Small Modular Reactors (SMR; deutsch „kleine modulare Reaktoren“; auch als „Miniatomkraftwerk“ bezeichnet) sind modulareKernspaltungsreaktoren, die kleiner als herkömmliche Reaktoren sind und daher in einer Fabrik vorgefertigt und anschließend an einen Montageort verbracht werden können.[1] Sie sollen einen geringeren Aufwand vor Ort, eine höhere Risiko-Eindämmungseffizienz und eine höhere Sicherheit der verwendeten Kernmaterialien ermöglichen. SMRs wurden auch vorgeschlagen, um Finanzierungsprobleme zu umgehen, von denen konventionelle Kernreaktoren mit größerer Leistung (z. B. EPR, WWER) und um ein Vielfaches höheren Investitionskosten betroffen sind.
Für SMRs gibt es verschiedene Entwürfe, von verkleinerten Versionen bestehender Kernreaktordesigns bis hin zu völlig neuen Entwürfen der vierten Kernkraftwerks-Generation. Es wurden sowohl thermische als auch schnelle Neutronenreaktoren vorgeschlagen. Weltweit wurden 2017 von verschiedensten Firmen rund 60 SMR-Konzepte entwickelt, wobei die ersten diesbezüglichen Ideen und Entwürfe auf die 1950er-Jahre zurückgehen. Dabei gehen optimistische Schätzungen davon aus, dass 2035 knapp zehn Prozent aller neu gebauten Kernkraftwerke SMR sein werden. Sie sollen die Atomenergie rehabilitieren und auch Kritiker überzeugen, indem sie so sicher sein sollen, dass im Falle eines Atomunfalls keine Evakuierungszonen mehr notwendig seien; außerdem seien sie eine perfekte Kombination mit den erneuerbaren Energien, da sie im Gegensatz zu großen (Kern-)Kraftwerken flexibel, nämlich im Falle von Produktions- und Nachfrageschwankungen schnell ab- oder zuschaltbar seien. Die Tatsache, dass „klassische“ Kernkraftwerke z. B. vom Typ Konvoi zum Lastfolgebetrieb in der Lage sind, und diesen auch in der Praxis nachgewiesen haben,[3][4] wird dabei jedoch gerne unerwähnt gelassen. Nach Analysen der OECD-Nuklearsparte soll ihr Potenzial in Stromnetzen mit einem hohen Anteil an Erneuerbaren sogar am größten sein. Auch ihre Entsorgung mit dem Abwracken könne problemlos in einer Fabrik durchgeführt werden.[5]
Offen ist bisher die Frage, zu welchen Kosten Strom in SMR produziert werden kann. Schätzungen gehen von Stromgestehungskosten von USD 120/MWh aus.[6] Ein von NuScale zusammen mit dem Energieversorger Utah Associated Municipal Power Systems (UAMPS) geplantes Projekt in Idaho sollte Stand Anfang 2023 USD 102/MWh erreichen, wenn man die Subventionen herausrechnete.[7]
Zum Vergleich: Nach Schätzungen aus dem April 2023 erreichen Solarfreiflächenanlagen Stromgestehungskosten von USD 24 bis USD 96/MWh,[8] allerdings mit erheblich niedrigerem Leistungskredit.
Mitte November 2023 gab NuScale bekannt, doch keinen SMR in Idaho zu bauen, da es nach dem gegenwärtigen Stand unwahrscheinlich sei, dass sich ausreichend Abnehmer für die Energie fänden, die in dem Atomkraftwerk erzeugt werden sollte.[9][10][11]
2021 wurden in China die ersten zwei HTR-PM-Reaktoren in Betrieb genommen.[20] Die zwei Kugelhaufen-Reaktoren mit jeweils 250 MW thermischer Leistung treiben zusammen einen Turbosatz mit 210 MW elektrischer Leistung an.[21][22]
Ebenfalls 2021 wurde in Hainan mit dem Bau eines ACP100 mit dem Namen Linglong One begonnen.[23] Mit einer elektrischen Leistung von 125 MW soll der Reaktor jährlich 1 TWh an Strom erzeugen.[23]
Das in Corvallis (Oregon) ansässige Start-upNuscale Power mit EU-Büro in London entwickelt kleine, gebrauchsfertig zu liefernde Reaktormodule mit einer Leistung von ursprünglich 50 MW und einem „integralen Reaktorbehälter“, worin sich Reaktorkern, Dampferzeuger sowie Primärkreislauf zusammen befinden, die sonst getrennte Einheiten bilden. Im Lauf der Jahre wuchs die Leistung auf 77 MW je Einheit, da größere Reaktoren günstiger Strom produzieren, was bereits in früheren Jahrzehnten zu immer größeren Meilern geführt hat, bis hin zum EPR, dieser Sachverhalt wird bei SMRs ignoriert. Einzelne Module mit 4,5 m Breite und 22 m Höhe sollen sich per Schwertransport an ihre Einsatzorte bringen lassen, wo bis zu zwölf voneinander unabhängig arbeitsfähige Module mit dann zusammen 600 MW Leistung in einem Gebäude untergebracht werden sollten. Ende 2016 wurde die Zulassung des Modells für den US-Markt beantragt, am in Idaho vorgesehenen ersten Bauplatz wurden 2017 Umweltgutachten erstellt.