Klassifikation nach ICD-10 | |
---|---|
H35.5 | Hereditäre Netzhautdystrophie |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Die Bezeichnung Retinopathia pigmentosa oder Retinitis pigmentosa (RP), genannt auch Patermann-Syndrom, beschreibt eine durch Vererbung oder spontane Mutation entstehende Netzhautdegeneration, bei der die Photorezeptoren zerstört werden. Man spricht von Pseudoretinitis pigmentosa (oder Phänokopie), wenn nicht erbliche Erkrankungen Symptome der Retinopathia pigmentosa zeigen, etwa toxisch bedingt (beispielsweise durch Thioridazin, Chloroquin).
Der Name Retinitis pigmentosa wurde von dem Niederländer Frans Donders im Jahr 1855 geprägt.[1] Da es sich hierbei jedoch nicht primär um eine Entzündung (-itis) handelt, wurde die Krankheit in Retinopathia pigmentosa umbenannt. Die ursprüngliche Benennung wird allerdings immer noch synonym und sogar häufiger verwendet als die neue Bezeichnung.
Die entsprechende Erkrankung bei Tieren wird in der Veterinärmedizin als progressive Retinaatrophie (PRA) bezeichnet.
Weltweit sind etwa drei Millionen Menschen – in Deutschland etwa 30.000 bis 40.000 – von einer der verschiedenen Formen der Retinopathia pigmentosa (auch genannt Patermann-Syndrom) betroffen. Bedingt durch den schleppenden Verlauf der Erkrankung dürfte die Dunkelziffer noch höher sein. Die Prävalenz liegt somit bei einem Fall pro 3000 bis 7000 Einwohnern.[2]
Die Erkrankung tritt meistens im Jugendalter oder in den mittleren Lebensjahren mit den ersten Merkmalen (Nachtblindheit) ein; die Sehkraft lässt allmählich nach. Der gesamte Prozess zunehmender Sehbehinderung verläuft schleichend und erstreckt sich beim Betroffenen meistens über Jahrzehnte hinweg. Diese Entwicklung ist so auch mit einer starken psychischen Belastung verbunden. Bei ca. der Hälfte aller RP-Patienten entwickelt sich im Erwachsenenalter eine Linsentrübung, der graue Star.[3]
Es treten in der Regel folgende Symptome auf:
Im Verlauf kommt es typischerweise erst zu Nachtblindheit, Visusabfall und dann zu einer langsamen Einschränkung des Gesichtsfeldes bis hin zu einem sich immer mehr verengenden Tunnelblick. Die Erkrankung führt in einem späteren Stadium in der Regel zur Blindheit. Wegen der Nachtblindheit und des Tunnelblicks können sich die Patienten kaum mehr ohne Einsatz blindenspezifischer Orientierungsstrategien und eines Langstocks alleine sicher fortbewegen. Der zeitliche Verlauf dieser Abfolge variiert dabei, abhängig vom jeweiligen RP-auslösenden Gendefekt.[4]
Das Absterben der Photorezeptoren, zuerst der Stäbchen, vollzieht sich in der Regel von der Peripherie (dem Rand des Gesichtsfeldes) zur Makula (dem Zentrum des Gesichtsfeldes) hin. Donders beschrieb besonders die knochenkörperchenähnlichen Pigmenteinlagerungen und Gefäßverengungen im Auge, welche der Retinopathia pigmentosa den Namen gaben. Diese Veränderungen treten aber in der Regel sekundär zur Degeneration der Photorezeptoren auf.
Über 80 Gene wurden inzwischen identifiziert, deren Defekt Retinopathia pigmentosa auslösen kann.[5] Die meisten bislang identifizierten Gene folgen einem monogenetischen Erbgang. Die Erkrankung wird sowohl durch autosomal dominante, autosomal rezessive und auch gonosomale Erbfaktoren (im Wesentlichen das X-Chromosom) ausgelöst.[2][3]
Ungefähr 25 % der betroffenen Patienten leiden an einer assoziierten Retinopathia pigmentosa. Bei der assoziierten RP weisen neben dem Auge auch andere Organe des Körpers Krankheitssymptome auf, das heißt, es liegt ein Syndrom vor.[2] Einige solcher mit Retinopathia pigmentosa oftmals zusammen auftretenden Symptome sind Hörstörungen, Lähmungen und Gehstörungen, Herzrhythmusstörungen, Muskelschwäche, geistige Entwicklungsstörungen u. a. Auch hier sind Gendefekte die Ursache. Die bekanntesten Syndrome sind:
Ferner:
Bereits in früher Kindheit kann eine Retinopathia pigmentosa über ein Elektroretinogramm diagnostiziert werden. Weitere Diagnosemöglichkeiten bieten Sehtests zur Nachtblindheit beim Augenarzt. Bei Syndromen geben die weiteren Symptome Hinweise auf die genaue Erkrankung (wie Hörstörungen oder Blutwerte). Die Ermittlung des genauen Gendefekts ermöglicht erst eine DNA-Analyse. Noch in der Entwicklung befinden sich DNA- und Protein-Chips, welche eine schnellere Diagnose ermöglichen sollen. Dies kann auch zur genetischen Familienberatung beitragen.
Abzugrenzen ist unter anderem die Choroideremie.
Voretigen Neparvovec (Handelsname: Luxturna; Hersteller: Spark Therapeutics, eine Tochter von Roche) ist eine Art von Arzneimittel für neuartige Therapien, das als Gentherapie bezeichnet wird. Diese Arzneimittel wirken, indem sie Gene in den Körper einbringen. Luxturna wurde für zwei Formen der Erkrankung zu verschiedenen Zeitpunkten als Arzneimittel für seltene Leiden („Orphan-Arzneimittel“) ausgewiesen (Retinitis pigmentosa: Juli 2015; Lebersche Kongenitale Amaurose: April 2012).[7]
Der 2020 mit dem Körber-Preis ausgezeichnete Mediziner Botond Roska untersucht, wie geschädigte Netzhäute mit Gentherapie geheilt werden können. 2021 gelang es einem internationalen Forschungsteam erstmals, einem durch Retinitis pigmentosa erblindeten 58-jährigen Patienten mit einer optogenetischen Therapie partiell das Sehen wieder zu ermöglichen.[8]
Auch Stammzelltherapien werden erforscht, bei denen die degenerierte Retina repariert werden soll.[9][10][11][12] In der Entwicklung sind auch sogenannte Retina-Implantate, bei denen Mikrosystemtechnik als Prothese die Funktionen der defekten Retina ersetzen soll.[13]