tainan Stadt 114.299 27,53 % 107.679 25,93 % 1.988 0,44 % 191.261 45,06 %
Kaohsiung Stadt 259.023 29,78 % 208.544 23,97 % 3.980 0,46 % 398.381 45,79 %
Landkreis Kaohsiung 206.616 28,43 % 174.021 23,95 % 3.502 0,48 % 342.553 47,14 %
Landkreis Pingtung 131.371 25,48 % 142.934 27,73 % 2.631 0,51 % 238.572 45,28 %
Landkreis Hualien 109.962 58,81 % 36.042 19,28 % 930 0,49 % 40.044 21,24 %
Landkreis Taitung 63.913 52,78 % 28.659 23,66 % 430 0,35 % 28.102 23,20 %
Landkreis Penghu 17.723 39,55 % 10.418 23,25 % 183 0,41 % 16.487 36,79 %
Kinmen 19.991 81,81 % 3.543 14,50 % 142 0,58 % 759 3,11 %
Matsu-Inseln 2.362 73,31 % 787 24,43 % 15 0,47 % 58 1,80 %

Das Wahlergebnis war für viele eine Überraschung. Die meisten Wahlbeobachter hatten mit einem Sieg des populären James Soong gerechnet, jedoch hatte offensichtlich dessen kurz vor der Wahl publik gewordener Finanzskandal ihn viele Stimmen gekostet. Auch die unverhohlenen Drohungen festlandchinesischer Politiker hatten eher das Gegenteil bewirkt und Wähler in die Arme der Unabhängigkeits-Befürworter getrieben. Nach der Wahl kam es zu Protesten von KMT-Anhängern. Unter KMT-Anhängern war die Vermutung weitverbreitet, dass der frühere KMT-Vorsitzende Lee Teng-hui insgeheim die Kandidatur Chen Shui-biens unterstützt und damit zum Misserfolg beigetragen habe. Lee wurde von KMT-Anhängern attackiert, in seinem Büro belagert und trat schließlich am 24. März 2000 vom Amt des KMT-Parteivorsitzenden zurück. Im Dezember 2000 folgte sein Parteiausschluss. Daraufhin gründete Lee Teng-hui eine eigene Partei, die Taiwanische Solidaritätsunion (TSU, chinesisch 臺灣團結聯盟, Pinyin Táiwān Tuánjié Liánméng, englisch Taiwan Solidarity Union), die entgegen der KMT-Linie für eine radikale Unabhängigkeit Taiwans von China eintritt. Seine Gegner in der KMT sahen sich bei dieser Entwicklung in ihrem Verdacht der Illoyalität bestätigt. Auch James Soong gründete nach der Wahl eine neue Partei, die Qinmindang (chinesisch 親民黨, englisch People First Party, „Volksnahe Partei“), die in ihrer politischen Programmatik jedoch stark der Kuomintang ähnelte.

Literatur und Quellen

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  • J. A. Robinson, D. A. Brown: Taiwan’s 2000 Presidential Election. In: Orbis. 44(4), 2000, S. 599–613. doi:10.1016/S0030-4387(00)00046-6
  • E. Nioua, P. Paolino: The rise of the opposition party in Taiwan: explaining Chen Shui-bian’s victory in the 2000 Presidential election. In: Electoral Studies. 22(4), 2003, S. 721–740. doi:10.1016/S0261-3794(02)00010-0