[5] Die Design-Zulassung in den USA wurde im Januar 2023 erteilt.[24] Im November 2023 wurde das Projekt gestoppt, da man anzweifelte, für die elektrische Energie der sechs Reaktoren mit einer Gesamtleistung von 0,462 GW Abnehmer zu finden.[9] Außerdem werden die deutlich gestiegenen Kosten von geschätzten 5,3 auf 9,3 Milliarden US-Dollar und Finanzierungsprobleme als Gründe für den Ausstieg genannt.[11] Für die Entwicklung des Modellprojektes hatte Nuscale staatliche Subventionen in Höhe von 4 Milliarden US-Dollar erhalten.[25] Nuscales Projektpartner, der Energieversorger Utah Associated Municipal Power Systems, verlautbarte gegenüber dem Magazin Science, dass sich das Unternehmen stattdessen auf den Ausbau von Windenergie, Solarkraftwerken und Batterien konzentrieren werde.[26]
Rolls-Royce hat einen Druckwasserreaktor als SMR mit einer elektrischen Leistung von 470 MW entwickelt. Die Einzelteile der Reaktorblöcke sollen sich mit einem Lkw transportieren lassen und in Massenproduktion hergestellt werden.[27] Die Zulassung im Vereinigten Königreich soll bis 2024 erfolgen, der erste Reaktor 2029 ans Netz gehen.[28]
Schwimmende SMR werden z. B. von der kanadischen Firma Dunedin Energy Systems für abgelegene Bergbauprojekte in den USA sowie als „Integraler Leichtwasser-Reaktor“ vom chinesischen Nuclear Power Institute in Chengdu in Kooperation mit der britischen Lloyd’s Register entwickelt. Dabei müssen solche Anlagen nicht nur den Sicherheits-Vorgaben der IAEO genügen, sondern auch denen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO, die dafür mittlerweile einen vorläufigen Anforderungskatalog aufgestellt hat; allerdings sind hier noch weitere Regularien und technische Anforderungen notwendig, z. B. auch für den Fall des Sinkens der Anlagen. Dabei steht die internationale Genehmigungspraxis insgesamt vor der Herausforderung der vorgesehenen länderübergreifenden standortgebundenen und hochstandardisierten Produktionen, also quasi von Typ- statt Einzelzulassungen.[5]
Im Jahr 2021 beschloss TerraPower den Bau eines kleinen modularen Flüssigsalzreaktors mit Natriumkühlung und 500 Megawatt Spitzenleistung in den USA.[29]
Kanada, die USA und das Vereinigte Königreich fördern die Entwicklung von SMRs mit öffentlichen Mitteln.[31] Im Streit um die Kernenergie in Belgien wurden 2021 in einem regierungsinternen Kompromiss 100 Millionen Euro Fördermittel für die Forschung zur Entwicklung kleinerer modularer Kernreaktoren vorgesehen.[32] Interessenbekundungen und Vorverträge existieren Stand September 2022 auch für Polen,[33] Rumänien,[34] Estland,[35] Tschechien[36][37], Schweden[38] und die Niederlande.[39] Aufgrund der Leistung im Bereich der Antriebsleistung bestehender Containerschiffe (z. B. Emma Maersk: 80 MW; Open100: 100 MW) wäre auch der Einsatz als Schiffsantrieb denkbar. Aufgrund der volatilen und tendenziell steigenden Preise von Schweröl und Schiffsdiesel sowie der Problematik bzgl. der Emissionen der Schifffahrt wird dies trotz der vergangenen gemischten Erfahrungen (technisch erfolgreich, politisch und ökonomisch gescheitert) mit „Versuchsschiffen“ wie Otto Hahn oder NS Savannah immer wieder propagiert.[40][41]
Um weltweit dieselbe elektrische Leistung zu erzeugen wie mit üblichen Atomkraftwerken, sei der Bau von vielen tausend bis zehntausend SMR-Anlagen notwendig.
Gegenüber Atomkraftwerken mit großer Leistung könnten zwar einzelne SMR potenziell sicherheitstechnische Vorteile erzielen, da sie pro Reaktor ein geringeres radioaktives Inventar aufweisen. Die hohe Anzahl an Reaktoren, die für die gleiche Produktionsmenge an elektrischer Leistung notwendig ist, erhöhe das Risiko jedoch insgesamt um ein Vielfaches.
Anders als teilweise von Herstellern angegeben, müsse davon ausgegangen werden, dass bei einem schweren Unfall die radioaktiven Kontaminationen deutlich über das Anlagengelände hinausreichten.
Durch die geringe elektrische Leistung seien bei SMR die Baukosten relativ betrachtet höher als bei großen Atomkraftwerken. Eine Produktionskostenrechnung unter Berücksichtigung von Skalen-, Massen- und Lerneffekten aus der Nuklearindustrie lege nahe, dass im Mittel 3.000 SMR produziert werden müssten, bevor sich der Einstieg in die SMR-Produktion lohnen würde.
