Die Exponentialfunktion lässt sich dadurch charakterisieren, dass sie mit ihrer Ableitung übereinstimmt. Will man ein analoges Verhalten für die Exponentialfunktion eines stochastischen Prozesses erreichen, so muss wegen der Itō-Formel dessen quadratische Variation mitberücksichtigt werden, wenn diese wie beispielsweise beim Wiener-Prozess nicht verschwindet.
Stochastische Exponentiale spielen unter anderem eine wichtige Rolle bei der expliziten Lösung von stochastischen Differentialgleichungen und treten beim Satz von Girsanow auf, der das Verhalten stochastischer Prozesse bei einem Wechsel des Maßes beschreibt. Eine wichtige Fragestellung ist in diesem Zusammenhang, unter welchen Bedingungen ein stochastisches Exponential ein Martingal ist. Viele Modelle der Finanzmathematik beinhalten Prozesse, die stochastische Exponentiale sind, so zum Beispiel die geometrische brownsche Bewegung beim Black-Scholes-Modell.
Die Exponentialfunktion ist eindeutig bestimmt durch die beiden Bedingungen und . Etwas allgemeiner folgt mit der Kettenregel, dass die eindeutig bestimmte Lösung der linearen gewöhnlichen Differentialgleichung mit der Anfangsbedingung ist.
Diese Zusammenhänge gelten bei stochastischen Differentialgleichungen in dieser einfachen Form nicht mehr, da hierbei die Kettenregel durch die Itō-Formel ersetzt werden muss, das die quadratische Variation der Prozesse mit berücksichtigt. Ist beispielsweise ein Standard-Wiener-Prozess, so ergibt sich für das Differential des Prozesses wegen mit der Itō-Formel
.
Der zusätzliche Term in dieser stochastischen Differentialgleichung lässt sich vermeiden, wenn anstelle der Exponentialfunktion der „korrigierte“ Ansatz verwendet wird: Dann ergibt sich , analog zum Fall gewöhnlicher Differentialgleichungen. Zudem ist nun der Prozess wie der Wiener-Prozess ein Martingal.
Im Folgenden sei ein stetiges Semimartingal und ohne Einschränkung gelte , also . Gemäß Definition ist das stochastische Exponential stets ein Semimartingal. Ist ein lokales Martingal, so zeigt die Darstellung als Itō-Integral, dass ebenfalls ein lokales Martingal ist. Allerdings muss, selbst wenn ein Martingal ist, das stochastische Exponential kein echtes Martingal sein; als nichtnegatives lokales Martingal ist es dann jedoch ein Supermartingal. Ist als Lévy-Prozess ein Martingal, ist auch ein Martingal.[2]
Für viele Anwendungen ist es wichtig, einfach nachzuprüfende Kriterien zu haben, die garantieren, dass das stochastische Exponential eines lokalen Martingals ein (echtes) Martingal ist. Die bekannteste hinreichende Bedingung ist die Novikov-Bedingung (nach dem russischen Mathematiker Alexander Novikov): Sei ein stetiges lokales Martingal mit . Gilt für alle , dann ist ein Martingal auf .
Eine stärkere Aussage liefert die Kazamaki-Bedingung: Sei ein stetiges lokales Martingal. Wenn das Supremum über die beschränkten Stoppzeiten von nach oben beschränkt ist, d. h. wenn , dann ist ein gleichgradig integrierbares Martingal.[3]
Mit Hilfe des stochastischen Exponentials lassen sich die Lösungen linearer stochastischer Differentialgleichungen explizit angeben.
Eine lineare stochastische Differentialgleichung hat die Gestalt
Es seien ein Wiener-Prozess auf dem Intervall bezüglich des Wahrscheinlichkeitsmaßes und ein Prozess mit . Falls das stochastische Exponential ein Martingal ist, dann gilt und kann als Radon-Nikodým-Dichte eines Wahrscheinlichkeitsmaßes bezüglich aufgefasst werden:
.
Bezüglich des so definierten Maßes ist der Drift-Prozess
Nicholas H. Bingham, Rüdiger Kiesel: Risk-Neutral Valuation: Pricing and Hedging of Financial Derivatives. 2. Auflage, Springer, London/Berlin/Heidelberg 2004, ISBN 1-85233-458-4, S. 197, 215–217.
Fima C. Klebaner: Introduction to Stochastic Calculus with Applications. 3. Auflage, Imperial College Press, London 2012, ISBN 978-1-84816-831-2.
Philip E. Protter: Stochastic Integrals and Differential Equations. 2. Auflage, Version 2.1, Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-00313-4.
↑Philip E. Protter: Stochastic Integration and Differential Equations. 2. Auflage. Springer, Berlin / Heidelberg / New York 2005, ISBN 3-540-00313-4, S.139.