Suramin

Strukturformel
Strukturformel von Suramin
Allgemeines
Freiname Suramin
Andere Namen

8-((4-Methyl-3-((3-((3-((2-methyl-5-((4,6,8-trisulfonaphthalen-1-yl)­carbamoyl)­phenyl)­carbamoyl)­phenyl)­carbamoylamino)­benzoyl)­amino)­benzoyl)­amino)­naphthalen-1,3,5-trisulfonsäure (IUPAC)

Summenformel
  • C51H40N6O23S6 (Suramin)
  • C51H34N6Na6O23S6 (Suramin·Hexanatriumsalz)
Kurzbeschreibung

Weißes bis schwach gelbliches oder pinkfarbenes Pulver[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer 205-658-4
ECHA-InfoCard 100.005.145
PubChem 5361
ChemSpider 5168
DrugBank DB04786
Wikidata Q425946
Arzneistoffangaben
ATC-Code

P01CX02

Wirkstoffklasse

Antiprotozoikum

Eigenschaften
Molare Masse
  • 1297,29 g·mol−1 (Suramin)
  • 1429,17 g·mol−1 (Hexanatriumsalz)
Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]

Natriumsalz

keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze[2]
Toxikologische Daten

620 mg·kg−1 (LD50Mausi.v.)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Suramin ist ein farbloses Analogon des Azofarbstoffs Trypanblau. Seit den 1920er-Jahren wird Suramin (bekanntester Handelsname: Germanin) als Antiprotozoikum gegen die Schlafkrankheit und andere durch Trypanosomen verursachte Krankheiten eingesetzt.

Collagenbild von 1938 zum Thema „Bekämpfung der Schlafkrankheit durch deutsche Kolonialärzte“. Oben Robert Koch, der als Mikrobiologe die Grundlagen des Forschungsprojekts gelegt hatte, daneben Schlafkrankenstationen und -behandlung in Kamerun, unten das Medikament Suramin oder „Bayer 205“

Suramin wurde erstmals 1916 von den Chemikern Oskar Dressel, Richard Kothe und Bernhard Heymann der Firma Bayer & Co. in Elberfeld unter der internen Bezeichnung Bayer 205 synthetisiert (alle drei erhielten dafür die Adolf-von-Baeyer-Denkmünze). Die medizinische Entwicklung und die begleitenden Tierversuche fanden im Chemotherapeutischen Laboratorium in Elberfeld unter der Leitung von Wilhelm Roehl statt. In Deutschland wurde der Wirkstoff unter dem Handelsnamen Germanin vertrieben. Die Formel wurde aus wirtschaftlichen Gründen geheim gehalten, aber 1924 durch Ernest Fourneau vom Institut Pasteur entschlüsselt und veröffentlicht.[3][4]

Anwendung als Antiparasitikum

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Der Wirkstoff Suramin ist toxisch für Zellen. Seine Anwendung geht mit dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen einher, tötet jedoch bei geeigneter Dosierung die Parasiten ab. Die Medizin verfügte damit Anfang der 1920er-Jahre erstmals über ein wirksames Mittel gegen die Erreger der Schlafkrankheit, die bis dahin in weiten Teilen Afrikas mit verheerenden Epidemien grassierte. Die Tests in Ostafrika führte der Robert-Koch-Schüler Friedrich Karl Kleine durch. Suramin, ein Nachfolger von Atoxyl, hat sich seither auch bei anderen Trypanosomen-Krankheiten bewährt. Außerdem wurde es erfolgreich zur Bekämpfung der Onchozerkose angewendet, einer verbreiteten tropischen Wurmerkrankung, die zur Flussblindheit führt.

Erprobung neuer Anwendungen

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Seit einiger Zeit wird Suramin als Therapeutikum gegen das HI-Virus und verschiedene Krebs-Erkrankungen klinisch erprobt, Lymphome, Lungen-, Nieren- und Prostatakarzinome. Seine inhibitorische Wirkung auf die Heparanase ist in diesem Zusammenhang bekannt und ein möglicher Mechanismus.[5]

Eine neue Entdeckung ist, dass Suramin in Leberzellen den programmierten Zelltod (Apoptose) deutlich hemmen kann, obwohl es diesen in anderen Geweben fördert. Akutes Leberversagen kann bei Hepatitis-B-Infektionen und Medikamenten- oder Pilzvergiftungen auftreten, ein tödlich verlaufender Vorgang, gegen den es noch keine medikamentöse Therapie gibt.[6]

In der Universität von Kalifornien (San Diego) konnten durch Suramin bei Mäuseexperimenten erfolgreich autismusähnliche Symptome behandelt werden.[7] Dem Experiment liegt die Annahme zugrunde, dass eine Art „nichtgenetischer Autismus“ durch eine fehlerhafte Zellinteraktion verursacht würde. Die Existenz eines „nichtgenetischen Autismus“ ist jedoch nicht nachgewiesen, weswegen bei solchen Experimenten meist nicht von Autismus, sondern nur von autismusähnlichen Symptomen gesprochen wird.[8][9][10]