Bei einem Wiedereinstieg in die Atomenergie seien wiederum lange Betriebs-, Sicherheits- und Störfallrisiken in Kauf zu nehmen. Umfangreiche Zwischenlager- und Brennstofftransporte seien weiterhin erforderlich. Auch ein Endlager sei in jedem Fall weiter erforderlich.
Die Verwendung von bereits vorhandenen Uranreserven durch Partionierungs- und Transmutations-Konzepte (P&T) sei nur anwendbar für abgebrannte Brennstäbe. Allerdings seien 40 Prozent davon in Deutschland bereits wiederaufgearbeitet. Die daraus entstandenen verglasten Abfälle seien nicht für P&T-Verfahren zugänglich.
Zwar könnten bestimmte Transurane wie Plutonium in ihrer Menge reduziert werden, auf der anderen Seite würde jedoch die Abfallmenge für andere langlebige radioaktive Spaltprodukte ansteigen, z. T. sogar um bis zu 75 Prozent (Cäsium-135) gegenüber der ohne P&T einzulagernden Menge.
Schließlich bliebe die Gefahr, dass das im P&T-Verfahren notwendigerweise abzutrennende Plutonium leichter für Waffenherstellung zugänglich wäre.
In der kritischen Gesamtbewertung heißt es: Keine der diskutierten Technologien sei derzeit und absehbar am Markt verfügbar. Gleichzeitig würden sie mit ähnlichen Versprechen wie zu den Reaktoren in den 1950ern und 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts angepriesen.[48]
Laut einer Studie, die in PNAS veröffentlicht wurde, erzeugen Small Modular Reactors (SMRs) bis zu 2- bis 30-mal mehr radioaktiven Abfall pro erzeugter Energieeinheit als konventionelle Kernreaktoren. Darüber hinaus weist der Abfall von SMRs eine erheblich stärkere Radioaktivität auf, was die Langzeitlagerung und Entsorgung zusätzlich erschwert. Diese Erkenntnisse werfen Fragen zur Umweltverträglichkeit und Sicherheit von SMRs auf, insbesondere im Vergleich zu bestehenden großen Reaktoren, die bereits Herausforderungen in der Abfallbewältigung mit sich bringen.[49][50]
D. Bittermann: Status of development work on small and medium sized reactors at Siemens/KWU. International Atomic Energy Agency (IAEA) 1998 (englisch, iaea.org).
Ross Peel, Sukesh K. Aghara: Nuclear Security for Next-Generation Reactors. In: Christopher Hobbs, Sarah Tzinieris, Sukesh K. Aghara (Hrsg.): The Oxford Handbook of Nuclear Security. 1. Auflage. Oxford University Press, 2023, ISBN 978-0-19-284793-5, S.C31S1-C31N53, doi:10.1093/oxfordhb/9780192847935.013.31 (englisch).
Mario D. Carelli, Daniel T. Ingersoll (Hrsg.): Handbook of Small Modular Nuclear Reactors (= Woodhead Publishing Series in Energy). Elsevier, Waltham, MA 2015, ISBN 978-0-85709-851-1 (englisch).
Bahman Zohuri, Patrick McDaniel: Advanced Smaller Modular Reactors: An Innovative Approach to Nuclear Power. Springer International Publishing, Cham 2019, ISBN 978-3-03023681-6, doi:10.1007/978-3-030-23682-3 (englisch).
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↑ abS. Buchholz, A. Krüssenberg, A. Schaffrath, R. Zipper: Studie zur Sicherheit und zu internationalen Entwicklungen von Small Modular Reactors (SMR) - GRS 376. Hrsg.: GRS. 2015, ISBN 978-3-944161-57-0 (grs.de [PDF; abgerufen am 22. Mai 2023]).
↑Monirul Hoque, A. Z. M. Salauddin, Md Reaz Hasan Khondoker: Design and Comparative Analysis of Small Modular Reactors for Nuclear Marine Propulsion of a Ship. In: World Journal of Nuclear Science and Technology. Band8, Nr.3, 28. Juni 2018, S.136–145, doi:10.4236/wjnst.2018.83012 (scirp.org [abgerufen am 22. Mai 2023]).
↑National Nuclear Laboratory (Hrsg.): Small Modular Reactors (SMR) Feasibility Study. Dezember 2014 (englisch, nnl.co.uk [PDF; abgerufen am 10. Juli 2023]).
↑Position Papers. Abgerufen am 10. Juli 2023 (amerikanisches Englisch).
↑Christoph Pistner, Matthias Englert, Christian Küppers, Christian von Hirschhausen, Ben Wealer, Björn Steigerwald, Richard Donderer: Sicherheitstechnische Analyse und Risikobewertung einer Anwendung von SMR-Konzepten (Small Modular Reactors). Hrsg.: Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Berlin März 2021 (bund.de [PDF; abgerufen am 22. Mai 2023] Vorhaben 4720F50500).