Die Schuldunfähigkeit (auch Unzurechnungsfähigkeit, Zurechnungsunfähigkeit) schließt im Strafrecht die dem Täter vorwerfbare Schuld an einer rechtswidrig begangenen Straftat (Unrechtstatbestand) aus. Sein Gegenteil ist die Schuldfähigkeit. Dazwischen steht die sogenannte verminderte Schuldfähigkeit.
Das Strafrecht Deutschlands beruht in Übereinstimmung mit dem Menschenbild des Grundgesetzes auf dem Schuld- und Verantwortungsprinzip. Wer ohne Schuld handelt, kann deshalb nicht bestraft werden („nulla poena sine culpa“). Im Strafgesetzbuch (StGB) wird die Schuldunfähigkeit in § 19 und § 20, und die verminderte Schuldfähigkeit in § 21 geregelt. Der bis 1974 geltende § 51 StGB a. F., der von den vorgenannten Paragraphen abgelöst wurde, wurde im öffentlichen und privaten Diskurs in Deutschland verbreitet zur Bezeichnung der angenommenen Zurechnungsunfähigkeit einer Person verwendet. Schuldunfähigkeit wird nur bei 0,3 % aller Straftäter angenommen, verminderte Schuldfähigkeit bei 2 bis 3 % der Straftäter.[1]
Schuldunfähigkeit ist nicht mit Deliktsunfähigkeit aus dem Zivilrecht gleichzusetzen, obwohl häufig beide Tatbestände zugleich vorliegen.
Bei allen Tätern, die zur Tatzeit noch nicht vierzehn Jahre alt (Kind im Rechtssinne) sind, wird die Schuldunfähigkeit unwiderleglich gesetzlich vermutet. Normiert ist dies in § 19 StGB. Bis 1923 trat die Strafmündigkeit schon mit 12 Jahren ein.
Wer zur Tatzeit zwischen vierzehn und achtzehn Jahren alt ist, ist im Rechtssinne nach § 1 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG) Jugendlicher und gemäß § 3 JGG strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies muss durch das Gericht positiv festgestellt werden.
Grundsätzlich wird bei mindestens 18 Jahre alten Personen die Schuldfähigkeit gesetzlich vermutet. Anhaltspunkte für die Schuldunfähigkeit lassen sich oft nur mit medizinischen, psychiatrischen oder forensisch-psychologischen Gutachten bestimmen. Dennoch handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Gericht in alleiniger Verantwortung entscheidet.
Nach § 20 StGB handelt ohne Schuld, „wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Schuldunfähig kann also sein, wer im Moment der Tat nicht das Schuldhafte seines Handelns erkennt oder nicht in der Lage ist, sich zu steuern. Die aufgezählten psychischen Ursachen (sogenannte „Eingangskriterien“ oder „-merkmale“) einer geminderten oder nicht vorhandenen Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit stellen Kategorien dar, die in der Psychologie und Medizin ungebräuchlich sind und im Grunde nur im Rechtswesen für die Beurteilung einer Affekthandlung verwendet werden.
Wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht fehlt, aber erheblich vermindert ist, kann eine Strafmilderung nach § 21 StGB stattfinden (wird bei selbst verschuldetem Alkoholrausch aber häufig nicht gewährt[2]).
Folgende Eingangsmerkmale werden unterschieden:
Bei Heranwachsenden (18 bis unter 21 Jahre) muss zwar im Einzelfall geprüft werden, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird (§ 105 JGG), allerdings gilt auch bei Anwendung des Jugendstrafrechts der § 3 JGG für Heranwachsende nicht; bei ihnen wird also wie bei Erwachsenen die Schuldfähigkeit vermutet.
Der schuldunfähige Täter kann zwar nicht bestraft werden, aber psychisch kranke oder suchtkranke Rechtsbrecher, die im Sinne von § 20 oder § 21 StGB als schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gelten und bei denen zugleich unter Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat eine weitere Gefährlichkeit zu erwarten ist, können nach § 63 und § 64 StGB im Maßregelvollzug untergebracht werden.