Eine klinische Studie mit dem niederdosierten Wirkstoff (20 mg/kg), an der 10 Kinder und Jugendliche im Alter von 5–14 Jahren teilnahmen, führte zu Verbesserungen in den Kategorien Sprache, soziale Interaktion und stereotypes Verhalten.[11]

Erprobung gegen Aids

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Das Team von Robert Gallo hatte gezeigt, dass Suramin durch Hemmung der reversen Transkriptase die Verbreitung des HI-Virus in lebenden Tieren reduzierte.[12] Ende der 1980er Jahre wurde deshalb Suramin als Mittel gegen HIV/Aids getestet, dabei kam es mehrfach zu schweren Nebenwirkungen. In einer Studie verstarben von 98 Patienten 16 während der Behandlung oder kurz danach.[13] Eine weitere Studie, bei der es auch zu schweren Nebenwirkungen kam, zeigte keine Wirkung auf die Entwicklung von opportunistischen Infektionen während der Therapie und damit keinen klinischen Nutzen bei HIV-bezogenen Krankheiten.[14]

Antrypol, Bayer 205, Belganyl, Fourneau 309, Germanin, Moranyl, Naganol, Naginin, Naphuride.

Einzelnachweise

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  1. a b c d e Eintrag zu Suramin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 10. März 2011.
  2. a b Datenblatt Suramin sodium salt bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 26. Dezember 2022 (PDF).
  3. Walter Sneader: Drug Discovery: A History. John Wiley & Sons, 2005, ISBN 0-471-89979-8, S. 378 f.
  4. Ernest Fourneau: Sur une nouvelle série de médicaments trypanocides. In: C. R. Séances Acad. Sci. Nr. 178, 1924, S. 675.
  5. A. Meirovitz, R. Goldberg, A. Binder, A. M. Rubinstein, E. Hermano, M. Elkin: Heparanase in inflammation and inflammation-associated cancer. In: The FEBS journal. Band 280, Nummer 10, Mai 2013, S. 2307–2319. doi:10.1111/febs.12184. PMID 23398975. PMC 3651782 (freier Volltext).
  6. Suramin bei akutem Leberversagen (Memento vom 19. Mai 2004 im Internet Archive)
  7. Single dose reverses autism-like symptoms in mice. abgerufen am 19. Juni 2014.
  8. Helen Briggs: Autism 'begins long before birth'. In: bbc.com. 27. März 2014, abgerufen am 29. Mai 2017 (englisch).
  9. R. Stoner, M. L. Chow u. a.: Patches of disorganization in the neocortex of children with autism. In: The New England Journal of Medicine. Band 370, Nummer 13, März 2014, S. 1209–1219, doi:10.1056/NEJMoa1307491. PMID 24670167, PMC 4499461 (freier Volltext).
  10. S. De Rubeis, J. D. Buxbaum: Genetics and genomics of autism spectrum disorder: Embracing complexity. In: Human Molecular Genetics. [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck] Juli 2015, doi:10.1093/hmg/ddv273. PMID 26188008 (Review).
  11. R. K. Naviaux, B. Curtis, K. Li, J. C. Naviaux, A. T. Bright, G. E. Reiner, M. Westerfield, S. Goh, W. A. Alaynick, L. Wang, E. V. Capparelli, C. Adams, J. Sun, S. Jain, F. He, D. A. Arellano, L. E. Mash, L. Chukoskie, A. Lincoln, J. Townsend: Low-dose suramin in autism spectrum disorder: a small, phase I/II, randomized clinical trial. In: Annals of Clinical and Translational Neurology. 2017, S. 2328–9503. doi:10.1002/acn3.424.
  12. Luc Montagnier, Robert Gallo: AZT - die erste medikamentöse Therapie für HIV. Animalresearch
  13. B. D. Cheson, A. M. Levine, D. Mildvan, L. D. Kaplan, P. Wolfe, A. Rios, J. E. Groopman, P. Gill, P. A. Volberding, B. J. Poiesz u. a.: Suramin therapy in AIDS and related disorders. Report of the US Suramin Working Group. PMID 3650339
  14. Lawrence D. Kaplan, Peter R. Wolfe, Paul A. Volberding, Paul Feorino, Donald I. Abrams, Jay A. Levy, Roberta Wong, Lilian Kaufman, Michael S. Gottlieb: Lack of response to suramin in patients with AIDS and AIDS-related complex. In: The American Journal of Medicine. Band 82, Nummer 3, 1987, S. 615–620. PMID 3548350
  • Y. L. Zhang u. a.: Suramin is an active site-directed, reversible, and tight-binding inhibitor of protein-tyrosine phosphatases. In: J. Biol. Chem. Band 273, 1998, S. 12281–12287. PMID 9575179 PDF.
  • Eva Anne Jacobi: Das Schlafkrankheitsmedikament Germanin als Propagandainstrument: Rezeption in Literatur und Film zur Zeit des Nationalsozialismus. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 29, 2010, S. 43–72.