Das Rädern (auch: Radebrechen, radebreken, mit dem rade stozen, mittelhochdeutsch rederen, oder auf das Rad flechten) war eine vom europäischen Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit praktizierte Form der Hinrichtung, bei der den Betroffenen mit einem großen Wagenrad, dem Richtrad, zunächst die Glieder gebrochen wurden, um sie anschließend zwischen die Radspeichen zu flechten und zur Abschreckung auszustellen. Als besonders qualvolle und entehrende Todesart war das Rädern der Sanktionierung von Kapitalverbrechen vorbehalten.
Das Rädern galt im Mittelalter zunächst als Spiegelstrafe für Straßendiebe[1], aber bereits der Sachsenspiegel sah es auch für Mörder, Mordbrenner, Verräter und andere Täter vor: „Alle Mörder und solche, die den Pflug rauben oder eine Mühle oder die eine Kirche oder den Kirchhof berauben; ebenso Verräter und Mordbrenner oder die ihre Botschaft (Vollmacht) zu ihrem eigenen Nutzen verkehren: Die soll man alle rädern.“[2]
Die Strafe wurde ab der Mitte des 17. Jahrhunderts nur noch selten angewendet. Im Königreich Bayern wurde sie aber erst 1813 vollständig abgeschafft, in Kurhessen war sie noch bis 1836 in Gebrauch. Die letzten bekannten Hinrichtungen durch Rädern fanden 1841 in Preußen statt.[3][4] Der Raubmörder Rudolf Kühnapfel[5] war wegen der Ermordung des Andreas Stanislaus von Hatten, des Bischofs von Ermland, verurteilt worden und wurde am 7. Juli des Jahres hingerichtet.[6] Am 13. August wurde in Neiße das letzte Todesurteil mit dem Rad vollstreckt.[7]
Die Hinrichtung durch Rädern erfolgte in zwei Akten: Erst wurde der Körper des Verurteilten verstümmelt, er jedoch nicht getötet, und anschließend aufs Rad geflochten und öffentlich ausgestellt. Grundsätzlich wurde unterschieden zwischen dem qualvolleren Rädern „von unten“ und dem schnellen Tod durch das Rädern „von oben“. In beiden Fällen wurden die Verurteilten auf ein Schafott geführt und auf dem Boden festgebunden. Die erste, gebräuchlichere Variante sah vor, dass der Scharfrichter zunächst die Knochen der Unterschenkel brach und sich dann bis zu den Armen hinauf arbeitete. Dazu ließ er das Richtrad, das oft mit einer eisernen Kante versehen war, auf die Glieder fallen. Rhythmus und Anzahl der Schläge waren jeweils vorgeschrieben, manchmal auch die Speichenzahl des Richtrades. Um dessen Wirkung zu erhöhen, legte man scharfkantige Hölzer unter die Gelenke, sogenannte Krammen, Krippen oder Brecheln. Später gab es Vorrichtungen, in die der Verurteilte „eingespannt“ werden konnte. Als Gnadenakt konnte der Scharfrichter angewiesen werden, den Verurteilten am Ende des ersten Aktes zu töten, indem er einen Gnadenstoß auf Hals oder Herz ausführte. Noch seltener erfolgte diese Art der Tötung gleich zu Beginn der Hinrichtung beim Rädern „von oben“ oder „vom Kopf herab“.[8]
Im zweiten Akt wurde der Leib in ein anderes Rad geflochten, was durch die gebrochenen Glieder möglich war, oder daran festgebunden. Nun wurde das Rad an einem Stock oder Pfahl aufgerichtet. Danach durfte der Scharfrichter den Verurteilten gegebenenfalls enthaupten oder erdrosseln. Alternativ wurde Feuer unter dem Rad entfacht, oder man warf den Geräderten ins Feuer hinein. Gelegentlich errichtete man einen kleinen Galgen auf dem Rad, etwa wenn der Schuldspruch zusätzlich zu Mord auf Diebstahl lautete.[8] Wurde das Opfer nicht vom Henker getötet, konnte es noch mehrere Stunden unter größten Qualen weiterleben, bis der Tod durch Kreislaufkollaps eintrat.
Da der Leib nach der Hinrichtung auf dem Rad verblieb und Tierfraß und Verwesung überlassen wurde, hatte diese Form der Bestrafung, ähnlich der antiken Kreuzigung, eine sakrale Funktion über den Tod hinaus: Nach damaligem Glauben stand die unterbliebene Bestattung einer Auferstehung entgegen.[9]
Fiel der Geräderte noch lebend vom Rad oder misslang die Hinrichtung auf andere Weise, wurde dies als Eingreifen Gottes interpretiert. So existieren etwa Votivbilder geretteter Geräderter, und es gibt Literatur über die beste Behandlung derartiger Verletzungen.[10]
Mancherorts war es üblich, die Knochen mit einer Eisenstange (barre de fer) direkt am Rad zu zerschlagen[8] oder den Körper dazu an einem Andreaskreuz zu befestigen.
