Rainer Zitelmann (* 14. Juni 1957 in Frankfurt am Main) ist ein deutscher Historiker, Buchautor und Unternehmer,[1] der sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Reichtumsforschung beschäftigt. Daneben ist er journalistisch tätig und tritt in Talkshows auf, in denen er sich politisch äußert. Er ist Mitglied der FDP. Insbesondere seine Arbeiten zum Nationalsozialismus riefen kontroverse Reaktionen hervor und wurden zum Teil der Neuen Rechten zugeordnet.
Rainer Zitelmann wurde 1957 als Sohn des Schriftstellers und evangelischen Theologen Arnulf Zitelmann und dessen Frau Dietlinde, geb. Hock, einer Kindergärtnerin, in Frankfurt am Main geboren.[2] Sein Großvater war Lothar Hock. Durch den Beruf seines Vaters wuchs Zitelmann in mehreren evangelischen Pfarrhäusern Hessens auf.
Zitelmann war nach eigenen Angaben als Schüler Maoist und von 1978 bis 1986 als Student der Geschichte und Politikwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt (Erste 1983 und Zweite Staatsprüfung 1987 für das höhere Lehramt) zunächst Marxist.[3]
Bei der Vertiefung in sein Forschungsgebiet, die Grundlagen des Nationalsozialismus, entfernte er sich von der orthodoxen marxistischen Sicht des „deutschen Faschismus“ und befasste sich mit der freudomarxistischen Theorie über die Ursachen des historischen Erfolgs der Nationalsozialisten, die der marxistische Psychoanalytiker Wilhelm Reich 1933 in seinem Buch Massenpsychologie des Faschismus vorgelegt hatte.[4] 1986 erschien seine Dissertation (Dr. phil. mit „summa cum laude“) bei Karl Otmar von Aretin über Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, die durch das Evangelische Studienwerk Villigst gefördert wurde.
Von 1987 bis 1992 war Zitelmann wissenschaftlicher Assistent bei Jürgen W. Falter an der Freien Universität Berlin.
Anschließend arbeitete er bei verschiedenen konservativen Verlagen. Zunächst wurde er von 1992 bis 1993 Cheflektor der Verlage Ullstein und Propyläen und Mitglied der Geschäftsleitung. Bald darauf ging er zur Tageszeitung Die Welt, wo er die Leitung des Ressorts Geistige Welt übernahm. Zitelmann wechselte später in den Bereich Zeitgeschichte, dann in das Ressort Immobilien.
1994 und 1995 initiierte Zitelmann gemeinsam mit Klaus Rainer Röhl, Ulrich Schacht und Heimo Schwilk mehrere umstrittene Appelle, den Berliner Appell (1994) und den Appell 8. Mai 1945 – gegen das Vergessen.
Im Jahr 2000 gründete er die Dr. ZitelmannPB.GmbH, die er 2016 verkaufte.[5] Ab 2011 veröffentlichte er mehrere Bücher über Zielsetzung, Erfolg und Finanzen. In elf Sprachen übersetzt wurde das Buch „Setze dir größere Ziele“. Zudem veröffentlichte er die Bücher Reich werden und bleiben, Worte des Erfolges und Erfolgsfaktoren im Kraftsport. Er schreibt Kommentare zu Themen aus Wirtschaft, Politik und Finanzen in Medien wie Wall Street Journal[6], National Interest, Washington Examiner[7], Daily Telegraph, City AM, Neue Zürcher Zeitung, Welt, Focus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, wallstreet:online[8] und The European.[9] Wöchentlich schreibt Zitelmann Kolumnen auf Le Point und Linkiesta.[10]
2016 wurde Zitelmann bei Wolfgang Lauterbach an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam mit der Dissertation Persönlichkeit und Verhaltensmuster der Vermögenselite in Deutschland zum Dr. rer. pol. (magna cum laude) promoviert. Die Studie erschien 2017.[11] Im selben Jahr veröffentlichte er seine Autobiografie Wenn du nicht mehr brennst, starte neu!, in der er die verschiedenen Stationen seines Lebens (Historiker, Journalist, PR-Unternehmer, Investor) sowie seine Wandlung vom Maoisten zum Nationalliberalen darstellt.[12]
In seiner ersten Dissertation bemühte sich Zitelmann um den Nachweis, dass die Sozialpolitik in der Zeit des Nationalsozialismus (am bekanntesten wohl das Kulturwerk Kraft durch Freude) nicht, wie bis dahin gemeinhin angenommen, reine Propaganda zur Ruhigstellung der unterdrückten Arbeiterschaft gewesen sei. Vielmehr sei es Hitler auch um die Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft, um die Überwindung des Klassenkampfs, um Chancengleichheit und soziale Mobilität gegangen. In diesem Sinne habe er sich selbst als sozialen Revolutionär verstanden. Die vor allem im Begriff des Revolutionärs implizierte Behauptung, der Nationalsozialismus habe nicht nur durch die von ihm ausgelöste Zerstörung, sondern aktiv und konstruktiv zur Modernisierung der deutschen Gesellschaft beitragen wollen, vertiefte Zitelmann einige Jahre später in dem Sammelband Nationalsozialismus und Modernisierung.
