Klassifikation nach ICD-10 | |
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H35.1 | Retinopathia praematurorum
Retrolentale Fibroplasie |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Die Retinopathia praematurorum (RPM) oder retrolentale Fibroplasie (RLF), auch Frühgeborenen-Retinopathie, Retinopathy of prematurity (ROP) und Terry-Syndrom genannt, wird wegen der Verwechslungsmöglichkeit mit Retinoblastom auch zu den Pseudogliomen gezählt und ist eine Netzhauterkrankung bei Frühgeborenen. Ursache ist die unvollständige Ausreifung (Gefäßversorgung) der äußeren Netzhaut bei Geburt in Kombination mit einer künstlichen Beatmung mit erhöhtem Sauerstoffanteil in den ersten Lebenstagen.
Beim Fetus ist die äußere Netzhaut noch nicht vollständig mit Gefäßen versorgt. Während der Schwangerschaft herrscht in der Netzhaut ein relativer Sauerstoffmangel (Hypoxie). Dieser ist ein Stimulus für die Aussprossung der Netzhautgefäße in die äußere Netzhaut, die normalerweise zum Zeitpunkt der Geburt vollständig abgeschlossen ist.
Entfällt bei der noch unvollständig mit Gefäßen versorgten Netzhaut von Frühgeborenen diese Sauerstoffunterversorgung nach der Geburt (insbesondere bei Beatmung bzw. während einer mit hohem Sauerstoffanteil[1] durchgeführten Narkose), unterbleibt die weitere Gefäßausreifung; es kommt zu einer Ausbildung von sogenannten Leisten und Demarkationslinien an der Grenze zwischen vaskularisierter und nichtvaskularisierter Netzhaut. 6 bis 8 Wochen nach der Geburt kann es zu einer überschießenden und unkontrollierten Gefäßneubildung kommen. Dies geschieht unter Wachstumsfaktoren (z. B. VEGF). Die Gefäße können sich im weiteren Verlauf zu fibrovaskulären Strängen umbilden, die zu einer Netzhautablösung (Traktionsamotio) und Erblindung führen können.
In Deutschland entwickeln 3,5 % aller frühgeborenen Kinder eine Frühgeborenenretinopathie. Jedes 10. betroffene Kind muss behandelt werden, während 90 % der Kinder eine Rückbildung der Erkrankung auch ohne Behandlung zeigen. Die Erkrankung tritt am häufigsten in der 36. Woche nach Befruchtung auf. Der wichtigste Risikofaktor ist das Entwicklungsniveau des Kindes bei Geburt. Daneben ist eine künstliche Beatmung mit Sauerstoffzugabe ein wichtiger Risikofaktor.[2]
Die Einteilung beschreibt zunächst das Vorliegen der typischen Stadienveränderung im Hinblick auf ihre Lokalisation in der Netzhaut, wobei die Papille als Bezugspunkt dient.
Die krankhaften Veränderungen werden in unterschiedliche Stadien unterteilt:
Zunächst erfolgt eine Screening-Untersuchung bei gefährdeten Säuglingen durch einen Augenarzt. Unnötige und unnötig frühe Untersuchungen sollten vermieden werden. Zusätzliche können beispielsweise natriuretische Peptide im Urin bestimmt werden, um die zu untersuchenden Kinder besser auswählen zu können. Ein obligates Screening erfolgt bei Kindern mit einem Geburtszeitpunkt vor der Schwangerschaftswoche 31+0. Ist das genaue Gestationsalter unklar, liegt die Untergrenze für eine Screening-Untersuchung bei einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm. Zusätzlich kann ein Screening auch bei allen Frühgeborenen, also Neugeborenen mit Geburt vor Schwangerschaftswoche 37+0, nach ärztlichem Ermessen erfolgen, etwa aufgrund einer postnatalen inhalativen Sauerstoffsupplementation von mehr als 5 Tagen Dauer oder einer ECMO-Therapie oder relevanter Begleiterkrankungen (etwa schwerer nekrotisierender Enterokolitis, bronchopulmonaler Dysplasie, Sepsis, transfusionsbedürftiger Anämie). Die erste augenärztliche Untersuchung soll in der sechsten postnatalen Woche (Lebenstag 36 – 42) erfolgen. Die Screening-Untersuchungen sollen grundsätzlich in zweiwöchentlichen Intervallen durchgeführt werden, in bestimmten Fällen auch häufiger.[3]
Abzugrenzen ist u. a. die Familiäre exsudative Vitreoretinopathie.
Die Behandlung richtet sich nach dem vorliegenden Krankheitsstadium und -lokalisation, die durch regelmäßige augenärztliche Untersuchung verfolgt werden. In frühen Stadien kann eine Spontanabheilung (unter engmaschigen augenärztlichen Kontrollen) abgewartet werden. In späteren Stadien ist eine Verödung der nicht mit Gefäßen versorgten Netzhaut durch Laserkoagulation oder Eisbehandlung notwendig. Eine abgehobene Netzhaut muss oft durch eine Vitrektomie behandelt werden. Auch im späteren Leben ist das Risiko für eine Netzhautablösung erhöht. Seit Ende 2019 ist auch die Spritzentherapie mit dem Wirkstoff Ranibizumab von den europäischen Behörden zur Behandlung der ROP zugelassen.[4][5] Das Medikament, das ins Auge injiziert wird, hemmt die Krankheitsaktivität mindestens so gut wie die Lasertherapie – das belegt eine weltweit an 86 Zentren durchgeführte, randomisierte Studie, die zwei verschiedene Ranibizumab-Dosierungen mit der herkömmlichen Lasertherapie verglich. Den Ergebnissen der RAINBOW-Studie zufolge hat die Injektionstherapie sogar Vorteile gegenüber der Laserkoagulation.[6]