Diese Rechtsfolgen sind nach § 7 Absatz 1 JGG auch für Jugendliche anwendbar, wenn § 3 JGG (strafrechtliche Reife) bejaht wird. In diesen Fällen erfolgt die Unterbringung im Jugendmaßregelvollzug. Bei fehlender Reife richtet sich die Unterbringung nach § 1631b BGB.
Die Unterbringung im Maßregelvollzug ist jedoch für Bagatellstraftaten ausgeschlossen. Vielmehr muss sie als ultima ratio notwendig sein, um die Allgemeinheit zu schützen. Es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zivilrechtlichen Schadensersatz (§ 823 BGB) muss auch ein Schuldunfähiger leisten, wenn er nicht zugleich deliktsunfähig ist.
Die Schuldunfähigkeit kann in jeder Lage des Verfahrens (Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren, Hauptverfahren) festgestellt werden und beendet das Verfahren. Im Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren durch Verfügung einstellen.
In allen Fällen wird die Verfahrensbeendigung im Bundeszentralregister registriert, wenn die Entscheidung sich auf das Gutachten eines Sachverständigen stützt und das Gutachten bei der Entscheidung nicht älter als 5 Jahre ist (§ 11 Absatz 1 BZRG).
Die Eintragung wird nach 10 bzw. 20 Jahren entfernt (§ 24 Absatz 3 BZRG).
Ein juristisches Sonderproblem stellen Fälle dar, in denen der Täter sich vor Begehung der Tat vorsätzlich in einen Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat (etwa durch die Herbeiführung eines Vollrausches), oder schon beim Berauschen den später in schuldunfähigem Zustand herbeigeführten Erfolg hätte voraussehen können und müssen. Diese Problematik wird als actio libera in causa bezeichnet. Ob und mit welcher Begründung der Täter dann trotz eigentlich fehlender Schuld zur Tatzeit bestraft werden kann, ist in der Rechtswissenschaft umstritten.
Im Rahmen eines Strafverfahrens kamen Anfang der 1960er Jahre dem zuständigen Amtsrichter Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Um diese Frage zu klären, hielt der Richter eine Entnahme von Liquor cerebrospinalis, d. h. Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, für erforderlich, was einen schmerzhaften und nicht risikofreien medizinischen Eingriff bedeutet hätte. Als der Angeklagte seine Zustimmung zu diesem Eingriff verweigerte, ordnete das Amtsgericht ihn auf Grundlage einer strafprozessualen Vorschrift (§ 81a StPO) an. Hiergegen erhob der Angeklagte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Das BVerfG fällte 1963 die sogenannte Liquorentnahme-Entscheidung. Sie ist historisch und verfassungsrechtlich bedeutsam, da sie das wechselseitige Verhältnis von staatlichen Eingriffsbefugnissen und individuellen Freiheitsrechten (hier: Recht auf körperliche Unversehrtheit) abgrenzte und klarstellte, dass nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Anwendung eines an sich verfassungsgemäßen Gesetzes im Einzelfall verfassungswidrig sein kann.
Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähigkeit sind in Art. 19 des Schweizerischen Strafgesetzbuches geregelt.
Dass geisteskranke Verbrecher einer Heilanstalt statt einer Strafanstalt zugeführt werden, war dem damaligen Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (Burghölzli) Auguste Forel ein wichtiges Anliegen. So führte er, der u. a. als Arzt und Professor tätig war, den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit ein und widmete diesem Thema 1901 einen vielbeachteten Vortrag in der Schweizerischen Gesellschaft für ethische Kultur in Zürich, Über die Zurechnungsfähigkeit des normalen Menschen, der bis 1907 in 6 Auflagen gedruckt veröffentlicht wurde.
Im deutschen Spielfilm M von 1931 bezieht sich der (von den Kriminellen gewählte) Verteidiger vor den versammelten Kriminellen auf den damaligen § 51 und fordert für den mehrfachen Kindermörder einen Freispruch bzw. eine Übergabe an die Polizei.