Schwünge und Schnörkel sind dekorative Verzierungen an Buchstaben bzw. Glyphen, die dem Schriftbild besonderen Schmuck, Dynamik oder Eleganz verleihen sollen. Es gibt sie in der Handschrift, insbesondere bei Schreibschriften und in der Kalligrafie, aber auch in der Typografie und der Gestaltung von Logos.
Das Wort Schwung bezieht sich im Sinne von „eine schnelle, bogenförmige Bewegung“ auf die Handbewegung beim Schreiben.[1] Das Wort Schnörkel verweist etymologisch auf eine Schnecke(nlinie) bzw. Schleife und bezeichnet eine gewundene Linie, die als Verzierung dienen soll.[2][3][4]
Die Verwendung von Schwüngen bzw. Schnörkeln gilt zum einen als kunstvoll, zum andern ist sie aber auch negativ konnotiert – etwa weil darunter die Leserlichkeit leiden kann – und wird dann als „Schnörkelei“ oder „Geschnörkel“ bezeichnet. Das Adjektiv „verschnörkelt“ kann sich auf Schrift, aber auch auf kunsthandwerkliche Gegenstände wie etwa Kunstschmiede- oder Tischlerarbeiten beziehen sowie metaphorisch auf ganz anderes, beispielsweise auf Musik oder sprachliche Formulierungen. Das Adjektiv „schnörkellos“ bezeichnet die Beschränkung auf das Wesentliche.
Im Englischen werden in der Kalligrafie geschwungene Zierlinien aller Arten allgemein flourish genannt.[5] Bestimmte Arten von flourishes können mit Begriffen wie swirls, swoops und swashes näher bezeichnet werden.[6] Im Bereich der Typografie bezieht sich der Begriff swash auf Zierlinien, die fest zu einer Glyphe gehören, sowie auf Zierformen einer Glyphe.[7] Dekorative Zierlinien, die nicht mit Glyphen verbunden sind, werden hingegen nicht als swash bezeichnet, sondern nur als flourish.[8]
Grundsätzlich kann jeder Strich eines Buchstabens oder einer sonstigen Glyphe zu einem Schwung verlängert, vergrößert oder anderweitig verändert werden: Auf- und Abstriche, Schäfte, Diagonalen, Querstriche, Schwänze. Auch können für Schwünge zusätzliche Striche hinzugefügt werden. Schwünge können anzeigen, in welcher Reihenfolge zwei Striche gesetzt werden, indem das Absetzen der Feder unterbleibt.[9] Schwünge können auch zwei Buchstaben verbinden, wobei diese in der Kalligrafie nicht notwendigerweise benachbart sein müssen (wie in Ligaturen), sondern sogar zu verschiedenen Wörtern oder Zeilen gehören können, wenn es dem Kalligrafen gefällt.
Bei Schwüngen überschreiten Buchstaben oft ihren gewöhnlichen Raum. In der Kalligrafie kann die Raumüberschreitung extrem sein. In der Typografie ist sie meistens gemäßigter, etwa indem eine Glyphe breiter wird oder eine Unterlänge erhält, die sie sonst nicht hat.
Schwünge findet man häufiger bei Großbuchstaben,[10] jedoch auch bei Kleinbuchstaben.
Schwünge (Schnörkel) entstammen der Handschrift.
In der Kalligrafie sind sie Stilelemente, die der Schreiber nach gestalterischem Ermessen einsetzt oder unterlässt. Sie erfordern Übung und Geschick, um trotz schneller und schwungvoller Bewegung der Schreibfeder (oder eines anderen Schreibgeräts) die gewünschte Form und Präzision zu erreichen.
Große Schwünge können sehr dominant sein und das gesamte Schriftbild beherrschen. Schwünge, die Raum einnehmen, erfordern, dass der Buchstabe in seiner Umgebung den nötigen freien Raum hat, sofern man Überschneidungen mit anderen Schriftzeichen vermeiden will. Besonders oft finden sie sich deshalb in Überschriften, am Satzanfang, am Satzende, in der ersten Zeile eines Absatzes (nach oben) oder in der letzten Zeile eines Absatzes (nach unten). Auch in Unterschriften sind Schwünge sehr beliebt. Manche Unterschriften bestehen fast nur aus Schwüngen.