Seine Thesen lösten unterschiedliche Reaktionen aus. Einige positive Besprechungen von Zitelmanns Arbeit in historischen Fachzeitschriften und in der überregionalen Tagespresse würdigten insbesondere die umfassende und sorgfältige Auswertung zuvor unberücksichtigt gebliebenen Quellenmaterials und die vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit dem Thema, die in wesentlichen Aspekten deutlich über den bisherigen Stand der Hitler-Forschung hinausgegangen sei.[13] Kritiker hielten Zitelmann entgegen, dass die Löhne zumeist auf dem extrem niedrigen Niveau der Weltwirtschaftskrise blieben, und dass die sozialpolitischen Wohltaten, die es gab, häufig nur symbolischen Charakter hatten und zudem nur für Menschen galten, die als rassisch einwandfrei durchgingen. Der Hitlerbiograph Ian Kershaw verwies zum Beispiel darauf, dass es Hitler im wesentlichen um Rasse und nicht um Klasse, um Eroberung und nicht um wirtschaftliche Modernisierung ging – statt gesellschaftlicher Modernisierung vermag er bei Hitler also nur reaktionäre Motive wie Imperialismus und Rassismus erkennen.
Ebenfalls kontroverse Reaktionen rief Zitelmann mit dem von ihm gemeinsam mit Eckhard Jesse und Uwe Backes herausgegebenen Sammelband Schatten der Vergangenheit hervor. Darin bemühten sich die Herausgeber, der von Martin Broszat 1985 erhobenen Forderung nach Historisierung des Nationalsozialismus zu folgen. Sie sahen sich, laut Klappentext, als Angehörige einer „jüngeren Generation“, die sich anschicke, die „Tabus“, „Legenden“ und „Mythen“ einer „volkspädagogisch“ und von „Bewältigungs-Ritualen“ besetzten Geschichtsschreibung mit ihrer „wissenschaftlichen Historisierung“ zu brechen. Ziel des Unternehmens war, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung betonen, die „Versachlichung der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. […] Erst eine betont nüchterne, von moralisierenden Anklängen freie Geschichtsschreibung schafft die Grundlage, um die historische wie politisch-moralische Tragweite der durch den Nationalsozialismus verübten Massenverbrechen zu ermessen.“
Zu dem Band trugen Autoren wie Ernst Nolte, der sich noch einmal zum Historikerstreit äußerte, bis zu Imanuel Geiss bei, einem Schüler Fritz Fischers. Die Aufsätze behandeln Probleme des Diktaturvergleichs und neuere Forschungen zum Nationalsozialismus (wobei besonders die Beiträge über die Beteiligung der Bevölkerung des Baltikums an der Shoa sowie Werner Wegners Widerlegung des Leuchter-Reports hervorstechen), sind aber teilweise eher polemische Stellungnahmen zu Fragen der Vergangenheitsbewältigung.
