Reidgotaland

Reidgotaland (altisländisch Hreiðgotaland, neuisländisch Reiðgotaland) ist ein Gebiet, das unter anderem in Vorzeitsagas und der Prosa-Edda erwähnt wird. Seine genaue Lage ist unklar; im Laufe des Mittelalters wurden offenbar verschiedene Gebiete mit diesem Namen bezeichnet.

Hreiðgotaland bedeutet „Land der Hreiðgoten“. Der erste Teil des Namens (hreið-) könnte vom Wort hreiðr abgeleitet sein, was „(Vogel-)Nest“ bedeutet.[1] Es könnte sich aber auch um ein ehrendes Epitheton handeln,[2] das vermutlich „berühmt“ bedeutet.[3] Eine andere mögliche Erklärung ist die Abstammung von reið („Reiten“, „Reisen“). Der zweite Namensteil (gotar, Singular goti) bezieht sich auf die Goten oder auf die Bewohner Gotlands.

Die älteste schriftliche Erwähnung von Hreiðgoten ist auf dem Runenstein von Rök aus dem 9. Jahrhundert zu finden, dessen altnordische Runeninschrift unter anderem davon erzählt, „wer bei den Hreiðgoten (runisch hraiþkutum, in normalisiertem Altnordisch hreiðgotum; Dativ Plural) das Leben verlor“. Mit dem Begriff Hreiðgoten sind hier vermutlich die Ostgoten gemeint.[4]

Das altenglische Gedicht Widsith enthält die Zeile Ic wæs mid Hunum ond mid Hreðgotum („ich war bei den Hunnen und bei den Hre(i)ðgoten“), nennt aber auch Hraeða (Genitiv Plural);[5] letzteres interpretierte Kemp Malone als Kurzform des im Nominativ nicht belegten altenglischen Wortes Hrǣdgotan, welches eine etymologische Parallele zu dem altwestnordischen Wort Hreiðgotar darstellt.[6]

In den Vafþrúðnismál wird ein Pferd namens Skinfaxi vorgestellt, welches bei den Hreiðgoten (með Hreiðgotum) als bestes Pferd gelte.[7]

Altnordische Texte, die Reidgotaland (Hreiðgotaland, in jüngeren Texten Reiðgotaland) selbst erwähnen, sind die Hervarar saga ok Heiðreks konungs, das Sögubrot af nokkrum fornkonungum, der Ragnarssona þáttr, die Heimskringla und die Snorra-Edda sowie der geographische Abschnitt der Hauksbók und die Ættartölur der Flateyjarbók.

Zur Lokalisierung von Reidgotaland gibt es verschiedene Vorschläge; schon in den Quellentexten selbst sind offenbar verschiedene Gebiete gemeint.

Der Hervarar saga zufolge liegt Reiðgotaland nördlich von Húnaland und Saxland und grenzt an Vendland; mit den Hreiðgoten scheinen in dieser Saga also Weichselgoten und mit Reidgotaland das Weichselgebiet gemeint zu sein. Ähnlich verortet die Hauksbók Reidgotaland östlich von Polen und angrenzend an Hunland.[6]

Jütland oder dänisches und südschwedisches Festland

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Im Prolog der Snorra-Edda hingegen wird Reidgotaland als früherer Name von Jütland angegeben (þat heitir nú Jótland er þá var kallat Reiðgotaland),[8] ebenso in einem Fragment der Skjöldunga Saga. Ähnlich bezeichnen die Skáldskaparmál mit Reidgotaland das Festland (und die dazugehörigen Inseln als Eygotaland) des Gebietes, das später Danaveldi und Svíaveldi hieß.[9] Auch der Ragnarssona þáttr nennt Reiðgotaland und Eygotaland direkt nacheinander in einer Liste eroberter Gebiete.[10]

In der Ynglinga saga der Heimskringla wird Reidgotaland als austauschbare Bezeichnung für Gotland verwendet.[11]

Forschungsliteratur

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  • Sophus Bugge: Der Runenstein von Rök in Östergötland, Schweden. Ivar Hæggströms boktryckeri A. B., Stockholm 1910, S. 29–32 (digitalisiert).
  • Otto von Friesen: Exkurs I. – Om folknamnet hreidgotar. In: Rökstenen. Runstenen vid Röks kyrka Lysings härad Östergötland. Jacob Bagges söner, Stockholm 1920, S. 108–134 (schwedisch, digitalisiert).

Einzelnachweise

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  1. hreiðr sb. n. In: Dictionary of Old Norse Prose (ONP). Abgerufen am 13. September 2023 (dänisch, altnordisch).
  2. Reidgoter. In: Nordisk familjebok konversationslexikon och realencyklopedi. 4. Auflage. Band 17: Payer–Rialto. Förlagshuset Nordens Boktryckeri, Malmö 1957, Sp. 841 (schwedisch, runeberg.org).
  3. So die Übersetzung de berömte Goter für Hreiðgotar in Sveinbjörn Egilsson und Finnur Jónsson: Lexicon poeticum antiquæ linguæ septentrionalis. 2. Auflage. Kopenhagen 1931, S. 279 (altnordisch, dänisch, PDF). Zu möglichen Ursprüngen des Vorderglieds hreið- vgl. Ásgeir Blöndal Magnússon: Íslensk orðsifjabók. 1989 (isländisch, malid.is – Stichwort hreið-).
  4. Sophus Bugge: Der Runenstein von Rök in Östergötland, Schweden. Ivar Hæggströms boktryckeri A. B., Stockholm 1910, S. 32 (Textarchiv – Internet Archive).
  5. Widsith, Str. 55 und 120.
  6. a b Else Ebel: Hreiðgoten. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 15, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2000, ISBN 3-11-016649-6, S. 153.
  7. Vafþrúðnismál. In: Guðni Jónsson (Hrsg.): Eddukvæði Sæmundar-Edda. Str. 12 (altnordisch, heimskringla.no).
  8. Anthony Faulkes (Hrsg.): Snorri Sturluson: Edda. Prologue and Gylfaginning. 2. Auflage. London 2005, S. 6 (altnordisch, PDF).
  9. Anthony Faulkes (Hrsg.): Snorri Sturluson: Edda. Skáldskaparmál. 1. Introduction, Text and Notes. London 1998, S. 105–106 (altnordisch, PDF – Kapitel 65).
  10. Peter Tunstall (Hrsg.): Þáttr af Ragnars sonum. The Tale of Ragnar’s Sons. 2005 (altnordisch, englisch, online – Kapitel 2).
  11. Ynglinga saga. In: N. Linder und H. A. Haggson (Hrsg.): Heimskringla Snorra Sturlusonar. 1872 (altnordisch, heimskringla.no – Kapitel 21).