Schwünge gibt es in gebrochenen Handschriften (etwa der Bastarda und der deutschen Kurrentschrift) genauso wie in der lateinischen Schreibschrift. In der Kalligrafie begann dieses Stilmerkmal ab der Mitte des 17. Jahrhunderts auszuufern: die Schwünge wurden immer virtuoser und verselbständigten sich nicht selten zu opulenten Federspielen.[11]
Von der Handschrift fanden Schwünge auch ihren Weg in die Typografie. In Satzschriften sind Schwünge spätestens seit dem 16. Jahrhundert belegt. Man findet sie beispielsweise in Ludovico Vicentino degli Arrighis La Operina aus dem Jahr 1522.[12] Arrighis Stil beeinflusste Schriftschneider in Italien und insbesondere in Frankreich.[13]
In der frühen Typografie wurden große Schwünge manchmal nach dem Druck von Hand ergänzt, um dem Buch noch stärker das Aussehen einer wertvollen Handschrift zu geben, etwa im Theuerdank (1517).
Ansonsten werden von den Schriftschneidern eigene Schriftschnitte für Schwungbuchstaben[14] (auch Zierbuchstaben)[15] (englisch: swash letters) angefertigt, die gegenüber ihrer gewöhnlichen Form ein oder mehrere der folgenden Veränderungsmerkmale aufweisen:
Dabei gibt es in einer Schriftart mit Schwungbuchstaben keinesfalls immer für jeden Buchstaben auch eine Schwungbuchstaben-Variante, sondern oftmals nur für einzelne ausgewählte Buchstaben.
Bei einigen OpenType-Schriftarten (beispielsweise Gabriola) können Schwungbuchstaben als Stil-Set (Microsoft Word) bzw. als Formatsatz (Affinity Publisher) ausgewählt werden, ohne dafür eine eigenständige Schwungbuchstaben-Schriftart wählen zu müssen.
Grundsätzlich ist der Schriftsetzer bei Schwungbuchstaben weitaus weniger flexibel als der Kalligraf. Man verwendet diese Schwungbuchstaben nur für Anfangs- und Endbuchstaben von Wörtern oder Sätzen, niemals im Wortinneren, das wäre ein Stilfehler.[14] Dies gilt auch für Versalschrift. Sie werden auch im Regelfall nicht inmitten von Textkörpern verwendet, sondern in Überschriften, am Beginn oder Ende eines Absatzes.
Während Schwungbuchstaben besondere Varianten in eigenen Schriftschnitten sind, können auch bereits die gewöhnlichen Buchstaben einer Schriftart Schwungformen aufweisen. Das kann etwa eine weit nach rechts unten ausgeschwungene Cauda in einem Antiqua-Q sein, oder auch Schwungformen in den Versalien gebrochener Schriften oder Schreibschriften. In dem Fall spricht man allenfalls mikrotypografisch von Schwüngen oder Schwungformen, jedoch nicht satztechnisch von Schwung- oder Zierbuchstaben, da es keine speziellen Varianten sind.
Schwungbuchstaben findet man oft in Serifenschriften. Innerhalb einer Schriftfamilie gibt es sie meistens nur als Varianten für den Kursivschnitt, seltener auch für den nichtkursiven Normalschnitt.
Schriften mit Schwungbuchstaben gibt es beispielsweise:
In gebrochenen Schriften sind Schwünge vor allem bei Großbuchstaben ein beliebtes Zierelement. Sie finden sich in den Standardformen der Versalien, also nicht als spezielle Schwungbuchstaben. Zum Beispiel ist ein bestimmter Schwung namens „Elefantenrüssel“ ein typisches Zierelement in der Frakturschrift.
Bei den serifenlosen Schriften sind Schwungbuchstaben seltener. Beispiele sind:
In typografischen Schreibschriften sind Schwünge oft zu finden. In kalligrafisch inspirierten Schreibschriften haben vor allem die Großbuchstaben bereits oft im regulären Schnitt Schwünge. Das ist deshalb gut möglich, weil die Auszeichnungsform Versalschrift selten in Verbindung mit Schreibschriften verwendet wird und deshalb die Großbuchstaben im Regelfall nur am Wortanfang stehen. Darüber hinaus gibt es auch typografische Schreibschriften mit speziellen Schwungbuchstaben. Beispiele dafür sind die Zapf Chancery und Zapfino von Hermann Zapf.
Schwünge werden auch in den Schriftzügen von Logos verwendet. Dabei kann der Grafiker die Grenzen des Schriftsetzers überschreiten und sich frei an kalligrafischen Schwungmöglichkeiten orientieren. Beliebt sind Schwünge bei Anfangs- und Endbuchstaben, sowie bei beliebigen Buchstaben (auch im Wortinneren), die eine Ober- oder Unterlänge besitzen oder durch einen Schwung eine solche erhalten. Sie eignen sich gut, um die Grenzen eines Liniensystems zu verlassen, leeren Raum zu füllen oder den Markennamen zu unter- oder überstreichen. Sie können Dynamik, Verspieltheit oder Eleganz vermitteln.
Das wahrscheinlich weltweit bekannteste Beispiel ist das Logo von Coca-Cola, das in den beiden Buchstaben C jeweils einen markanten Schwung enthält.