Der Neuzeithistoriker Wolfgang Wippermann und der Politologe am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, Alfred Schobert, ordnen den Sammelband der Neuen Rechten zu. Wippermann: „Tatsächlich reden Backes, Jesse und Zitelmann einer Geschichtspolitik das Wort. Sie streben nach einer kulturellen Hegemonie, die nur dann zu erreichen ist, wenn der Nationalsozialismus seiner Funktion als Negativfolie enthoben und ihm progressive und moderne Aspekte bescheinigt werden.“ Wippermann sieht hier die Absicht, aus den „Schatten der Vergangenheit“ heraustreten zu wollen. Dabei stehe nicht die Methode der Historisierung, wie Broszat sie formuliert habe, in der Kritik, sondern die Zielsetzung, der die Ergebnisse dienen sollten.[14] Auch der Historiker Alexander Ruoff betrachtet den Sammelband als Teil einer Diskursstrategie der Neuen Rechten, die eine Änderung des Geschichtsbewusstseins und der politischen Kultur der Bundesrepublik beabsichtige. Ziel sei dabei ein „Richtungswechsel von einer offen revisionistischen und apologetischen Linie zu einer Historisierung und Einordnung des Nationalsozialismus – Termini, mit denen Auschwitz nicht mehr geleugnet, wohl aber der Versuch unternommen wird, die Verantwortung für die deutsche Nation abzuschwächen oder ganz von ihr zu weisen.“[15] Klaus-Dietmar Henke stellt in seinem Aufsatz Erkenntnis und Interesse fest, der Sammelband sei „der Versuch, die von Martin Broszat geforderte Historisierung der NS-Zeit für eine Normalisierung des Nationalsozialismus zu nutzen.“[16]
In dem 1991 erschienenen Buch Demokraten für Deutschland. Adenauers Gegner – Streiter für Deutschland, das auf einer Artikelserie in der Tageszeitung Die Welt basierte und im Zusammenhang mit einer von Zitelmann geplanten Habilitation über den Neutralismus entstand, porträtierte Zitelmann Jakob Kaiser, Kurt Schumacher, Gustav W. Heinemann, Thomas Dehler und Paul Sethe. Dabei erhob Zitelmann den Anspruch, sich verbindlicher Wertungen zu enthalten und stattdessen durch Zitate das Selbstverständnis der Akteure „möglichst authentisch und quellennah zu dokumentieren“, ohne die Realisierungschancen der dargestellten Konzepte einschätzen zu wollen.[17] Wie Michael Schneider anmerkt, verlagert sich das Problem der Wertung damit auf die Auswahl des Themas, der vorgestellten Personen und Zitate. Im Hinblick auf das Erscheinen kurz nach der deutschen Wiedervereinigung kommt Schneider zu dem Schluss, dass die auch in der Einleitung vorgegebene Botschaft der Zitate laute: „Zerknirschungsmentalität behindert die Entwicklung eines gesunden Nationalbewußtseins, das als bestes Bollwerk gegen aggressiven Nationalismus (und nicht als dessen Wegbereiter) gilt.“[18] Stefan Berger konstatiert, dass Adenauers Kurs der Westintegration von Zitelmann als bewusste Abkehr vom nationalen Prinzip interpretiert werde. Adenauer erscheine damit als verantwortlich für Vertiefung der Gegensätze zwischen beiden deutschen Staaten.[19] Der Subtext von Zitelmanns Darstellung sei, so Jan-Werner Müller, dass sich Adenauers Gegner für die deutsche Einheit eingesetzt hätten und durch die Wiedervereinigung bestätigt worden seien, während sich Adenauers blinde Gefolgsleute an den Westen wie an einen Fetisch gebunden hätten.[20]
Michael Schneider weist darauf hin, dass Zitelmann damit auch die Frage der deutschen Westbindung angerissen habe.[21] Gemeinsam mit Karlheinz Weißmann und Michael Großheim gab Zitelmann 1993 den Sammelband Westbindung. Chancen und Risiken für Deutschland heraus, in welchem der Primat der deutschen Westbindung in Frage gestellt wurde. Zitelmann selbst verwahrte sich zwar gegen die Zuschreibung, die Autoren hätten sich gegen die Westbindung ausgesprochen, gehöre doch Deutschland inzwischen wirtschaftlich, politisch und kulturell zum Westen, aber politischer Realismus solle auch dazu führen, sich von der „im Kern zutiefst unpolitischen Haltung“ zu distanzieren, „die den Westen und die deutsche Westbindung zum Fetisch erhebt und für sakrosankt erklärt“.[22] Er möchte den Begriff Westbindung differenziert betrachten und geht davon aus, dass zwischen Neutralitätsbestrebungen einerseits und Westorientierung andererseits kein unüberbrückbarer Antagonismus bestehe. Es gelte, sich Gedanken über die Alternative „Primat der Nation oder Primat der Westintegration“ zu machen.[23]