Nicht immer wurde die volle Grausamkeit des Räderns ausgeübt. Auch nach der Verurteilung zu dieser Strafe war es möglich und zu verschiedenen Zeiten und in einzelnen Gerichtsbezirken auch üblich, dass der Verurteilte dazu begnadigt wurde, dass er zunächst mittels einer schnell wirkenden Todesart hingerichtet wurde und das Rädern dann erst post mortem an seinem Körper vollstreckt wurde. Diese Art des Räderns ist im Kirchenbuch von Rodewisch im Vogtland wie folgt beschrieben: „1739 wo Freitag nach dem 10. Trinitatis-Sonntage Barbara Löffler von hier, so ihre Mutter vergiftet hatte, auf dem Galgenberge enthauptet, und deren Körper auf’s Rad gelegt wurde“.[11]
In einigen Fällen wurde ein Delinquent auch direkt zu mehreren Hinrichtungsarten verurteilt. Der Bayerische Hiasl, bürgerlich Matthias Klostermayr, wurde 1771 als Bandenführer zum Tode verurteilt. Er wurde zunächst erdrosselt, sein Körper dann gerädert, enthauptet und schließlich gevierteilt und die Körperteile in vier Städten, in deren Gebiet er geraubt hatte, öffentlich aufgesteckt.
Da die Geräderten meistens über lange Zeit hinweg den Umwelteinflüssen ausgesetzt waren, existieren kaum archäologische Belege für das Rädern. Im deutschsprachigen Raum sind bisher nur wenige Funde von Geräderten belegt. Im Herbst 2013 wurde an der Bundesstraße 189 zwischen Perleberg und Pritzwalk das Skelett eines Mannes gefunden, dessen Lage und Verletzungsspuren auf den Tod durch Rädern hinweisen. Anhand einer eisernen Gürtelschnalle wurde das Skelett auf das 15. bis 17. Jahrhundert datiert. Die Identität des Mannes ist unbekannt.[13]
Im Juli 2020 wurden bei Allensbach im Kreis Konstanz mehrere Skelette zwischen den Fundamenten eines mächtigen Galgens gefunden. Eines davon ist das Skelett eines Mannes, der den Verletzungsspuren nach gerädert und enthauptet worden war.[14]
Solche Tötungsarten wurden als angemessene Vergeltung (analoges Talion) empfunden. So hieß es etwa in einem Sprichwort: „Mit böse muß man böses vertreiben.“ Johannes Agricola erläuterte dies in einer seiner Sprichwörtersammlungen so: „Böse buben beschedigen alle welt / darumb muß man reder haben / galgen / rabensteine / thurn / gefengnis / hencker unnd stockmeister / damit man den bösen buben were.”[15] Strafjustiz wurde also als Verteidigung der Gesellschaft gegen chaotische Zustände aufgefasst. Die Gottheit selbst sorgte nach damaliger Vorstellung dafür, dass jeden Übeltäter die ihm angemessene Strafe ereilte („was den Raben gehört ertrincket nicht“).[16]
Das Verb „radebrechen“ enthält als Bestimmungswort „Rad“ und als Grundwort das althochdeutsche brehhōn, was „niederschlagen“ bedeutet. Über die mittelhochdeutsche Bedeutung von „am Rad die Glieder brechen“ hieß es ab neuhochdeutscher Zeit sinngemäß „quälen“. Seit dem 17. Jahrhundert wird es in dem Sinne von „eine Sprache verstümmeln“ verwendet.[17] Einen weiteren lexikalischen Niederschlag bietet die Redewendung „sich (wie) gerädert fühlen“. Sie spielt an auf die Zeit zwischen dem körperlichen Vollzug und dem Tod, in der der Delinquent „zerschlagen“ und ausgeliefert nichts weiter tun kann, als seinen jämmerlichen Zustand auszuhalten und darauf zu hoffen, dass dieser so bald wie möglich endet. Die Wendung ist Beispiel für die Stilfigur der Hyperbel (Übertreibung) und wird benutzt, um starkes körperliches Missempfinden und Erschöpfung insbesondere beim morgendlichen Aufstehen oder nach physischen bzw. emotionalen Strapazen zu illustrieren. Sprachgeschichtlich handelt es sich um eine Bedeutungsverflachung, die durch Abwehr qua Banalisierung entstanden sein könnte. Vielen heutigen Sprechern ist die ursprüngliche Bedeutung nicht bewusst.
In Pieter Bruegels Gemälden Triumph des Todes (um 1562) und Kreuztragung Christi (1564) sind am Richtpfahl aufgerichtete Räder zu sehen.[18]
Das Bauernkriegspanorama von Bad Frankenhausen von Werner Tübke weist nahe den „Pestkranken“ und dem Schwarzen Tod eine Szene „Die Richtstatt“ auf, die an diese Hinrichtungsform erinnert. Sie zeigt die Aufrichtung eines Geräderten. Eine weitere Darstellung eines Geräderten findet sich in einem runden Fenster der Tübinger Stiftskirche (Chorseite).