In mehreren Veröffentlichungen befasste sich Zitelmann mit der Reichtumsforschung. In der Dissertation Psychologie der Superreichen (englisch: The Rich in Public Opinion)[24] kommt er zu dem Ergebnis, dass es eine enge Beziehung zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und finanziellem Erfolg von sehr reichen Menschen gäbe. In der Arbeit Die Gesellschaft und ihre Reichen wandte Zitelmann Methoden und Fragestellungen der Vorurteilsforschung auf die Gruppe reicher Menschen an, wozu er auch mehrere wissenschaftliche Aufsätze veröffentlichte.[25] Basierend auf Umfragen der Institute Allensbach und Ipsos MORI zur Einstellung gegenüber den Reichen in den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Schweden entwickelte Zitelmann einen „Social Envy Coefficient“, der einen Sozialneid in dem jeweiligen Land abbilden soll. Ergänzt wird dieser durch den „Personality Trait Coefficient“, der angibt, ob die Befragten den Reichen positive oder negative Persönlichkeitsmerkmale zuschreiben. Aus der Kombination dieser beiden Koeffizienten berechnete er einen „Rich Sentiment Index“.[26]
Zitelmann beauftragte eine internationale Umfrage zum Image von Marktwirtschaft und Kapitalismus in 34 Ländern, die in ECONOMIC AFFAIRS veröffentlicht wurde[27].
1993 rezipierte Die Zeit eine Aussage Zitelmanns, wonach Marxismus und Faschismus „im Moment“ keine Gefahr mehr darstellten, sondern die Gefahr stattdessen vom Feminismus ausgehe: „Ich glaube, daß im radikalen Feminismus, der auch einen ‚neuen Menschen‘ will und einen radikalen Egalitarismus predigt, eine erhebliche Gefahr steckt.“[28] Die Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte sah in Zitelmann 1996 einen „Vordenker der intellektuellen Rechten“ und nannte seine Thesen als Beispiel für Deutungskämpfe gegen den Feminismus.[29] Die Tageszeitung führte Zitelmann 1999 als einen der Autoren auf, die gegen Feminismus und die Frauenbewegung mobilisieren und dabei die Biologie als vermeintliche Begründung für ein geschlechtsspezifisches Rollenverhalten anführen.[30] Die NZZ schrieb 2018 über ihn: „Mit Feminismus und Political Correctness kann er ebenso wenig anfangen wie die heutige neue Rechte.“[31]
Rainer Zitelmann, Heiner Kappel und Alexander von Stahl versuchten mit ihrem Nationalliberalismus in der FDP an Einfluss zu gewinnen. Zitelmann wurde von der FDP-Bundestagsfraktion und vom Haus der Geschichte in Bonn am 8. Dezember 1997 als Referent zu einem wissenschaftlichen Symposium aus Anlass des 100. Geburtstages von Thomas Dehler eingeladen. Sein Beitrag wurde in dem Tagungsband Thomas Dehler und seine Politik veröffentlicht, der 1998 im Nicolai Verlag erschien. Zitelmann referierte über Thomas Dehler und Konrad Adenauer. Weitere Referenten waren Hildegard Hamm-Brücher, Wolfgang Mischnick, Hans-Dietrich Genscher und Wolfgang Gerhardt sowie Hermann Otto Solms, deren Beiträge ebenfalls in dem Band veröffentlicht wurden. Im September 1991 referierte er bei einem Wochenendseminar über den Geschichtsrevisionismus, an dem auch der Holocaustleugner Arthur Vogt teilnahm.[32]
Seit Ende der 1990er Jahre war Zitelmann für die FDP nur noch mit Bezug auf Immobilien-Themen aktiv. So moderierte er im Juli 2006 den REIT-Kongress der FDP, zu dem Hermann Otto Solms eingeladen hatte. 2014 gründete Zitelmann zusammen mit dem ehemaligen wohnungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Sebastian Körber, sowie mit dem Vizepräsidenten des Immobilienverbandes Deutschland IVD, Jürgen Michael Schick, die FDP-nahe Liberale Immobilienrunde e. V. Hermann Otto Solms schrieb auch das Vorwort zu Zitelmanns 2017 erschienener Autobiografie.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Zitelmann, Rainer |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Historiker, Publizist und Unternehmensberater |
GEBURTSDATUM | 14. Juni 1957 |
GEBURTSORT | Frankfurt am Main |